Europarecht

Erfolgloses Eilbegehren einer Nigerianerin gegen eine Überstellung nach Italien

Aktenzeichen  M 9 S 17.52107

Datum:
16.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 8140
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
Dublin III-VO Art. 3, Art. 13, Art. 17, Art. 25 Abs. 2
AsylG § 34a
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Zum Entscheidungszeitpunkt ist nicht davon auszugehen, dass Flüchtlinge in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. (Rn. 27 – 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Überstellung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Die Antragstellerin ist (alles nach eigenen Angaben, die Antragstellerin hat keine Personaldokumente ihres Heimatlandes vorgelegt) nigerianische Staatsangehörige und geboren am 27. August 1998 oder an einem anderen Datum. Auf die Angaben im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und die persönliche Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 12. Juli 2017, Bl. 11 – 14 der Bundesamtsakte wird Bezug genommen. Sie habe ihr Heimatland im April 2014 verlassen und sei über den Niger nach Libyen, von dort nach Italien, wo sie sich ca. zwei Jahre aufgehalten habe, und über Österreich weiter nach Deutschland gekommen, wo sie am 5. Juli 2017 angekommen sei und wo sie am 12. Juli 2017 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) – Außenstelle M1. einen Asylantrag gestellt hat. Sie habe in Italien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Am 13. Juli 2017 fand die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 – 4 AsylG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG statt. Dort gab die Antragstellerin an, sie sei erst 2015 aus ihrem Heimatland ausgereist, außerdem sei sie verheiratet, allerdings nur religiös, nicht staatlich. Auf die Frage, ob sie Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen u.a. habe, verneinte die Antragstellerin. Nach Italien wolle sie nicht zurück, weil sie auf der Straße habe leben müssen. In Italien gebe es keine Arbeit und die Antragstellerin wolle nicht „auf der Straße arbeiten“. Auf Nachfrage gab die Antragstellerin an, sie habe nur gebettelt, sie habe aber nicht „auf der Straße gearbeitet“, aber sie habe Mädchen gesehen, die das gemacht hätten. In Deutschland wolle sie bleiben, hier bekomme man Hilfe. Sie habe in Italien keine Antwort auf ihren dort gestellten Asylantrag bekommen. Auf die Niederschrift im Übrigen wird Bezug genommen (Bl. 59 – 63 bzw. Bl. 98 – 102 der Bundesamtsakten). Ebenfalls am 13. Juli 2017 fand außerdem noch eine Anhörung gemäß § 25 AsylG statt. Auf die Niederschrift über die Anhörung wird Bezug genommen (Bl. 64 – 73 bzw. Bl. 88 – 97 der Bundesamtsakten).
Am 20. Juli 2017 fand seitens der Regierung von Oberbayern – Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern / Zentrale Passbeschaffung Bayern eine Befragung zur Identitätsklärung statt. Auf das Befragungsprotokoll (Bl. 104 – 108 sowie die Anlage Bl. 109) und die „Einschätzung“ zur Erstbefragung (Bl. 110f. der Bundesamtsakten) wird Bezug genommen.
Für die Antragstellerin folgt aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang ein Eurodac-Treffer für Italien (IT1BO03NYB, Bl. 2 bzw. Bl. 6 bzw. Bl. 74 der Bundesamtsakte).
Auf ein Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 13. Juli 2017 an Italien erfolgte keine Reaktion.
Mit Bescheid vom 28. Juli 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3). Die Nr. 4 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Ausweislich der in der Bundesamtsakte enthaltenen Kopie der Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid am 1. August 2017 zugestellt.
Die Antragstellerin ließ hiergegen mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 9. August 2017, beim Verwaltungsgericht München eingegangen per Telefax am selben Tag, Klage erheben (Az.: M 9 K 17.52106) mit den Anträgen, den Bescheid vom 28. Juli 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Asylverfahren fortzuführen.
„ Außerdem wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.
Zur Begründung der Rechtsbehelfe wird ausgeführt, die Antragstellerin habe einen Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland. In Italien habe sie keine Hilfestellung erhalten, keine Wohnung bekommen, sie habe versucht bei Freundinnen zu übernachten, ansonsten habe sie auf der Straße übernachten müssen. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, habe die Antragstellerin nur die zwei Möglichkeiten gehabt, entweder zu betteln oder sich zu prostituieren. Da die Prostitution für die Antragstellerin nicht möglich gewesen sei, habe sie in Italien auf der Straße betteln müssen. Wegen der Lebensumstände der Antragstellerin in Italien müsse die Antragsgegnerin ihr Selbsteintrittsrecht ausüben. Auf den Schriftsatz im Übrigen wird Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 19. Januar 2018 ließ die Antragstellerin den Antrag weiter begründen. Die Antragstellerin sei in Nigeria von einem Menschenhändler nach Italien gelockt worden. Für die Überbringung habe sie geschworen, EUR 30.000,- zu zahlen. Nachdem die Antragstellerin in Italien angekommen sei, sei sie nicht in einem Camp, sondern in einem Privathaus gelandet, wo ihre Tätigkeit darin bestanden habe, der Prostitution nachzugehen. Der Menschenhändler halte sich in Nigeria in der Nähe der Familie der Antragstellerin auf und bedrohe diese. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren und der Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG).
Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dass sich die Klage wegen des Verpflichtungsbegehrens auf Fortführung des Asylverfahrens, was ohnehin gesetzliche Folge einer Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung wäre (§ 31 Abs. 2 AsylG), als teilweise unzulässig erweisen wird – gegen einen Bescheid, mit dem die Unzulässigkeit eines Asylantrags gemäß § 29 Abs. 1 AsylG verfügt wird, ist ausschließlich die Anfechtungsklage richtige Klageart, das gilt auch, wenn als Begründung eine Verpflichtung zum Selbsteintritt geltend gemacht wird, weil auch dann die Beseitigung der Unzulässigkeitsentscheidung erreicht werden soll –, schadet für den hiesigen Antrag nicht.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn die Hauptsacheklage hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Juli 2017, auf den im Sinne von § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist voraussichtlich rechtmäßig.
Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
1. Italien ist als Mitgliedstaat, über dessen Grenze die Antragstellerin aus einem Drittstaat illegal eingereist ist, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist ohne weiteres Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Das ist auch nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin Italien; unabhängig davon hat sie dort auch einen Asylantrag gestellt. Der Umstand der Asylantragstellung in Italien wird belegt durch den für die Antragstellerin erzielten Eurodac-Treffer mit der Kennzeichnung „IT1“. Die Ziffer „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26.6.2013 (Neufassung) (EURODAC-VO)). Die Zuständigkeit Italiens ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erloschen. Damit ist vorliegend Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat.
Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin nicht reagiert haben, ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO).
2. Die Abschiebung nach Italien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Italien als den zuständigen Mitgliedstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragstellerin im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Ver-trauens (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 –, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitglied-staat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den jeweiligen Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v.19.03.2014 – 10 B 6.14 –, juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH, U.v.28.02.2014 – 13a B 13.30295 –, juris; OVG NRW, B.v. 16.2.2017 – 13 A 316/17.A – juris Rn. 3 – 5; U.v.22.09.2016 – 13 A 2248/15.A –, juris Rn. 72ff.; U.v.18.07.2016 – 13 A 1859/14.A –, juris Rn. 54ff.; U.v.24.04.2015 – 14 A 2356/12.A –, juris; U.v. 07.03.2014 – 1 A 21/12.A –, juris; VGH BW, U.v.16.04.2014 – A 11 S 1721/13 –, juris; OVG Rh-Pf, U.v.21.02.2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris; OVG LSA, U.v.02.10.2013 – 3 L 645/12 –, juris; OVG Berlin-Bbg, B.v.17.06.2013 – OVG 7 S 33.13 –, juris; NdsOVG, B.v.30.01.2014 – 4 LA 167/13 –, juris; U.v.25.06.2015 – 11 LB 248/14 –, juris; VG Osnabrück, B.v. 8.8.2017 – 5 B 212/17 – juris; vgl. auch BVerfG, Kammerb.v.17.09.2014 – 2 BvR 732/14 –, juris). Danach verfügt Italien unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen durchaus erhebliche Mängel und Defizite feststellen lassen, werden diese, weder für sich genommen noch insgesamt, als so gravierend bewertet, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NRW, U.v.07.03.2014, a.a.O, Rn 132; OVG Rh-Pf, U.v. 21.02.2014, a.a.O, Rn 45 f.).
Das Gericht schließt sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – Hussein u.a. ./. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10 –, ZAR 2013, 336; B.v.18.06.2013 – Halimi ./. Österreich und Italien, Nr. 53852/11 –, ZAR 2013, 338). Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber zwar einige Mängel aufweisen mögen, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen würden. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars wiesen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigten übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten seien. Diese Rechtsauffassung hat der EGMR, dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweilig entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (BVerfG, U.v.04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 –, juris), durch seine Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10 – HUDOC) ausdrücklich bestätigt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (Az. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammenbleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande (Az. 51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten. Unabhängig davon sind die Umstände des streitgegenständlichen Falles der Antragstellerin mit denjenigen in der Entscheidung des EGMR nicht vergleichbar.
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/italy) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgsversprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Bericht zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63f. des Berichts). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher auch für die Personengruppe, der die Antragstellerin angehört, nicht angenommen werden.
Auch aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von August 2016 (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe (https://www.fluechtlingshilfe.ch/…/160815-sfh-bericht-italien-aufnahmebedingungen) ergibt sich nichts Anderes. Denn erstens handelt es sich hierbei nicht um das einzig richtige bzw. einzig maßgebliche Erkenntnismittel, vielmehr ergibt eine Berücksichtigung dieses Erkenntnismittels in der Zusammenschau mit den zahlreichen anderen vorhandenen Erkenntnismitteln eben im Ergebnis, dass systemische Mängel im italienischen Asylverfahren nicht vorliegen. Zweitens wäre die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien erst dann überschritten, wenn absehbar wäre, dass auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung des Problems ergriffen würden. Dafür gibt es auch nach dem aktuellen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus dem August 2016 keine Hinweise (vgl. VG Schwerin, U.v.26.09.2016 – 16 A 1757/15 As SN –, juris Rn. 122), auch ansonsten ist das nicht der Fall (vgl. z.B. OVG NRW, U.v.18.07.2016 – 13 A 1859/14.A –, juris Rn. 103ff.).
Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NRW, U.v.24.04.2015 a.a.O., U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris Rn. 105).
Auch der Umstand, dass sich die Situation der Antragstellerin in Italien u.U. deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – a.a.O.).
Die Maßgaben, die für in Italien bereits anerkannte Asylbewerber diskutiert werden (insbesondere die beiden Vorlagebeschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.3.2017 – 1 C 17/16 u.a. – juris sowie vom 1.6.2017 – 1 C 22/16 – juris), sind mangels entsprechender Nachweise auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, vielmehr handelt es sich bei der Antragstellerin auch bezogen auf Italien um eine Person im laufenden Asylverfahren.
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, U.v.30.6.2015 – 39350/13 – A.S. gegen Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U.v.11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 –, juris Rn. 26 m.w.N.). Auch der bereits erwähnte Bericht von AIDA bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B.v.19.09.2015 – Au 7 S 15.50412 – juris). Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (VG München, B.v.05.11.2014 – M 18 S 14.50356 – juris m.w.N.). Auch bei Überstellung von kranken Personen, deren Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen ist – was bei der Antragstellerin nicht der Fall ist –, besteht damit die Möglichkeit der Behandlung. Es ist daher davon auszugehen, dass die Antragstellerin, die ausdrücklich verneint hat, gesundheitliche Einschränkungen zu haben, in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat.
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, liegen nicht vor. Ebenso wenig liegen inlandsbezogene oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse vor. Auch unter Berücksichtigung des Vortrags im Verwaltungssowie im Verwaltungsstreitverfahren ergibt sich kein anderes Ergebnis.
Der Vortrag in den Dublin-Anhörungen bezogen auf die Verhältnisse in Italien begründet keine – nach dem oben Gesagten nicht vorliegenden – systemischen Schwachstellen des italienischen Asylverfahrens; im Übrigen unterliegt es gerade nicht der Disposition der Antragstellerin, wo sie ihr Asylverfahren zu durchlaufen hat. Dabei braucht – auch in der Klage in der Hauptsache – nicht aufgeklärt zu werden, ob oder wie die Antragstellerin untergebracht und versorgt wurde, da das Einzelschicksal der Antragstellerin für die Frage, ob das italienische Asylverfahren einschließlich der Aufnahmebedingungen unter systemischen Mängeln leidet, keine Relevanz hat. Daher kommt es auch nicht darauf an, dass die Antragstellerin zu der Frage, wie bzw. ob überhaupt sie untergebracht war, widersprüchlich vortragen lässt.
Auch der im Lauf des Verwaltungsstreitverfahrens neu vorgebrachte Vortrag, dass die Antragstellerin in Italien zur Prostitution gezwungen wurde, ändert am Ergebnis nichts. Zunächst wird der Antragstellerin der entsprechende Vortrag nicht geglaubt. Die Antragstellerin hat bei sämtlichen Anhörungen beim Bundesamt davon überhaupt nichts angegeben hat. Auch in dem Schriftsatz, mit der hiesige Rechtsbehelf und die zugehörige Klage erhoben wurden, findet sich dazu nichts, im Gegenteil wird dort noch betont, dass es der Antragstellerin nicht möglich gewesen sei, sich zu prostituieren. Der plötzliche Sinneswandel im Vortrag wird auch nicht im Ansatz nachvollziehbar erklärt. Schließlich ist der neue Vortrag auch durch die zu diesem neuen Vortrag eingereichte eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin (als Anlage zum Schriftsatz vom 13. Februar 2018) nicht glaubhaft gemacht. Der eidesstattlichen Versicherung kann kein hinreichender Beweiswert zukommen, weil auch zum ursprünglichen Vortrag, in dem noch angegeben wurde, dass es der Antragstellerin nicht möglich gewesen sei, sich zu prostituieren, eine entsprechende eidesstattliche Versicherung eingereicht wurde (eidesstattliche Versicherung vom 9.8.2017 als Anlage zum Schriftsatz der Bevollmächtigten vom selben Datum); welcher nun von beiden gegenläufigen Vorträgen wahr sein soll, lässt sich mit Hilfe der sich diametral widersprechenden eidesstattlichen Versicherungen nicht beantworten bzw. nicht glaubhaftmachen. Der Vortrag der Bedrohung der Familie in Nigeria durch den vorgeblichen Menschenhändler, unabhängig davon, dass dieser im Zusammenhang mit den soeben geschilderten unglaubhaften Angaben ebenso wenig glaubhaft ist, schließlich hat für das streitgegenständliche Verfahren keine Relevanz. Denn wenn es zutreffen sollte, dass diese Person die nigerianische Familie der Antragstellerin bedroht, weil diese die angeblichen Schulden nicht „abarbeitet“, dann ist das vollkommen unabhängig davon, ob sich die Antragstellerin in Deutschland oder in Italien aufhält. Unabhängig von der fehlenden Glaubhaftigkeit des neuen Vortrags besteht zweifelsohne die Möglichkeit, in Italien die Hilfe der Strafverfolgungsbehörden in Anspruch zu nehmen.
Die Angaben der Antragstellerin im Rahmen der Anhörung nach § 25 AsylG führen ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Hierbei handelt es sich um die Geltendmachung von Umständen, die für die Überstellung der Antragstellerin im Rahmen der Anwendung der Dublin III-Verordnung nicht relevant sind, vielmehr handelt es sich um sog. zielstaatsbezogenes Vorbringen, das zum Asylantrag der Antragstellerin gehört, für den die Antragsgegnerin aber gerade nicht zuständig ist.
Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen in den Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen daher keine Bedenken.
3. Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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