Aktenzeichen M 9 S 17.52098
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 12 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 Unterabs. 1
Leitsatz
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der am …1960 geborene Antragsteller (Bl. 87f. d. Behördenakts – i.F.: BA -) ist Staatsangehöriger der Ukraine (Bl. 87f. d. BA). Er reiste nach eigenen Angaben am 5. Juli 2017 von Polen kommend in das Bundesgebiet ein (Bl. 60 d. BA). Er beantragte am 12. Juli 2017 förmlich beim Bundesamt Asyl (Bl. 41 d. BA). Die Behördenakte (Bl. 75 und Bl. 7 d. BA) enthält zwei vom Antragsteller jeweils nicht unterzeichnete Bescheinigungen über die Meldung als Asylsuchender (i.F.: BÜMA), die weiter auch keinen Eingangsstempel des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (i.F.: Bundesamt) tragen. Auch der Aufnahmeschein vom 5. Juli 2017 (Bl. 76 d. BA) trägt keinen Eingangsstempel.
Aufgrund eines von Polen am 26. Januar 2017 ausgestellten Visums, gültig vom 1. Februar 2017 bis zum 16. Juni 2017 (Bl. 90 d. BA), wurde am 24. Juli 2017 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (i.F.: Dublin III-VO) ein Wiederaufnahmegesuch an Polen gerichtet (Bl. 154ff. d. BA). Polen hat der Wiederaufnahme des Antragstellers am 31. Juli 2017 ausdrücklich zugestimmt (Bl. 163f. d. BA).
Mit gegen EB, unterzeichnet am 7. August 2017 (Bl. 188 d. BA) zugestelltem Bescheid vom 2. August 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziff. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2), ordnete die Abschiebung nach Polen an (Ziff. 3) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 4). Wegen des Bescheidinhalts wird auf diesen Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Der Antragsteller persönlich hat am 10. August 2017 zur Niederschrift des Urkundsbeamten Klage gegen den Bescheid erhoben. Vorliegend beantragt er, hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Polen die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
Auf den teils in kyrillischer Schrift abgefassten Vortrag wird Bezug genommen.
Das Bundesamt stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu.
1. An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Polen ist hier für die Prüfung zuständig.
Dies ergibt sich aus Art. 12 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Unterabs. 1, Art. 18 Abs. 1 lit. b, Art. 23 Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 2, Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO. Der Antragsteller reiste mit einem bis zum 16. Juni 2017 gültigen Visum nach Polen ein, das mithin zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids weniger als sechs Monate abgelaufen war. Die polnischen Behörden haben dem Wiederaufnahmegesuch, das am 24. Juli 2017 und damit rechtzeitig innerhalb der 3-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO gestellt wurde, am 31. Juli 2017 fristgerecht zugestimmt. Die in der Akte befindlichen BÜMA datieren vom 5. Juli 2017 bzw. 6. Juli 2017; unabhängig davon, dass wegen fehlender Eingangsstempel nicht nachweisbar ist, wann diese dem Bundesamt tatsächlich zugingen, so ist die 3-Monats-Frist doch selbst dann gewahrt, wenn auf das Einreisedatum (5. Juli 2017) abgestellt würde – als frühestmöglichem theoretischem Datum einer „Antragstellung“ i.S.v. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO (vgl. auch VG München, B.v. 23.8.2017 – M 9 S7 17.51363 – juris m.w.N.). Ebenso verhält es sich mit dem Aufnahmeschein (vgl. dazu, dass auch der Aufnahmeschein die Voraussetzungen gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO erfüllen kann, VG München, B.v. 25.8.2017 – M 9 S 16.51291 – unveröffentlicht).
Die Überstellung an Polen ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Polen infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCharta) entspricht. Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich, vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Betroffenen führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EU-GRCharta ausgesetzt zu werden. Eine Widerlegung der Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten anzunehmen, an die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Das Gericht geht nach den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen davon aus, dass in Polen keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im oben genannten Sinne gegeben sind. Dazu wird Bezug genommen auf die fast einhellige Rechtsprechung, die keine systemischen Mängel hinsichtlich Polens (an-)erkennt (statt aller VG Aachen, B.v. 20.11.2017 – 6 L 1662/17.A – juris m.w.N.). Das Gericht nimmt zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen hierzu im Übrigen auch auf die Gründe des angefochtenen Bescheides Bezug, § 77 Abs. 2 AsylG.
Der Antragsteller ist der von den obigen Nachweisen gestützten Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat – und damit auch in Polen – der Europäischen Union den Vorschriften der GFK, der EMRK und der EU-GRCharta entspricht, nicht entgegengetreten.
Teils war sein Vorbringen in kyrillischer Schrift abgefasst. Hierzu wurde der Antragsteller jeweils unter Verweis auf die Amts- und Gerichtssprache Deutsch, vgl. § 55 VwGO i.V.m. § 184 Satz 1 GVG, unverzüglich aufgefordert, deutsche Schriftsätze einzureichen oder Übersetzungen beizubringen. Soweit er dem nicht nachkam, war dem Vortrag nicht weiter nachzugehen (BGH, B.v. 12.11.2014 – IV ZR 161/14 – juris; BVerwG, B.v. 5.2.1990 – 9 B 506/89 – juris).
Unabhängig davon ergaben bzw. ergeben sich die zentralen Argumente des Antragstellers auch aus der Behördenakte und aus seinen Schriftsätzen, soweit diese auf Deutsch vorgelegt wurden (vgl. Übersetzung der Klageschrift vom 21. August 2017). Sein Vortrag, er wolle nicht in ein ehemaliges sozialistisches Land wie z.B. Polen, weil die Polizeimethoden dort dieselben geblieben seien wie zu Sowjetzeiten (vgl. u.a. Bl. 97 d. BA), ist nicht substantiiert und daher ungeeignet, systemische Schwachstellen des polnischen Asylverfahrens und/oder der dortigen Aufnahmebedingungen zu belegen. Mit seinem Vortrag, er werde von einer Spezialeinheit für strafrechtliche Ermittlungen in der Ukraine verfolgt, die sein Gehirn manipuliere und ihn fremdbestimme (Bl. 140ff. d. BA), kann er einer Rückführung nach Polen nicht entgegentreten. Dies umso mehr, als ihn die Wirkung dieser behaupteten Beeinflussung nach seinen eigenen Angaben auch noch in der Aufnahmeeinrichtung in Deutschland treffe (Bl. 192f. d. BA); somit verschlechtert sich seine Situation insofern nicht, wenn er nach Polen zurückkehrt. Auch mit seiner Behauptung, wegen seiner Bisexualität bzw. wegen seiner Homosexualität in der Ukraine verfolgt worden zu sein (Bl. 143 d. BA), kann er einer Rückführung nach Polen nicht entgegentreten. Auch der Umstand, dass er nach wiederholten Beschwerden und Anzeigen sowohl in der Ukraine (Bl. 143 d. BA) als auch in Polen (vgl. die Übersetzung der Klageschrift vom 21. August 2017) zeitweise in die Psychiatrie eingewiesen worden sei, begründet keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Polen.
2. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse – bezogen auf Polen -, § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG, oder inlandsbezogene Vollzugshindernisse, die jeweils im Rahmen der Abschiebungsanordnung, § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG zu prüfen sind (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris), wurden nicht belegt.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass eine vonseiten eines Facharztes diagnostizierte Krankheit keinesfalls zwingend „generell“ eine Reiseunfähigkeit oder die Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen zur Folge hat (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 8.2.2013 – 10 CE 12.2396 – juris). Krankheiten hindern nicht per se die Überstellung im Sinne einer Transportunfähigkeit, v.a. nicht ins innereuropäische Ausland – vorliegend: Italien – (kurze Reisewege, geringe Belastung), und begründen nicht etwa „regelhaft“ ein ernsthaftes Risiko dergestalt, dass sich der Gesundheitszustand des Betroffenen unmittelbar durch die Ausreise oder Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird.
Die vorgelegten Befundberichte der urologischen Gemeinschaftspraxis D., Dr. K. und Dr. S. vom 27. November 2017 und vom 10. Oktober 2017 zeigen keine Reiseunfähigkeit auf. Diagnostiziert wurde lediglich ein Prostataadenom, eine Operation sei aber nicht erforderlich.
Das dem Gericht übermittelte halbseitige Hinweisschreiben der Dipl.-Sozialpädagogin R. K. vom 25. August 2017, wonach sie den Eindruck habe [sic!], dass der Antragsteller unter einer schweren psychischen Erkrankung leide, ändert hieran nichts, da es bereits den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 und Satz 3 AufenthG nicht gerecht wird. Hiernach soll die qualifizierte ärztliche Bescheinigung insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (vgl. BayVGH, B.v. 5.7.2017 – 19 CE 17.657 – juris). Das Hinweisschreiben ist bereits keine qualifizierte ärztliche Bescheinigung in diesem Sinne. Anzeichen darauf, dass der Antragsteller nicht reisefähig sein sollte – bspw. auf eine akute Suizidalität o.Ä. -, enthält weder dieses Hinweisschreiben noch ergeben sich solche im Übrigen. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kommt, ungeachtet dessen, dass kein Krankheitsbild belegt wurde, ebenfalls nicht in Betracht. Etwaige Therapien und/oder Zugang zu Medikamenten erhält der Antragsteller auch in Polen.
Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass für das Gericht auch keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Prozess- (bzw. Geschäfts-) Fähigkeit des Antragstellers bestehen. Krankhafte Störungen der Geistestätigkeit, § 104 Nr. 2 BGB, sind nach allgemeiner Lebenserfahrung Ausnahmeerscheinungen, eine besondere gerichtliche Prüfungspflicht besteht daher insoweit nur, wenn es konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Prozessfähigkeit eines Beteiligten gibt (statt aller Schoch u.a., VwGO, Stand: 33. EL Juni 2017, § 62 Rn. 18). Solche Anhaltspunkte haben sich nicht ergeben. Dies umso mehr, als der Antragsteller seine rechtlichen Interessen stets zeitnah und zielgerichtet gewahrt hat, bspw. durch umgehende persönliche Antragstellung bei Gericht.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.