Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Italien

Aktenzeichen  M 1 S 16.50025

Datum:
1.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 13, Art. 17, Art. 18, Art. 25
GRCh GRCh Art. 4

 

Leitsatz

In Italien läuft ein Asylbewerber keine Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, sodass keine systemischen Mängel im italienischen Asylverfahren oder den dortigen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestehen (ebenso VGH München BeckRS 2014, 52068).    (redaktioneller Leitsatz)

Gründe

Aktenzeichen: M 1 S 16.50025
Gericht: VG München
Beschluss
1. März 2016
1. Kammer
Sachgebiets-Nr. 830
Hauptpunkte: Dublin III-VO; Abschiebung nach Italien; Systemische Mängel des Asylverfahrens (verneint)
Rechtsquellen:
In der Verwaltungsstreitsache

– Antragsteller –
bevollmächtigt: Rechtsanwälte …
gegen

vertreten durch: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Außenstelle M., B-Str. …, M.
– Antragsgegnerin –
beteiligt: Regierung von …, Vertreter des öffentlichen Interesses, B1-str. …, M.
wegen Vollzugs des Asylgesetzes (AsylG)
hier: Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO
erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht München, 1. Kammer, durch den Richter am Verwaltungsgericht … … als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung am 1. März 2016 folgenden
Beschluss:
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
I.
Der 1980 geborenen Antragsteller ist nach seinen eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger und reiste ebenfalls nach seinen eigenen Angaben am 16. Juni 2015 in das Bundesgebiet ein. Er beantragte hier am 1. September 2015 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
Im Rahmen eines persönlichen Gesprächs mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 1. September 2015 gab er an, er sei über Italien nach Deutschland eingereist. In Italien habe er sich einen Monat aufgehalten. Laut einer EURODAC-Treffermeldung hat der Antragsteller in Italien einen Asylantrag gestellt. Ein Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts nach der Verordnung (EU) Nr. …/… des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) an die zuständige italienische Stelle vom 30. Oktober 2015 ist unbeantwortet geblieben.
Mit Bescheid vom 30. Dezember 2015, wurde der Asylantrag des Antragstellers für unzulässig erklärt (Nr. 1), die Abschiebung nach Italien angeordnet (Nr. 2) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 3). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylG unzulässig, da Italien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 25 Abs. 2 i. V. m. Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Die Befristung des Einreiseverbots sei nach § 75 Nr. 12 i. V. m. § 11 Abs. 2 AufenthG erfolgt.
Am …. Januar 2016 erhob der Antragsteller Klage mit dem Antrag auf Bescheidsaufhebung (M 1 K 15.50024). Außerdem beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung trägt der Antragsteller vor, er habe in Italien eine unmittelbare und ernsthafte Verletzung von Grundrechten der Europäischen Union aufgrund von unmenschlicher und erniedrigender Behandlung zu erwarten. Dort drohe ihm Obdachlosigkeit und Verelendung, die europäischen Aufnahmerichtlinien und einschlägigen Standards würden dort nicht beachtet. Das italienische Asylsystem sei völlig überlastet und weise systemische Mängel auf, weshalb Italien für die Behandlung seines Asylantrags unzuständig sei. Eine Zurückschiebung dorthin ohne vorherige individueller Zusicherung einer Unterbringung sei unzulässig. Italien könne nicht als sicherer Drittstaat angesehen werden. Der Antragsteller legte Zustellungskuvert vor, auf dem als Zustellungstermin „13.1.“ vermerkt ist.
Das Bundesamt legte die Behördenakte vor, stellt aber keinen Antrag. Es legte eine Postzustellungsurkunde vor, in der als Zustellungstermin „12.01.16“ eingetragen ist.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg. Hierbei geht das Gericht zugunsten des Antragstellers davon aus, dass ihm entsprechend dem von ihm vorgelegten Zustellungskuvert der Bescheid der Antragstellerin nicht bereits am 12. Januar 2016, sondern erst am 13. Januar 2016 zugestellt wurde.
An der Rechtmäßigkeit der auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (vgl. § 27a AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Vorliegend ist davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien einen Asylantrag gestellt hat und dieser Mitgliedstaat damit gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständig ist. Auch ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO von der Stattgabe Italiens hinsichtlich des Wiederaufnahmegesuchs auszugehen, da hierauf innerhalb der maßgeblichen Zweiwochenfrist keine Reaktion erfolgte.
Gründe, gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO von einer Überstellung nach Italien abzusehen, sind nicht ersichtlich.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris m. w. N.). Dabei begründet auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, noch keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbares landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW, U. v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris). Der abweichenden Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte folgt das entscheidende Gericht nicht (ebenso VG Ansbach, U. v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316; VG Gelsenkirchen, B. v. 16.11.2015 – 7a L 2055/15.A; VG München, U. v. 3.11.2015 – M 12 K 15.50799).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Verfahren Tarakhel ./. Schweiz, in dem am 4. November 2014 ein Urteil des EGMR ergangen ist (Az. 29217/12). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien, wohingegen der Antragsteller eine volljährige Einzelperson ohne körperliche oder geistige Einschränkungen ist.
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts notwendig machen, sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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