Aktenzeichen M 26 S 16.50916
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1, Art. 25 Abs. 2 S. 1, Art. 18 Abs. 1 lit. b
Leitsatz
Es ist nicht davon auszugehen, dass das Asyl- und Aufnahmesystem in Österreich systemische Mängel aufweist. Hierzu liegen keinerlei Erkenntnisse vor. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die ihm drohende Überstellung nach Österreich im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller ist laut eigener Auskunft eritreischer Staatsangehöriger. Bei seiner Erstbefragung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) der Antragsgegnerin am … Mai 2016 gab er an, im Januar 2016 über Österreich in das Bundesgebiet eingereist zu sein und stellte einen Asylerstantrag. Eine durch das Bundesamt am selben Tag durchgeführte Eurodac-Abfrage ergab, dass der Antragsteller bereits am … August 2014 in Österreich einen Asylantrag gestellt hat (Eurodac-Nr. …). Ein vom Bundesamt am … Juli 2016 an Österreich gerichtetes Ersuchen um Übernahme des Asylverfahrens des Antragstellers blieb bisher unbeantwortet. Im Rahmen seiner Zweitbefragung am … September 2016 gab der Antragsteller an, nicht zurück nach Österreich zu wollen. Er leide an Depressionen, sei aber deswegen weder in Österreich, noch in Deutschland beim Arzt gewesen. Er habe in Österreich im dortigen „Camp“ einen Anruf erhalten, dass seine Mutter verstorben sei. Während des Telefonats sei der Leiter des Camps ständig um ihn herumgelaufen und habe die Geschwister des Antragstellers, die sich in Eritrea befanden, mit einem Elektrokabel gefesselt (Anm.: So in der Niederschrift zur Zweitbefragung festgehalten). Die Geschwister hätten sich darüber am Telefon beschwert; der Antragsteller habe während des gesamten Telefonats weinen müssen. Zudem habe er in Österreich während seines Aufenthalts von rund zweieinhalb Jahren keinen „Interview-Termin“ bei einer Asylbehörde gehabt. Als er das Camp verlassen habe, beispielsweise um Besorgungen im Supermarkt zu erledigen, sei er immer wieder „eingefangen worden“, weil ein Somali gute Beziehungen zum Camp-Leiter gehabt hätte.
Mit Bescheid vom 18. Oktober 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheides), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – nicht vorliegen würden (Nr. 2), ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Österreich an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG auf a… Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – Dublin III-VO – Österreich für die Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei. Folglich sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Asylgesetz – AsylG – der gestellte Asylantrag unzulässig und werde nicht materiell geprüft. Abschiebungsverbote würden nicht greifen. Weder liege ein Verbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundrechte – EMRK – vor, noch sei gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG eine individuelle, erhebliche und konkrete Gefahr für Leib, Leben und Freiheit durch die Abschiebung gegeben. Der Vortrag des Antragstellers im Rahmen seiner Zweitbefragung sei unglaubhaft und reiche hierfür nicht aus. Außergewöhnliche humanitäre Gründe für die Antragsgegnerin, von ihrem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich. Die Anordnung der Abschiebung basiere auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf § 75 Nr. 12, § 11 Abs. 2 AufenthG, wobei letztere mangels schutzwürdiger Belange gemäß § 11 Abs. 4 AufenthG nicht kürzer auszugestalten gewesen sei.
Am … Oktober 2016 erhob der Antragsteller Anfechtungsklage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. Oktober 2016, über die noch nicht entschieden wurde.
Gleichzeitig beantragte er sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des angegriffenen Bescheides gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Als Anlage zu Klage und Eilantrag legte er eine Stellungnahme des Caritas-Zentrums A… vor, in der eine Diplom-Psychologin schildert, dass der Antragsteller ihr gegenüber von Kopfschmerzen, Ein- und Durchschlafproblemen sowie „massiv angstmachenden Eindrücken“ berichte. Diese stünden in Zusammenhang mit Verschwörungen aus seiner Heimat; auch bzgl. „seines Interviews“ habe er entsprechende Vermutungen. Der Brief (gemeint ist wohl der verfahrensgegenständliche Bescheid), dass er Deutschland innerhalb kürzester Zeit zu verlassen habe, irritiere den Antragsteller hochgradig; seine Belastbarkeit und Toleranzgrenze seien spürbar herabgesetzt. Eine weitere Behandlung solle zeitnah erfolgen.
Mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2016 übermittelte das Bundesamt für die Antragsgegnerin die Behördenakte, stellte aber keinen Sachantrag.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Hauptsacheverfahren (M 26 K 16.50915) sowie auf die vorgelegte Behördenakte ergänzend Bezug genommen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 und § 75 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – zulässige Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, über den nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG vorliegend vom Einzelrichter entschieden wird, bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Im Rahmen eines Antrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, indem es eine eigene Ermessensentscheidung trifft. Es hat dabei abzuwägen zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Die am … Oktober 2016 erhobene (Hauptsache-)Klage des Antragstellers wird bei summarischer Prüfung aller Voraussicht nach erfolglos bleiben. Denn der Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. Oktober 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Damit überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das persönliche Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage.
1.1 Der Asylantrag des Antragsstellers ist nach § 29 Abs. 1 Nr. lit. a AsylG unzulässig, weil Österreich gemäß Art. 3 Abs. 1, 7ff., 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Laut eigenen Angaben und auch gemäß der EURODAC-Datenbank hat der Antragsteller im August 2014 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die Zuständigkeit Östrreich ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erloschen, da zum Zeitpunkt der erstmaligen Asylantragstellung in Österreich der illegale Grenzübertritt laut Antragsteller noch nicht länger als 12 Monate zurücklag (vgl. dazu weitergehend VG München, B. v. 5.7.2016 – M 1 S 16.50364 – juris Rn. 11).
Besondere Umstände, welche die ausnahmsweise Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO begründen oder nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO rechtfertigen bzw. bedingen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere kann der Antragsteller seiner Überstellung nach Österreich nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Österreich systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – GRCh – mit sich bringen, so dass eine Überstellung nach Österreich unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 Dublin III-VO).
Nach dem Konzept der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 u. a. – juris) und dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union in Einklang mit den Erfordernissen der GRCh, der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Den nationalen Gerichten obliegt im Einzelfall die Prüfung, ob ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesem Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber implizieren (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 a. a. O. Rn. 86). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVwerG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 5 f. m. w. N.). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegensprechenden Tatsachen zukommen, d. h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U. v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass das Asyl- und Aufnahmesystem in Österreich systemische Mängel aufweist. Dem Gericht liegen keinerlei Erkenntnisse vor, etwa aus Medien, öffentlich zugänglichen Quellen, Berichten des Auswärtigen Amtes oder internationalen Organisationen wie dem UNHCR oder Amnesty International, die Anhaltspunkte für systemische Mängel in Österreich bieten würden. Auch der Antragsteller trägt hierzu nichts vor, sondern schildert – wenig glaubhaft (s.u.) – einen Einzelfall, in welchem er seiner Ansicht nach schlecht behandelt wurde.
1.2 Die Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG liegen vor, so dass das Bundesamt gegenüber dem Antragsteller zu recht eine Abschiebungsanordnung nach Österreich erlassen hat. Denn nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an (vgl. 1.1), sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Österreich hat das auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO gestützten Ersuchen der Antragsgegnerin vom … Juli 2016, den Antragsteller wieder aufzunehmen, bislang nicht beantwortet. Sonach ist gemäß Art. 25 Abs. 2 der Dublin III-VO davon auszugehen, dass von österreichischer Seite dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen.
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, sind ebenso wenig ersichtlich wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG (vgl. jeweils 1.1). Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Diese Vermutung hat insbesondere die Stellungnahme der Caritas vom … Oktober 2016 nicht widerlegt. Denn es handelt sich nicht um eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung laut § 60 Abs. 2c Satz 2 AufenthG. Sie wurde weder durch einen Arzt erstellt, noch erfüllt sich die Kriterien des § 60 Abs. 2c Satz 3 AufenthG. Davon abgesehen ist in der Stellungnahme auch nichts vorgetragen, was zu einem Abschiebungshindernis führen könnte – weder zielstaatbezogen (Österreich hat ein funktionierendes Gesundheitssystem, das etwaige Krankheiten des Antragstellers behandeln könnte), noch im Sinne einer Reiseunfähigkeit.
1.3 Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot ist ermessensgerecht und entspricht den Vorgaben des § 11 AufenthG.
2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
…