Aktenzeichen W 8 S 17.50313
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 2 lit. g, Art. 3 Abs. 2, Art. 10, Art. 12 Abs. 4, Art. 17 Abs. 1, Art. 22 Abs. 7
GG GG Art. 6
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz
1 Es ist nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht davon auszugehen, dass das tschechische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh ausgesetzt wären. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine kirchliche Heirat begründet nach armenischem Recht keine rechtlich anerkannte Ehe und damit keine Zuständigkeit nach Art. 10 iVm Art. 2 lit. g Dublin III-VO. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3 Auch wenn eine dauerhafte Beziehung in Deutschland mit der Verlobten geführt wird, ist dies kein außergewöhnlichen Grund für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist armenischer Staatsangehöriger. Er reiste am 19. Dezember 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 23. Januar 2017 einen Asylantrag.
Nach den Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 16. März 2017 reagierten die tschechischen Behörden bislang nicht.
Mit Bescheid vom 19. Mai 2017 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach Tschechien wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf drei Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 1. Juni 2017 ließ der Antragsteller im Verfahren W 8 K 17.50312 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.
Zur Begründung ließ der Antragsteller im Wesentlichen vorbringen: Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaates stehe nicht fest. Anhaltspunkte genügten nicht. Ein so genannter EURODAC-Treffer sei strukturell nicht in der Lage, die Zuständigkeit eines anderen Staats zu belegen. Soweit sich die Antragsgegnerin auf nicht näher bezeichneter Auskünfte der Behörden des Abschiebungszielstaats beziehe, führe dies nicht zu einer geringeren Prüfungstiefe. Dies gelte auch für die Behauptung, es sei die Einreise mit einem Visum erfolgt. Weiter bestehe Anlass, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen. Der Antragsteller und seine Verlobte hätten in Armenien bereits kirchlich geheiratet, seien also in ihrem sozialen Umfeld als vollwertige verheiratete Eheleute angesehen. Sie betrieben gegenwärtig die standesamtliche Eheschließung in Deutschland. Die Verlobte verfüge über ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht aus Art. 23a AufenthG.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Klageverfahrens W 8 K 17.50312) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO – betreffend die Abschiebungsanordnung unter Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids – ist zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 19. Mai 2017 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen in der Antragsbegründung führt zu keiner anderen Beurteilung.
Tschechien ist für die Durchführung des Asylverfahrens gemäß den Vorschriften der Dublin III-VO zuständig (§§ 34a, 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. der Dublin III-VO). Die Zuständigkeit Tschechiens ergibt sich vorliegend aus Art. 12 Abs. 4 i.V.m. § 22 Abs. 7 Dublin III-VO. Das Gericht hat keine Zweifel, dass der Antragsteller ein gültiges Schengen-Visum hatte Der Antragsteller hat bei seiner Anhörung am 17. Januar 2017 selbst eingeräumt, dass er zum tschechischen Visum-Center sei und innerhalb einer Woche seinen Pass mit einem Visum für Tschechien bekommen habe. Er sei mit dem Visum nach Prag geflogen, habe sich dort zehn Tage aufgehalten und sei dann mit dem Bus nach Deutschland gereist.
Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand und unter Berücksichtigung der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – NVwZ 2012, 417) nicht davon auszugehen, dass das tschechische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta (GRCharta) ausgesetzt wären. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Mängel im tschechischen Asylsystem (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 11 B 15.50111 – juris), zumal der Antragsteller nichts Dahingehendes vorgebracht hat.
Ferner ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin ermessensfehlerhaft keinen Gebrauch von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO gemacht hat. Konkret sind insbesondere keine gewichtigen Erkrankungen ersichtlich, die in Tschechien nicht behandelt bzw. weiterbehandelt werden könnten.
Weiter sind auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin selbst zu berücksichtigen hätte, nicht ersichtlich. Eine Reise- oder Transportunfähigkeit wurde vom Antragsteller nicht substanziiert geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
Schließlich ergibt sich auch nicht aus einer Familienzusammengehörigkeit im Sinne von Art. 10 Dublin III-VO eine Zuständigkeit Deutschlands. Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben nicht standesamtlich verheiratet; vielmehr hätten seine Verlobte und er in Armenien kirchlich geheiratet. Dies macht den Antragsteller indes nicht zum Familienangehörigen im Sinne der Dublin III-VO. Hierunter falle nach Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO der Ehegatte des Antragstellers oder sein nicht verheirateter Partner, der mit ihm eine dauerhafte Beziehung führt, soweit nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedsstaats nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich vergleichbar behandelt werden wie verheiratete Paare. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Der Antragsteller ist nicht der Ehegatte seiner Verlobten im Sinne dieser Vorschrift. Er hat selbst bei seiner behördlichen Anhörung angegeben, nicht verheiratet zu sein. Er habe nur eine kirchliche Trauung hinter sich, aber keine standesamtliche. Nach armenischem Recht sei er also nicht verheiratet. Der Antragsteller hat auch im gerichtlichen Verfahren angegeben, „nur“ kirchlich verheiratet zu sein. Eine standesamtliche Heirat werde betrieben. Eine Heiratsurkunde wurde indes nicht vorgelegt. Danach ist nicht ersichtlich, geschweige denn nachgewiesen, dass es sich bei der kirchlichen Eheschließung in Armenien um eine nach Maßgabe ausländischer Rechtsordnungen ordnungsgemäß begründete, d.h. eine nach religiösen Bestimmungen geschlossene und von einem anderen Staat anerkannte Ehe handelt. Auch wenn der Antragsteller offenbar eine dauerhafte Beziehung in Deutschland mit seiner Verlobten führt, werden nach deutschem Recht bzw. den hiesigen Gepflogenheiten nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich nicht vergleichbar behandelt wie verheiratete Paare. Sowohl im Rahmen des Familienasyls nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als auch im Aufenthaltsrecht ist eine anerkannte Eheschließung erforderlich; eheähnliche Beziehungen reichen nicht aus. Der Schutz des Art. 6 GG greift nur bei rechtsgültig geschlossenen, staatlich anerkannten Ehen, nicht hingegen bei eheähnlichen Lebensgemeinschaften (so ausdrücklich OVG NRW, B.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris m.w.N. zur Rechtsprechung). Bei dieser Sachlage ist die Entscheidung der Antragsgegnerin, dass keine außergewöhnlichen Gründe vorliegen, die sie veranlassen könnten, ihrem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, nicht zu beanstanden (VG Düsseldorf, B.v. 15.12.2016 – 13 L 3994/16.A – juris).
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.