Aktenzeichen M 25 S 16.51214
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1, Art. 21 Abs. 2, Art. 22 Abs. 1
Leitsatz
1 Unter den Mitgliedsstaaten gilt grundsätzlich das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens, dass die Behandlung eines jeden Asylsuchenden in jedem Mitgliedsstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie der GFK und der EMRK steht. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die für die Abschiebung zuständige Behörde hat zur Gewährleistung des Kindeswohls und der Einheit der Familie angemessen zu berücksichtigen, ob aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren Drittstaat bestehen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3 Systemische Mängel des Asyl- und Aufnahmeverfahrens in Kroatien sind nicht ersichtlich. Ein gesunder junger Mann gehört nicht zum besonders vulnerablen und schützenswerten Personenkreis. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung der Abschiebung in die Republik Kroatien (im Folgenden: Kroatien) im Rahmen eines sogenannten Dublin-III-Verfahrens.
Der Antragsteller, ein afghanischer Staatsbürger, reiste nach eigenen Angaben am 11. Dezember 2015 in das Bundesgebiet ein (Behördenakte, Bl. 70).
Er stellte am 28. Juni 2016 einen Asylantrag (Behördenakte, Bl. 3 und Bl. 70).
Ermittlungen ergaben daraufhin – neben einem Eurodac-Treffer für die hellenische Republik (Behördenakte, Bl. 31) – einen Eurodac-Treffer der Kategorie 2 für Kroatien (Behördenakte, Bl. 32).
Am 26. August 2016 richtete die Antragsgegnerin ein Aufnahmegesuch an die kroatischen Behörden unter Berufung auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl EU Nr. L 180 S. 31; Dublin-III-Verordnung) (Behördenakte, Bl. 54).
Am 25. Oktober 2016 antworteten die kroatischen Behörden auf das Aufnahmegesuch und stimmten ihm zu (Behördenakte, Bl. 59).
Mit angegriffenem Bescheid vom 16. November 2016 ordnete die Antragsgegnerin Folgendes an (Behördenakte, 70 ff.):
„1. Der Antrag wird als unzulässig abgelehnt.
2. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes liegen nicht vor.
3. Die Abschiebung nach Kroatien wird angeordnet.
4. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wird auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.“
Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, dass der Asylantrag gemäß § 29 AsylG unzulässig sei, da Kroatien auf Grund der dort abgegebenen Fingerabdrücke für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Die weitere Unzulässigkeit des Asylantrags könne auch auf dem erfolglosen Abschluss des früheren Asylverfahrens beruhen, wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorlägen. Der Asylantrag werde in der Bundesrepublik Deutschland daher nicht materiell geprüft. Die Anordnung der Abschiebung nach Kroatien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Es lägen keine Abschiebungshindernisse oder Gründe für ein etwaiges Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik Deutschland und auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor (wird ausgeführt: Behördenakte, Bl. 71 ff.). Das Begleitschreiben des Bescheides datiert vom 1. Dezember 2016 (Behördenakte, Bl. 81).
Am 9. Dezember 2016 beantragte der Antragsteller persönlich:
„1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. November 2016, Az.: …, wird aufgehoben.
2. Hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Kroatien wird die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet.“
Eine Begründung werde nachgereicht (Gerichtsakte, Bl. 2).
Am 12. Dezember 2016 trafen die Akten der Antragsgegnerin ein.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessensabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Es bestehen keine erheblichen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.
1. Die Antragsgegnerin hat nach den vorliegenden Unterlagen die Abschiebung nach Kroatien zutreffend nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG in Verbindung mit § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG angeordnet.
a) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG verweist auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG und verpflichtet das Bundesamt, in einem solchen Fall die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat anzuordnen, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Für die Prüfung des in Deutschland gestellten Asylantrags ist Kroatien gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung zuständig. Die Antragsgegnerin hat Kroatien, gestützt auf Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung, innerhalb der Frist von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung gemäß Art. 21 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung um Aufnahme ersucht. Kroatien hat innerhalb der zweimonatigen Frist gemäß Art. 22 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung auf das Aufnahmegesuch geantwortet und ihm zugestimmt.
Die Antragsgegnerin ist damit grundsätzlich nicht verpflichtet, trotz der Zuständigkeit Kroatiens den Asylantrag des Antragstellers selbst inhaltlich zu prüfen.
b) Grundsätzlich gilt die auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründende Vermutung, dass die Behandlung der Asylsuchenden in jedem Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK in Einklang steht.
Nur wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU– Grundrechte-Charta mit sich bringen, setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-Verordnung die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bedarf es ernsthafter und durch Tatsachen bestätigter Gründe für die Annahme, dass der betreffende Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechte-Charta ausgesetzt zu werden (vgl. zu der Vorgängerverordnung: EuGH, U.v. 4.11.2013 – C-4/11 – Puid, juris, Rn. 36). Entscheidend ist insofern nicht, ob einzelne Verstöße gegen einzelne Bestimmungen in einem Mitgliedsstaat auftreten (vgl. ebenfalls zu der Vorgängerverordnung: EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – N.S., juris Rn. 85).
In Konkretisierung dieser Vorgaben bedeutet dies, dass sich der Tatrichter zur Widerlegung der Vermutung die Überzeugungsgewissheit zu verschaffen hat, dass der Asylsuchende wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird. Maßgeblich ist, ob diese Behandlungen im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris, Rn. 9).
bb) Verfassungsrechtlich hat die für die Abschiebung zuständige Behörde angemessen zu berücksichtigen, dass aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren Drittstaat bestehen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris, Rn. 15). Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage hat das zuständige Bundesamt angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen nach dem Dublin-III-System vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der uneingeschränkten Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit neugeborenen (vgl. Art. 16 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung) und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris, Rn. 15).
cc) Wendet man diese Maßstäbe auf den vorliegenden Fall an, so steht der Überstellung des Antragstellers nach Kroatien nicht das Hindernis systemischer Mängel entgegen. Die erforderliche Überzeugungsgewissheit liegt nicht vor.
Der Antragsteller hat in diesem Zusammenhang nichts vorgebracht. Systemische Mängel sind derzeit auch nicht anderweitig ersichtlich. Kroatien ist bislang im Dublin-III-Verfahren nicht auffällig in Erscheinung getreten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Antragsteller um einen gesunden jungen Mann handelt, der nicht zu einem besonders vulnerablen und damit besonders schützenswerten Personenkreis gehört.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
3. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.