Europarecht

Ermessensfehlerfreie Entscheidung über Selbsteintritt

Aktenzeichen  W 2 K 15.30105

Datum:
12.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 17 II, 48 I UAbs. II 2
AufenthG AufenthG § 60 I 2, II
AsylG AsylG §§ 26a I 1, 27a

 

Leitsatz

Prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Hinblick auf eine aktuelle Stellungnahme des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) nicht die individuelle Schutzbedürftigkeit, wird das subjektive Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Selbsteintritt gem. Art. 17 I Dublin III-VO verletzt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Januar 2015 (GZ: 5878979 – 475) wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Beklagte und die Klägerin tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens je zur Hälfte.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die andere Partei zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Entsprechende Einverständniserklärungen liegen mit dem Schreiben des Klägervertreters vom 10. Mai 2016 und der allgemeinen Prozesserklärung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25.02.2016 mit Ergänzung vom 24.03.2016 vor.
Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz Asylgesetz (AsylG) i. d. F. d Bek. vom 2. September 2008 (BGBl. I 2008, 1798), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. Februar 2016, ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidungsfindung maßgeblich.
Sie ist insoweit zulässig und begründet als der Bundesamtsbescheid vom 26. Januar 2015 angefochten wird.
Im Hinblick auf die Zulässigkeit der Klage schadet es nicht, dass die Klage noch vor Zustellung des Bescheides an die Klägerin erhoben wurde. Denn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung liegt mit dem am 20. Februar 2015 zugestellten Bescheid ein tauglicher Klagegegenstand vor.
Der angefochtene Bescheid vom 26. Januar 2015 ist insgesamt rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der formell rechtmäßige Bescheid ist sowohl in Ziffer 1) als auch in Ziffer 2) materiell rechtswidrig.
Die Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig findet weder eine Rechtsgrundlage in § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, noch lässt sie sich auf § 26a AsylG oder § 27a AsylG stützen.
Wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 23. Oktober 2015 (Az. 1 B 41/15 – juris) ausgeführt hat, dürfen vor dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge nicht allein aufgrund von § 60 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 3 AufenthG als unzulässig abgelehnt werden. Dies ergibt sich aus der Übergangsregelung in Art. 52 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie n. F.), der für Asylanträge, die vor diesem Datum gestellt wurden, die Anwendung der Rechts- und Verfahrensvorschriften nach Maßgabe der Richtlinie 2005/85/EG (Asylverfahrensrichtlinie a. F.) vorsieht. Denn gem. Art. 25 Abs. 2 lit. a) RL 2005/85/EG müssen die Mitgliedstaaten – zusätzlich zu den Fällen, in denen ein Asylantrag nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (sog. Dublin II-VO) nicht geprüft wird -, nur dann nicht prüfen, ob der Antragsteller als Flüchtling i. S. d. Qualifikationsrichtlinie anzuerkennen ist, wenn ein anderer Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft bereits zuerkannt hat. Im Fall der Klägerin wurde lediglich subsidiärer Schutz nicht jedoch die Flüchtlingseigenschaft gewährt. Eine vorzeitige Anwendung von Art. 33 Abs. 1 lit. a) der RL 2013/32/EU, der die Möglichkeit einräumt, einen Antrag auf internationalen Schutz, also Flüchtlingsanerkennung und subsidiären Schutz, als unzulässig abzuweisen, wenn ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz bereits in Form von subsidiärem Schutz gewährt hat, kommt wegen seiner belastenden Wirkung für den betroffenen Antragsteller auch gem. Art. 5 RL 2013/32/EG nicht in Betracht. In diesem Sinne ist § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass die Verweisung auf § 60 Abs.1 Satz 3 AufenthG nicht auch zur entsprechenden Anwendung der Ausnahmen für Fälle nach § 60 Abs.1 Satz 2 AufenthG führt, auf die § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG Bezug nimmt. Zur weiteren Begründung wird auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2015 (a. a. O.) verwiesen. Die Klägerin stellte am 30. Dezember 2014 in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag, mit dem sie gem. § 13 Abs. 2 Satz 1 AsylG zugleich internationalen Schutz, d. h. die Flüchtlingsanerkennung und subsidiären Schutz beantragte. Da der Antrag vor dem 20. Juli 2015, dem Anwendungsstichtag für die Asylverfahrensrichtlinie n. F., datiert, muss § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG europarechtskonform dahingehend ausgelegt werden, dass die Verweisungskette nicht dazu führt, dass ein Antrag auf Flüchtlingsanerkennung nur deswegen als unzulässig abgelehnt werden darf. Ob dies – bei unverändertem Inhalt der nationalen Norm – auch für Anträge gilt, die nach dem 20. Juli 2014 gestellt wurden, kann offen bleiben.
Unabhängig davon, ob im Fall der Kläger das Konzept der normativen Vergewisserung hinsichtlich Bulgariens als sicherer Drittstaat erschüttert wäre, lässt sich die Ablehnung des klägerischen Asylantrags als unzulässig auch nicht auf § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG stützen. Denn gem. § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylG findet der Ausschluss dann keine Anwendung, wenn die Bundesrepublik Deutschland aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages mit dem sicheren Drittstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Mithin ist die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach dem sog. Dublin-Verfahren vorrangig.
Die Zuständigkeitsbestimmung auf der Grundlage des Dublin-Verfahrens scheidet hier nicht schon deshalb aus, weil der Klägerin in Bulgarien bereits subsidiärer Schutz zugesprochen wurde. Zwar endet nach der aktuell gültigen Dublin III-VO (Verordnung (EU) Nr. 604/2013) die Anwendbarkeit des dort etablierten Systems zur Bestimmung des für den Asylantrag zuständigen Mitgliedstaates in zeitlicher Hinsicht mit dem Erlass einer Entscheidung, die dem Antragsteller internationalen Schutz i. S. v. Art. 2 lit. a) der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie n. F.) gewährt. Dies umfasst die Flüchtlingsanerkennung genauso wie die „bloße“ Gewährung subsidiären Schutzes. Gem. Art. 2 lit. f) der Dublin III-VO ist derjenige dann als „Begünstigter internationalen Schutzes“ anzusehen und das Dublin-Verfahren damit beendet. Dies gilt gemäß der Überleitungsbestimmung in Art. 49 Abs. 2 Satz 1 der Dublin III-VO jedoch nur für Anträge, die nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurden.
Der von der Klägerin in Bulgarien am 26. November 2013 gestellte Asylantrag fällt zeitlich also noch in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (sog. Dublin II-VO). Art. 49 Abs. 1 Unterabsatz. 2 Satz 2 Dublin III-VO ordnet für die Zuständigkeitsbestimmung ausdrücklich die Fortgeltung der Dublin II-VO an. Nichts anderes kann für die rechtliche Reichweite des beantragten Schutzes gelten. Denn anders als Art. 2 lit. f) Dublin III-VO, definiert Art. 2 lit. c) Dublin II-VO einen Asylantrag als „Ersuchen um internationalen Schutz eines Mitgliedstaates im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention“, so dass die Gewährung bloßen subsidiären Schutzes zugleich die Ablehnung des Antrags auf Flüchtlingsanerkennung beinhaltet, an die sich gem. Art. 16 Abs. 1 lit. e) Dublin II-VO für den ablehnenden Mitgliedstaat die Verpflichtung knüpft, den Drittstaatsangehörigen, der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 Dublin II-VO wieder aufzunehmen (vgl. dazu: VG Magdeburg, U. v. 5.10.2015, Az. 9 A 372/14 MD – juris). Nach den Regelungen der Dublin II-VO führt also nur die Anerkennung als Flüchtling i. S. v. Art 1 lit. g) der Dublin II-VO dazu, dass das Dublin-Verfahren danach keine Anwendung mehr findet. Im Unterschied zur neueren Dublin III-VO, die auf den im Jahr 2013 in Bulgarien gestellte Anträge der Kläger jedoch gerade nicht anwendbar ist, lässt die – für die nachwirkenden Rechtsfolgen des Antrags maßgebliche – Dublin II-VO die Zuerkennung subsidiären Schutzes für die Beendigung des Dublin-Regimes noch nicht genügen. Parallel zu den im Rahmen von § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG dargestellten Änderungen bei den Asylverfahrensrichtlinien wird mit der Umstellung von Dublin II-VO auf Dublin III-VO also eine Angleichung der Rechtsfolgen bei der Zuerkennung von subsidiärem Schutz an die Rechtsfolgen der Flüchtlingsanerkennung vollzogen. Aufgrund der jeweiligen Überleitungsvorschriften kommt diese Gleichstellung bei der Klägerin jedoch zeitlich weder bei der Asylverfahrensrichtlinie noch im Dublin-Verfahren zum Tragen. So zieht die Zuerkennung des subsidiären Schutzes in Bulgarien am 17. März 2014 auch nicht die Beendigung des Dublin-Verfahrens nach sich, sondern ist bei der Rechtsfolgenbestimmung als Ablehnung eines Antrags auf Flüchtlingsanerkennung zu behandeln. Unerheblich ist dabei, dass die Verbescheidung des Antrags zeitlich bereits in den Anwendungsbereich der Dublin III-VO fällt. Denn die Fortgeltung des Dublin-Regimes ist allein an die Antragstellung geknüpft. Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme gem. Art. 16 Abs. 1 lit. e) Dublin II-VO ist deshalb auch nicht durch das In-Kraft-Treten der Dublin III-VO erloschen. Sie wirkt vielmehr in das Dublin-Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit für die am 30. Dezember 2014 in Deutschland gestellten Asylanträge hinein. im Rahmen der Zuständigkeitsbestimmung der Dublin III-VO für einen Antrag nach dem 1. Januar 2014 sind die Regelungen der Dublin II-VO nämlich auch noch dann – implizit – beachtlich, wenn die Zuständigkeit sich aus der Prüfung und ggf. Verbescheidung eines Asylantrags ableitet, der zeitlich unter das Regelungsregime der Dublin II-VO fällt (vgl. VG Magdeburg, a. a. O.). So sieht auch Art. 41 Dublin III-VO ausdrücklich vor, dass – wenn ein Antrag nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde – Sachverhalte, die die Zuständigkeit eines Mitgliedsstaats gemäß dieser Verordnung nach sich ziehen können, auch berücksichtigt werden, wenn sie aus der Zeit davor datieren. Da die Zuständigkeit für den Asylantrag des Klägers auf der Grundlage des europarechtlichen Dublin-Regime zu bestimmen ist, findet die Drittstaatsregelung des § 26a AsylG keine Anwendung.
Die Ablehnung des Antrags als unzulässig kann auch nicht auf § 27a AsylG gestützt werden. Dies ergibt sich zwar nicht bereits daraus, dass Bulgarien die Anwendbarkeit des Dublin-Regimes verneint und die Wiederaufnahme der Klägerin im Dublin-Verfahren ablehnt. Denn das europäische Regelwerk zur Bestimmung der Mitgliedstaaten ist unmittelbar geltendes Recht, dessen Anwendbarkeit nicht im Belieben der ebenfalls daran gebundenen Mitgliedstaaten steht. Jedoch hat die Klägerin einen Anspruch darauf, dass die Beklagte in einer ermessensfehlerfreien Entscheidung über einen Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO aus humanitären Gründen entscheidet. Im Hinblick auf den Charakter dieser Vorschrift als Ermessensnorm (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011 a. a. O. Rn. 65) kann ein Antragsteller zwar allenfalls ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach § 40 VwVfG haben (Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand Dezember 2015 § 27a Rn. 52). Bei der Anwendung dieser fakultativen Bestimmung steht den Mitgliedstaaten auch ein weites Ermessen zu (EuGH. Urt. v. 10.12.2013 a. a. O. Rn. 57). Das Ermessen kann sich aber dann zu einer Pflicht zum Selbsteintritt verdichten, wenn jede andere Entscheidung unvertretbar wäre. Eine solche Fallkonstellation ist anzunehmen, wenn in einer Situation, in der Grundrechte des Antragstellers im Falle der Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat wegen systemischer Mängel verletzt würden und sich die Lage des Antragstellers bei einer Fortführung des Dublin-Verfahrens durch eine unangemessen lange Verfahrensdauer noch verschlimmert würde (EuGH, Urt. v. 14.11.2013 a. a. O. Rn. 35 und vom 21.12.2011 a. a. O. Rn. 98, BVerwG, Beschl. v. 27.10.2015 a. a. O.). Darüber hinaus besteht eine Pflicht zum Selbsteintritt, wenn im Fall der Überstellung eine in den persönlichen Umständen des Betroffenen wurzelnde Grundrechtsverletzung gegeben wäre (vgl. Bay VGH, U. v. 3.12.2015 – 13a B 15.50124, InfAuslR 2016, 206 ff.).
Mit ihrem Vortrag, dass sie in Bulgarien keine Unterstützung bekommen hätte, hat die Klägerin bereits im Anhörungsverfahren Anhaltspunkte für die Prüfung eines solchen Selbsteintritts geltend gemacht. Die Beklagte hat sich damit im Rahmen des bei § 26a AsylG zu prüfenden Konzepts der normativen Vergewisserung zwar befasst, jedoch lediglich auf eine entsprechende Darlegungslast der Klägerin verwiesen. Sie hat weder das im Rahmen von Art. 37 Dublin III-VO mögliche Schlichtungsverfahren hinsichtlich der fortwirkenden Zuständigkeit Bulgariens angerufen, noch den im elektronischen Schreiben vom 13. Januar 2015 seitens der bulgarischen Dublin-Einheit empfohlenen Weg eines Überstellungsgesuchs nach dem bilateralen Übernahmeabkommen gestellt. Unberücksichtigt blieb ferner die familiäre Konstellation der Klägerin, die zusammen mit ihrem Ehemann, dessen Zweitfrau und deren gemeinsamen Kindern gereist ist. Die Beklagte muss sich jedoch im Rahmen einer Ermessensentscheidung gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO damit auseinandersetzen. Denn auch Art. 17 Abs. 2 Dublin III VO konkretisiert den unbestimmten Rechtsbegriff der humanitären Gründe dahin gehend, dass es sich „insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen“. Auch im Hinblick auf die in Bulgarien derzeit herrschenden Aufnahmebedingungen ist es im Lichte von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO für eine mögliche Verletzung von Art. 4 EU-Grundrechtscharta relevant, ob die Klägerin alleine, zusammen mit ihrem Ehemann oder im Verbund mit der weiteren Ehefrau und deren beiden kleinen Kindern nach Bulgarien zurückkehren soll. So gehören sowohl alleinstehende Frauen wie auch Familien mit Kleinkindern zu einem Personenkreis, der typischerweise besonders verwundbar und deswegen in einem erhöhten Maße schutzbedürftig ist. Entsprechend der aktuellen Auskunft des UNHCR an das VG Minden vom 28. Dezember 2014, dass er an seiner Empfehlung festhalte, die Dublin-Rückkehrer auf individuelle Gegebenheiten zu überprüfen, die im Einzelfall eine Rückkehr verhindern würde, wäre in diesen Fällen seitens der Beklagten eine weitergehende Befassung der individuellen Schutzbedürftigkeit der Klägerin im Rahmen von Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO notwendig. Denn aufgrund der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die – bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens zu beachtenden – Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, kommen dessen Stellungnahmen eine besondere Relevanz zu (vgl. EuGH, U. v. 30.5.2013 – C 528/11 – ABl. EU 2013 Nr. C 225 S. 12 – NVwZ-RR 2013, 660), die die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO zu berücksichtigen hat. Insgesamt erweist sich die Entscheidung der Beklagte in Ziffer 1) des angegriffenen Bescheides deshalb als ermessensfehlerhaft und verletzt die Klägerin in ihrem subjektiven Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Selbsteintritt gem. Art.17 Abs. 1 Dublin III-VO. Da sich die Frage einer Ermessensreduzierung auf Null mithin eines subjektiven Anspruchs der Klägerin auf einen Selbsteintritt der Beklagten nicht isoliert von den Entscheidungen in den Verfahren des Ehemanns und dessen Zweitfrau sowie deren gemeinsamer Kinder beantworten lässt, kann das Gericht dem nicht bereits im Verfahren der Klägerin vorgreifen. Denn allein aus der Tatsache, dass der Zweitfrau und den Kindern, inzwischen eine Duldung erteilt wurden, lässt sich – auch vermittelt über den Kindesvater und Ehemann – keine asylrechtliche Rechtsposition ableiten, die der Klägerin einen weitergehenden Anspruch als den einer ermessensfehlerfreien Entscheidung über den Selbsteintritt der Beklagten in die Prüfung ihres Asylantrags im nationalen Verfahren vermitteln würde. Denn auch im Rahmen eines „Familienverfahrens“ gem. Art. 11 Dublin III-VO findet die Zuständigkeitsbestimmung anhand der in der Dublin III-VO normierten Kriterien statt.
Ziffer 1) des angegriffenen Bescheides ist aufgrund der Ermessensfehler im Rahmen von Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO rechtswidrig und war deshalb aufzuheben. Dies gilt auch für die auf Ziffer 1) beruhende Abschiebungsandrohung in Ziffer 2).
Insoweit ist die Klage begründet.
Im Übrigen ist die Klage unzulässig. Denn die darüber hinausgehenden Verpflichtungsanträge sind unstatthaft. Da die Beklagte den klägerischen Asylantrags im Rahmen eines Verfahrens zur Bestimmung des für den Asylantrag zuständigen Mitgliedstaats (sog. Dublin-Verfahren) als unzulässig abgelehnt hat, ist die Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart (vgl. BVerwG, U. v.27.10.2015 – 1 C 32/14 – juris). Da die Klägerin, der in Bulgarien auf ihren Antrag vom 26. November 2013 hin zwar subsidiärer Schutz, nicht jedoch die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden war, gerade nicht aus dem Zuständigkeitsregime der Dublin-Verordnung(en) entlassen ist – dazu die oben stehenden Ausführungen – findet die bundesverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur alleinigen Statthaftigkeit der Anfechtungsklage unmittelbar Anwendung. Insbesondere greift die europarechtlich vorgesehene Trennung des Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung vom eigentlichen Asylverfahren. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob sie auf die sog. Drittstaatsbescheide übertragbar ist (vgl. dazu OVG, B. v. 23.3.2016 – 2 A 38/16 -, juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Das Gerichtsverfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb von 1 Monat nach Zustellung des Urteils schriftlich beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg,
Hausanschrift: Burkarderstraße 26, 97082 Würzburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 02 65, 97029 Würzburg,
zu beantragen. Hierfür besteht Vertretungszwang.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte, Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder die in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Klägerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin …, …, Prozesskostenhilfe gewährt, soweit sie die Aufhebung des Bundesamtsbescheides vom 26. Januar 2015 begehrt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Gründe:
Einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Rechtsverfolgung aufzubringen, wird gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 ZPO Prozesskostenhilfe gewährt, wenn die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.
Die Klägerin hat nachgewiesen, dass sie nach ihren wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Rechtsverfolgung aufzubringen. Für die Erfolgsaussichten der Hauptsache wird auf das in dieser Sache ergangene Urteil vom gleichen Tag verwiesen.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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