Europarecht

Keine systematischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Finnland

Aktenzeichen  AN 14 K 17.50004

Datum:
10.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 29 Abs. 1, § 34a Abs. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

Einer Rückführung eines Asylbewerbers nach Finnland stehen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig und die Anordnung seiner Überstellung nach Finnland im Rahmen des so genannten „Dublin-Verfahrens“.
Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 5. September 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 9. September 2016 stellte er dort einen Asylantrag.
Eine EURODAC-Recherche des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) hat ergeben, dass der Kläger bereits am 20. September 2015 in Finnland einen Asylantrag gestellt hat. Daraufhin wurde am 19. Oktober 2016 ein Übernahmeersuchen nach der der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) an Finnland gerichtet. Die finnischen Behörden haben mit Schreiben vom 20. Oktober 2016 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages erklärt und mitgeteilt, dass der Asylantrag des Klägers dort am 12. August 2016 abgelehnt wurde.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 16. Dezember 2016 wurde der Antrag des Klägers als unzulässig abgelehnt (Nummer 1 des Bescheides) und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen. Unter Nummer 3 des Bescheides wurde die Abschiebung nach Finnland angeordnet. Unter Nummer 4 des Bescheides wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Der Kläger hat mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 3. Januar 2017 Klage erhoben.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 2016 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
Zur Begründung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf ihre Ausführungen in dem Bescheid vom 16. Dezember 2016.
Der Klägerbevollmächtigte teilte mit Schreiben vom 17. Februar 2017 mit, dass seitens des Klägers Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung besteht.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht entscheidet durch die Einzelrichterin, der das Verfahren durch Beschluss der Kammer vom 26. Januar 2017 übertragen worden ist (§ 76 Abs. 1 AsylG).
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Der Verzicht des Bundesamtes ergibt sich aus den allgemeinen Prozesserklärungen des Bundesamtes vom 25. Februar 2016 und 24. März 2016.
1. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Klage ist zulässig. Sie wurde insbesondere fristgerecht erhoben, da die Klagefrist von einer Woche gemäß § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gewahrt wurde.
Die Klage ist aber unbegründet, weil der Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Grundlage für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens ist das Asylgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das am 6. August 2016 in Kraft getretene Integrationsgesetz (IntG) vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939).
Im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) sind die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig (Nummer 1 des streitgegenständlichen Bescheides) und die unter Nummer 3 angeordnete Abschiebung nach Finnland rechtlich nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für die Befristungsentscheidung unter Nummer 4 des Bescheides.
1.1. Die Beklagte hat den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1a) i.V.m. § 31 Abs. 6 AsylG).
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat a) nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) – Dublin III-VO – oder b) aufgrund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 31 Abs. 6 AsylG ist in solchen Fällen der Asylantrag als unzulässig abzulehnen.
Der Asylantrag des Klägers ist nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG unzulässig, weil nach zutreffender Auffassung der Beklagten im vorliegenden Fall Finnland für die Behandlung des Asylgesuchs des Klägers zuständig ist (Art. 3 Abs. 1 Satz 2, Art. 7 Abs. 2 und Art. 18 Abs. 1 d) Dublin-III-VO).
Nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Abl. L 180 v. 19. Juni 2013, S.31 – „Dublin III- VO“) wird der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass Finnland der zuständige Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers ist. Da eine EURODAC-Abfrage hat ergeben hat, dass der Kläger bereits am 20. September 2015 in Finnland einen Asylantrag gestellt hat, der vor Stellung des Asylantrages in Deutschland abgelehnt wurde, ist Finnland für die Prüfung seines Asylantrags zuständig (vgl. Art. 18 Abs. 1 d) Dublin III-VO). Die finnischen Behörden haben deshalb auch mit Schreiben vom 20. Oktober 2016 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages des Klägers erklärt, was die Verpflichtung Finnlands nach sich zieht, den Kläger aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft zu treffen.
Die Zuständigkeit Finnlands ist nicht auf die Beklagte übergegangen. Ein Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte ergibt sich insbesondere nicht wegen Ablaufs der sechsmonatigen Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO.
Besondere Umstände, die nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO zu einer Zuständigkeit der Beklagten führen würden, sind seitens des Klägers weder konkret vorgetragen noch ersichtlich. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für den Kläger führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 Grundrechtscharta bwz. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 a.a.O.). Der Asylbewerber kann der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat mithin nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, U.v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). So bestimmt Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird. An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Art. 3 EMRK der zuständigen Mitgliedstaaten genügen hierfür nicht. Von systemischen Mängeln ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 -, juris; B.v. 6.6.2014, 10 B 25/14, juris).
Ausgehend davon bestehen nach dem dem Gericht vorliegenden Erkenntnismaterial im gegenwärtigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger im Falle seiner Rücküberstellung nach Finnland auf Grund dort vorhandener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber eine menschenunwürdige oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (GRCh) bzw. Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EMRK) drohen würde. Der Kläger hat keinerlei Argumente dafür vorgetragen, die auf systemische Mängel bzw. Schwachstellen im Asylverfahren in Finnland schließen lassen, von denen er individuell betroffen sein könnte. Solche sind dem Gericht auch nicht bekannt (vgl. auch VG Sigmaringen, B.v. 5.1.2017 – A 4 K 6158/16 -, juris mit Verweis auf das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht, U.v. 7.1.2013 – E-6715/2012; zu den tatsächlichen Gegebenheiten in Finnland vgl. Amnesty International, Amnesty Report Finland 2015/2016, abrufbar unter https: …www.a…org/…).
Ergänzend wird hierzu auf die ausführliche Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 16. Dezember 2016 Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Anhaltspunkte für das Vorliegen außergewöhnlicher humanitärer Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, sind nicht ersichtlich und wurden seitens des Klägers auch nicht vorgetragen.
1.2 Auch die Anordnung der Abschiebung nach Finnland (Nummer 3 des streitgegenständlichen Bescheides) begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 AsylG.
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG ordnet das Bundesamt in den Fällen, in denen der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in den zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Finnland ist – wie bereits ausgeführt – für die Prüfung des Asylantrages des Klägers zuständig.
Die Abschiebung kann auch durchgeführt werden. Die finnischen Behörden haben mit ihrem Schreiben vom 20. Oktober 2016 signalisiert, dass sie bereit sind, den Kläger aufzunehmen und entsprechende Vorkehrungen für dessen Versorgung zu treffen. Abschiebungshindernisse, die einer Abschiebung des Klägers nach Finnland entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich und wurden seitens des Klägers auch nicht vorgetragen. Dies gilt zum einen hinsichtlich zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse im Sinne von § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), deren Nichtvorliegen die Beklagte in Nummer 2 des angefochtenen Bescheides in nicht zu beanstandender Weise gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG festgestellt hat. Auch inlandsbezogene Abschiebehindernisse im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, die die Beklagte bei Abschiebungsanordnungen nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls zu prüfen hat (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810, 10 C 15.813 -, juris Rn. 4), sind nicht ersichtlich.
1.3 Die erfolgte Befristung des Einreiseverbots auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nummer 4 des Bescheides) begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Rechtsgrundlage hierfür ist § 11 Abs. 1 und 2 AufenthG. Anhaltspunkte dafür, dass die im vorliegenden Fall festgesetzte Frist von sechs Monaten gegen die gesetzlichen Vorgaben verstößt, bestehen nicht. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Befristungsentscheidung im vorliegenden Fall unzutreffende Erwägungen zu Grunde gelegt oder Belange des Klägers nicht ausreichend berücksichtigt wurden.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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