Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in Polen

Aktenzeichen  Au 6 S 19.50444

Datum:
21.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 10623
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2, Art. 12 Abs. 2, Art. 29

 

Leitsatz

1 Systemische Mängel im Asylsystem Polens bestehen nicht (BayVGH BeckRS 2016, 41725 ). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2 In der Republik Polen ist eine gute medizinische Versorgung möglich. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der sich auf eine seiner Abschiebung entgegenstehende Erkrankung berufende Ausländer muss diese durch aussagekräftige, nachvollziehbare Atteste, die klare Diagnosen stellen und Aufschluss über die konkrete Therapie und mögliche Folgen einer unzureichenden Behandlung geben, glaubhaft machen (BayVGH BeckRS 2017, 134624). (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (Az. Au 6 K 19.50443) gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 9. Mai 2019 wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen eine sofort vollziehbare Anordnung seiner Abschiebung nach Polen.
Der am … 1964 geborene Antragsteller ist türkischer und/oder syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er stellte erstmals am 8. Dezember 2015 einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamts vom 22. Mai 2017 abgelehnt wurde (einschließlich einer Abschiebungsandrohung in die Türkei). Das Verfahren ist seit dem 20. Dezember 2017 unanfechtbar abgeschlossen. Am 5. Dezember 2017 reiste der Antragsteller unter Inanspruchnahme des Start-Hilfe-Plus-Programms in die Türkei aus. Am 7. April 2019 reiste der Antragsteller erneut in die Bundesrepublik ein und beantragte am 8. April 2019 erneut die Durchführung eines Asylverfahrens.
Bei seiner auf Arabisch geführten Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 18. April 2019 gab der Antragsteller an, im Februar 2019 sei er für einen Monat in der Ukraine gewesen und habe dort den Schleuser kontaktiert. Dieser habe ihm einen gefälschten türkischen Reisepass besorgt, mit dem er über Polen nach Deutschland eingereist sei. Gegen eine Überstellung nach Polen spreche, dass er nach Deutschland und nicht nach Polen wolle. Er sei derzeit nicht in ärztlicher Behandlung, nehme aber Medikamente gegen Diabetes, die er sich aus der Türkei mitgebracht habe (Diaformin, Glucobay 50, Januavia). Seine Ehefrau und die Kinder lebten in der Türkei, eine Schwester in Deutschland.
Der Antragsteller legte neben einem syrischen Personalausweis und Führerschein folgende Atteste vor:
– Dr., Attest vom 30.1.2017, Diagnosen: 1. Diabetes mellitus Typ II, Erstdiagnose 2011, 2. Z.n. motorischer Konversionsstörung 2/16, 3. Posttraumatische Psychose bei Z.n. Kopfsturz 1994, akute Dekompensation 6/16, 4. Hypochrome mikrozytäre Anämie und Thrombozytämie unklarer Genese, 5. Hypogammaglobulinämie unklarer Genese, der Patient sei seit Februar 2016 in hausärztlicher Behandlung, aktuelle orale Medikation mit Metformin und Sitagliptin sowie einem sedierenden Antidepressivum. Die Familie des Patienten lebe nach seinen Angaben weiterhin in einem Flüchtlingslager in der Türkei und der Nachzug nach Deutschland sei nicht geklärt; zudem stünde eine Rückführung in die Türkei im Raum.
– Dr., Attest vom 15.6.2016, Diagnose: psychische Dekompensation im Rahmen einer posttraumatischen Psychose, Z.n. Kopfsturz 1994, seitdem psychische Erkrankung bekannt, hypochrome microzytäre Anämie, Thrombozytopenie unklarer Genese, Diabetes mellitus Typ II, tablettenbehandelt, Adipositas, Vordiagnosen: Z.n. motorischer Konversionsstörung. Stationärer Aufenthalt vom 14.6.2016 bis 15.6.2016. Patient sei im Asylbewerberheim sehr aggressiv gewesen, habe alles runtergeworfen und geschrien. Eine psychische Erkrankung sei vorbekannt; bei der Aufnahme sei der Patient sehr ruhig und kooperativ, im weiteren Verlauf stabil und psychisch rekompensiert, Medikation Metformin 1000.
– Dr., Attest vom 17.2.2016, Diagnose: Motorische Konversionsstörung, stationärer Aufenthalt vom 13.2.2016 bis 18.2.2016, Symptomatik sei beim Patienten seit Anfang der 90er Jahre vorbekannt als Folge eines psychischen Traumas (Patient sei Soldat im Irak-Krieg gewesen). Bereits nach zwei Stunden sei die beschriebene Symptomatik völlig rückläufig gewesen.
Ausweislich eines Auszugs aus der VIS-Datei stellte der Antragsteller am 14. März 2019 einen Visumsantrag bei der polnischen Vertretung in … (Ukraine), woraufhin ihm ein vom 22. März 2019 bis 11. April 2019 gültiges Schengen-Visum (…) ausgestellt wurde. Dabei verwendete der Antragsteller einen vom 16. März 2015 bis zum 27. Dezember 2022 gültigen türkischen Reisepass (…). Im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung vom 3. November 2015 war bereits festgestellt worden, dass sich der Antragsteller mit einem verfälschten türkischen Reisepass (…) ausgewiesen habe.
Am 24. April 2019 richtete das Bundesamt ein Übernahmeersuchen für den Antragsteller an Polen, das mit Schreiben vom 8. Mai 2019 die Rückübernahme des Antragstellers zusicherte, da dieser ein vom 22. März 2019 bis zum 11. April 2019 gültiges polnisches Visum erhalten habe.
Mit Bescheid vom 9. Mai 2019, dem Antragsteller zugestellt am 10. Mai 2019, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1). Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 2) und ordnete die Abschiebung nach Polen an (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 24 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). In den Gründen ist ausgeführt, der Asylantrag sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Polen wegen des ausgestellten Visums nach Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags des Antragstellers zuständig sei. Systemische Schwachstellen bestünden in Polen nicht. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse lägen nach den Erkenntnissen des Bundesamts nicht vor. Bei etwaigen medizinischen Beschwerden sei er auf das polnische Gesundheitssystem zu verweisen. Asylbewerber in Polen hätten unabhängig von ihrer Unterbringungsart Anspruch auf kostenlose Behandlungsleistungen. Es würden alle Leistungen gewährt, die auch Einheimischen im Rahmen der Gesundheitsversicherung zustünden, mit Ausnahme von Kurbehandlung und -rehabilitation. In den Unterkunftszentren für Asylsuchende gebe es jeweils einen Allgemeinarzt. Bei Notwendigkeit hätten die Schutzsuchenden Zugang zu Fachärzten. Die Versorgung mit allen Medikamenten erfolge kostenlos, wodurch die Asylbewerber gegenüber den Einheimischen sogar bessergestellt seien, da letztere meistens eine Eigenbeteiligung zu leisten hätten. Psychologische Betreuung sei ebenfalls in jedem Unterbringungszentrum vorhanden. Zudem seien sämtliche vorgelegte Atteste älter als zwei Jahre, weswegen es zweifelhaft sei, ob die vorgetragenen Beschwerden noch bestünden. Die Abschiebungsanordnung beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 24 Monate sei im vorliegenden Fall angemessen, da der Antragsteller nach erfolgter Überstellung während der im ersten Verfahren verhängten Wiedereinreisesperre erneut in die Bundesrepublik eingereist sei. Da der Antragsteller im Bundesgebiet über keine wesentlichen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen verfüge, sei eine Wiedereinreisesperre von 24 Monaten angemessen.
Am 14. Mai 2019 erhob der Antragsteller Klage und beantragte, den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 9. Mai 2019, Geschäftszeichen:, aufzuheben.
Darüber hinaus beantragte er,
nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung verwies der Antragsteller auf seinen Asylantrag vom 8. Dezember 2015, wobei das Verfahren seit dem 20. Dezember 2017 unanfechtbar abgeschlossen sei. Am 7. April 2019 sei der Antragsteller erneut in die Bundesrepublik eingereist und habe am 8. April 2019 erneut die Durchführung eines Asylverfahrens beantragt.
Die Antragsgegnerin hat sich nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die am 20. Mai 2019 vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist unbegründet.
Gegenstand des nach § 34a Abs. 2 AsylG zulässigen Antrags ist die vom Antragsteller begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 14. Mai 2019 gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts vom 9. Mai 2019.
Der Antrag ist unbegründet, da das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung zurücktritt.
Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Aussetzung bzw. die Aufhebung der Vollziehung aufgrund der im Zeitpunkt seiner Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) vorliegenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei die Interessen des Antragstellers und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung gegeneinander abzuwägen. Besondere Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu, soweit sie im Rahmen der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung bereits beurteilt werden können.
Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus. Nach der im vorläufigen Eilverfahren nur beschränkt möglichen Prüfung und nach derzeitigem Kenntnisstand wird die diesbezüglich in der Hauptsache erhobene Klage gegen die Abschiebungsanordnung voraussichtlich erfolglos sein. Denn die Klage ist voraussichtlich unbegründet.
1. Rechtsgrundlage der Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG.
Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, wenn der Ausländer in diesen Staat abgeschoben werden soll und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend alle erfüllt.
2. Der in der Bundesrepublik gestellte Asylantrag des Antragstellers ist voraussichtlich unzulässig, weil Polen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist damit voraussichtlich rechtmäßig.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. Nr. L 180 S. 31 – Dublin III-VO).
a) Vorliegend ist davon auszugehen, dass Polen im auch für die Anwendung der Dublin III-VO maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG, vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2016 – 1 C 24.15 – juris Rn. 8) nach Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylgesuchs des Antragstellers zuständig ist.
Der Antragsteller ist im Besitz eines von Polen ausgestellten Visums (Gültigkeitsdauer 22.3.2019 bis 11.4.2019). Besitzt ein Antragsteller ein gültiges Visum, so ist nach Art. 12 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung erteilt wurde. Nach Art. 12 Abs. 4 Uabs. 1 Dublin III-VO verbleibt es bei der Zuständigkeit dieses Mitgliedstaates, solange das Visum, aufgrund dessen der Antragsteller in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen konnte, nicht mehr als sechs Monate abgelaufen ist. Der Begriff des Visums nach Art. 2 Buchst. m Dublin III-VO umfasst nicht nur durch den Visakodex harmonisierte Visa für den kurzfristigen Aufenthalt und den Flughafentransit, sondern auch nach nationalen Rechtsvorschriften erteilte Visa für den längerfristigen Aufenthalt (EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-646/16 – NVwZ 2017, 1357/1358). Nach Art. 7 Abs. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO kommt es für die Bestimmung des nach Kapitel III zuständigen Mitgliedstaates auf den Zeitpunkt der ersten Stellung eines Gesuchs auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat an, nicht hingegen auf die förmliche Asylantragstellung (vgl. EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – juris Rn. 75 ff.). Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller am 8. April 2019 sein erstes Asylgesuch nach der Wiedereinreise gestellt. Zu diesem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt war sein Visum noch nicht abgelaufen, erst recht nicht seit über sechs Monaten.
b) Da das nicht auf einem Eurodac-Treffer basierende Wiederaufnahmegesuch vom 24. April 2019 binnen drei Monaten nach dem Asylgesuch des Antragstellers (8.4.2019) gestellt wurde, ist auch die Frist nach Art. 21 Abs. 1 Uabs. 1 Dublin III-VO gewahrt und kein Zuständigkeitswechsel nach Art. 21 Abs. 1 Uabs. 3 Dublin III-VO eingetreten. Dementsprechend hat Polen mit Schreiben vom 8. Mai 2019 innerhalb von zwei Monaten seine Zustimmung zur Aufnahme des Antragstellers erklärt (Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO).
c) Auch ist die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin III-VO noch nicht abgelaufen, worauf sich der Antragsteller berufen könnte (vgl. EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16 – DVBl 2017, 1486/1487 f. Rn. 30, 40, 44 ff.). Vielmehr läuft die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO von sechs Monaten seit ausdrücklicher Annahme des Überstellungsgesuchs durch Polen am 8. Mai 2019 ab Bestandskraft dieses Beschlusses über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage neu für sechs Monate an, da im vorliegenden Verfahren eine Überprüfung der Überstellungsentscheidung mit aufschiebender Wirkung nach Art. 27 Abs. 3 Buchst. a und b Dublin III-VO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG erfolgt, in deren Anschluss die Überstellungsfrist neu zu laufen beginnt (vgl. EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16 – DVBl 2017, 1486 Rn. 27).
d) Gründe, von einer Überstellung nach Polen nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO abzusehen, sind nicht ersichtlich.
Diese Vorschrift setzt voraus, dass es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GrCH mit sich bringen. In diesem Fall setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der Zuständigkeitskriterien nach Kapitel III der Dublin-III-VO fort, um ggf. die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festzustellen. Kann keine Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festgestellt werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
Dieser Regelung liegt das Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris) zugrunde. Danach gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der EU-Grundrechtecharta entspricht. Allerdings ist diese Vermutung widerleglich. Den nationalen Gerichten obliegt die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GrCH ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist jedoch nicht bereits bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen in dem jeweils zuständigen Mitgliedstaat widerlegt. An die Feststellung systemischer Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von derartigen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im betreffenden Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 9).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist festzustellen, dass im Fall des Antragstellers eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bei Rücküberstellung in die Republik Polen – bei der es sich als Mitglied der Europäischen Union bereits kraft Gesetzes um einen sicheren Drittstaat i.S.v. Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. § 26a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AsylG handelt – nicht zu befürchten ist. Systemische Mängel im Asylsystem Polens bestehen nicht (vgl. BayVGH, U.v. 19.1.2016 – 11 B 15.50130 – juris Rn. 23-26; umfassend VG Cottbus, B.v. 30.11.2018 – VG 20.11.2018 – VG 5 L 601/18.A – juris Rn. 11 ff.; B.v. 10.1.2018 – 5 L 197/17.A – juris Rn. 10: „systemische Schwachstellen nicht ansatzweise erkennbar“; VG Aachen, B.v. 12.10.2018 – 6 L 1206/18.A – juris Rn. 17 ff.; VG Berlin, B.v. 15.12.2017 – 33 L 1020.17 A – juris Rn.10; VG München, B.v. 4.5.2017 – M 8 S 17.50953 – juris Rn. 23; B.v. 25.11.2016 – M 7 S 16.50394 – juris Rn. 17; VG Würzburg, B.v. 2.3.2017 – W 6 S 17.50072 – juris Rn. 16; so auch Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Wiesbaden vom 6.12.2013). Auf die angeführten Entscheidungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen; Gegenteiliges hat auch der Antragsteller nicht substantiiert vorgebracht. Vielmehr trägt er selbst vor, dass einer Ausreise nach Polen keine Gründe entgegenstünden; er habe aber nach Deutschland gewollt.
e) Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die ein Selbsteintrittsrecht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 VO 604/2013/EU begründen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
3. Die Abschiebung des Antragstellers nach Polen kann voraussichtlich auch durchgeführt werden; sie ist rechtlich bzw. tatsächlich möglich. Ihr stehen weder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote noch inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse entgegen. Ziffern 2 und 3 des Bescheids sind damit nach summarischer Prüfung ebenfalls rechtmäßig.
a) Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG besteht nicht.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Eine „erhebliche konkrete Gefahr“ im Falle einer zielstaatsbezogenen Verschlimmerung einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung ist daher gegeben, wenn sich der Gesundheitszustand alsbald nach der Rückkehr in den Zielstaat wegen der dortigen Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – BVerwGE 142, 179; B.v. 17.8.2011 – 10 B 13.11 – juris; BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 13a B 16.30007 – juris). Gründe hierfür können nicht nur fehlende Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat sein, sondern etwa auch die tatsächliche Nichterlangbarkeit einer an sich vorhandenen medizinischen Behandlungsmöglichkeit aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33).
(1) Der sich auf eine seiner Abschiebung entgegenstehende Erkrankung berufende Ausländer muss diese durch aussagekräftige, nachvollziehbare Atteste, die klare Diagnosen stellen und Aufschluss über die konkrete Therapie und mögliche Folgen einer unzureichenden Behandlung geben, glaubhaft machen (BayVGH, B.v. 27.11.2017 – 9 ZB 17.31302 – juris Rn. 4).
Es entspricht inzwischen gefestigter Rechtsprechung, dass die Anforderungen an ein ärztliches Attest nach § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – juris Rn. 8: „Frage nicht klärungsbedürftig, weil sie sich anhand des Wortlauts des Gesetzes, der Entstehungsgeschichte und der gesetzgeberischen Erwägungen ohne weiteres bejahen lässt“; BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris Rn. 7; OVG NRW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/17A – juris Rn. 19 ff.; OVG LSA, B.v. 28.9.2017 – 2 L 85/17 – juris Rn. 2 ff.). Ohne ärztliches Attest sind nähere Ausführungen des Antragstellers nicht geeignet, die Tatsachengrundlage für ein Abschiebungsverbot zu schaffen (BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 21 ZB 17.30468 – juris Rn. 4).
Die vom Antragsteller bereits in seinem ersten Asylverfahren vorgelegten Atteste sind sämtlich veraltet und damit nicht aussagekräftig. Er hat daher nicht hinreichend glaubhaft gemacht, derzeit unter einer schwerwiegenden Erkrankung zu leiden. Er ist zudem nach eigenen Angaben derzeit nicht in ärztlicher Behandlung, was ebenfalls gegen eine schwerwiegende Erkrankung spricht.
(2) Im Übrigen ist eine gute medizinische Versorgung auch in der Republik Polen möglich.
Die medizinische Versorgung von Ausländern, die nach der Dublin III-VO nach Polen zurückgeführt werden, unterliegt grundsätzlich den gleichen Voraussetzungen wie die Versorgung von anderen Personen, die in Polen ein Asylverfahren durchlaufen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Minden vom 10.3.2015, Frage 2). Ausländer, die den Flüchtlingsstatus beantragt haben, werden u.a. auch fachärztliche Konsultationen, Spezialuntersuchungen, Hospitalisierung, Rehabilitation und zahnärztliche Behandlungen gewährt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Minden vom 10.3.2015, Frage 1). Asylbewerbern wird eine Gesundheitsversorgung im selben Umfang wie krankenversicherten polnischen Staatsangehörigen gewährt (Aida, Country Report Poland Update 2017, S. 51, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_2017 update.pdf; Update 2018, S. 56 ff., https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_2018update.pdf). Die Gesundheitsversorgung umfasst auch die Behandlung psychischer Probleme. In allen Aufnahmezentren arbeiten Ärzte und Psychologen; eine Überweisung zu einem Psychiater oder in ein psychiatrisches Krankenhaus ist möglich (Aida, a.a.O., S. 52). Demnach kann der Antragsteller etwaige – nicht hinreichend dargelegte – körperliche und psychische Probleme auch in der Republik Polen behandeln lassen.
b) Soweit der volljährige Antragsteller geltend macht, in der Bundesrepublik habe er eine Verwandte (Schwester), ist dies unionsrechtlich im Dublin-System irrelevant. Besondere persönliche Umstände, die befürchten ließen, dass der Antragsteller bei der Durchführung seines Asylverfahren in Polen erhebliche Gefahren für Leib und Leben drohen würden, die einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK befürchten ließen, sind insoweit nicht ersichtlich. Der bloße Wunsch eines volljährigen Asylbewerbers, seine verwandtschaftlichen Kontakte in die Bundesrepublik zu vertiefen, ist im Hinblick auf die Zuständigkeitsbestimmung bzgl. eines Asylantrags unerheblich. Bei seiner Schwester handelt es sich insbesondere nicht um Familienangehörige i.S.d. Art. 2 Buchst. g VO 604/2013/EU.
4. Die Kostenentscheidung für das gerichtliche Verfahren ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.

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