Aktenzeichen M 8 S 17.50959
Leitsatz
Im Falle der Ablehnung eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG wirkt fristauslösend für die Antragsfrist nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG allein die Zustellung an den Ausländer selbst (§ 31 Abs. 1 Satz 5 und 7 AsylG). § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG wird durch die spezialgesetzlichen Bestimmungen der § 31 Abs. 1 Satz 5 und 7 AsylG verdrängt. Auch im Falle einer mehrfachen (wirksamen) Zustellung wirkt im Übrigen stets die erste Zustellung bereits fristauslösend. (Rn. 9 – 11)
2 Hat der Antragsteller im Zeitpunkt seiner Antragstellung ein seit weniger als 6 Monaten abgelaufenes, von italienischen Behörden ausgestelltes Schengen-Visum, ist Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3 Systemische Mängel des Asyl- und Aufnahmeverfahrens in Italien liegen nicht vor. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet, die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber wurden seit 2013 deutlich erhöht. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4 In Italien gibt es eine umfassende Gesundheitsfürsorge, die italienischen Staatsbürgern, Flüchtlingen und Asylbewerbern sowie unter humanitärem Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 22. März 2017.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger, reiste ebenfalls eigenen Angaben zufolge am 23. Oktober 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 11. November 2016 einen Asylantrag. Eine EURODAC-Recherche durch das Bundesamt ergab, dass der Antragsteller mit einem italienischen Schengen-Visum, das bis 16. Oktober 2016 gültig war, über Frankreich und Italien nach Deutschland eingereist ist Am 30. November 2016 wurde vom Bundesamt ein Übernahmegesuch an Italien gerichtet. Im Akt des Bundesamts findet sich neben dem Gesuch eine automatisch generierte Eingangsbestätigung Italiens vom selben Tag.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 22. März 2017, dem Antragsteller selbst zugestellt am 24. März 2017, wurde in Nummer 1 der Antrag auf Asyl als unzulässig abgelehnt, in Nummer 2 festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen, in Nummer 3 die Abschiebung nach Italien angeordnet und in Nummer 4 das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 3. April 2017, bei Gericht eingegangen am selben Tag, erhob der Antragsteller Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 22. März 2017 erhoben. Gleichzeitig begehrt er einstweiligen Rechtsschutz im Wege des § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 22. März 2017 anzuordnen.
Zur Begründung wird unter Bezugnahme auf verschiedene Publikationen, insbesondere von Nichtregierungsorganisationen, im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller sei im Falle einer Überstellung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens und der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung ausgesetzt.
Das Bundesamt hat die Verfahrensakte elektronisch vorgelegt. Eine weitergehende Äußerung oder Antragstellung erfolgte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag vom 3. April 2017, gemäß § 34a Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom selben Tag, erweist sich bereits als unzulässig, da er die Wochenrist nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht wahrt.
Ausweislich der bei den Akten des Bundesamts befindlichen Zustellungsurkunde wurde der streitbefangene Bescheid dem Antragsteller selbst am 24. März 2017 im Wege der Ersatzzustellung nach § 10 Abs. 5 AsylG i.V.m. § 3 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) unter seiner letzten Anschrift, die dem Bundesamt bekannt war (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG), zugestellt. Mit der Zustellung an den Antragsteller selbst genügt die Antragsgegnerin dabei der gesetzlichen Bestimmung in § 31 Abs. 1 Satz 5 AsylG, wonach im Falle einer Asylantragsablehnung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Entscheidung – wie hier – zusammen mit der Abschiebungsanordnung dem Ausländer selbst zuzustellen ist. Wird der Ausländer – wie vorliegend der Antragsteller – bereits im Asylverfahren durch einen Bevollmächtigten vertreten, soll diesem nach § 31 Abs. 1 Satz 7 AsylG ein Abdruck der Entscheidung zugeleitet werden. Dies ist hier mit Schreiben des Bundesamts vom 22. März 2017 am 27. März 2017 (vgl. Schriftsatz vom 3. April 2017, S. 2 oben) ebenfalls erfolgt. Die unzutreffende Bezugnahme im Schreiben des Bundesamts vom 22. März 2017 an die Bevollmächtigten auf § 31 Abs. 1 Satz 6 AsylG ist dabei unschädlich (Blatt 159 dA). Fristauslösend wirkt – aufgrund der § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG verdrängenden sondergesetzlichen Bestimmungen in § 31 Abs. 1 Satz 5 und 7 AsylG – allein die Zustellung an den Antragsteller selbst am 24. März 2017. Dies gilt auch mit Blick auf die von Seiten des Bundesamts anscheinend zusätzlich durchgeführte, parallele Zustellung auch an die Bevollmächtigten mit weiterem Schreiben vom 22. März 2017 (Blatt 146 dA). Auch wenn auch diese erst am 27. März 2017 erfolgt sein mag, ändert dies an der fristauslösenden Wirkung der Zustellung an den Antragsteller selbst am 24. März 2017 gemäß § 31 Abs. 1 Satz 5 AsylG nichts. Es ist anerkannt, dass dann, wenn mehrere Zustellungen erfolgen, für Beginn und Ablauf der Rechtsbehelfsfrist stets die erste wirksame Zustellung maßgeblich ist (vgl. aktuell OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 19.1.2017 – OVG 3 S. 101.16 – juris).
Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 VwZG i.V.m. § 181 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) konnte die Zustellung vorliegend durch Niederlegung bei der Postagentur …straße 1 in … erfolgen. Die Zustellungsurkunde erbringt nach § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 2, § 418 ZPO dabei den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen.
Damit hat die einwöchige Antragsfrist nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO und § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) am 31. März 2017 geendet. Die Antragstellung, die erst am 3. April 2017 erfolgte, erweist sich somit als verspätet.
2. Zudem wäre der Antrag – seine Zulässigkeit entgegen dem Vorstehenden unterstellt – im Übrigen auch unbegründet.
Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung. Diese Abwägung fällt aufgrund der voraussichtlichen Unbegründetheit der Klage zulasten des Antragstellers aus.
2.1 Lehnt das Bundesamt auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Durchführung eines Asylverfahrens als unzulässig ab und ordnet nach § 34a Abs. 1 AsylG die Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union – hier nach Italien – an, besteht die Besonderheit, dass das Bundesamt lediglich die Frage nach dem für die Prüfung des Asylbegehrens des Antragstellers zuständigen Mitgliedstaat erwogen hat, sich aber nicht mit den Gründen für die Gewährung von Asyl und der Frage nach einer Abschiebung in den Herkunftsstaat befasst hat. Die Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin III-VO und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens erfolgt in zwei getrennten Verfahren. Die Frage nach der Prüfung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaates ist der inhaltlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagert.
2.2 Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies ist hier der Fall. Italien ist gemäß Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1 der Dublin-III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Art. 3 Abs. 1 der Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitel III der Dublin-III-VO als zuständiger Mitgliedsstaat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, da der Antragsteller zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung in Deutschland im Besitz eines seit weniger als sechs Monaten abgelaufenen, von den italienischen Behörden ausgestellten Schengen-Visums war. Damit liegen die Voraussetzungen nach Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1 der Dublin-III-VO für Italien vor.
Das Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 der Dublin-III-VO wurde am 30. November 2016 gestellt. Da die italienischen Behörden darauf nicht innerhalb der 2-Monats-Frist nach Art. 22 Abs. 1 der Dublin-III-VO reagiert haben, ist gemäß Art. 22 Abs. 7 der Dublin-III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.
2.3 Die Abschiebung nach Italien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3 der Dublin-III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Italien als den zuständigen Mitgliedsstaat an Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin-III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedsstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. aktuell statt vieler OVG NRW, B.v. 12.10.2016 – 13 A 1624/16.A – juris Rn. 5 f. m.w.N). Danach verfügt Italien unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen durchaus erhebliche Mängel und Defizite feststellen lassen, werden diese -weder für sich genommen noch insgesamt – als so gravierend bewertet, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedsstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NRW a.a.O.).
Das Gericht schließt sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – Hussein u.a../. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10 – ZAR 2013, 336; B. v. 18.6.2013 – Halimi./.Österreich und Italien, Nr. 53852/11 – ZAR 2013, 338). Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätten, zwar einige Mängel aufweisen mögen, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen würden. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars wiesen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigten übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten seien. Diese Rechtsauffassung hat der EGMR – dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweiligen entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (BVerfG, U. v. 4.5.2011 – 2 BvR 2333/08 – juris), durch seine Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10) ausdrücklich bestätigt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (Nr. 29217/12 – NVwZ 2015, 127 ff.). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande (Nr. 51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten.
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/italy) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgsversprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Bericht zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63 f. des Berichts). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher auch für die Personengruppe, der der Antragsteller angehört, nicht angenommen werden.
Auch nach dem aktuellen Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Juli 2016 (13 A 1859/14.A – juris Rn. 71 ff.) rechtfertigen die vorliegenden Erkenntnisse nicht den Schluss, dass Asylbewerber während der Dauer des Asylverfahrens in Italien die elementaren Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme, Hygienebedürfnisse, medizinische Grundversorgung) nicht in einer noch zumutbarer Weise werden befriedigen können. Soweit Mängel der Aufnahmebedingungen bestehen, sind diese nicht derart gravierend, dass bei jedem Rückkehrer die Gefahr einer Verletzung des Art. 4 GRCh zu bejahen wäre. Die hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden.
Auch der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien u.U. schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 a.a.O.).
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, U.v. 30.6.2015 – Nr. 39350/13 – A.S. gegen Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U. v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 – juris Rn. 26 m.w.N.). Auch der bereits erwähnte Bericht von AIDA bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das Oberveraltungsgericht Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B. v. 19.9.2015 – Au 7 S. 15.50412 – juris). Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (VG München, B. v. 5.11.2014 – M 18 S. 14.50356 – juris). Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat.
Schließlich begründet auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbares, landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
2.4 Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin-III-VO notwendig machen, sind – ebenso wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse – weder vorgetragen noch ersichtlich.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).