Europarecht

Erfolgloser Eilantrag gegen Abschiebung in die Tschechische Republik im Rahmen des Dublin-Verfahrens

Aktenzeichen  Au 5 S 18.50439

Datum:
5.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 5553
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 27a, § 29 Abs. 1, § 34a Abs. 1, Abs. 2, § 75
GG Art. 16a Abs. 2 S. 1
EMRK Art. 3
AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 3, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Es bestehen derzeit keine Anhaltspunkte, dass Asylbewerber in der Tschechischen Republik aufgrund systemischer Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen tatsächlich Gefahr laufen, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (wie BayVGH BeckRS 2015, 52036). (Rn. 19) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Der Wunsch irakischer Asylbewerber, bei ihren in Deutschland lebenden Kindern bleiben zu wollen, rechtfertigt keine Verpflichtung der Bundesrepublik zum Selbsteintritt, wenn nach der Dublin-Verordnung die Tschechische Republik für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsanordnung nach Tschechien.
Die Antragsteller, irakische Staatsangehörige, reisten am 28. Dezember 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 15. Januar 2018 Asylanträge.
Nachdem die Visaabfrage Anhaltspunkte für die Zuständigkeit Tschechiens zur Durchführung des Asylverfahrens ergab, richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 26. Januar 2018 auf Grundlage von Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. Nr. L 180 S. 31 – Dublin III-VO) ein Übernahmeersuchen an die Tschechische Republik. Die tschechischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 16. März 2018 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge und die Bereitschaft zur Übernahme der Antragsteller.
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 19. März 2018 (Gz. *), den Antragstellern zugestellt am 21. März 2018, die Asylanträge der Antragsteller als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheides). Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheides) und ordnete die Abschiebung der Antragsteller in die Tschechische Republik an (Nr. 3 des Bescheides). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf drei Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4 des Bescheides).
Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
Am 27. März 2018 ließen die Antragsteller Klagen gegen den Bescheid vom 19. März 2018 erheben, über die noch nicht entschieden ist (Az. Au 5 K 18.50438).
Ebenfalls am 27. März 2018 ließen die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klagen anzuordnen.
Die Klagen und Eilanträge wurden bislang nicht begründet.
Die Antragsgegnerin hat die Akten vorgelegt, sich in der Sache jedoch nicht geäußert.
Auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bleiben ohne Erfolg.
1. Die Eilanträge nach § 80 Abs. 5 VwGO mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung der Klagen vom 27. März 2018 anzuordnen, sind statthaft. Die Klagen der Antragsteller haben keine aufschiebende Wirkung (§ 75 AsylG). Nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG können Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe gestellt werden.
2. Die Eilanträge sind jedoch unbegründet. Nach der im vorliegenden Eilverfahren durchzuführenden Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Antrags-gegnerin mit dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller, die sich maßgeblich – aber nicht ausschließlich – an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientiert, fällt die Interessenabwägung zu Gunsten der Antragsgegnerin aus. Die Abschiebungsanordnung in die Tschechische Republik erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig.
a) Die Abschiebung der Antragsteller in die Tschechische Republik ist rechtlich zulässig und tatsächlich möglich.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Solche Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft im Sinne von § 27 a AsylG finden sich aktuell in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. Nr. L 180 S. 31 – Dublin III-VO).
aa) Vorliegend ist davon auszugehen, dass für die Durchführung der Asylverfahren nach Maßgabe der Dublin III-VO nicht die Antragsgegnerin, sondern die Tschechische Republik zuständig ist (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG). Die Zuständigkeit der Tschechischen Republik für die Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz ergibt sich aus Art. 12 Abs. 2 bzw. Abs. 4 Dublin III-VO, weil die Antragsteller mit von der tschechischen Botschaft in Jordanien am 27. Dezember 2017 ausgestellten, gültigen Visa (Vis-Nrn. * und *) am 28. Dezember 2017 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind. Auf das Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin vom 26. Januar 2018 haben die tschechischen Behörden am 16. März 2018 geantwortet und erklärt, für die Asylverfahren der Antragsteller zuständig zu sein. Dies zieht auch die Verpflichtung nach sich, die Antragsteller aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.
bb) Die Zuständigkeit ist nicht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen. Nach dieser Vorschrift wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zuständig, wenn keine Überstellung an einen anderen Mitgliedstaat erfolgen kann. Die Überstellung in die Tschechische Republik ist indes nicht unmöglich, denn es bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Schwachstellen.
Nachdem es sich bei der Tschechischen Republik als einem Mitgliedstaat der Europäischen Union um einen sicheren Drittstaat im Sinne von Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG handelt, ist da-von auszugehen, dass in der Tschechischen Republik die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für den Asylbewerber führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 Grundrechtscharta bzw. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention ausgesetzt zu werden (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 – juris). Der Asylbewerber kann der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat mithin nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, U.v. 10.12.2013 – RS: 10-394/12 – juris). So bestimmt Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird. An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Art. 3 EMRK der zuständigen Mitgliedstaaten genügen hierfür nicht. Von systemischen Schwachstellen ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris). Ausgehend davon bestehen derzeit keine Anhaltspunkte, dass die Antragsteller in der Tschechischen Republik aufgrund systemischer Schwachstellen des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr liefen, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. hierzu auch VG Gelsenkirchen, B.v. 29.6.2017 – 6a L 1878/17.A – juris Rn. 10 ff.; VG München, B.v. 24.3.2017 – M 8 S 17.50451 – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 11 B 15.50111 – juris Rn. 20 f.).
cc) Auch aus Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Selbsteintritt. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller bei einer Rückführung in die Tschechische Republik erhebliche Gefahren für Leib und Leben befürchten müssten, die einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK begründen ließen, gibt es nicht.
Gesundheitliche Beeinträchtigungen, die zu einer besonderen Schutzbedürftigkeit der Antragstellerin führen würden und die angesichts des medizinischen Standards in der Tschechischen Republik nicht in ausreichender Form behandelt werden könnten, sind nicht ersichtlich. Die vom Kläger zu 1 vorgetragenen Erkrankungen an Bluthochdruck und Diabetes sind nicht durch Atteste belegt. Außerdem handelt es sich dabei um nicht lebensbedrohliche Erkrankungen, die in der Tschechischen Republik ohne weiteres behandelbar sind. Der Wunsch der Antragsteller, bei den in Deutschland lebenden Kindern bleiben zu können, ist nachvollziehbar, rechtfertigt aber nicht die Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Selbsteintritt. Dass die Antragsteller nicht in der Lage wären, ihre Asylverfahren in Tschechien selbständig durchzuführen, ist nicht ersichtlich.
b) Die Abschiebung in die Tschechische Republik kann auch durchgeführt werden. Die Feststellung im angefochtenen Bescheid, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, ist voraussichtlich ebenfalls rechtmäßig. Die Antragsteller können sich auf zielstaatsbezogene – bezogen auf die Tschechische Republik – oder inlandsbezogene Abschiebungsverbote, die in Bezug auf die Abschiebungsanordnung gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemacht werden können (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2015 – 11 ZB 15.50050 -, juris Rn. 4; VGH BW, B. v. 31.5.2011 – A 11 S 1523/11 – juris; OVG Hamburg, B. v. 3.12.2010 – 4 Bs 223/10 – juris), nicht berufen. Die gesundheitlichen Beschwerden der Antragsteller stehen ihrer Reisefähigkeit ganz offensichtlich nicht entgegen. Sonstige, der Abschiebung nach Tschechien entgegenstehende Gründe haben die Antragsteller nicht vorgetragen.
Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls waren daher die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen vor allem im Hinblick auf die voraussichtliche Erfolglosigkeit der Klagen abzulehnen. Besondere Umstände, die die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen entgegen der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides im Wege der Interessenabwägung erforderlich erscheinen ließen, liegen nicht vor.
c) Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) stellt sich ebenfalls als voraussichtlich rechtmäßig dar. Einwände hiergegen haben die Antragsteller nicht erhoben. Nach Ansicht des Gerichts ist die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf drei Monate angemessen (§ 11 Abs. 2 AufenthG). Die Befristung hält sich innerhalb des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffneten gesetzlichen Rahmens von bis zu fünf Jahren. Das nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eröffnete Ermessen wurde erkannt und ermessensfehlerfrei ausgeübt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83 b AsylG)
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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