Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Slowenien

Aktenzeichen  Au 6 K 18.50565

Datum:
20.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16990
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 31 Abs. 1, § 34a, § 74 Abs. 1
Dublin III-VO Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1b, Art. 23 Abs. 2, Abs. 3, Art. 25 Abs. 1 S. 2, Art. 29 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
VwGO § 42 Abs. 1, § 57 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Das Verfahren nach der Dublin III-VO sieht ein von der materiellen Prüfung des Asylantrags gesondertes behördliches Verfahren für die Bestimmung des zuständigen Staates vor, das einer auf Anerkennung als Asylberechtigter bzw. Zuerkennung internationalen Schutzes gerichteten Verpflichtungsklage entgegensteht. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Überstellungsfrist von sechs Monaten beginnt ab Bestandskraft des Beschlusses über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage neu zu laufen, da in diesem Verfahren eine Überprüfung der Überstellungsentscheidung mit aufschiebender Wirkung erfolgte. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3 Slowenien verfügt über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, das prinzipiell funktionsfähig ist und sicherstellt, dass rücküberstellte Asylbewerber nicht mit schwerwiegenden Verstößen oder Rechtsbeeinträchtigungen rechnen müssen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
4 Das türkische Recht kennt wie das deutsche Recht ausschließlich die Zivilehe, eine religiöse Heirat ohne Mitwirkung des Staates ist nach türkischem Recht nicht möglich und wird in der Bundesrepublik nicht anerkannt; nur rechtsgültig geschlossene Ehen stehen unter dem Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg. Die Klage ist bereits unzulässig und im Übrigen auch unbegründet. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
I.
Die Klage ist bereits unzulässig, da die Klagefrist nicht gewahrt wurde.
Aus § 74 Abs. 1 Halbs. 2, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG ergibt sich, dass die Klage gegen einen Bescheid, in dem – wie hier – eine auf § 34a Abs. 1 Satz 1, § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gestützte Abschiebungsanordnung enthalten ist, innerhalb einer Woche nach der Zustellung des Bescheids zu erheben ist. Diese Frist hat der Kläger nicht gewahrt.
Dem einer Erstaufnahmeeinrichtung zugewiesenen Kläger ist der streitgegenständliche Bescheid vom 20. April 2018 nebst ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung:, die auf die Wochenfrist und den maßgeblichen Eingang beim Verwaltungsgericht hinwies, am 27. April 2018 ausgehändigt worden (Bl. 167 f. der Behördenakte). Damit ist die Zustellung bewirkt (§ 10 Abs. 4 Satz 4 AsylG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 3 und Satz 6 AsylG). Mit der Zustellung an den Kläger selbst genügt die Beklagte dabei der gesetzlichen Bestimmung in § 31 Abs. 1 Satz 5 AsylG, wonach im Falle einer – wie hier vorliegenden – Asylantragsablehnung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsanordnung dem Ausländer selbst zuzustellen ist. Da der Kläger schon im behördlichen Verfahren einen Bevollmächtigten bestellt hatte, waren eine Übersetzung der Entscheidungsformel und eine Rechtsbehelfsbelehrung:in türkischer Sprache nicht erforderlich (§ 31 Abs. 1 Satz 4 AsylG). Dem Bevollmächtigten „soll“ jedoch ein Abdruck der Entscheidung zugeleitet werden, was vorliegend mit Schreiben vom 23. April 2018 (BAMF-Akte Bl. 148) geschehen ist. Fristauslösend wirkt – aufgrund der § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG verdrängenden sondergesetzlichen Bestimmungen in § 31 Abs. 1 Satz 3, Satz 5 und Satz 7 AsylG – indes allein die Zustellung an den Kläger.
Die Wochenfrist des § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG begann damit am 27. April 2018 (BAMF-Akte Bl. 167 f.) und endete nach § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB am 4. Mai 2018. Die Klageerhebung am 10. Mai 2018 erfolgte damit nicht mehr fristgerecht.
Der anwaltlich vertretene Kläger hat auch weder eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO beantragt noch sind Gründe für eine Wiedereinsetzung vorgetragen oder ersichtlich. Ein etwaiges Verschulden seines Bevollmächtigten muss sich der Kläger zurechnen lassen (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
II.
Die Klage ist darüber hinaus auch insoweit unzulässig, soweit der Kläger im Rahmen eines Verpflichtungsantrags die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung internationalen Schutzes begehrt.
Das Verfahren nach der Dublin III-VO sieht ein von der materiellen Prüfung eines Asylantrags gesondertes behördliches Verfahren für die Bestimmung des hierfür zuständigen Staats vor, das einer auf die Anerkennung als Asylberechtigter, hilfsweise auf die Zuerkennung des internationalen Schutzes gerichteten Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO entgegensteht. Die Trennung der Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung und zur materiellen Prüfung des Asylbegehrens darf nicht dadurch umgangen werden, dass das Verwaltungsgericht im Fall der Aufhebung der Zuständigkeitsentscheidung sogleich über die Begründetheit des Asylantrags entscheidet. In diesem Fall besteht für das Bundesamt die Möglichkeit, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, um die Aufnahme oder Wiederaufnahme des Klägers zu ersuchen (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – juris Rn. 14). Ein „Durchentscheiden“ durch das Gericht kommt daher nicht in Betracht. Ausgehend davon kommt auch ein eingeschränkter, auf die Durchführung eines (gegebenenfalls weiteren) Asylverfahrens gerichteter Verpflichtungsantrag nicht in Betracht, weil das Bundesamt hierzu nach Aufhebung der Entscheidung über die Unzulässigkeit automatisch verpflichtet ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 19).
III.
Der wegen Ablaufs der Klagefrist unzulässige Antrag auf Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung, auf Feststellung von Abschiebungsverboten, Aufhebung der Abschiebungsanordnung und auf Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 88 VwGO) ist darüber hinaus auch unbegründet.
1. Der in der Bundesrepublik gestellte Asylantrag des Klägers ist unzulässig, weil die Republik Slowenien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist damit rechtmäßig.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. Nr. L 180 S. 31 – Dublin III-VO).
a) Vorliegend ist davon auszugehen, dass Slowenien im auch für die Anwendung der Dublin III-VO maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG, vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2016 – 1 C 24.15 – juris Rn. 8) nach Art. 18 Buchst. b Dublin III-VO für die Behandlung des Asylgesuchs des Klägers zuständig ist.
Der Kläger hat ausweislich des Eurodac-Treffers der Kategorie 1 in Bezug auf Slowenien und seines eigenen Vortrags am 21. November 2017 einen Asylantrag in Slowenien gestellt. Slowenien ist damit für den Asylantrag des Klägers nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO verpflichtet, den Kläger wieder aufzunehmen.
b) Da das Wiederaufnahmegesuch vom 6. April 2018 innerhalb von zwei Monaten seit dem Eurodac-Treffer der Kategorie 1 vom 9. März 2018 gestellt wurde, ist auch die Frist des Art. 23 Abs. 2 Uabs. 1 Dublin III-VO gewahrt und kein Zuständigkeitswechsel nach Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO eingetreten. Dementsprechend hat Slowenien mit Schreiben vom 19. April 2018 und damit innerhalb von zwei Wochen seine Zustimmung zur Aufnahme des Klägers erklärt (Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO).
c) Auch ist die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin III-VO noch nicht abgelaufen, worauf sich der Kläger berufen könnte (vgl. EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16 – DVBl 2017, 1486/1487 f. Rn. 30, 40, 44 ff.). Vielmehr läuft die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO von sechs Monaten seit ausdrücklicher Annahme des Überstellungsgesuchs durch Slowenien am 19. April 2018 ab Bestandskraft des Beschlusses vom 25. Mai 2018 über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage neu für sechs Monate an, da in diesem Verfahren eine Überprüfung der Überstellungsentscheidung mit aufschiebender Wirkung nach Art. 27 Abs. 3 Buchst. a und b Dublin III-VO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG erfolgte, in deren Anschluss die Überstellungsfrist neu zu laufen beginnt (vgl. EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16 – DVBl 2017, 1486 Rn. 27).
d) Gründe, von einer Überstellung nach Slowenien nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO abzusehen, sind nicht ersichtlich.
Diese Vorschrift setzt voraus, dass es sich als unmöglich erweist, einen Kläger an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Kläger in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GrCH mit sich bringen. In diesem Fall setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der Zuständigkeitskriterien nach Kapitel III der Dublin III-VO fort, um ggf. die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festzustellen. Kann keine Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festgestellt werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
Dieser Regelung liegt das Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris) zugrunde. Danach gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der EU-Grundrechtecharta entspricht. Allerdings ist diese Vermutung widerleglich. Den nationalen Gerichten obliegt die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Kläger führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GrCH ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist jedoch nicht bereits bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen in dem jeweils zuständigen Mitgliedstaat widerlegt. An die Feststellung systemischer Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von derartigen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im betreffenden Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 9).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung ist nach Überzeugung des Gerichts nicht davon auszugehen, dass der Kläger in Slowenien aufgrund systemischer Schwachstellen des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. VG Frankfurt, B.v. 23.4.2018 – 6 L 1029/18.F.A – juris Rn. 8 ff.; VG Karlsruhe, B.v. 12.4.2018 – A 1 K 2045/18 – juris Rn. 5; VG München, B.v. 16.10.2017 – M 3 K 17.52638 – juris Rn. 23 ff.; VG Bayreuth, B.v. 15.03.2017 – B 3 S 17.50104 – juris Rn. 32; VG Magdeburg, B.v.19.02.2015 – 9 B 67/15 – juris Rn. 20 ff. m.w.N.; VG Regensburg, B.v. 15.01.2015 – RO 4 K 14.50301 – juris Rn 27 ff.). Auf die angeführten Entscheidungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen; Gegenteiliges hat auch der Kläger nicht substantiiert vorgebracht.
(1) Systemische Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Slowenien, die einer Abschiebung des Klägers entgegenstehen würden, wurden weder glaubhaft vorgetragen noch sind diese ersichtlich. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Slowenien über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches prinzipiell funktionsfähig ist und insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Auch liegen dem Gericht keine Kenntnisse darüber vor, dass namhafte sachverständige Institutionen, Nicht-Regierungsorganisationen oder insbesondere der UNHCR eine Empfehlung dahingehend ausgesprochen hätten, Asylbewerber nicht nach Slowenien zu überstellen.
Slowenien ist außerdem als Mitgliedstaat der Europäischen Union ein sicherer Drittstaat im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a AsylG. Hinderungsgründe für eine Abschiebung in einen derartigen sicheren Drittstaat ergeben sich nur ausnahmsweise dann, wenn der Asylsuchende individuelle konkrete Gefährdungstatbestände geltend macht, die ihren Eigenarten nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts der normativen Vergewisserung von Verfassungs- und Gesetzes wegen berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich herausgesetzt sind. Dies ist – bezogen auf die Verhältnisse im Abschiebezielstaat – etwa dann der Fall, wenn sich die für die Qualifizierung des Drittstaats als sicher maßgebenden Verhältnisse schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung darauf noch aussteht oder wenn der Aufnahmestaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung zu greifen droht und hierdurch zum Verfolgerstaat wird. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind allerdings hohe Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – BVerfGE 94,49). Die Sonderfälle in diesem Sinne entsprechen inhaltlich den systemischen Mängeln, die zu einer Gefahr für unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Asylsuchenden führen. Solche Sonderfälle liegen bezogen auf den Abschiebezielstaat Slowenien wie dargelegt nicht vor.
(2) Gegenteiliges hat auch der Kläger nicht substantiiert vorgebracht. Den pauschalen Vortrag, Einrichtungen für Asylbewerber würden in erster Linie als Haftzentren genutzt, die maximale Zeit des dortigen Aufenthalts sei ungewiss und es werde bei der Abnahme des Fingerabdrucks Zwang angewandt, hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, insbesondere nicht durch Vorlage entsprechender Erkenntnismittel. Nach der Schließung der Westbalkanroute wurden zwar Personen, die nach Slowenien einreisten und keinen Asylantrag stellten, inhaftiert (Amnesty International, Slowenien 2017, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2017 /slowenien). Da der Kläger jedoch in Slowenien einen Asylantrag gestellt hat, droht ihm insoweit keine Inhaftierung. Dies bestätigt der Kläger auch selbst, wenn er vorträgt, nach seiner illegalen Einreise zwar zunächst verhaftet, dann aber nach seiner Asylantragstellung einer Erstaufnahmeeinrichtung zugewiesen worden zu sein. Auch der Zeitraum, in dem Asylbewerber in den Aufnahmeeinrichtungen leben müssen, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Zwar liefen die Asylverfahren in einigen Fällen schleppend. Im Laufe des Jahres hätten über 100 Asylsuchende länger als sechs Monate auf Entscheidungen der ersten Instanz gewartet (Amnesty International, a.a.O.). Eine Verfahrensdauer von über sechs Monaten, wie sie auch in der Bundesrepublik nicht unüblich ist, begründet indes nicht die Annahme eines unangemessen langen Verfahrens und des Vorliegens systemischer Schwachstellen im Asylverfahren. Vielmehr existiert in Slowenien ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Slowenien 1.12.2016, S. 7). Wurde in Slowenien – wie hier – vor der Ausreise ein Asylverfahren eröffnet, das noch läuft, wird dieses bei Dublin-Rückkehrern fortgesetzt. Dublin-Rückkehrer haben Zugang zu materieller Unterstützung wie Unterkunft, Verpflegung, medizinischer Versorgung und Kleidung (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Slowenien 1.12.2016, S. 7). Fremde werden nicht in ein Land abgeschoben, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politischer Gesinnung bedroht wäre, oder in ein Land, in dem ihnen Folter, unmenschliche und entwürdigende Behandlung oder Bestrafung droht (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Slowenien 1.12.2016, S. 9). Die relevante EU-Gesetzgebung wurde von Slowenien umgesetzt. Asylbewerber werden entweder in einem Asylheim untergebracht oder erhalten finanzielle Unterstützung im Falle einer privaten Unterbringung. In der Unterkunft hat der Asylbewerber das Recht auf Verpflegung, medizinische Notversorgung, kostenlose Rechtsberatung, Bildungsprogramme, humanitäre Hilfe und ein Taschengeld von 18 EUR monatlich. Nach neun Monaten kann eine Beschäftigung ausgeübt werden. Die Unterbringung in Slowenien ermöglicht ein würdiges Leben; die Asylunterkünfte waren am 1. Dezember 2016 unter ihrer Kapazität belegt (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Slowenien 1.12.2016, S. 10). Zwangsanwendung bei der erkennungsdienstlichen Behandlung wird soweit ersichtlich durch Erkenntnismittel nicht belegt; im Übrigen ist der Asylbewerber auch im deutschen Asylverfahren zur Duldung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen verpflichtet (vgl. § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylG i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 2 AsylG), sodass eine zwangsweise Durchsetzung der Mitwirkungspflichten durch Slowenien grundsätzlich keinen Bedenken begegnet. Anhaltspunkte für systemische Schwachstellen im slowenischen Asylsystem sind daher nicht ansatzweise erkennbar.
(3) Der Vortrag in der mündlichen Verhandlung, in Slowenien sei er von den Behörden schlecht behandelt worden, u.a. sei sein Mobiltelefon beschlagnahmt und sein Zimmer wiederholt durchsucht worden, er habe während der Reinigungsarbeiten draußen in der Kälte warten müssen und das Essen sei schlecht gewesen (u.a. habe es Schweinefleisch auch für die muslimischen Asylbewerber gegeben) ist zum einen im Vergleich zu seinen (pauschalen) Angaben vor dem Bundesamt, in Slowenien seien die Menschenrechte und sozialen Rechte nicht gut, und im Vergleich zu seinem schriftlichen Vortrag wesentlich gesteigert, insbesondere in Bezug auf die „Beschlagnahme“ seines Mobiltelefons, und damit unglaubhaft. Zum anderen ergeben sich aus dem Vortrag des Klägers keine Hinweise darauf, dass die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Maßnahmen der slowenischen Behörden rechtswidrig wären. Insbesondere zur Überlassung seines Mobiltelefons wäre der – wie er selbst vorträgt – derzeit passlose Kläger auf Verlangen auch nach deutschem Recht verpflichtet gewesen (vgl. § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG). Reinigungsarbeiten in den Zimmern der Unterkunft belegen zudem das Bemühen des slowenischen Staates, für ausreichende Hygiene Sorge zu tragen. Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, dass sich die Verpflegung in einer Erstaufnahmeeinrichtung an seinen persönlichen religiösen Vorstellungen ausrichtet; im Zweifel hat er – wie viele andere Asylbewerber mit mannigfaltigen Essenswünschen und religiös oder ethisch begründeten Speisegeboten auch – diese zurückzustellen oder auf Alternativen wie Beilagen etc. auszuweichen. Auch für die Rechtswidrigkeit von Durchsuchungen – insbesondere wenn diese beispielsweise dem Auffinden von versteckten Identitätspapieren, Betäubungsmitteln o.ä. dienen – gibt es keine Anhaltpunkte. Im Übrigen stellen – hier nicht ersichtliche – womöglich vorkommende Fehlleistungen im Einzelfall das Konzept der normativen Vergewisserung nicht in Frage.
e) Soweit der Kläger auch Rückführungshindernisse hinsichtlich der Türkei geltend machte, ist dies vom Bundesamt nicht zu prüfen, das lediglich die Rückführung nach Slowenien angeordnet hat, welches als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention hinsichtlich seines Asylrechtsvollzugs auch mit Blick auf die Türkei keinen schwächeren Rechtsstandards unterliegt als Deutschland. Rückführungshindernisse hinsichtlich der Türkei zu prüfen, ist Sache Sloweniens.
f) Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die ein Selbsteintrittsrecht der Beklagten nach Art. 17 Abs. 1 VO 604/2013/EU begründen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
(1) Soweit der volljährige Kläger geltend macht, in der Bundesrepublik habe er Verwandte (Bruder), ist dies unionsrechtlich im Dublin-System irrelevant. Besondere persönliche Umstände, die befürchten ließen, dass der Kläger bei der Durchführung seines Asylverfahren in Slowenien erhebliche Gefahren für Leib und Leben drohen würden, die einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK befürchten ließen, sind nicht ersichtlich. Der bloße Wunsch eines volljährigen Asylbewerbers, seine verwandtschaftlichen Kontakte in die Bundesrepublik zu vertiefen, ist im Hinblick auf die Zuständigkeitsbestimmung bzgl. eines Asylantrags unerheblich. Bei seinem Bruder handelt es sich insbesondere nicht um einen Familienangehörigen i.S.d. Art. 2 Buchst. g VO 604/2013/EU.
(2) Ebenso unbeachtlich ist, dass der Kläger nach seinem Vortrag eine deutsche Lebensgefährtin hat. Eine nach deutschem Recht anerkannte Eheschließung, die den Schutzbereich des Art. 8 EMRK und des Art. 6 Abs. 1 GG eröffnen könnte, liegt nicht vor. Der Kläger trug diesbezüglich vor, seine Lebensgefährtin am 24. August 2017 vor einem Imam in der Türkei geheiratet zu haben und lediglich religiös verheiratet zu sein. Damit die Eheschließung in der Bundesrepublik anerkannt würde, müsste nach Art. 11 EGBGB i.V.m. Art. 13 EGBGB eine nach dem türkischen Recht formgültige Eheschließung vorliegen, da die „Ehe“ in der Türkei geschlossen wurde (Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB) und der Kläger türkischer Staatsangehöriger ist (Art. 11 Abs. 1 Alt. 1 EGBGB i.V.m. Art. 13 Abs. 1 EGBGB). Da das türkische Recht jedoch wie auch das deutsche Recht ausschließlich die Zivilehe kennt, ist eine rein religiöse Heirat ohne Mitwirkung des Staates nach türkischem Recht nicht möglich und wird deshalb auch nicht von der Bundesrepublik anerkannt. Nur rechtsgültig geschlossene, staatlich anerkannte Ehen stehen als solche unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.1987 – 2 BvR 1226/83 – BVerfGE 76, 1). Dass sich seine Lebensgefährtin in der Bundesrepublik aufhält, begründet demgegenüber keinen außergewöhnlichen humanitären Grund, der ein Selbsteintrittsrecht begründen könnte. Zwar trug der Kläger vor, seine Lebensgefährtin auch heiraten zu wollen. Indes handelt es sich soweit ersichtlich um eine bloße Absichtserklärung, insbesondere steht die Hochzeit nicht unmittelbar bevor. Vielmehr gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung an, eine Heirat in der Bundesrepublik scheitere an seinen derzeit fehlenden Identitätspapieren; eine zunächst geplante Heirat in der Türkei an seiner dortigen Verfolgung. Zudem unterliegt der Kläger der Wohnsitzverpflichtung in der Erstaufnahmeeinrichtung nach § 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Daher kann rechtlich kein Zusammenleben der deutschen Partnerin mit dem Kläger stattfinden, mithin auch keine eheliche oder außereheliche Lebensgemeinschaft, da er den Wohnsitzbeschränkungen im Asylverfahren – derzeit auf … – in einer Unterkunft für Asylbewerber unterliegt, sie hingegen in … wohnt.
2. Die Abschiebung des Klägers nach Slowenien kann auch durchgeführt werden; sie ist rechtlich bzw. tatsächlich möglich. Ihr stehen weder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote noch inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse entgegen. Ziffer 2 des Bescheids ist damit rechtmäßig.
Solche Abschiebungshindernisse sind ausnahmsweise von der sonst allein auf die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote beschränkten Beklagten auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, 244), da die Abschiebung nur durchgeführt werden darf, wenn sie rechtlich und tatsächlich möglich ist.
Es besteht für den Kläger kein Abschiebungsverbot oder tatsächliches Abschiebungshindernis; insbesondere ist er reisefähig und die Rückübernahme durch Slowenien zugesichert.
3. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald – wie hier – feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids ist damit ebenfalls rechtmäßig.
4. Einwände gegen das im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot ab dem Tag der Abschiebung, gestützt auf § 11 AufenthG, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere hat der Kläger keine schützenswerten Bindungen an das Bundesgebiet geltend gemacht, die für seine kürzere Fernhaltung sprächen; solche sind auch sonst nicht ersichtlich. Auf die obigen Ausführungen, insbesondere zu seinen Verwandten und seiner Lebensgefährtin in der Bundesrepublik, wird verwiesen (vgl. oben). Ziffer 4 des Bescheids ist damit ebenfalls rechtmäßig.
IV.
Nach allem erweist sich die Klage als unzulässig und darüber hinaus auch unbegründet. Die Klage war demnach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).

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