Europarecht

Erneute Überstellung nach Italien nach weiterem Asylantrag in Deutschland rechtmäßig

Aktenzeichen  W 10 K 19.50275

Datum:
26.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31603
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1a, § 34a Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EU-GR-Charta Art. 4
EMRK Art. 3
Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1 b, Art. 23 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Ein Ausländer, der nach der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat wieder in den überstellenden Mitgliedstaat einreist, darf auch dann – nach Durchführung eines weiteren Wiederaufnahmeverfahrens – erneut in den zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden, wenn er im überstellenden Mitgliedstaat einen erneuten Asylantrag gestellt hat. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Asylverfahren in Italien widerspricht nicht unionsrechtlichen Maßstäben; die Aufnahmebedingungen dort führen nicht zu einer Verletzung der durch Art. 4 EUGrCh gewährleisteten Rechte. (Rn. 26 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für eine kausale Verknüpfung eines nach Voodoo-Ritualen geleisteten Schwurs mit tatsächlichen Vorgängen in der Außenwelt liegen keine wissenschaftlichen Beweise vor. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig (Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes vom 26. März 2019) sowie die Anordnung der Abschiebung nach Italien (Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides) sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Des Weiteren hat die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung nationaler zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Italiens bzw. auf Verkürzung der Frist des gesetzlichen Wiedereinreiseverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG, weshalb die entsprechenden Ziffern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheides ebenfalls rechtmäßig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die Beklagte hat den Asylantrag zu Recht als unzulässig abgelehnt. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 – Dublin III-VO – wird ein Antrag eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
a) Im vorliegenden Falle ist Italien für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin zuständig.
Die Klägerin hat nach den vorliegenden Erkenntnissen aus der Eurodac-Datenbank bereits in Italien internationalen Schutz beantragt. Damit ist Italien aufgrund von Art. 18 Abs. 1 Buchst. b oder d Dublin III-VO grundsätzlich verpflichtet, die Klägerin wiederaufzunehmen. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin bereits im November 2018 auf der Grundlage der Dublin III-VO nach Italien überstellt wurde und danach wieder in das Bundesgebiet eingereist ist. Ein Ausländer, der nach der Überstellung in einen anderen, für die sachliche Prüfung des Asylantrages nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaat (hier: Italien) wieder in den Mitgliedstaat einreist, der ihn überstellt hat (hier: Deutschland), und dort einen weiteren Asylantrag stellt, darf erneut in den zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden. Dies setzt lediglich voraus, dass ein erneutes Wiederaufnahmeverfahren nach den Art. 23 ff. Dublin III-VO unter Beachtung der dort festgelegten Fristen durchgeführt wird und der um Wiederaufnahme ersuchte Mitgliedstaat zustimmt beziehungsweise seine Zustimmung nach Fristablauf als erteilt gilt (EuGH, U.v. 25.1.2016 – Aziz Hasan, C-360/16 – juris Rn. 55, 70, 80). Die Art. 23 und 24 Dublin III-VO, welche den Anwendungsbereich des Wiederaufnahmeverfahrens regeln, unterscheiden nicht zwischen dem Fall der erstmaligen Einleitung und dem Fall der erneuten Durchführung eines solchen Verfahrens (EuGH a.a.O., Rn. 60, 61). Diese zu einem Fall des Art. 24 Dublin III-VO – d.h. wenn nach der Einreise in den überstellenden Staat dort kein Asylantrag gestellt wird – ergangene Rechtsprechung ist nach der Überzeugung des Einzelrichters auch auf den Fall des Art. 23 Dublin III-VO – d.h. dass im überstellenden Staat ein (erneuter) Asylantrag gestellt wird – übertragbar, weil der EuGH ausdrücklich das Wiederaufnahmeverfahren nach den Art. 23 und 24 Dublin III-VO in Bezug nimmt, ohne insoweit grundlegend zwischen den beiden Tatbeständen zu unterscheiden. Der EuGH weist lediglich darauf hin, dass in dem Falle, dass (nach Wiedereinreise) ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird, dieser vor der Überstellung gemäß Art. 26 Abs. 1 Dublin III-VO abgelehnt werden muss, und dass die Frist des Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO zu beachten ist, um einen Übergang der Zuständigkeit auf den Aufenthaltsstaat zu vermeiden (EuGH a.a.O., Rn. 49).
Dem entsprechend darf die Klägerin wieder nach Italien überstellt werden, denn die italienischen Behörden haben auf das erneute, gemäß Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO fristgerecht gestellte Wiederaufnahmegesuch vom 7. März 2019 nicht innerhalb der Frist des Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO geantwortet, weshalb ihre Zustimmung gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO als erteilt gilt, und das Bundesamt hat den weiteren Asylantrag der Klägerin mit dem streitgegenständlichen Bescheid als unzulässig abgelehnt und ihre Abschiebung nach Italien angeordnet, also eine neue „Überstellungsentscheidung“ im Sinne des Art. 26 Abs. 1 Dublin III-VO erlassen. Auch auf der Grundlage von Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO ergibt sich keine Zuständigkeit der Beklagten, weil die dort geregelte Überstellungsfrist von sechs Monaten offensichtlich noch nicht abgelaufen ist.
b) Ein Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte ergibt sich auch nicht aus der rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nach Italien.
Das auf der Grundlage des Art. 78 Abs. 2 AEUV eingerichtete Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) beruht auf dem „Prinzip gegenseitigen Vertrauens“, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 79; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 80). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechtecharta (EU-GR-Charta) sowie mit der GFK und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80). Das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens begründet jedoch nur eine widerlegliche Vermutung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das GEAS in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 83 f.). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist das in Art. 4 EU-GR-Charta enthaltene Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung von fundamentaler Bedeutung und muss aufgrund der engen Verbindung zur Achtung der Würde des Menschen (Art. 1 EU-GR-Charta) und seines daraus resultierenden absoluten Charakters auch bei Überstellungen von Asylbewerbern nach den Dublin-Verordnungen vollumfänglich beachtet werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – N.S., C-411/10 – NVwZ 2012, 417; U.v. 14.11.2013 – Puid, C-4/11 – NVwZ 2014, 129; U.v. 16.2.2017 – C-578/16 – NVwZ 2017, 691 Rn. 59; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 78).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann die Vermutung, wonach der Aufnahmestaat seinen Pflichten aus Art. 3 EMRK nachkommt, widerlegt werden, wenn schwerwiegende Gründe für die Annahme vorgebracht werden, dass die Person, deren Rückführung angeordnet wird, einer tatsächlichen Gefahr („real risk“) entgegensehen würde, im Zielstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, Nr. 29217/12 – NVwZ 2014, 127, Rn. 104; U.v. 21.1.2011 – M.S.S., Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 342). Die Ursache der Gefahr hat keine Auswirkungen auf das Schutzniveau der EMRK und befreit den überstellenden Staat nicht davon, eine gründliche und individuelle Prüfung der Situation der betroffenen Person vorzunehmen und im Falle der Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung die Durchsetzung der Abschiebung auszusetzen (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, a.a.O.). Staatliches Handeln in Erfüllung der Verpflichtungen im Rahmen einer zwischen- oder überstaatlichen Organisationen – wie der EU – ist nach der EMRK nur solange gerechtfertigt, wie auf dieser Ebene ein ausreichender Grundrechtsschutz gewährleistet ist. Dies ist im Rahmen des unionsrechtlichen Grundrechtsschutzes grundsätzlich der Fall (EGMR, U.v. 30.6.2005 – Bosphorus, Nr. 45036/98 – NJW 2006, 197), zumal die in der EMRK garantierten Rechte nach Art. 6 Abs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 3 EU-GR-Charta in die unionsrechtlichen Grundrechtsgewährleistungen als Mindeststandard inkorporiert sind (Borowsky in Meyer-Ladewig, Charta der Grundrechte, vor Art. 51 Rn. 1a; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 52 Rn. 60 ff.). Soweit ein Mitgliedstaat aber entscheiden kann, in eigener Zuständigkeit tätig zu werden – wie im entschiedenen Fall gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO a.F., vgl. nunmehr Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO -, handelt er nach der Auffassung des EGMR nicht in Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen und kann sich somit seiner Verantwortlichkeit nicht entziehen, wenn er von dieser Möglichkeit trotz der ernsthaften Gefahr einer Grundrechtsverletzung keinen Gebrauch macht (EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S., 30696/09, NVwZ 2011, 413 Rn. 340 m.V.a. U.v. 30.6.2005 – Bosphorus, Nr. 45036/98 – NJW 2006, 197).
Diesen Vorgaben des höherrangigen Unionsrechts sowie des internationalen Rechts trägt Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO Rechnung. Danach besteht ein Überstellungshindernis, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-GR-Charta mit sich bringen. Unter diesen Umständen hat die Beklagte zunächst gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO die Prüfung der Zuständigkeitskriterien in Kapitel III (Art. 7 – 15 Dublin III-VO) fortzusetzen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann danach keine Überstellung an einen anderen zuständigen Mitgliedstaat erfolgen, so geht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO die Zuständigkeit auf die Beklagte über.
Die Anforderungen an die Feststellung systemischer Mängel und eine daraus resultierende Widerlegung der Sicherheitsvermutung sind allerdings hoch. Im Hinblick auf das Ziel der Dublin III-VO, zügig und effektiv den für das Asylverfahren zuständigen Staat zu bestimmen, können geringfügige Verstöße hierfür nicht ausreichen. Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss vielmehr ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GR-Charta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41). Erforderlich ist insoweit die real bestehende Gefahr, dass in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, die grundlegende Ausstattung mit den notwendigen, zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse elementaren Mitteln so defizitär ist, dass der materielle Mindeststandard nicht erreicht wird und der betreffende Mitgliedstaat dieser Situation nicht mit geeigneten Maßnahmen, sondern mit Gleichgültigkeit begegnet (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – juris Rn. 34 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des EGMR kann allerdings die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – ZAR 2013, 336, 70 f.). Der EGMR führt in seiner Entscheidung aus, dass Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien enthalte, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihnen dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Einer Dublin-Überstellung stünden nur außergewöhnliche zwingende humanitäre Gründe entgegen.
Diese Grundsätze konkretisierend hat der EuGH in seinem Urteil vom 19. März 2019, Az.: C-163/17 (juris Rn. 91) ausgeführt, dass systemische Schwachstellen nur dann als Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu werten seien, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht werde, die von sämtlichen Umständen des Falles abhänge. Diese Schwelle sei aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden seien, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befinde, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden könne. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats müsse zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befinde, die es ihr nicht erlaube, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 92 f.).
Entsprechend den vorstehenden Ausführungen geht das Gericht auf der Basis einer Gesamtwürdigung nach dem aktuellen Erkenntnisstand im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht davon aus, dass das Asylverfahren in Italien unionsrechtlichen Maßstäben widerspricht bzw. dort unzureichende Aufnahmebedingungen herrschen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 EU-GR-Charta gewährleisteten Rechte führen.
aa) Die Republik Italien ist als Mitgliedstaat der Europäischen Union an die europäischen Grundrechte (Art. 51 Abs. 1 EU-GR-Charta) sowie an die EMRK gebunden. Deshalb spricht zunächst die durch das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens begründete Vermutung für die Zulässigkeit der Abschiebung in einen solchen Staat. Diese Vermutung ist nicht durch die Annahme systemischer Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen entkräftet, weil eine Zusammenschau der einschlägigen Erkenntnismittel ergibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien zumindest den internationalen und europäischen Mindeststandards entsprechen und jedenfalls elementare Bedürfnisse der Asylbewerber gedeckt werden können.
Asylbewerber haben in Italien entsprechend dem Grundrecht auf Asyl Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Über den Ablauf des Asylverfahrens wird über Informationsbroschüren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen sowie über Betreuungsdienste Auskunft gegeben. Bei Dublin-Rückkehrern ist im Regelfall gewährleistet, dass sie nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren ursprünglichen Antrag auf internationalen Schutz weiterverfolgen oder erstmals einen Asylantrag stellen können. Im Falle der Ablehnung des Asylantrages kann ein Wiederaufnahmeantrag gestellt werden oder Beschwerde gegen den Ablehnungsbescheid eingelegt werden. Das Asylverfahren soll zwar grundsätzlich nicht länger als sechs Monate dauern (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG NW vom 23.2.2016). Der Umstand, dass diese Verfahrensdauer aufgrund der aktuellen Belastungssituation nicht immer eingehalten werden kann, rechtfertigt jedoch nicht die Annahme eines unzureichenden Asylverfahrens, zumal diesbezügliche Schwierigkeiten wegen des enormen Zustroms an Schutzsuchenden nicht nur in Italien, sondern in vielen europäischen Ländern bestehen.
Durch das am 5. Oktober 2018 erlassene und am 7. November durch den Senat sowie am 28. November durch das Parlament bestätigte Dekret No. 113/2018 über Sicherheit und Migration (sog. Salvini-Dekret) wird der bisherige humanitäre Schutz stark eingeschränkt. Wurde dieser bislang für die Dauer von zwei Jahren gewährt, wenn „besondere Gründe“, insbesondere „humanitären Charakters“ vorlagen, ist er nunmehr an eine restriktive und vor allem abschließende Liste von Gründen gebunden, aus denen eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann (teilweise auch mit einer Dauer von weniger als zwei Jahren). Eine solche Aufenthaltserlaubnis ist etwa möglich für medizinische Behandlungen, für Opfer von Gewalt, bei außergewöhnlichen Katastrophen im Herkunftsland sowie bei Fällen des Nonrefoulement. Es kommt zwar zu keiner Aberkennung bestehender humanitärer Titel, diese werden allerdings nicht mehr erneuert oder verlängert. Sie können aber bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Italien, Stand: 26.2.2019, S. 5 f.).
Zudem liegt die Gewährung eines humanitären Aufenthaltsrechts nach unanfechtbarem negativem Abschluss des Asylverfahrens gemäß Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger vom 16. Dezember 2008 (ABl. L 348/98, sog. Rückführungsrichtlinie) im Ermessen der Mitgliedstaaten. Demgegenüber regelt Art. 9 der Rückführungsrichtlinie die Fälle, in denen kraft Unionsrechtes die Rückführung in das Herkunftsland trotz unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags nicht zulässig ist. Im Übrigen ist der jeweilige Mitgliedstaat somit kraft seiner Gebietshoheit befugt, den Aufenthalt von unanfechtbar abgelehnten Asylbewerbern in seinem Hoheitsgebiet zu beenden, zu dulden oder durch Gewährung eines zumindest befristeten Aufenthaltsrechts (vorübergehend) zu legalisieren. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die genannten Vorschriften der Rückführungsrichtlinie gegen primäres Unionsrecht, insbesondere Grundrechte der betroffenen Asylbewerber verstoßen würden, oder dass in der italienischen behördlichen Praxis rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber unter Verstoß gegen diese Vorschriften in ihr Herkunftsland zurückgeführt würden, liegen nicht vor.
Weiterhin erhalten Asylsuchende während des Asylverfahrens in Italien Leistungen für die Befriedigung von Grundbedürfnissen, insbesondere Nahrungsmittel, Hygieneartikel und Kleidung (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., m.w.N.). Auch durch das Salvini-Dekret soll es zu keiner Kürzung oder Streichung kommen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 7). Auch wenn Italien diesbezüglich möglicherweise hinter den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zurückbleibt und insbesondere kein umfassendes Sozialsystem bereitstellt, so begründet dies entsprechend den obigen Ausführungen keine generellen systemischen Mängel.
Italien verfügt über ein umfassendes Gesundheitssystem, das medizinische Behandlungsmöglichkeiten auf hohem Niveau bereitstellt. Asylbewerber haben in gleicher Weise wie italienische Bürger einen Anspruch auf medizinische Versorgung, der mit der Registrierung eines Asylantrags entsteht. Bis zum Zeitpunkt der Registrierung werden gleichwohl medizinische Basisleistungen, wie beispielsweise kostenfreie Notfallversorgung, gewährleistet (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 23 f.). Auch diesbezüglich kommt es durch das Salvini-Dekret zu keinen Abstrichen. Insbesondere ist nach wie vor die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst garantiert, welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmeeinrichtungen Ärzte beschäftigt, die medizinische Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen vornehmen und die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 8 f.).
Während des Asylverfahrens haben Asylbewerber einen Anspruch auf Unterbringung. Grundsätzlich werden zahlreiche Plätze für Asylsuchende und Dublin-Rückkehrer in verschiedenen staatlichen Unterkünften zur Verfügung gestellt, die über ganz Italien verteilt sind. Sowohl das Bundesamt als auch Asylum Information Database (im Folgenden: AIDA) gehen von einer Gesamtkapazität von über 175.000 Plätzen aus (vgl. BAMF, Länderinformation: Italien, Stand: Mai 2017, S. 2; AIDA, Country Report: Italy, Stand: März 2018, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_ 2017update.pdf, S. 80 ff.), so dass angesichts der hohen Zahl von Asylbewerbern nach wie vor eine Überbelegung anzunehmen ist.
Durch das Salvini-Dekret soll die bisherige Unterbringung völlig neu organisiert und ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen werden. Künftig wird zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene, dem sog. SIPROIMI („Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“) unterschieden. Während die Erstaufnahmeeinrichtungen die bisherigen CAS- und CARA-Unterkünfte ersetzen, treten die SIPROIMI an die Stelle der früheren SPRAR-Unterkünfte („Sistema di protezione per richiedenti asilo e refugiati“), wobei letztere bisher vor allem für vulnerable Personen unabhängig von ihrem Schutzstatus vorgesehen waren. Künftig werden Asylbewerber und Dublin-Rückkehrer in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, während Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende Minderjährige Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen erhalten, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden. Durch die neuen Ausschreibungsspezifikationen für die Unterkünfte wurde auf den Vorwurf reagiert, die Aufnahmeeinrichtungen außerhalb des SPRAR seien inhomogen und würden keine einheitlichen Standards sicherstellen. Zudem kann durch die nunmehrige Staffelung der Strukturen nach Unterbringungsplätzen mit entsprechend angepasstem Personalstand und Serviceleistungen auf den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort im jeweiligen Fall eingegangen werden. Die Bedürfnisse von Familien sowie vulnerablen Personen sollen auch künftig Berücksichtigung finden. So sind etwa Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen, für die es spezielle Ausschreibungsspezifikationen gibt (z.B. bzgl. Personalschlüssel, Reinigungsintervallen oder Melde- und Aufzeichnungsverpflichtungen des Betreibers in Bezug auf Leistungen an die Bewohner). Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich im Stichtag 5. Oktober 2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraums weiterhin bleiben. Sofern sie sich dagegen noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben sie dort so lange, bis ihnen von der Questura der Aufenthaltstitel übergeben wurde. Danach werden sie aus dem Aufnahmesystem entlassen (vgl. zum Ganzen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 5 ff.).
Neben den staatlichen Einrichtungen existieren bisher verschiedene karitative und kommunale Einrichtungen, die zusätzliche Unterkunftsmöglichkeiten bieten, um Asylbewerber vor Obdachlosigkeit zu schützen. In Einzelfällen ist es jedenfalls bislang gleichwohl möglich, dass Dublin-Rückkehrer keine Unterbringung erhalten und vorübergehend obdachlos sind. Insbesondere kann es zu Problemen kommen, wenn Dublin-Rückkehrer in Italien bereits offiziell untergebracht waren, da der Anspruch auf Unterbringung in staatlichen Einrichtungen untergeht, wenn der Ausländer seine Unterkunft ohne vorherige Bewilligung verlässt oder eine ihm zugewiesene Unterkunft gar nicht erst in Anspruch genommen hat (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 22). Der Anspruch kann zwar wiederaufleben. Insoweit ist allerdings ein vorheriger Antrag bei der Questura erforderlich, die ursprünglich für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig war. Eine Unterbringung in einer staatlichen Einrichtung kann erst dann wieder erfolgen, wenn die Wiederaufnahme genehmigt wurde (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 28). In dieser Übergangsphase sind Dublin-Rückkehrer auf die Hilfe von Freunden oder karitativen Einrichtungen, über deren Aufnahmekapazität es keine gesicherten und aussagekräftigen Unterlagen gibt, angewiesen, um der Obdachlosigkeit entgehen zu können. Im Ergebnis ist die Unterkunftssituation in ihrer Gesamtschau zum aktuellen Stand weiterhin problematisch.
bb) Gleichwohl sind diese defizitären Umstände noch nicht als generelle systemische Mängel in Italien zu qualifizieren, zumal die Annahme von Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO entsprechend den oben genannten Maßgaben an hohe Anforderungen geknüpft ist. Der maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der italienische Staat mit Unterstützung von European Asylum Support Office der Europäischen Union (EASO) geeignete Maßnahmen ergriffen hat, um die Aufnahmekapazitäten stetig zu erhöhen und aktiv darum bemüht ist, diese auch weiterhin zu verbessern (vgl. EASO Special Support Plan to Italy, 11.3.2015). Dies gilt umso mehr als die Anzahl der in Italien ankommenden Asylbewerber seit Beginn des Jahres 2018 stark rückläufig ist sowie im Hinblick auf die Neustrukturierung der Unterbringung durch das Salvini-Dekret.
Das Gericht schließt sich aufgrund der vorstehenden Ausführungen unter Auswertung neuerer Erkenntnismittel und unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung der Einschätzung zahlreicher anderer Verwaltungsgerichte an, dass Italien grundsätzlich über ausreichende Unterbringungskapazitäten sowie ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, das trotz bestehender Mängel noch als funktionsfähig betrachtet werden kann (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 18.1.2017 – 12 L 3754/16.A – juris; VG Augsburg, B.v. 1.3.2018 – Au 5 S 18.50329 – juris; VG München, B.v. 6.6.2018 – M 11 S 18.51151 – Beck RS 2018, 15962; B.v. 9.8.2018 – M 26 S 18.52225, BeckRS 2018, 19472; VG Ansbach, U.v. 1.8.2018 – AN 14 K 17.50567 – juris; VG Karlsruhe, U.v. 22.3.2018 – A 5 K 15921/17 – BeckRS 2018, 7260; OVG Lüneburg, B.v. 13.6.2018 – 10 LB 204/18, BeckRS 2018, 22826; B.v. 2.7.2018 – 10 LB 249/18, BeckRS 2018, 24922; BayVGH, U.v. 18.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; OVG Münster, U.v. 22.9.2016 – 13 A 2448/15.A – juris).
Diese Auffassung vertritt auch der EGMR, der in seiner Tarakhel-Entscheidung vom 4. November 2014 ausgeführt hat, dass zwar nicht ausgeschlossen werden könne, dass ein Asylbewerber im Einzelfall keine Unterkunft finde oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht sei, die allgemeine Situation der Asylbewerber in Italien aber nicht mit der Griechenlands vergleichbar sei und keine systemischen Mängel vorlägen (EGMR, Tarakhel ./.Schweiz, Nr. 29217/12 – NVwZ 2015, 127, Rn. 114 ff.).
cc) Die Klägerin gehört als Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung zwar zu dem Personenkreis der besonders schutzbedürftigen (vulnerablen) Personen im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180/96, sog. Aufnahmerichtlinie), deren Belangen im Einzelfall besonders Rechnung zu tragen ist. Unter Umständen muss für eine besonders schutzbedürftige bzw. vulnerable Person eine individuelle Garantie von den italienischen Behörden eingeholt werden, dass eine Unterbringung in Einrichtungen und unter Bedingungen erfolgt, die der Schutzbedürftigkeit angemessen sind (vgl. EGMR, Tarakhel gegen Schweiz, Nr. 29217/12 – NVwZ 2015, 127, Rn. 120, 122). In Italien sind Frauen bei einem Leben „auf der Straße“ oder in besetzten Häusern dem Risiko sexueller Gewalt ausgesetzt. Auch nimmt die Schweizerische Flüchtlingshilfe an, dass in Italien viele Frauen gezwungen seien, ihren Lebensunterhalt mit Prostitution zu verdienen, und Frauenhandel ein gravierendes Problem darstelle (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 52, 65).
Doch kann nach Auffassung des Gerichts auch unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse nicht festgestellt werden, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Italien mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GR-Charta und Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre mit der Konsequenz, dass zur Beseitigung eines gruppenbezogenen systemischen Mangels beziehungsweise eines Abschiebungsverbots eine einzelfallbezogene Zusicherung eingeholt werden müsste. Die Klägerin wird im Falle ihrer Rückkehr nach Italien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erneut Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung werden. Dies ergibt sich hinsichtlich der Menschenhändler, welche sie nach ihrem glaubhaften Vortrag während ihres ersten Aufenthaltes in Italien bis zur Weiterreise nach Deutschland im April 2018 gezwungen haben, der Prostitution nachzugehen, aus dem Umstand, dass die Klägerin den Kontakt zu der Zuhälterin („Madame“) abgebrochen hat. So hat sie in der mündlichen Verhandlung – in Übereinstimmung mit ihrem Vortrag im Erstverfahren – angegeben, sie habe ihr Mobiltelefon bei ihrer Flucht in dem Haus zurückgelassen, in welchem sie in Italien gewohnt habe. Des Weiteren hat sie angegeben, während ihres ersten Aufenthaltes im Bundesgebiet im Jahr 2018, des zweiten Aufenthaltes in Italien bis Februar 2019 und seither keinen Kontakt mehr zu der „Madame“ oder Personen aus deren Umfeld gehabt zu haben. Der letzte Kontakt habe stattgefunden, bevor sie das Haus der „Madame“ verlassen habe. Soweit die Klägerin also nicht aus eigenem Antrieb wieder Kontakt zu diesem Personenkreis aufnimmt, droht ihr keine Reviktimisierung, d.h. kein erneuter Zwang, der Prostitution nachzugehen. Soweit die Klägerin vorgetragen hat, dass ihre Mutter und andere Familienangehörige in Nigeria seitens der Menschenhändler mit dem Tod bedroht worden seien, falls die Klägerin ihre Schulden bei diesen nicht bezahle, ist festzustellen, dass diese Gefahr auch durch einen (dauerhaften) Aufenthalt der Klägerin im Bundesgebiet nicht beseitigt werden könnte und damit nicht gegen die Zumutbarkeit einer Rückkehr nach Italien spricht. Insofern müssen sich ihre Angehörigen im Herkunftsland an die dortigen Sicherheitskräfte wenden. Von dem Mann, bei dem die Klägerin während ihres zweiten Aufenthaltes in Italien von etwa November 2018 bis Februar 2019 gewohnt hat, drohen ihr zumindest dann keine Gefahren, wenn sie eine Kontaktaufnahme mit ihm vermeidet. Abgesehen davon ist insoweit kein Sachverhalt des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gegeben. Die Klägerin kann der Gefahr derartiger Übergriffe durch Ausweichen in eine andere Stadt oder Region Italiens entgehen, auch wenn dies im Hinblick auf ihre persönliche Situation als sog. „Dublin-Rückkehrerin“ ohne nennenswerte finanzielle Mittel schwierig sein mag. Im Übrigen weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass die Klägerin in Italien polizeilichen Schutz in Anspruch nehmen kann, sollte sie wiederum von den Menschenhändlern oder anderen Personen belästigt werden. Es ist mangels anderweitiger Anhaltspunkte nicht davon auszugehen, dass diese die Klägerin im Falle einer konkreten Bedrohung nicht schützen würde. Zwar hat die Klägerin vorgetragen, dass sie sich aus Angst vor den Folgen eines Bruchs des von ihr geleisteten Schwurs nicht an die Polizei gewendet habe. Es ist jedoch mangels wissenschaftlicher Beweise für eine kausale Verknüpfung eines nach Voodoo-Ritualen geleisteten Schwurs mit tatsächlichen Vorgängen in der Außenwelt unwahrscheinlich, dass der Klägerin, wie sie befürchtet, der Tod oder der Wahnsinn drohen könnten, wenn sie den geleisteten Schwur brechen und sich an die Polizei wenden würde, um Schutz vor den Menschenhändlern zu erhalten.
c) Des Weiteren fehlt es an Anhaltspunkten für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche möglicherweise eine Pflicht der Beklagten zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO begründen könnten beziehungsweise die Entscheidung über die Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts als ermessensfehlerhaft erscheinen ließen (vgl. EuGH, U.v. 16.2.2017 – C.K., C-578/16 PPU – juris Rn. 88; U.v. 30.5.2013 – Halaf, C-528/11 – juris Rn. 35 ff.).
2. Die Feststellung der Beklagten, dass im Falle der Klägerin keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
Insbesondere droht der Klägerin unter den oben genannten Voraussetzungen keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK, welche zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen würde. Zudem begründet ein Unterschied des Niveaus der Sozialleistungen in einem Mitgliedstaat im Vergleich zu einem anderen Mitgliedstaat kein solches Überstellungshindernis. Ausschlaggebend ist, ob die Gleichgültigkeit der Behörden des zuständigen Mitgliedstaats zufolge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubten, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einem Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Eine große Armut oder starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse erreichen diese Schwelle nicht, wenn sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren diese Person sich in einer solche schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann. Eine derartige Situation erwartet die Klägerin nach den obigen Ausführungen in Italien nicht, zumal sie im Falle der erneuten Asylantragstellung wieder Anspruch auf Unterkunft und Grundversorgung hat und bei Entfaltung entsprechender Eigeninitiative gegebenenfalls auch die Möglichkeit haben wird, sich an Hilfsorganisationen zu wenden, um zumindest in der Anfangsphase in Italien zurecht zu kommen. Damit droht der Klägerin im Falle ihrer Überstellung nach Italien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nach Art. 3 EMRK, welcher zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen müsste. Hinsichtlich der vorgetragenen Bedrohungen durch die Menschenhändler kann auf das oben zu 1.b) Ausgeführte verwiesen werden.
3. Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Abschiebung in den zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Der Abschiebung stehen zum einen keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote entgegen (siehe oben 2.). Zum anderen sind auch keine inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisse im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG vorgetragen oder ersichtlich, welche beim Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls zum Prüfungsumfang des Bundesamts gehören und daher auch vom Gericht im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine solche Maßnahme zu prüfen sind (BayVGH, B.v. 28.10.2013 – 10 CE 13.2257 – juris m.w.N.).
4. Da somit die Abschiebungsanordnung rechtmäßig ist und ihr insbesondere keine Abschiebungshindernisse entgegenstehen, liegen auch die rechtlichen Voraussetzungen des gesetzlichen Wiedereinreiseverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG vor. Anhaltspunkte für eine Unangemessenheit der konkret gesetzten Frist, insbesondere persönliche Bindungen im Bundesgebiet, welche die Sperre als unzumutbar erscheinen ließen, sind weder von der Klägerin vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Es bestehen deshalb keine Anhaltspunkte für Ermessensfehler der Beklagten bei der Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2, 3 AufenthG (Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.

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