Aktenzeichen 11 ZB 17.681
RL 91/439/EWG Art. 7 Abs. 1, Art. 9
Leitsatz
1 Setzt ein Mitgliedsstaat (hier: Tschechien) die RL 91/439/EWG über den Führerschein, insbesondere das Wohnsitzerfordernis, verspätet um, führt dies nicht dazu, dass eine dort nach nationalem Recht wirksam erworbene Fahrerlaubnis ohne Weiteres im Inland gültig wäre. (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch auf einen Vertrauensschutz dergestalt, dass er die ausländische Fahrerlaubnis für wirksam erachtet habe, kann sich der Fahrerlaubnisinhaber nicht berufen, da im ausländischen Führerschein der deutsche Wohnsitz eingetragen und das Erfordernis der Wohnsitznahme bekannt war. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RN 8 K 16.1870 2017-02-24 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis auf der Grundlage seiner tschechischen Fahrerlaubnis.
Am 4. Mai 2005 erteilte ihm die Verwaltungsbehörde Stribro, Tschechische Republik, eine unbefristete Fahrerlaubnis der Klasse B und stellte eine bis 3. Mai 2015 gültige Führerscheinkarte aus. Unter Nr. 8 der Führerscheinkarte ist der deutsche Wohnsitz des Klägers eingetragen. Am 15. Mai 2015 stellte er einen Antrag auf Umschreibung der tschechischen in eine deutsche Fahrerlaubnis beim Landratsamt Kelheim (im Folgenden: Landratsamt).
Am 27. August 2015 nahm der Kläger den Antrag auf Umschreibung zurück. Das Landratsamt brachte daraufhin einen Vermerk auf der Führerscheinkarte an, dass die Fahrerlaubnis nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland berechtige.
Der Kläger beantragte am 11. August 2016 erneut die Umschreibung der tschechischen in eine deutsche Fahrerlaubnis. Nach Anhörung lehnte das Landratsamt den Antrag mit Bescheid vom 4. November 2016 ab. Die tschechische Fahrerlaubnis sei unter Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip erteilt worden und daher im Bundesgebiet nicht anzuerkennen.
Die Klage auf Verpflichtung des Landratsamts zur Umschreibung der tschechischen in eine deutsche Fahrerlaubnis hat das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 24. Februar 2017 abgewiesen. Die tschechische Fahrerlaubnis sei nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV nicht anzuerkennen. Dass die Tschechische Republik nach ihrem Beitritt zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 die Wohnsitzregelung des Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG erst zum 1. Juli 2006 in nationales Recht umgesetzt habe, ändere daran nichts. Der Kläger sei zwar dadurch im Besitz einer gültigen tschechischen Fahrerlaubnis, diese müsse aber nicht anerkannt werden.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt. Der Kläger macht geltend, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Zutreffend gehe das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Fahrerlaubnis im Jahre 2005 nach tschechischem Recht rechtmäßig erteilt worden sei. Die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV ergäbe, dass im Ausstellungsmitgliedstaat rechtmäßig erteilte Fahrerlaubnisse anerkannt werden müssten. Der Kläger habe auch darauf vertrauen können, dass er von der Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch machen dürfe, da die Fahrerlaubnis rechtmäßig erteilt worden sei. Die Rechtssache weise auch besondere rechtliche Schwierigkeiten auf. Nach einer Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Juni 2009 müssten die Voraussetzungen des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 FeV kumulativ vorliegen. Die Rechtssache habe auch grundsätzliche Bedeutung. Es sei die Frage zu klären, unter welchen Voraussetzungen eine rechtmäßig in einem Mitgliedsstaat erteilte Fahrerlaubnis umzuschreiben sei. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG sehe diesbezüglich vor, dass der Inhaber einer von einem Mitgliedsstaat ausgestellten gültigen Fahrerlaubnis, der seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedsstaat begründet, einen Antrag auf Umtausch seines Führerscheins gegen einen gleichwertigen Führerschein stellen könne. Voraussetzung des Umtauschs sei daher alleine ein gültiger Führerschein.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungs-verfahren beschränkt (BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGH 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 54), ergeben sich die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO) nicht.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit liegen vor, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16). Das ist vorliegend nicht der Fall. Vielmehr erweist sich der streitgegenständliche Bescheid auch unter Berücksichtigung des Antragsvorbringens als rechtmäßig, da die tschechische Fahrerlaubnis den Kläger im Bundesgebiet nicht zum Führen von Fahrzeugen berechtigt und daher nicht in eine deutsche Fahrerlaubnis umgetauscht werden kann.
Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 18. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. Dezember 2016 (BGBl I S. 3083), ist eine EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt oder berechtigt hat, unter erleichterten Bedingungen in eine deutsche Fahrerlaubnis umzutauschen.
Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten. Die Behörde kann einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen (§ 28 Abs. 4 Satz 2 FeV).
Ein ordentlicher Wohnsitz im Inland wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV angenommen, wenn der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden beruflichen Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Ein Bewerber, dessen persönliche Bindungen im Inland liegen, der sich aber aus beruflichen Gründen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten der EU (oder EWR) aufhält, hat seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt (§ 7 Abs. 1 Satz 3 FeV). Die Voraussetzung entfällt, wenn sich der Bewerber zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer in einem solchen Staat aufhält (§ 7 Abs. 1 Satz 4 FeV).
Hier ergibt sich aus der Eintragung eines Wohnsitzes in Deutschland im Führerschein, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis keinen ordnungsgemäßen Wohnsitz in der Tschechischen Republik gemäß Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (RL 91/439/EWG, ABl L 237 S. 1), gehabt hat. Ihm durfte daher nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 91/439/EWG in Tschechien keine Fahrerlaubnis erteilt werden. Der Kläger bestreitet auch mit seinem Berufungszulassungsantrag nicht, dass er seinen ordentlichen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis im Bundesgebiet hatte, sondern macht nur geltend, die Fahrerlaubnis sei nach den nationalen tschechischen Vorschriften rechtmäßig erteilt worden, da das Wohnsitzerfordernis damals noch nicht in nationales Recht umgesetzt gewesen sei.
Soweit der Kläger vorträgt, die tschechische Fahrerlaubnis müsse anerkannt werden, da eine europarechtskonforme Auslegung des § 28 Abs. 4 FeV und die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 29. April 2004 (Rs. C-476/01, Kapper) ergäben, dass nach nationalem Recht rechtmäßige Verwaltungsentscheidungen anderer Mitgliedstaaten anerkannt werden müssten, kann dem nicht gefolgt werden. Nach Art. 14 RL 91/439/EWG ist die Richtlinie an die Mitgliedstaaten gerichtet, die ihr nach Art. 12 Abs. 1 RL 91/439/EWG ab 1. Juli 1996 nachkommen mussten. Gemäß Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (Beitrittsakte, ABl 2003, L 236, S. 33) waren die Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe der Europäischen Union für die Tschechische Republik ab dem 1. Mai 2004, dem Zeitpunkt ihres Beitritts, verbindlich. Nach Art. 54 der Beitrittsakte setzen die neuen Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen in Kraft, um den Richtlinien und Entscheidungen vom Tag des Beitritts an nachzukommen, sofern in den in Art. 24 der Beitrittsakte genannten Anhängen oder in anderen Bestimmungen dieser Akte oder ihrer Anhänge nicht eine andere Frist vorgesehen ist. Es ist nicht ersichtlich, dass hinsichtlich der Richtlinie 91/439/EWG abweichende Vorschriften bestanden, die der Republik Tschechien gestatteten, diese Richtlinie erst später umzusetzen. Die fehlende Umsetzung in nationales tschechisches Recht war daher europarechtswidrig und verpflichtet die anderen Mitgliedstaaten nicht, die dort unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis erworbenen Fahrerlaubnisse anzuerkennen (vgl. zu einer am 1.3.2006 in Tschechien erteilten Fahrerlaubnis: EuGH, U.v. 13.10.2011 – C-224/10, Apelt – Slg 2011, I-9601 Rn. 19, 34 ff.).
Die Berufung muss auch nicht deshalb zugelassen werden, weil der Kläger auf die Gültigkeit der tschechischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet vertraut hat. Auch § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV in der zum Zeitpunkt der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis gültigen Fassung vom 1. Februar 2005 (BGBl I 2004, S. 2092) bestimmte, dass die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis gilt, die zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten. Dem Kläger hätte daher schon zum damaligen Zeitpunkt klar sein müssen, dass seine in Tschechien erteilte Fahrerlaubnis in Deutschland keine Gültigkeit beanspruchen kann, da er bei deren Erteilung seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatte.
Die nach nationalem tschechischen Recht wohl rechtmäßig erteilte Fahrerlaubnis kann auch nicht entsprechend § 31 Abs. 1 Satz 1 FeV umgetauscht werden, der für Fahrerlaubnisse aus Staaten außerhalb des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum gilt. Denn auch eine ausländische Fahrerlaubnis, die ein Drittstaat erteilt hat, berechtigt nach § 29 Abs. 3 Nr. 2 FeV nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 FeV, wenn der Fahrerlaubnisinhaber zum Zeitpunkt der Erteilung der ausländischen Erlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hatte.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Dazu muss dargelegt und begründet werden, worin solche besonderen Schwierigkeiten bestehen (vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 124a Rn. 53). Die Antragsbegründung zeigt aber weder ungeklärte Rechtsfragen noch sonstige, über das gewöhnliche Maß hinausgehende rechtliche Schwierigkeiten auf.
Soweit auf eine Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Juni 2009 hingewiesen wird, ist diese durch die Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Mai 2011 (C-184/10, Grasser – Slg 2011, I-4057 Rn. 33) und vom 13. Oktober 2011 (a.a.O. Rn. 34 ff.) überholt. Damit stellt der Gerichtshof fest, dass ein Mitgliedstaat den von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein nicht anerkennen muss, wenn aufgrund von Angaben in diesem Führerschein feststeht, dass die den ordentlichen Wohnsitz betreffende Voraussetzung nicht beachtet wurde. Der Umstand, dass der Aufnahmemitgliedstaat auf den Inhaber des Führerschein zuvor keine Maßnahme im Sinne des Art. 8 Abs. 2 RL 91/439/EWG angewandt hat, ist insoweit unbeachtlich (EuGH, U.v. 19.5.2011 a.a.O. Rn. 33).
3. Die Rechtssache hat auch nicht die behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Um einen auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, (2.) ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, (3.) erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und (4.) darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 72). Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine rechtmäßig in einem Mitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis umzuschreiben ist, stellt sich so nicht, da die Fahrerlaubnis unter Berücksichtigung der Richtlinie 91/439/EWG nicht entsprechend den europarechtlichen Vorgaben erteilt worden ist.
4. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG und der Empfehlung in Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, Anh. § 164 Rn. 14).
5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).