Aktenzeichen M 9 S 17.50334
Leitsatz
Der Rückführung des Antragstellers nach Frankreich stehen derzeit keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen. Die Mängel des französischen Aufnahme- und Versorgungssystems sind nicht derart flächendeckend und gravierend, dass von einem grundlegenden, systemischen Versagen Frankreichs ausgegangen werden müsste, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh führt. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der laut eigener Aussage am 20. Februar 1975 geborene Antragsteller (Bl. 16 d. Behördenakts – i.F.: BA -) reiste nach eigenen Angaben am 26. August 2016 von Frankreich kommend in das Bundesgebiet ein (Bl. 9f. d. BA). Er beantragte am 5. September 2016 Asyl (Bl. 16 d. BA). Der Antragsteller ist laut eigener Aussage Staatsangehöriger Nigerias (Bl. 16 d. BA).
Aufgrund eines Visa-Treffers Nr. „FRA…“, gültig 30 Tage vom 1. Juni 2016 an (Bl. 69 d. BA) wurde am 29. November 2016 ein Aufnahmegesuch an Frankreich gerichtet (Bl. 81ff. d. BA); eine Zugangsbestätigung liegt vor (Bl. 86 d. BA). Die französischen Behörden haben das Aufnahmegesuch mit Schreiben vom 7. Dezember 2016 ausdrücklich akzeptiert (Bl. 94 d. BA).
Mit Bescheid vom 3. Februar 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Ziff. 1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2.), ordnete die Abschiebung nach Frankreich an (Ziff. 3.) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 4.).
Wegen des Bescheidinhalts wird auf diesen Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Der Antragsteller persönlich hat am 10. Februar 2017 zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Klage gegen den Bescheid erhoben. Vorliegend beantragt er, hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Frankreich die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung werde auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug genommen. Im Weiteren werde darauf hingewiesen, dass sich der Antragsteller wegen einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen in ärztlicher Behandlung befinde. Er habe zudem in Frankreich schlechte Erfahrungen gemacht; dort sei eine Verständigung selbst mit Englisch kaum möglich.
Das Bundesamt stellt keinen Antrag.
Mit Schreiben vom 22. Februar 2017 hat sich der Bevollmächtigte des Antragstellers unter Vollmachtsvorlage bestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu.
An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat u.a. aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft, v.a. nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (i.F.: Dublin III-VO), für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Frankreich ist hier für die Prüfung zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 12 Abs. 4, Abs. 2 Satz 1, Art. 18 Abs. 1 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1, Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO. Die französischen Behörden haben das Aufnahmegesuch vom 29. November 2016 mit Schreiben vom 7. Dezember 2016 ausdrücklich akzeptiert.
Die Überstellung an Frankreich ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, E.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, E.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, E.v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Eingedenk dessen ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Frankreich aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dem Antragsteller im Falle seiner Rücküberstellung eine menschenunwürdige Behandlung droht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Frankreich über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches prinzipiell funktionsfähig ist und insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss (vgl. nur VG München, B.v. 29.7.2016 – M 1 S. 16.50357 – juris m.w.N.; B.v. 24.10.2016 – M 18 S. 16.50829 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 15.12.2016 – 13 L 3994/16.A – juris).
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG, oder ein inlandsbezogenes Vollzugshindernis (BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris) wurden nicht behauptet bzw. belegt. Der Antragsteller legte einen Überweisungsschein vom 10. Februar 2017 vor, in dem unter der Überschrift „Diagnose/Verdachtsdiagnose“ eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen genannt ist (Bl. 2 d. Gerichtsakts). Ein in den Akten befindliches Attest vom 14. Dezember 2016 stellt ebenfalls diese Diagnose (Bl. 101 d. BA) und kam ansonsten zu folgender Bewertung: „Die affektstabilisierende bzw. angstlösende Medikation wurde angepasst bzw. empfohlen bzw. verordnet. Mittelfristig ist eine ambulante Psychotherapie zu empfehlen. Weitere psychiatrische Behandlung ist dringend empfohlen“. Eine Reiseunfähigkeit im engeren oder im weiteren Sinne – inlandsbezogenes Vollzugshindernis – ist damit nicht angesprochen, geschweige denn belegt. Eine entsprechende Therapie kann auch in Frankreich erfolgen; Medikamente sind dort ebenfalls verfügbar – damit ist auch nichts für ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis erkennbar. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Untersuchung nach § 62 AsylG vom 26. August 2016 keinerlei Hinweise auf infektiöse oder akute Erkrankungen erbrachte (Bl. 75 d. BA).
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.