Europarecht

Fahrzeug, Berufung, Annahmeverzug, Vorabentscheidungsersuchen, Software, Berufungsverfahren, Grenzwerte, Kilometerstand, Nutzung, Genehmigung, Klage, sittenwidrig, unterlassen, Endurteil

Aktenzeichen  5 U 5022/21

Datum:
27.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 54106
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

61 O 4037/20 2021-07-05 Endurteil LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 05.07.2021, Aktenzeichen 61 O 4037/20 Die, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 33.371,72 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten über Schadensersatzpflichten der beklagten Automobilherstellerin im Hinblick auf das Fahrzeug der Klägerin … 180 kW EURO 5.
Die Klägerin erwarb das streitgegenständliche Fahrzeug am 26.11.2014 bei einem Kilometerstand von 26.930 gebraucht zum Preis von 42.900 €. Dessen Motorsteuerung verfügt über ein sogenanntes „Thermofenster“, das die Abgasrückführungsrate in bestimmten Temperaturbereichen abschaltet bzw. reduziert, dann wird der Ausstoß an Stickoxiden jeweils höher. Ein verpflichtender Rückruf des KBA liegt nicht vor.
Die Klägerin hat in erster Instanz behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über weitere unzulässige Abschalteinrichtungen, die bewirkten, dass die Schadstoffwerte des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter realen Bedingungen weitaus höher seien als auf dem Prüfstand. Es lägen Rückrufe des KBA bezüglich der Überarbeitung der Motorsteuerungssoftware für 3,0 l EURO 5 Motoren der Beklagten vor.
Das Landgericht hat die Klage nach informatorischer Anhörung des Geschäftsführers der Klägerin im Termin vom 14.06.2021 durch am 05.07.2021 verkündetes Endurteil abgewiesen. Einzig denkbare Anspruchsnorm sei vorliegend Deliktsrecht, insbesondere § 826 BGB. Es könne offenbleiben, ob das verbaute Thermofenster objektiv eine unzulässige Abschalteinrichtung sei, da die Beklagte jedenfalls nicht sittenwidrig gehandelt habe. Der Vortrag der Klägerin zu weiteren unzulässigen Abschalteinrichtungen sei jedenfalls zu unsubstantiiert. Im Übrigen habe es für das Fahrzeug keinen Rückruf gegeben.
Gegen das ihr am 15.07.2021 zugestellte Ersturteil hat die Klägerin mit bei Gericht am 28.07.2021 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie am 15.09.2021 begründet hat. Das Landgericht Ingolstadt habe verkannt, dass die Klägerin ihrer Darlegungslast nach den Grundsätzen des BGH nachgekommen sei. Es verletze den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn diese Substantiierungsanforderungen offensichtlich überspannt würden. Die Klägerin habe konkret zu einem Rückruf vom Dezember 2019 zu Fahrzeugtypen mit 3.0 l-Motor der Beklagten vorgetragen; dieser Rückruf betreffe die Entfernung unzulässiger Abschalteinrichtungen. Das Landgericht habe ihren Vortrag zu einem vom Landgericht Bielefeld eingeholten Sachverständigengutachten zu einem Fahrzeug mit identischem Motor unberücksichtigt gelassen. Dieses Gutachten bestätige den Vortrag der Klägerin, dass in die Motorsteuerung eine Software implementiert sei, die eine Prüfstandsituation erkenne. Die Klägerin wiederholt ihr Beweisangebot auf Erholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens. Sie habe zum Anhörungsverfahren des KBA ausreichend vorgetragen, ebenso zu dessen Prüfungsumfang. Unstreitig verfüge das Fahrzeug über ein Thermofenster, das ähnlich konzipiert sei, wie die sog. Umschaltlogik. Die Beklagte habe in Bezug auf dessen Verwendung vorsätzlich gehandelt.
Im Berufungsverfahren beantragt die Klägerin:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 42.900,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.07.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 9.528,28 Zugum-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges … mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer … zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 31.07.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.199,36 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.07.2020 an die Klagepartei zu zahlen.
Hilfsweise:
4. Das Urteil des Landgerichts Ingolstadt, Az.: 61 O 4037/20, verkündet am 05.07.2021 und zugestellt am 15.07.2021, wird aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Ingolstadt zurückverwiesen.
Hilfsweise:
5. Die Revision wird zugelassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Klägerin mit Beschluss vom 29.09.2021 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Dem ist die Klägerin mit der Behauptung entgegengetreten, dass das KBA eine Lenkwinkelerkennung und Aufheizstrategie gegenüber der Beklagten für deren Biturbo-Motoren als rechtswidrig gebrandmarkt habe. Der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Monoturbo-Motor zeige jedoch ebenso eklatante Abweichungen bei der Nutzung der Lenkung, für die es als einzige technische Erklärung eine Lenkwinkelerkennung gebe, die praktisch ausschließlich auf dem Prüfstand aktiviert werde. In einem Parallelverfahren vor dem Landgericht Mainz habe die Beklagte für einen Monoturbo-Motor derselben Generation, allerdings 150 kW, eine Lenkwinkelerkennung einräumen müssen. Den Vorgänger des streitgegenständlichen Motors untersuche das KBA bereits seit anderthalb Jahren. Die Klägerin habe außerdem vorgetragen, dass sich eine abweichende Definition von Schaltpunkten für die Prüfstandssituation der Ausstoß von Stickoxiden verändert werde. Auch dies sei als vorsätzlich sittenwidrige Schädigung anzusehen. Die verbaute temperaturgeführte Abschalteinrichtung begründe ebenfalls den Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung, da sie derart nah an den durch EU-Recht vorgegebene Vorgaben für den Prüfstand programmiert sei. Diese Vorkonditionierung stehe einer Prüfstandserkennung gleich und sei nicht zwingend zum Motoren- und Bauteilschutz erforderlich. Der Beklagten sei dabei bewusst gewesen, dass die temperaturgeführte Abschalteinrichtung rechtswidrig sei, da sie es entgegen der üblichen Gepflogenheiten unterlassen habe, diese gegenüber dem KBA offenzulegen. Auch habe sie das bordeigene Diagnosesystem manipuliert, sodass dieses nicht durch ein Dauerleuchten der Motorkontrollleuchte Situationen anzeige, in denen die Abgasreinigung ausgesetzt oder heruntergefahren werde. Die konkrete Bedatung der Software spreche ebenfalls für einen Täuschungsvorsatz. Diese sei gerade um den Temperaturkorridor herum programmiert, in dem sich Fahrzeuge auf dem Prüfstand getestet würden; dabei sei es der Beklagten egal gewesen, welche Abgaswerte dann auf der Straße im Normalbetrieb erreicht würden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Ersturteil sowie den zitierten Hinweisbeschluss Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg, weil sie einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus § 826 BGB nicht schlüssig dargelegt hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Hinweisbeschluss vom 29.09.2021 Bezug genommen, auch die Ausführungen im Schriftsatz vom 06.10.2021 veranlassen keine Beweiserhebung.
1. Die im Zusammenhang mit dem Warmlaufprogramm aufgestellte Behauptung der Klägerin, dass das Fahrzeug bei Aktivierung des Warmlaufschaltprogramms die vorgeschriebenen Grenzwerte auf dem Prüfstand einhalte, während sich im realen Fahrbetrieb bei Lenkbewegungen ein anderer Modus aktiviere, dann würden die gesetzlichen Grenzwerte um ein Vielfaches überschritten, ist deshalb irrelevant, weil es auf das Emissionsverhalten des Fahrzeuges auf dem Prüfstand ankommt. Ausschlaggebend ist, ob das Fahrzeug bei Aktivierung des DSP auf dem Prüfstand die Grenzwerte nicht einhält. Zum anderen hat es wegen der verwendeten Aufheizstrategie – wie hingewiesen – keinen Rückruf für das Fahrzeug gegeben. Daher hilft der Klägerin auch der Hinweis auf andere von der Beklagten hergestellte Fahrzeuge mit 3 l-Motor nicht weiter.
Gleiches gilt auch für die Ausführungen unter 2. des Schriftsatzes vom 06.10.2021 zu angeblichen Getriebemanipulationen mit sog. „Schaltpunkten“. Der Zusammenhang dieses Vortrags, der weder an die Berufungsbegründung noch an den Hinweis des Senats anknüpft und auch kein erstinstanzliches Vorbringen aufgreift, bleibt zwar etwas unklar. Allerdings ist es nicht überraschend, dass ein Automatikgetriebe außerhalb der engen Vorgaben hinsichtlich Beschleunigung und Fahrleistung innerhalb einer Prüfungsumgebung auf dynamischere Leistungsabforderungen durch einen Benutzer im Straßenbetrieb (etwa durch sog. kickdowns) mit einem geänderten Schaltverhalten reagiert 2.
Es kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass die temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung iSv Art. 5 Abs. 2 S.1 der VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist (vgl. zu Art. 5 der VO [EG] Nr. 715/2007 auch EuGH, Urt. v. 17.12.2020, C-693/18; ÖstOGH Vorabentscheidungsersuchen v. 17.3.2020 – 10 Ob 44/19 x, RZ 2020, 212 EÜ235 – beim EuGH geführt unter C-145/20). Der darin liegende – unterstellte – Gesetzesverstoß reicht nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates, an deren Darlegung es im Streitfall fehlt (BGH, Beschluss vom 9.3.2021, VI ZR 889/20 Rn.26). Zum Erfordernis der temperaturgesteuerten Abgasrückführung und deren technischen Hintergründen hat die Beklagte erstinstanzlich detailliert und für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar vorgetragen (Klageerwiderung vom 09.03.2021, S. 10-13 = Bl. 95-97); das pauschale Bestreiten der Klägerin rechtfertigt nicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens.
3. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 97 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Als Streitwert ist der Wert der Klagehauptforderung abzüglich der von der Klägerin zugestandenen Nutzungsersatzes anzusetzen (§ 3 ZPO).

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