Europarecht

EuGH-Vorlage zur Frage des Anwendungsbereichs des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf Personenbeförderungsleistungen im Nahverkehr

Aktenzeichen  XI R 39/10

Datum:
10.7.2012
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
EuGH-Vorlage
Normen:
Art 12 Abs 3 Buchst a UAbs 3 Anh H EWGRL 388/77
Art 98 Abs 1 Anh 3 EGRL 112/2006
§ 12 Abs 2 Nr 10 Buchst b UStG 2005
§ 47 PBefG vom 08.08.1990
§ 49 Abs 4 PBefG vom 08.08.1990
§ 12 Abs 2 Nr 10 Buchst b UStG 2005 vom 13.12.2006
Art 3 Abs 1 GG
Art 12 Abs 1 GG
Spruchkörper:
11. Senat

Leitsatz

1. Stehen Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 i.V.m. Anhang H Kategorie 5 der Richtlinie 77/388/EWG und Art. 98 Abs. 1 i.V.m. Anhang III Kategorie 5 MwStSystRL unter Beachtung des Neutralitätsprinzips einer nationalen Regelung entgegen, die für die Beförderung von Personen im Verkehr mit Taxen im Nahverkehr den ermäßigten Umsatzsteuersatz vorsieht, wohingegen für die Beförderung von Personen mit sog. Mietwagen im Nahverkehr der Regelsteuersatz gilt?    
2. Ist bei der Beantwortung der ersten Frage von Bedeutung, ob Fahrten auf der Grundlage von Sondervereinbarungen mit Großkunden unter nahezu gleichlautenden Bedingungen von Kraftdroschken- bzw. Taxiunternehmern und Mietwagenunternehmern ausgeführt werden?

Verfahrensgang

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 21. September 2010, Az: 3 K 2016/07, Urteilnachgehend EuGH, 27. Februar 2014, Az: C-454/12 und C-455/12, Urteilnachgehend BFH, 2. Juli 2014, Az: XI R 39/10, Urteil

Tatbestand

1
I. Sachverhalt
2
Streitig ist, ob für Umsätze aus Personenbeförderungsleistungen mit Mietwagen –im Streitfall Krankenfahrten mit nicht hierfür besonders eingerichteten Fahrzeugen im Auftrag von Krankenkassen– der ermäßigte Steuersatz anwendbar ist, der nach nationalem Recht für Personenbeförderungsleistungen mit Kraftdroschken (Taxen) im Nahverkehr gilt.
3
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, die u.a. über eine Genehmigung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4, §§ 9 ff., § 46 Abs. 2 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) für den Verkehr mit Mietwagen verfügt, nicht jedoch über eine Genehmigung für den Verkehr mit Taxen (§ 47 PBefG).
4
In den Streitjahren 2006 und 2007 führte die Klägerin im Auftrag von Krankenkassen Krankenfahrten mit hierfür nicht besonders eingerichteten Fahrzeugen durch.
5
Sie erkannte am 27. November 2007 gegenüber der Krankenkasse A den zum 1. Oktober 2007 zwischen dieser und dem Taxi- und Mietwagenunternehmerverband (V) geschlossenen Vertrag zur Durchführung von Krankenfahrten für Versicherte der Krankenkasse A mittels Taxiunternehmen an und verpflichtete sich, alle in diesem Vertrag vereinbarten Bedingungen zu erfüllen. Gegenstand des Vertrages ist nach dessen § 1 Abs. 1 Satz 1 die Beteiligung der im V organisierten Taxiunternehmen an der Durchführung von planbaren Krankenfahrten, die für die Versicherten der Krankenkasse A im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse notwendig werden. Gemäß § 5 Abs. 1 des Vertrages gilt für die Vergütung der Krankenfahrten die Gebührenvereinbarung nach Anlage 1 des Vertrages.
6
Die Klägerin erklärte die Umsätze entsprechend einer Beanstandung durch eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt –FA–) mit dem allgemeinen Steuersatz (§ 12 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes –UStG–). Ihre Einsprüche, mit denen sie eine Besteuerung mit dem ermäßigten Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG) begehrte, blieben ohne Erfolg. Der Klage wurde nur aus anderen, hier nicht streitigen Gründen teilweise stattgegeben.
7
Das Finanzgericht (FG) entschied, die Klägerin könne für die betreffenden Beförderungsleistungen nicht den ermäßigten Steuersatz beanspruchen, da sie mangels entsprechender Genehmigung keine Beförderung im Verkehr mit Taxen erbracht habe. Eine Ausdehnung der Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG auf die von der Klägerin als Mietwagenunternehmerin durchgeführten Fahrten sei verfassungsrechtlich nicht geboten. Allerdings handele es sich bei den vorliegenden Krankenfahrten im Auftrag von Krankenkassen um eine besondere Fallkonstellation, in der eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung möglich erscheine. Für Taxiunternehmen mit Betriebssitz in X bestehe aufgrund der Verordnung der Stadt X über die Beförderungsentgelte und -bedingungen für den Verkehr von Taxen nach entsprechender Genehmigung die Möglichkeit, Beförderungsleistungen gegenüber Krankenkassen zu erbringen, die nicht der strengen Bindung an Beförderungspreise unterlägen, sondern auf Vereinbarungen mit den Krankenkassen beruhten. Beförderungsleistungen von Taxiunternehmern, die derartigen Verträgen unterfielen, fehlten die wesentlichen Merkmale des öffentlichen Nahverkehrs, auf denen die Begünstigung des § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG ihrem Sinn und Zweck nach beruhe.
8
Letztlich könne dies jedoch dahinstehen, da auch eine verfassungsrechtlich zu beanstandende Ungleichbehandlung nicht zu einem Anspruch der Klägerin auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes führe. Die Klägerin werde durch die zu niedrige Besteuerung ihrer Konkurrenten nicht rechtsschutzlos gestellt, sondern könne ihr Recht außerhalb dieses Verfahrens mit einem Antrag auf volle Besteuerung der in Rede stehenden “Taxi”-Umsätze verfolgen. Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität gewährleiste den Schutz vor zu niedriger Besteuerung von Konkurrenten (Hinweis auf Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union –EuGH– vom 8. Juni 2006 C-430/04 –Feuerbestattungsverein Halle e.V.–, Slg. 2006, I-4999, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2006, 459, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung –HFR– 2006, 830; Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 5. Oktober 2006 VII R 24/03, BFHE 215, 32, BStBl II 2007, 243).
9
Schließlich begründe auch das Gemeinschaftsrecht keinen Anspruch der Klägerin auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die von ihr erbrachten Leistungen.
10
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 i.V.m. Anhang H Kategorie 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) könnten die Mitgliedstaaten auf die Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks einen ermäßigten Steuersatz anwenden. Die Umsatzsteuer müsse jedoch auch hier wettbewerbsneutral ausgestaltet sein. Die vorliegende Wettbewerbsverzerrung könne dadurch beseitigt werden, dass ihr –der Klägerin– durch Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG über den Wortlaut hinaus auch als Mietwagenunternehmerin der ermäßigte Steuersatz gewährt werde. Dies sei auch geboten, da anderweitige Rechtsschutzmöglichkeiten wie Konkurrentenklagen wegen zu niedriger Besteuerung erst noch zu ermittelnder konkurrierender Taxiunternehmer ihr nicht zumutbar seien.
11
Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuerbescheide für 2006 und für 2007 dahingehend zu ändern, dass die Umsätze aus Krankenfahrten dem ermäßigten Steuersatz unterworfen werden,hilfsweise, die Sache dem EuGH vorzulegen.
12
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

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