Aktenzeichen B 8 K 18.50777
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 80 Abs. 4
Leitsatz
1. Einer behördlichen Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 4 VwGO sind durch das in Art. 27 Abs. 3 und 4 Dublin III-VO iVm Art. 29 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-VO angestrebte Ziel eines angemessenen Ausgleichs zwischen einerseits der Gewährung effektiven Rechtsschutzes und der Ermöglichung einer raschen Bestimmung des für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats und andererseits dem Ziel zu verhindern, dass sich Asylbewerber durch Weiterwanderung den für die Prüfung ihres Asylbegehrens zuständigen Mitgliedstaat aussuchen, Grenzen der Ermessensausübung gesetzt. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist davon auszugehen, dass die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebung im Hinblick auf die Entwicklung der Corona-Krise bei einer Restlaufzeit von einem Monat seit Erlass der Aussetzungsentscheidung bis zum Ende der Überstellungsfrist allein dazu dient, die Überstellungsfrist zu unterbrechen, weil sie aufgrund behördlicher Versäumnisse ansonsten nicht (mehr) gewahrt werden könnte. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 12.10.2018 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Der Kläger wurde gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört. Die Beklagte hat mit ihrer allgemeinen Prozesserklärung vom 27.6.2017 vorab auf eine Anhörung vor Erlass eines Gerichtsbescheids verzichtet.
II.
1. Die zulässige Klage hat Erfolg. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12.10.2018 ist rechtswidrig (geworden). Der Bescheid verletzt den Kläger deshalb in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO) und ist umfänglich aufzuheben. Aus diesem Grund kommen die Hilfsanträge nicht zum Tragen.
1.1 Der streitgegenständliche Bescheid ist in seiner Ziffer 1 aufzuheben, da die Beklagte durch Fristablauf gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig geworden ist und deshalb den Asylantrag des Klägers im nationalen Verfahren zu prüfen hat. Es kann deshalb dahinstehen, ob nach der Dublin III-VO anfänglich eine Zuständigkeit Italiens bestanden hat. Denn eine etwaige Zuständigkeit Italiens ist jedenfalls gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen. Die streitgegenständliche Entscheidung, der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland sei wegen der Zuständigkeit Italiens unzulässig, lässt sich deshalb nicht mehr aufrechterhalten.
Nach Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin III-VO ist der zuständige Mitgliedsstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet mit der Folge, dass die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von 6 Monaten durchgeführt wird. Die Frist kann höchstens auf 18 Monate verlängert werden, wenn die betreffende Person flüchtig ist (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO).
Ungeachtet der Frage, ob nicht bereits die Entscheidung über die Verlängerung der Überstellungsfrist mit der Begründung, der Kläger sei aufgrund des Kirchenasyls flüchtig, angesichts der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH U.v. 19.3.2019 – C -163/17 – juris; BayVGH B.v. 7.1.2020 – 13a ZB 19.50042 – juris; OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 3.2.2020 – 7 A 10885/19 – juris) rechtswidrig erfolgte, mit der Folge, dass die Beklagte bereits nach Ablauf von 6 Monaten zuständig geworden wäre, ist diese spätestens jedenfalls aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist von 18 Monaten (bereits Anfang Mai 2020) ohne eine erfolgte Überstellung zuständig geworden. Auf den Ablauf von Überstellungsfristen kann sich der Kläger auch berufen (vgl. EuGH U.v. 7.6.2016 – C-63/15 -juris)
1.1.1 Die Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes vom 30.3.2020 führt vorliegend nicht zur Unterbrechung des Ablaufs der achtzehnmonatigen Überstellungsfrist.
Gemäß § 80 Abs. 4 VwGO kann die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, in den Fällen des § 80 Abs. 2 VwGO die Vollziehung aussetzen. Die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO ist grundsätzlich geeignet, die in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO vorgesehene Überstellungsfrist zu unterbrechen.
Das Asylrecht sieht bundesrechtlich nichts Gegenteiliges vor (§ 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO). § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO beschränkt das behördliche Aussetzungsermessen für das Asylverfahren ebenfalls nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 8.1.2019 – 1 C 16.18 -, BVerwGE 164, 165-179, Rn. 23 f.). Unionsrechtlich gibt Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit für eine Regelung, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten beschließen können, von Amts wegen tätig zu werden, um die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung auszusetzen. Diese unionsrechtlich vorgesehene Möglichkeit füllt im nationalen Recht im Wesentlichen § 80 Abs. 4 VwGO aus (vgl. BVerwG U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 – mit weiteren Ausführungen).
Auch wenn Unionsrecht nicht grundsätzlich der Anwendbarkeit von § 80 Abs. 4 VwGO entgegensteht, so sind vorliegend allerdings die weiteren Voraussetzungen nicht gegeben, so dass deshalb die ausgesprochene Unterbrechung nicht eingetreten ist.
a. Zwar ist die Mindestvoraussetzung einer behördlichen Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 4 VwGO insofern erfüllt, als der Kläger einen Rechtsbehelf gegen die Abschiebungsanordnung eingelegt hat (Art. 27 Abs. 4 und Art. 29 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-VO). Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel, ob die vorliegende Aussetzungsentscheidung vom Wortlaut des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO gedeckt ist. Denn sie dient im vorliegenden Fall nicht der Gewährleistung eines effektiven Rechtsbehelfs (gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Bescheid vom 12.10.2018); vielmehr sind Ursache der Aussetzungsentscheidung die fehlenden Überstellungsmöglichkeiten im Rahmen der aufgetretenen Covid-19 Pandemie. Es erscheint äußerst fraglich, ob dieser Grund vom Wortlaut und Zweck des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO gedeckt ist (vgl. dazu ausführlich VG Schleswig-Holstein U.v. 15.5.2020 – 10 A 576/19 -).
Diese Frage kann jedoch dahinstehen, da die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung nicht vorliegen (s.u.).
b. So sind der nach § 80 Abs. 4 VwGO notwendigen Ermessensausübung Grenzen durch das in Art. 27 Abs. 3 und 4 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-VO angestrebte Ziel eines angemessenen Ausgleichs zwischen
– einerseits der Gewährung effektiven Rechtsschutzes und der Ermöglichung einer raschen Bestimmung des für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats (vgl. Erwägungsgrund 5 zur Dublin III-VO) und
– andererseits dem Ziel zu verhindern, dass sich Asylbewerber durch Weiterwanderung den für die Prüfung ihres Asylbegehrens zuständigen Mitgliedstaat aussuchen (Verhinderung von Sekundärmigration),
gesetzt.
Die behördliche Aussetzungsentscheidung begünstigt den Antragsteller nicht nur, indem aufenthaltsbeendende Maßnahmen auf der Grundlage der Abschiebungsanordnung zunächst nicht mehr erfolgen können, sondern belastet diesen auch mittelbar, weil sie die Überstellungsfrist unterbricht und so dazu führt, dass ein vom Antragsteller möglicherweise erstrebter Zuständigkeitsübergang nicht erfolgt und er zu seinen Asylgründen deshalb nicht angehört wird. So soll der Zuständigkeitsübergang nach Ablauf der Überstellungsfrist verhindern, dass Asylanträge monate- oder gar jahrelang nicht geprüft werden, zugleich soll das Ziel einer möglichst schnellen Prüfung nicht dazu führen, dass dem jeweiligen Mitgliedstaat keine zusammenhängende Überstellungsfrist von sechs Monaten zur Verfügung steht, in der nur noch die Überstellungsmodalitäten zu regeln sind oder der Beschleunigungsgedanke zu Lasten eines effektiven Rechtsschutzes verwirklicht wird, vgl. § 27 Abs. 3 und 4 Dublin III-VO. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf eine behördliche Aussetzung aus sachlich vertretbaren Erwägungen, die nicht rechtlich zwingend sein müssen, (auch unterhalb der Schwelle der Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsanordnung) erfolgen, wenn diese Erwägungen den Beschleunigungsgedanken und die Interessen des zuständigen Mitgliedstaats nicht willkürlich verkennen und auch sonst nicht missbräuchlich sind (vgl. BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16.18 -, BVerwGE 164, 165-179, Rn. 22 ff. m.w.N.). So muss die Aussetzungsentscheidung einen angemessenen Ausgleich zwischen einem effektiven Rechtschutz und der raschen Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates zum Ziel haben und sachlich vertretbare Erwägungen (vgl. Ziffer 1.1.2), die weder willkürlich noch missbräuchlich sind (vgl. Ziffer 1.1.3), beinhalten. Diese Willkür- oder Missbrauchsschwelle ist dann überschritten, wenn bei klarer Rechtslage und offenkundig eröffneter Überstellungsmöglichkeit die behördliche Aussetzungsentscheidung allein dazu dient, die Überstellungsfrist zu unterbrechen, weil sie aufgrund behördlicher Versäumnisse ansonsten nicht (mehr) gewahrt werden könnte.
Eine solche Abwägung der oben genannten unionsrechtlichen Erwägungsgründe lässt die vorliegende streitgegenständliche Aussetzungsentscheidung allerdings vermissen.
Sie lässt nicht erkennen, dass die Grenzen, die durch das nationale Recht und Unionsrecht vorgegeben sind, in ihre Abwägung einbezogen worden sind.
1.1.2 Auch wenn der Verwaltungsakt – Aussetzung der Vollziehung – im Schriftsatz des Bundesamtes vom 30.3.2020 ab Bekanntgabe im Rahmen der Zustellung des Schriftsatzes durch das Gericht wirksam ist (§ 41 VwVfG) und vorliegend Zweifel an der ursprünglichen Rechtmäßigkeit des Bescheides des Bundesamtes vom 12.10.2018 nicht bestanden (vgl. VG Bayreuth B.v. 29.10.2018 – B S 18.50776 -), lässt die Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes Defizite in der Ermessensentscheidung erkennen (§ 114 VwGO).
Die hier streitgegenständliche Aussetzungsentscheidung vom 30.3.2020 setzt sich schon in keiner Weise mit der behördlichen Untätigkeit von nahezu einem Jahr seit der zuletzt beabsichtigten Abschiebung am 11.4.2019 bis zu den bekannten Auswirkungen der Covid-19 Pandemie im März 2020 auseinander. Da diese Untätigkeit der Behörde selbst hinlänglich bekannt ist und dieser Gesichtspunkt angesichts einer im Wesentlichen fristenbestimmten Rechtsmaterie offensichtlich einen wesentlichen Gesichtspunkt darstellt ist, ist bereits allein deswegen ein Ermessensdefizit festzustellen.
Darüber hinaus wurden weder auf die im Rahmen des internationalen Rechts wie der Dublin III-VO wesentlichen Interessen der Mitgliedsstaaten, namentlich das Beschleunigungsgebot der Dublin III-VO zur Klärung der Zuständigkeit, noch die davon unmittelbar und mittelbar betroffenen Interessen des Klägers eingegangen: Die Interessen der Mitgliedsstaaten werden von der Aussetzungsentscheidung direkt betroffen, wenn nach der Unterbrechung durch die Aussetzungsentscheidung erneut eine Überstellungsfrist von zusammenhängenden 6 Monaten (vgl. EuGH, U.v. 29.1.2009 – C 19/08 – Rn. 43 ff.; BVerwG U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 -juris, Rn. 18) zu laufen beginnt, die im Ergebnis dazu führt, dass eine Klärung der Zuständigkeit erst nach einer Zeitdauer von mehr als 2 Jahren nach der Asylantragstellung des Klägers erfolgt. Dies steht im Widerspruch zu den Vorgaben der Dublin III-VO, die hierfür – nur unter bestimmten Voraussetzungen – höchstens 18 Monate vorsieht.
Auch die Effektivität des Rechtsschutzes als wesentliches Element der Dublin III-VO, die insbesondere den Kläger betrifft, fand als wesentliches unionsrechtliches Element keine Würdigung im streitgegenständlichen Bescheid. Die Aussetzung bewirkt, dass im vorliegenden Fall der Kläger erst nach der Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates, mithin zwei Jahre nach Stellung des Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland, erstmalig überhaupt zu seinen Fluchtgründen in Italien oder in der Bundesrepublik Deutschland angehört werden könnte. Da dieses Ergebnis kaum mit den Zielvorgaben der Dublin III-VO in Übereinstimmung zu bringen ist, hätte es einer dezidierten Auseinandersetzung hiermit bedurft. Eine entsprechende Berücksichtigung dieser rechtlichen Interessenlagen fehlt jedoch.
Auch dem ergänzenden Schriftsatz der Beklagten vom 26.5.2020 sind entsprechende Ermessensergänzungen nicht zu entnehmen. Dort ist lediglich ausgeführt, dass eine Überstellung ohne die Pandemie ohne die Aussetzungsentscheidung vom 30.3.2020 noch bis 29.4.2020 möglich gewesen wäre. Auf die Untätigkeit bis zum 30.3.2020, im Wesentlichen die Zeit, in der der Kläger sich im „Kirchenasyl“ aufgehalten hat, auf die Interessen der Mitgliedsstaaten und insbesondere die Interessen des Klägers wird nicht eingegangen.
Den obigen Ausführungen ist zu entnehmen, dass das Bundesamt keine Einzelfallabwägung, sondern vielmehr eine „schematische“ Entscheidung vorgenommen hat. Eine solche wird jedoch den Anforderungen, die § 114 VwGO im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung an eine Ermessensentscheidung stellt, in keiner Weise gerecht und ist rechtswidrig.
Dass dem Gericht gleichlautende Aussetzungsentscheidungen in einer Vielzahl von Verfahren vorliegen, verstärkt den Eindruck einer schematischen Vorgehensweise.
Einer Nachholung entsprechender Ermessenserwägungen steht nach Fristablauf gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO der bereits erfolgte Zuständigkeitsübergang auf die Bundesrepublik Deutschland entgegen.
1.1.3 Darüber hinaus ist festzustellen, dass im vorliegenden Verfahren auch die Willkür- und Missbrauchsschwelle, die im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (s.o., BVerwG U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 -) näher ausgeführt wurden, überschritten ist.
So sind innerhalb von 18 Monaten – bis auf den einzigen Überstellungsversuch zum 11.4.2019 – bis zur Aussetzungsentscheidung vom 30.3.2020 keine behördlichen Tätigkeiten für eine Überstellung des Klägers nach Italien ersichtlich. Dabei steht insbesondere die Meldung eines „offenen Kirchenasyls“ (d.h. der Aufenthalt des Ausländers ist den Behörden bekannt) einer Überstellung rechtlich nicht entgegen (inzwischen ständige Rechtsprechung, vgl. OVG Lüneburg B.v. 25.7.2019 – 10 LA 155/19 -; OVG Schleswig-Holstein, B.v. 23.3.2018 – 1 LA 7/18 -, juris 5. Leitsatz und Rn. 18; Bayerischer VGH, Beschluss vom 16.5.2018 – 20 ZB 18.50011 -, juris Rn. 2). Dies gilt erst recht, da ein wie auch immer geartetes „Kirchenasyl“ weder im Recht der Bundesrepublik Deutschland noch im Europarecht noch im Kirchenrecht existiert. Da dem Bundesamt der Aufenthalt des Klägers im Kloster … während der gesamten Zeit des „Kirchenasyls“ bekannt gewesen ist, stellt dieses „Kirchenasyl“ einer Abschiebung nicht entgegen.
Da darüber hinaus angesichts der Restlaufzeit von nur noch etwa einem Monat seit Erlass der Aussetzungsentscheidung vom 30.3.2020 bis zum Ende der Überstellungsfrist Ende April/Anfang Mai 2020 – nach hiesiger Kenntnis über die notwendige Vorbereitungszeit für die Durchführung einer Überstellung – kaum anzunehmen ist, dass ein erneuter Überstellungsversuch zeitlich überhaupt noch möglich gewesen wäre, wird davon ausgegangen, dass die Covid-19 Pandemie lediglich als Möglichkeit genutzt wurde, die Überstellungsfrist zu unterbrechen, und damit die Folge behördlicher Versäumnisse, den Zuständigkeitsübergang auf die Bundesrepublik Deutschland, zu verhindern. Dies allerdings stellt keine sachlich gerechtfertigte Erwägung nach den im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8.1.2019 (a.a.O.) ausgeführten Willkür- und Missbrauchsgrenzen dar.
Nur der Vollständigkeit halber wird ergänzend darauf aufmerksam gemacht, dass die Unterbringung des Klägers nach Beendigung des „Kirchenasyls“ nicht wechselte, sondern unter gleicher Adresse erfolgte, und auch insofern die Annahme eines „Kirchenasyls“ einen bemerkenswerten Aspekt erhält.
1.2 Da die Ziffer 1 des Bescheides keinen Bestand mehr hat, ist auch die Entscheidung in Ziffer 2 zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hinsichtlich Italiens sinnentleert und damit aufzuheben. Da der Asylantrag nunmehr in der Bundesrepublik Deutschland zu prüfen ist, sind auch die Ziffern 3 (Abschiebungsanordnung) und 4 (Einreise- und Aufenthaltsverbot) aufzuheben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.