Aktenzeichen M 9 S7 17.51363
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 20 Abs. 2, Art. 21 Abs. 1
Leitsatz
1 Eine Antragstellung iSv Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO liegt nicht erst mit der förmlichen Asylantragstellung beim Bundesamt vor, sondern bereits mit dem dortigen Eingang der Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (BüMA). Bereits ab diesem Zeitpunkt beginnt die Zwei- bzw. Dreimonatsfrist nach Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1, 2 Dublin III-VO zu laufen (wie EUGH BeckRS 2017, 118290 – Mengesteab). (Rn. 3) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Die an eine EURODAC-Treffermeldung anknüpfende Zweimonatsfrist des Art. 21 Abs. 1 UAbs. 2 Dublin III-VO ist nicht spezieller als die „auf andere Beweismittel“ abstellende Dreimonatsfrist des Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-VO. Die Zweimonatsfrist findet daher nur alternativ Anwendung, verlängert aber nicht den Dreimonatszeitraum, der ab dem Eingang der BüMA beim Bundesamt läuft (wie EuGH BeckRS 2017, 118290 – Mengesteab). (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO ist dahin auszulegen, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine ihr gegenüber ergangene Überstellungsentscheidung auf den Ablauf einer in Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO festgelegten Frist berufen kann; sie besitzt ein subjektives Recht, dass der zuständige Mitgliedstaat das Asylverfahren durchführt. Dies gilt unabhängig davon, ob der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat seine Aufnahmebereitschaft positiv erklärt hat oder nicht (wie EuGH BeckRS 2017, 118290 – Mengesteab). (Rn. 6) (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
I. Unter Abänderung des Beschlusses vom 22. März 2017 im Verfahren M 9 S 17.50325 wird die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 31. Januar 2017 erhobenen Klage vom 9. Februar 2017 (M 9 K 17.50324) angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Der Antragsteller hat mit seinem Abänderungsantrag Erfolg.
Anders als zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 22. März 2017 im Verfahren Az. M 9 S. 17.50325 ist mittlerweile die Entscheidung des EuGH vom 26. Juli 2017 (Az.: C-670/16, juris) zu berücksichtigen. Die Maßgaben dieser Entscheidung bedeuten für den Fall des Antragstellers, dass aller Voraussicht nach die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers auf die Antragsgegnerin übergegangen ist, Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seiner Entscheidung vom 26. Juli 2017, Az. C-670/16 – wie hier für den Fall eines Aufnahmegesuchs nach Art. 21 Dublin III-VO – klargestellt, dass die Zweibzw. Dreimonats-Frist in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 Dublin III-VO bereits mit Eingang der Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (BüMA) beim Bundesamt anläuft. Das ergibt sich nach dem EuGH daraus, dass eine Antragstellung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO nicht erst mit der förmlichen Antragstellung beim Bundesamt gegeben sei, sondern bereits mit dem dortigen Eingang der BüMA (EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – Celex-Nr. 62016CJ0670 Rn. 75ff., insb. Rn. 97 und Rn. 103); das ist vor dem Hintergrund der Regelung zur Stellung des Antrags auf internationalen Schutz i.S.v. Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO konsequent, weil den Regelungen der Dublin III-VO die Unterscheidung zwischen Asylgesuch und förmlicher Asylantragstellung im deutschen Asylrecht fremd ist.
Für den Fall bedeutet das: Da die BüMA dem Bundesamt am 18. Dezember 2015 zuging (Bl. 54 der Bundesamtsakte), lief die Dreimonats-Frist gemäß Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO – hier ist von der längeren Dreimonatsfrist und nicht von der Zweimonatsfrist gemäß Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO auszugehen, da zu diesem Zeitpunkt gerade noch keine Eurodac-Treffermeldung vorlag – am 19. Dezember 2015 an und endete am Freitag, den 18. März 2016. Das Aufnahmegesuch wurde jedoch erst unter dem 17. Oktober 2016 und damit deutlich verspätet gestellt. Der erst am 14. September 2016 eingeholte Eurodac-Treffer (Bl. 39 der Bundesamtsakten) ändert am Fristablauf nichts. Der EuGH ist dem rechtlichen Standpunkt, wonach die mit einer Eurodac-Treffermeldung anlaufende Zweimonatsfrist des Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO spezieller sei als die „auf andere Beweismittel“ abstellende Dreimonatsfrist des Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO, nicht gefolgt. Die Zweimonatsfrist findet demnach nur alternativ Anwendung, verlängert aber nicht den Dreimonatszeitraum, der ab dem Eingang der BüMA beim Bundesamt läuft (zum Ganzen EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – Celex-Nr. 62016CJ0670 Rn. 63ff., insb. Rn. 74). Der Fristablauf begründet gem. Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO den Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung des Asylbegehrens auf die Antragsgegnerin. Der Asylantrag ist damit nicht (mehr) nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig.
Im Fall des Antragstellers besteht zwar die Besonderheit, dass die BüMA noch auf die zu Beginn des Verfahrens vom Antragsteller angegebenen Alias-Personalien lautete. Das ändert jedoch voraussichtlich – aus zwei unabhängig voneinander Geltung beanspruchenden Gründen – nichts am soeben dargestellten Ergebnis. Erstens geht auch die Antragsgegnerin ohne weiteres, insbesondere ohne weitere Ermittlungen anzustellen, Stellungnahmen abzugeben (die Antragsgegnerin hat sich vielmehr überhaupt nicht zur Sache geäußert, weder im hiesigen Verfahren noch im ursprünglichen Antragsverfahren noch im Klageverfahren) o.a. davon aus, dass es sich beim Antragsteller um die Person handelt, für die – unter einem Alias-Namen – am 16. Dezember 2015 eine BüMA ausgestellt wurde, weswegen die Anknüpfung an dieses Datum hinsichtlich des vom Antragsteller gestellten Antrags auf internationalen Schutz i.S.v. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO von der Antragsgegnerin nicht bestritten werden kann. Zweitens wäre es der Antragsgegnerin, hätten ihre Behörden innerhalb von zwei Monaten ab Eingang der BüMA entsprechend der Regelung in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO einen Eurodac-Abgleich für den Antragsteller durchgeführt, rechtzeitig möglich gewesen, für den dann unabhängig von den angegebenen Alias-Personalien durch den Eurodac-Treffer jedenfalls für die Überstellung nach Italien hinreichend identifizierten Antragsteller das Aufnahmegesuch zu stellen.
Der Antragsteller kann sich auf den voraussichtlich eingetretenen Zuständigkeitsübergang auch berufen, d.h. er hat ein subjektives Recht, dass der zuständige Mitgliedstaat, also die Antragsgegnerin, das Asylverfahren durchführt. Das gilt unabhängig davon, ob der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat seine Aufnahmebereitschaft positiv erklärt hat oder nicht (EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – Celex-Nr. 62016CJ0670 Rn. 41ff., insb. Rn. 62). Art. 27 Abs. 1 der Dublin III-VO ist dahin auszulegen, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine ihr gegenüber ergangene Überstellungsentscheidung auf den Ablauf einer in Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO genannten Frist berufen kann. Das Bundesamt ist in der Folge kraft Gesetzes, § 31 Abs. 2 AsylG verpflichtet, das Asylverfahren des Antragstellers fortzuführen und eine Sachentscheidung zu treffen (BayVGH, U.v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris).
Da demnach bereits aufgrund der von den Behörden der Antragsgegnerin nicht beachteten Verfahrensregeln die Zuständigkeit für das Asylverfahren des Antragstellers übergegangen ist, kommt es nicht darauf an, ob der Überstellung Vollstreckungshindernisse, die im Falle einer Abschiebungsanordnung im hiesigen Verfahren mit zu prüfen sind, entgegenstehen; insbesondere ist unerheblich, dass aus den vorgelegten ärztlichen Schreiben vom 4. und 5. Mai 2017, die den Anforderungen an die Feststellung fehlender Reiseunfähigkeit nicht genügen, keine ausreichenden Zweifel an der Reisefähigkeit des Antragstellers folgen.
Nach alledem geht die aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Aussetzungsinteresse zum jetzigen Zeitpunkt zugunsten des Antragstellers aus, weswegen unter Abänderung des Beschlusses vom 22. März 2017 die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers angeordnet wird. Im Klageverfahren in der Hauptsache wird der Bescheid des Bundesamts vom 31. Januar 2017 voraussichtlich aufzuheben sein, wenn nicht die Behörde der Antragsgegnerin noch gegenteilige Gesichtspunkte vorbringt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).