Europarecht

Keine Aussetzung des Überstellungsvollzugs

Aktenzeichen  9 ZB 20.50022

Datum:
24.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36207
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, § 83b
Dublin III-VO Art. 27 Abs. 4, Art. 29 Abs. 1 UAbs. 1
VwGO § 80 Abs. 4, § 124a Abs. 5 S. 4

 

Leitsatz

Der Wortlaut von Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO, die Regeln der Auslegung sowie  einschlägige Rechtsprechung ergeben, dass die Aussetzung der Überstellung aus tatsächlichen der Abschiebung entgegenstehenden Gründen gemäß § 80 Abs. 4 VwGO, durch die Beklagte nicht die Unterbrechung der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 UA 1 Dublin III-VO gemäß oder entsprechend Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO zur Folge hat. (Rn. 8 – 24) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 20.50050 2020-09-08 GeB VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 1.10.2020 – 9 ZB 20.31883 – juris Rn. 3). Dem wird das Zulassungsvorbringen, mit dem die Beklagte klären lassen möchte, ob die von ihr vorgenommene vorübergehende Aussetzung der Überstellung des Klägers aufgrund der Covid-19-Pandemie die Unterbrechung der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 UA 1 Dublin III-VO zur Folge haben kann, nicht gerecht.
Die Beklagte wirft die Frage auf, „ob das Risiko einer nicht in den Verantwortungsbereich des ersuchenden Mitgliedstaates fallenden und durch eine völlig atypische Sonderkonstellation begründeten Unmöglichkeit der Überstellung nach der Systematik der Dublin III-VO in die Sphäre des ersuchenden Mitgliedstaats fällt“, sowie,
„ob die infolge der Corona-Pandemie faktisch generelle Aussetzung des Überstellungsvollzugs nicht bereits für sich in entsprechender Anwendung des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 27 Abs. 3 und 4 Dublin III-VO die Unterbrechung der Überstellungsfrist bewirkt hat, weil – dabei gerade durch das Zusammenwirken des Handelns der Mitgliedstaaten – faktisch eine generelle Aussetzung des Überstellungsverzugs bestand und damit Überstellungen praktisch nicht mehr möglich waren (und teilweise noch sind), aber nach der Dublin-VO dem überstellenden Staat stets in tatsächlicher Hinsicht (zumindest) ein zusammenhängender 6-Monatszeitraum für den Überstellungsvollzug zur Verfügung stehen soll (vgl. bereits EuGH vom 29.01.2009 – Rs. C-19/18 )“.
Falls diese Frage zu verneinen sei, soll geklärt werden, „ob die Corona-Pandemie und die hierauf – insb. in Form von Aus-/Einreisesperren und der unionsweit faktischen Aussetzung des Dublin-Überstellungsverfahrens – gezeigten Reaktionen in der Europäischen Union das Bundesamt i.S.d. Art. 27 Abs. 3 bzw. 4 Dublin III-VO berechtig(t) en, die Überstellungsentscheidung auszusetzen, mit der Folge, dass damit die Überstellungsfrist unterbrochen wurde, d.h. ob die behördlich entsprechend § 80 Abs. 4 VwGO erklärte Vollzugsaussetzung im Sinn der BVerwG-Rechtsprechung (Urteil vom 08.01.2019 – 1 C 16.18 – juris) aufgrund sachgerechter Erwägungen erfolgt ist“, ferner,
„ob auch eine behördlich ausdrücklich nur ‚bis auf Weiteres‘ und ‚unter Vorbehalt des Widerrufs‘ entsprechend § 80 Abs. 4 VwGO erklärte Aussetzung den Rahmen der Vorgaben des Art. 27 Abs. 3 und 4 Dublin III-VO wahrt oder dieser stets eine zwingend bis zum Abschluss des maßgeblichen Rechtsbehelfs angeordnete und andauernde Aussetzungswirkung hinsichtlich der Überstellungsentscheidung fordert“.
Diese aufgeworfenen Rechtsfragen sind nicht grundsätzlich klärungsbedürftig im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG.
1. Anhand des Wortlauts von Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO und der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung sowie auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ergibt sich ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens (vgl. BVerwG, B.v. 2.12.2019 – 2 B 21.19 – juris Rn. 5 zum Revisionsrecht; OVG SH, B.v. 25.5.2020 – 5 LA 30/19 – juris Rn. 5), dass die Aussetzung der Überstellung aus tatsächlichen der Abschiebung entgegenstehenden Gründen gemäß § 80 Abs. 4 VwGO – hier aufgrund der COVID-19 Pandemie – durch die Beklagte nicht die Unterbrechung der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 UA 1 Dublin III-VO gemäß oder entsprechend Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO zur Folge hat, sondern der Risikosphäre des ersuchenden Mitgliedstaats zuzuordnen ist.
Für die Begründung kann auf den Beschluss des NdsOVG vom 27. Oktober 2020 (10 LA 217/20 – juris) verwiesen werden, dessen folgende Erwägungen sich der Senat zu eigen macht:
„Gemäß Art. 29 Abs. 1 UA 1 Dublin III-VO erfolgt die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Abs. 1 c oder d Dublin III-VO aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat.
Gemäß Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, von Amts wegen tätig zu werden, um die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung auszusetzen.
Diese unionsrechtlich vorgesehene Möglichkeit wird im nationalen Recht durch § 80 Abs. 4 VwGO eröffnet. Die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO ist zwar generell geeignet, die in Art. 29 Abs. 1 UA 1 Dublin III-VO vorgesehene Überstellungsfrist zu unterbrechen (BVerwG, Urteil vom 08.01.2019 – 1 C 16.18 -, juris Rn. 19). Ob die Aussetzung zu einer Unterbrechung der Überstellungsfrist führt, richtet sich aber in unionsrechtskonformer Auslegung von § 80 Abs. 4 VwGO nach der Dublin III-VO (BVerwG, Urteil vom 08.01.2019 – 1 C 16.18 -, juris Rn. 25; Lehnert/Werdermann, NVwZ 2020, 1308, 1309).
1. Bereits der Wortlaut von Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO knüpft die Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung an das Vorliegen eines Rechtsbehelfs- oder Überprüfungsverfahrens („um“, „bis zum“). Eine Aussetzung aufgrund tatsächlicher Unmöglichkeit – wie hier als Reaktion auf die COVID-19 Pandemie – sieht Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO seinem Wortlaut nach dagegen nicht vor.
2. Dieses Auslegungsergebnis wird durch weitere Auslegungserwägungen hinsichtlich Systematik und Sinn und Zweck der Norm bestätigt.
Die systematische Stellung des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO innerhalb der Dublin III-VO unterstreicht die Anknüpfung der Unterbrechung der Überstellungsfrist an ein Rechtsbehelfs- oder Überprüfungsverfahren. So findet sich die Vorschrift in Abschnitt IV „Verfahrensgarantien“ und trägt selbst die amtliche Überschrift „Rechtsmittel“. Sinn und Zweck der Vorschrift ist mithin die Gewährleistung der Möglichkeit einer rechtlichen Prüfung der mitgliedstaatlichen Überstellungsentscheidung und damit eines effektiven Rechtsschutzes (OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 09.07.2020 – 1 LA 120/20 -, juris Rn. 10).
Das Dublin-System ist von dem Gedanken der Beschleunigung geprägt (vgl. Erwägungsgrund 5 Dublin III-VO), welcher mit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes in einem Spannungsverhältnis steht (EuGH, Urteil vom 07.06.2016 – C-63/15 -, juris Rn. 57; BVerwG, Urteil vom 08.01.2019 – 1 C 16.18 -, juris Rn. 26). Bei der Auslegung des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO ist dieses Spannungsverhältnis zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund kann eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung im Sinne des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO, die den Fristbeginn nach Art. 29 Abs. 1 UA 1 Dublin III-VO verzögert und somit dem Beschleunigungsgedanken zuwiderläuft, nur zugunsten der Gewährung effektiven Rechtsschutzes vorgenommen werden (OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 09.07.2020 – 1 LA 120/20 -, juris Rn. 12; VG Hamburg, Beschluss vom 16.09.2020 – 9 AE 3364/20 -, juris Rn. 13; VG Karlsruhe, Beschluss vom 15.09.2020 – A 9 K 4825/19 -, juris Rn. 20; VG Ansbach, Beschluss vom 23.07.2020 – AN 17 E 20.50215 -, juris Rn. 26 ff.; VG Aachen, Urteil vom 10.06.2020 – 9 K 2584/19.A -, juris Rn. 29 ff.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18.05.2020 – 15 L 776/20.A -, juris Rn. 10 ff.; a.A. etwa: VG Karlsruhe, Urteil vom 26.08.2020 – A 1 K 1026/20 -, juris Rn. 36 ff. m.w.N.; VG Minden, Beschluss vom 06.07.2020 – 12 L 485/20.A -, juris Rn. 53 ff.).
Auch Art. 29 Abs. 1 UA 1 Dublin III-VO liegt das Verständnis zugrunde, dass die tatsächliche bzw. „praktische Möglichkeit“ bzw. hier Unmöglichkeit der Überstellung von dem Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist zu trennen ist. Aus Art. 29 Abs. 1 UA 1 Dublin III-VO ergibt sich, dass die Überstellungsfrist unabhängig von der praktischen Möglichkeit der Überstellung spätestens sechs Monate nach Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs oder der endgültigen Entscheidung über eine rechtliche Prüfung, die aufschiebende Wirkung hat, endet. Diese Sechsmonatsfrist ist als Höchstfrist anzusehen, binnen derer die Überstellung zu erfolgen hat (Senatsbeschluss vom 18.09.2020 – 10 LA 193/20 -, n.v.; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 09.07.2020 – 1 LA 120/20 -, juris Rn. 17). Innerhalb dieser Frist hat die Überstellung zu erfolgen, sobald dies praktisch möglich ist.
Diejenigen Fälle, in denen die Überstellungsfrist aufgrund tatsächlicher Umstände ausnahmsweise verlängert werden kann, sind in Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO ausschließlich und abschließend definiert (höchstens ein Jahr bei Inhaftierung und höchstens 18 Monate bei Flucht der betreffenden Person). Es handelt sich dabei um enumerativ aufgezählte Fälle.
Eine Analogie zu Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO kommt vorliegend nicht in Betracht. Die Umstände der COVID-19 Pandemie sind mit den in Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO geregelten Fallkonstellationen schon nicht zu vergleichen, da der Schutzsuchende keinen Anteil an diesen Umständen hat. Es liegen also keine gleichgelagerten Sachverhalte vor, die eine Analogie überhaupt zuließen. Eine analoge Anwendung des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO auf andere, nicht vom Kläger zu vertretende oder zumindest nicht in seine Sphäre fallende Umstände, widerspräche zudem dem Beschleunigungsgedanken der Dublin III-VO (OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 09.07.2020 – 1 LA 120/20 -, juris Rn. 33 ff.; VG Karlsruhe, Beschluss vom 15.09.2020 – A 9 K 4825/19 -, juris Rn. 13), da über die klar begründeten Ausnahmefälle in Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO hinaus eine Vielzahl anderer Fallkonstellationen denkbar wäre, in denen die Überstellung aus tatsächlichen Gründen nicht durchgeführt werden könnte. Aus diesem Grund fehlt es auch von vornherein an einer planwidrigen Regelungslücke (OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 09.07.2020 – 1 LA 120/20 -, juris Rn. 35), da der Verordnungsgeber eben nur die beiden in Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO geregelten Fälle als Fristverlängerungsmöglichkeiten ausdrücklich vorgesehen hat.
3. Diese Auslegung entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 08.01.2019 – 1 C 16.18 -, juris). Denn diese erlaubt die Aussetzung nur vor dem Hintergrund der Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Aus dem Urteil lässt sich dagegen nicht ableiten, dass jede sachlich vertretbare, willkürfreie und nicht rechtsmissbräuchliche Erwägung eine Aussetzung im Sinne von Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO stützen kann (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 09.07.2020 – 1 LA 120/20 -, juris Rn. 13 ff.; VG Karlsruhe, Beschluss vom 15.09.2020 – A 9 K 4825/19 -, juris Rn. 13; a.A. etwa VG Minden, Beschluss vom 06.07.2020 – 12 L 485/20.A -, juris Rn. 53; VG Osnabrück, Beschluss vom 12.05.2020 – 5 B 95/20 -, juris Rn. 13 ff.).
Vielmehr macht das Bundesverwaltungsgericht deutlich, dass die in Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eröffnete Möglichkeit, dass auch die zuständigen Behörden die Durchführung der Überstellungsentscheidung aussetzen können, die Fallgruppen erweitert, in denen einem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO zukommt (BVerwG, Urteil vom 08.01.2019 – 1 C 16.18 -, juris Rn. 20). Dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall lag eine Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes zugrunde, die es auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichts getroffen hatte. Es setzte die Vollziehung der Abschiebungsandrohung aus dem dort streitgegenständlichen Bescheid bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO aus. Erst mit dieser behördlichen Aussetzungsentscheidung stand für den dortigen Kläger fest, dass während des verfassungsgerichtlichen Verfahrens nicht mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu rechnen ist. Der gesamte vom Bundesverwaltungsgericht entschiedene Fall hält sich mithin im systematischen Rahmen der Aussetzung bis zur Entscheidung über einen Rechtsbehelf, wie es Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO seinem Wortlaut nach vorsieht.
Vor diesem Hintergrund sind die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zu lesen, auf die sich die Beklagte bezieht (BVerwG, Urteil vom 08.01.2019 – 1 C 16.18 -, juris Rn. 26 f.), mit denen das Bundesverwaltungsgericht klargestellt hat, dass es in jedem Fall um „die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes“ geht. Die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehen sich mithin auf eine Aussetzung bis zum Abschluss eines Rechtsbehelfsverfahrens unter Berücksichtigung des Spannungsverhältnisses zwischen dem Beschleunigungsgedanken der Dublin III-VO und der Wirksamkeit gerichtlichen Rechtsschutzes.“
Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt ist, dass der überstellende Mitgliedstaat über einen zusammenhängenden Sechsmonatszeitraum verfügen solle, um die Überstellung zu bewerkstelligen (EuGH, Urteil vom 29.01.2009 – C-19/08 -, juris Rn. 43; BVerwG, Urteil vom 08.01.2019 – 1 C 16/18 -, juris Rn. 17), steht dies dem Auslegungsergebnis ebenfalls nicht entgegen. Vielmehr fallen tatsächliche Hindernisse, die innerhalb der zusammenhängenden Sechsmonatsfrist auftreten und nicht in Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO geregelt sind, in die Risikosphäre des überstellenden Staates.“
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom 29. Januar 2009 (C-19/08) entschieden, dass, wenn die Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats vorsehen, dass ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, die Überstellungsfrist zur Wahrung ihrer praktischen Wirksamkeit nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann (EuGH, U.v. 29.1.2009 – C-19/08 – juris Rn. 44 ff.). Da insoweit auch diese Entscheidung in Zusammenhang mit einem mitgliedstaatlichen Rechtsbehelfsverfahren stand, kann ihr nichts für Fälle entnommen werden, in denen der Anlass für eine Unterbrechung der Überstellungsfrist allein ein tatsächlicher ist, der nicht der Gewährung effektiven Rechtsschutzes dient (OVG SH, B.v 9.7.2020 – 1 LA 120/20 – juris Rn. 37).
2. Die Frage, ob auch eine behördlich ausdrücklich nur „bis auf Weiteres“ und „unter Vorbehalt des Widerrufs“ entsprechend § 80 Abs. 4 VwGO erklärte Aussetzung den Rahmen der Vorgaben des Art. 27 Abs. 3 und 4 Dublin III-VO wahrt, oder dieser stets eine zwingend bis zum Abschluss des maßgeblichen Rechtsbehelfs angeordnete und andauernde Aussetzungswirkung hinsichtlich der Überstellungsentscheidung fordert, würde sich in einem Berufungsverfahren nach alledem nicht stellen (vgl. auch OVG SH, B.v. 9.7. 2020 – 1 LA 120/20 – juris Rn. 27 f.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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