Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in Ungarn

Aktenzeichen  W 2 S 17.50032

Datum:
23.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 2
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 25 Abs. 2
EMRK EMRK Art. 3
AufenthG AufenthG Art. 11 Abs. 2

 

Leitsatz

Einer Rückführung eines Asylbewerbers nach Ungarn stehen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen. (Rn. 21 – 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, syrische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) angeordneten Abschiebung nach Ungarn.
Die Antragstellerin reiste über die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich am 28. Oktober 2016 in das Bundesgebiet ein und beantragten am 11. November 2016 hier Asyl.
Aufgrund eines von Eurodac-Treffers (Eurodac-Nrn. …) wurde festgestellt, dass die Antragstellerin bereits am 24. Oktober 2016 in Ungarn Asyl beantragt hatten (Behördenakte, Bl. 56). Deshalb ersuchte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 30. November 2016 die ungarischen Behörden um Übernahme der Antragstellerin nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31; im Folgenden Dublin III-VO). Der Eingang der Ersuchen wurde mit Email-Nachricht vom selben Tag bestätigt (Behördenakte, Bl. 63). Trotz Erinnerung des Bundesamtes mit elektronischem Schreiben vom 20. Dezember 2016 beantworteten die ungarischen Dublin-Behörden die Übernahmeersuchen nicht.
Mit Bescheid vom 16. Januar 2017 lehnte das Bundesamt die Asylanträge als unzulässig ab (Ziffer 1 des Bescheides), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet i.d.F. d. Bek. vom 25. Februar 2008 (BGBl. I 2008, 162; AufenthG) nicht vorlägen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Asylanträge gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 Asylgesetz (AsylG) i.d.F. d. Bek. vom 2. September 2008 (BGBl. I 2008, 1798) unzulässig sei, da Ungarn aufgrund der dort bereits gestellten Anträge gem. Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Daher würden die Asylanträge in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz. 1 AufenthG lägen nach Erkenntnissen des Bundesamts nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Ungarn würden nicht zu der Annahme führen, dass bei Abschiebung der Antragstellerin eine Verletzung des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vorläge. Die hierfür geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Die Anordnung der Abschiebung beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sei gem. Art. 11 Abs. 2 AufenthG befristet worden. Gründe für eine weitere Reduzierung der Frist nach § 11 Abs. 4 AufenthG lägen nicht vor. Der Bescheid wurde der Antragstellerin laut Postzustellungsurkunde am 18. Januar 2017 zugestellt.
Mit am 25. Januar 2017 eingegangenem Schriftsatz ließ die Antragstellerin Klage gegen diesen Bescheid erheben (Az.: W 2 K 17.50033), über die noch nicht entschieden ist.
Zur Begründung wurde auf verschiedene Erkenntnismittel, wie insbesondere den gemeinsamen Bericht von bordermonitoring.eu und Pro Asyl „Gänzlich unerwünscht. Entrechtung, Kriminalisierung und Inhaftierung von Flüchtlingen in Ungarn“ vom Juli 2016 sowie den Bericht von Amnesty International „Fenced Out – Hungarys violation of the rights of refugees and migrants“ vom 7. Oktober 2015 verwiesen sowie auf mehrere Gerichtsentscheidungen, wie insbesondere die Urteile des VGH Mannheim vom 5. Juli 2016 und des OVG Lüneburg vom 25. Mai 2016, wonach in Ungarn systematische Mängel im Asylsystem und bei den Aufnahmebedingungen bestünden, die zu einer Verletzung der Rechte der Antragstellerin aus Art. 3 EMRK sowie Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) führten.
Die Antragstellerin sei in Ungern geschlagen und mit Gewalt dazu gebracht worden, ihre Fingerabdrücke abzugeben. In diesem Zusammenhang habe sie scheinbar auch einen Asylantrag unterschreiben, was ihr jedoch nicht klar gewesen sei. Die Situation sei für die Antragstellerin bedrohlich und auch traumatisch gewesen. Seitdem habe sie Albträume.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Zur Begründung wurde auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakten im Sofortwie im Hauptsacheverfahren Bezug genommen.
II.
Gegenstand des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des in der Hauptsache angefochtenen Bescheides.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung ist zulässig (§ 34a Abs. 2 AsylG), insbesondere fristgemäß (§ 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V. m. § 74 Abs. 1, § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG).
Er ist jedoch unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 16. Januar 2017 erweist sich bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung zum maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) als rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse der Antragsteller, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Rechtsgrundlage der Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG.
Danach ordnet das Bundesamt im Falle der Zuständigkeit eines anderen Staates nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Zu Recht geht die Antragsgegnerin davon aus, dass Ungarn zur Wiederaufnahme des Antragstellerin verpflichtet ist (Art. 25 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Dublin III-VO). Denn die Zustimmung des nach den Kriterien des Art. 3 Abs. 2 Sätze 1 und 2 Dublin III-VO zuständigen Staates Ungarn gilt wegen des ergebnislosen Verstreichens der zweiwöchigen Frist zur Beantwortung des fristgemäß gestellten, auf Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 b) Dublin III-VO gestützten Wiederaufnahmeersuchens als erteilt. In diesem Falle ist der ersuchte Mitgliedstaat, hier Ungarn, unionsrechtlich verpflichtet, die Antragstellerin wieder aufzunehmen. Die Zuständigkeit ist auch noch nicht gem. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO wegen Verstreichens der sechsmonatigen Überstellungsfrist auf die Antragsgegnerin übergegangen.
Unerheblich ist, ob die Asylantragstellung in Ungarn erzwungen war; selbst wenn dieser Vortrag der Antragstellerin zutreffen würde, ändert dieser Umstand nichts an der Tatsache der Antragstellung (vgl. VG München, B.v. 10.8.2015 – M 1 S. 15.50677 – juris).
Bei summarischer Prüfung besteht auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt der Antragsgegnerin aufgrund einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat zum zuständigen Mitgliedsstaat, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedsstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Antragsteller in diesem Mitgliedsstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-Grundrechtecharta mit sich bringen (§ 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO), und auch eine alternative Überstellung in einen weiteren Mitgliedsstaat anhand nachrangiger Zuständigkeitskriterien ausscheidet.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist die Überstellung eines Asylbewerbers an einen anderen Mitgliedstaat nur dann zu unterlassen, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der (rück-)überstellten Asylsuchenden i.S.v. Art. 4 Grundrechtecharta zur Folge hätten (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – juris). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass jeder Verstoß eines zuständigen Mitgliedstaates gegen einzelne unionsrechtliche Bestimmungen zur Folge hätte, dass der Mitgliedstaat, in dem ein (weiterer) Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Asylsuchenden an den zuständigen Staat zu überstellen (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – juris). Denn eine solche Sichtweise würde den Kern und die Verwirklichung des Ziels der Dublin-Verordnungen gefährden, rasch denjenigen Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen Asylantrag zuständig ist (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – juris).
Bei Berücksichtigung dieser strengen Vorgaben bestehen nach Überzeugung des Gerichts – trotz bedenklicher Tendenzen in der ungarischen Asylgesetzgebung – keine wesentlichen Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn systemische Schwachstellen i.S.v Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO aufweisen.
Zwar wird diese Bewertung von Teilen der deutschen Asylrechtsprechung nicht geteilt. So bejahten kürzlich der VGH Mannheim in seinem Urteil vom 13. Oktober 2016 und das OVG Lüneburg in seinen Entscheidungen vom 15. November 2016 und 20. Dezember 2016 das Vorliegen systemischer Mängel. Die Entscheidungen stützten sich dabei insbesondere auf die Inhaftierungspraxis, die Einstufung Serbiens als „sicheren Drittstaat“ und das am 10. Dezember 2015 von der Europäischen Kommission gegen Ungarn eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren wegen mangelnder Effektivität des Rechtsschutzes im Rahmen des Asylverfahrens sowie das Fehlen einer realistischen Möglichkeit der fristgemäßen Rücküberstellung innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft.
Jedoch bewertet das hier zur Entscheidung berufene Gericht die zweifellos besorgniserregenden Tendenzen in der ungarischen Asylgesetzgebung als (noch) nicht so gravierend, dass sie die Qualität von systemischen Mängeln im Sinne der oben skizzierten Maßstäbe hätten.
Dabei verkennt das Gericht nicht die Bedeutung der vorliegenden Stellungnahmen aus dem Bereich der internationalen Nichtregierungsorganisationen, denen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls dann eine besondere Bedeutung zukommt, wenn es sich um regelmäßige und übereinstimmenden Berichte handelt (vgl. BVerfG, B.v. 21.4.2016 – 2 BvR 273/16 – juris). Für die Situation von Asylbewerbern in Ungarn liegen aus dem Bereich der internationalen Nichtregierungsorganisationen aktuell insbesondere vor:
– AIDA, Country Report Hungary, November 2015,
– Pro Asyl, Gänzlich unerwünscht. Entrechtung, Kriminalisierung und Inhaftierung von Flüchtlingen in Ungarn, Juli 2016,
– Amnesty International, Stranded Hope – Hungary’s sustained attack on the rights of refugees and migrants, 27. September 2016.
Anknüpfend an vorangegangene Berichte weisen die aufgeführten Nichtregierungsorganisationen übereinstimmend darauf hin, dass sich die Situation von Asylsuchenden in Ungarn seit In-Kraft-Treten der Gesetzesänderungen im Sommer 2015 weiter verschärft hat. So beanstandet Amnesty International in seinem Bericht vom 27. September 2016 vor allem das Versagen von effektivem Rechtsschutz beim Grenzübertritt zu Serbien, die einseitige Zurückschiebung von Flüchtlingen an der Grenze, die Anwendung von Gewalt an der Grenze, aber auch im Inland, die Strafen für illegalen Grenzübertritt, das Versagen von adäquaten Aufnahmebedingungen, Informationen und einer Grundversorgung an der Grenze und im Inland, die Anwendung des „Sicheren-Drittstaatskonzepts“ an der Grenze (zu Serbien) und die über längere Zeiträume verhängte Asylhaft. Der gemeinsame Bericht von Pro Asyl und bordermonitoring.eu „Gänzlich unerwünscht. Entrechtung, Kriminalisierung und Inhaftierung von Flüchtlingen in Ungarn“ konstatiert ebenfalls eine „Strategie der Abschreckung“ und eine „Strategie der Vertreibung“. Hauptkritikpunkte sind auch hier, die quasi automatische Erklärung von Asylanträgen als unzulässig auf der Basis der Erklärung Serbiens zum „sicheren Drittstaat“, die Inhaftierung von Asylsuchenden ohne effektive gerichtliche Überprüfung und die Abschaffung sämtlicher Integrationshilfen für Personen, die einen Schutzstatus in Ungarn erhalten.
Das Gericht verkennt die Tragweite, der aufgezeigten Missstände in der ungarischen Asylpraxis nicht. Es kommt letztlich jedoch zu der Überzeugung, dass es sich dabei (noch) nicht um systemische Mängel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO handelt.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat sich in seiner Entscheidung vom 6. Juni 2013 (Nr. 2283/12, InfAuslR 2014, 197ff.) zwar kritisch mit den Verhältnissen in Ungarn in den Jahren 2011 und 2012 auseinandergesetzt, in seiner neueren Entscheidung vom 3. Juli 2014 (NLMR 2014, 282 ff.) jedoch ausdrücklich hervorgehoben, dass angesichts der festzustellenden Änderungen des Asylrechts wie auch der tatsächlichen Behandlung von Drittstaatsangehörigen in Ungarn zu Beginn des Jahres 2014 Art. 3 EMRK der Rückführung eines Asylsuchenden im Rahmen des Dublin-Verfahrens nicht entgegensteht.
Der jüngsten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2016 an das VG Regensburg lassen sich keine Informationen entnehmen, die auf eine gravierende neuerliche Verschlechterung der tatsächlichen Situation schließen ließen. So sind laut Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2016 an das VG Regensburg beispielsweise Erkrankungen in Ungarn in gleicher Weise behandelbar wie in Deutschland. Das ungarische Asylgesetz regle detailliert, welche medizinische Versorgung Asylbewerber erhielten. Neben einer ärztlichen Grundversorgung, die in den jeweiligen Einrichtungen für Asylbewerber durch Bereitstellung von Ärzten und Medikamenten sichergestellt seien, beinhalteten die Regelungen auch, dass in schwerwiegenderen Fällen, in denen die vor Ort bereitgestellten Möglichkeiten nicht ausreichten, eine Zuweisung in die Allgemein- oder Spezialeinrichtungen des Gesundheitssystems durch den behandelnden Arzt erfolgen könne, wenn dieses aus medizinischen Gründen für notwendig erachtet werde. Alle Krankenstationen der Aufnahme- und Asyleinrichtungen würden von der ungarischen Gesundheitsbehörde geprüft. Was die Inhaftierung von Asylbewerbern anbelange, so sei zwar die Praxis, Antragsteller aus bestimmten Herkunftsländern nicht in Asylhaft zu nehmen, aufgegeben worden, da vermehrt Staatsangehörigkeitstäuschungen festgestellt worden seien. Jedoch dürfe die Asylhaft nicht nur deshalb angeordnet werden, weil ein Asylantrag gestellt worden sei. Im Rahmen jeder Haftanordnung sei von der Asylbehörde zu prüfen, ob ein milderes Mittel zur Anwendung kommen könne. Erstmalig könne die Asylhaft maximal für 72 Stunden angeordnet werden. Eine Haftverlängerung sei maximal um 60 Tage möglich. Sie sei zu begründen und werde gerichtlich überprüft. Die Haftdauer dürfe insgesamt sechs Monate, bei Familien mit minderjährigen Kindern einen Monat, nicht überschreiten. Für die Einzelheiten der aktuellen Haftbedingungen, insbesondere die medizinische Behandlung, die Möglichkeiten zur Beschwerde, die Überwachung der Einrichtungen durch die ungarische Staatsanwaltschaft, die räumliche Ausstattung, die Bewegungsmöglichkeiten der Insassen sowie die Betreuung der Asylbewerber wird ebenfalls auf Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2016 an das VG Regensburg verwiesen. Zwar lägen laut der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2016 an das VG Regensburg keine offiziellen statistischen Informationen vor, ob „Dublin-Rückkehrer“ regelmäßig oder ausnahmsweise inhaftiert werden, da für sie die gleichen gesetzlichen Grundlage wie für Nicht-Dublin-Fälle gelten (anders: Pro Asyl, Gänzlich unerwünscht, Entrechtung, Kriminalisierung und Inhaftierung von Flüchtlingen in Ungarn, S. 28 – allerdings ohne statistischen Nachweis oder Quellenangabe). Jedoch sei auch in diesen Fällen die Haftanordnung sowie eine etwaige Verlängerung im Einzelfall zu begründen und gerichtlich überprüfbar. Zudem sei gewährleistet, dass das Asylverfahren eines Dublin-Rückkehrers, dessen zuvor in Ungarn gestellter Asylantrag noch nicht in der Sache geprüft worden sei, wieder aufgenommen und vollumfänglich geprüft werde. Sofern ein Antrag als unzulässig beschieden werden solle, weil ein sicherer Drittstaat für den Antragsteller qualifiziert werden könne, werde dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Ihm stehe der Weg zu den Gerichten offen. Die Klage habe aufschiebende Wirkung.
Unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Berichte internationaler Nichtregierungsorganisationen verkennt das Gericht bei der Bewertung dieser Auskünfte nicht, dass die vom Auswärtigen Amt skizzierte Rechtslage nicht in vollem Umfang die tatsächliche Rechtspraxis widerspiegelt.
Gegen die Annahme systemischer Mängel des ungarischen Asylverfahrens im oben genannten strengen Sinn spricht jedoch auch der aktuelle Bericht des UNHCR zu Ungarn als Asylland (Hungary as a Country of Asylum) vom Mai 2016 (deutsche Version Juli 2016). Zusammenfassend äußert der UNHCR insoweit zwar schwerwiegende Bedenken. Eine Empfehlung oder gar dringende Empfehlung, von Rückführungen nach Ungarn abzusehen, spricht der UNHCR gleichwohl – anders als bei Griechenland oder teilweise Bulgarien – gerade nicht aus. So bezieht sich der UNHCR in seinem Bericht explizit darauf, dass er im Oktober 2012 die am Dublin-System teilnehmenden Staaten aufgefordert hatte, Asylsuchende nicht nach Ungarn zurückzuschicken, unter anderem weil Ungarn das Konzept des sicheren Drittstaats weiterhin auf Serbien anwandte. Nachdem Ungarn das Konzept des sicheren Drittstaats nicht mehr anwandte, habe der UNHCR die Empfehlung revidiert. Zwar stellt der UNHCR im Bericht vom Mai 2016 fest, dass Ungarn die Anwendung des Konzepts im September 2015 wiederaufgenommen habe, gesteht Ungarn jedoch zu, dass sich die Anwendung des Konzepts des sicheren Drittstaats im Laufe der Zeit in der Praxis geändert habe, auch wenn die entsprechenden Rechtsvorschriften noch in Kraft seien. Der UNHCR hat sich auch im Licht der im September 2015 in Ungarn in Kraft getreten Änderungen im ungarischen Asyl- und Asylverfahrensrecht mit der Möglichkeit auseinander gesetzt, einen Rückführungsstopp zu empfehlen, und ist diesen Schritt trotz der von ihm aufgezeigten Bedenken nicht gegangen. Angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen wurde, kommen den Dokumenten des UNHCR bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin III-VO zu bestimmenden Drittstaat ein besonderer Stellenwert zu.
Im Hinblick auf eine mögliche Rückschiebung nach Serbien als „sicherer Drittstaat“ geht aus der Auskunft des Auswärtigen Amt vom 27. Januar 2016 an das VG Regensburg hervor, dass Serbien die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn im Wege einer Einzelfallprüfung ablehnt, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass der Antragsteller tatsächlich über Serbien nach Ungarn eingereist ist. Da die Antragstellerin nicht vorträgt, in Serbien erkennungsdienstlich registriert worden zu sein, geht das Gericht im Einklang mit der Auskunft des Auswärtigen Amts vom 27. Januar 2016 davon aus, dass Serbien keine Registrierung von „durchreisenden“ Flüchtlingen vornimmt, so dass eine tatsächliche Rückschiebung der Antragstellerin nach Serbien nicht zu erwarten ist. Wenn der Drittstaat die Übernahme ablehnt, sind die ungarischen Asylbehörden jedoch verpflichtet, die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig aufzuheben und das Asylverfahren weiterzubetreiben. Der UNHCR beanstandet zwar in seinem Bericht von Mai 2016, dass die ungarischen Asylbehörden dieser Verpflichtung meist erst nach Durchführung eines entsprechenden Gerichtsverfahrens nachkommen. Er hält jedoch auch fest, dass von 387 gestellten Anträgen auf gerichtliche Überprüfung der Unzulässigkeitsentscheidung im Zeitraum von 1. August 2015 bis 31. März 2016 das Gericht die Entscheidung der Asylbehörde in 246 Fällen annullierte und zur inhaltlichen Befassung an die Asylbehörde zurückwies, so dass davon ausgegangen werden kann, dass es wirksame Möglichkeiten des Rechtsschutzes auch gegen eine solche Unzulässigkeitsentscheidung gibt (so im Ergebnis auch Pro Asyl: Gänzlich unerwünscht, Entrechtung, Kriminalisierung und Inhaftierung von Flüchtlingen in Ungarn, Juli 2016 – allerdings mit der Betonung der vorhanden Verfahrensmängel).
Vor diesem Hintergrund folgt das Gericht nicht der Rechtsprechung, die das Vorliegen systemischer Mängel in Ungarn nunmehr für gegeben bzw. für überprüfungsbedürftig hält (vgl. u.a. OVG Lüneburg, B.v. 20.12.2016 – 8 LB 184/15 – juris; U.v. 15.11.2016 – 8 LB 92/15 – juris, VGH Mannheim, U.v. 13.10.2016 – A 11 S 1596/16 – juris; U.v. 5.7.2016 – A 11 S 974/16 – juris; VG Potsdam, U.v. 11.3.2016 – VG 12 K 216/15.A – juris; VG Aachen, U.v. 10.3.2016 – 5 K 1049/15.A – juris; VG München, B.v. 27.1.2016 – M 1 S. 16.50006 – juris; B.v. 24.5.2016 – M 24 K 16.50135 – juris, B.v. 22.6.2016 – M 8 S. 16.50295 – juris).
Die Einzelrichterin schließt sich vielmehr der gegenteiligen Rechtauffassung an (vgl. etwa VG Berlin, U.v. 13.12.2016 – 3 K 509.15 A – juris; VG Köln, U.v. 6.12.2016 – 22 K 3248/15.A – juris; VG Hamburg, 9.11.2016 – 1 A 1973/15 – juris; VG Stade, B.v. 4.11.2015 – 1 B 1749/15 – juris; B.v. 15.10.2015 – 1 B 1605/15 – juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 22.9.2015 – 9a L 1873/15.A – juris; VG Dresden, B.v. 9.9.2015 – 2 L 719/15.A – juris; VG Würzburg, U.v. 25.2.2016, W 4 K 15.50401 – juris; VG Greifswald, B.v. 14.3.2016, Az. 4 B 649/16; VG München, B.v. 17.3.2016 – M 1 S. 16.50032 – juris, B.v. 28.4.2016 – M 3 S. 16.50249, B.v. 30.6.2016 – M 9 S. 16.50428; VG Ansbach, B.v. 17.2.2016 – AN 3 S. 16.50035 – juris).
Nach der zuletzt genannten Rechtsprechung, auf die ausdrücklich Bezug genommen wird, und unter Berücksichtigung sonstiger Erkenntnisquellen ist festzustellen, dass die Inhaftierungs- und Rückführungsvorschriften in Ungarn bzw. ihre tatsächliche Anwendung (noch) keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen von systemischen Mängeln belegen, die gerade für die Antragstellerin die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-GR-Charta bzw. des Art. 3 EMRK mit sich bringt.
Auch ist nicht anzunehmen, dass die Rücküberführung der Antragstellerin nach Ungarn aufgrund unzureichender Kooperation tatsächlich unmöglich ist.
Aus der Übersicht des Bundesamts zu den Prüffällen und Übernahmeersuchen nach der Dublin-Verordnung für die Zeit vom 1. Januar 2016 bis 30. November 2016 ergibt sich zwar eine Überstellungsquote nach Ungarn von lediglich ca. 7,8 Prozent. Jedoch bewegt sich auch die Quote der erfolgreichen Überstellungen aus der Bundesrepublik Deutschland in die übrigen Mitgliedstaaten im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. November 2016 gleichfalls nur im niedrigen Bereich, und zwar bei durchschnittlich 13,9%, im Verhältnis zu Finnland im gleichen Zeitraum sogar bei nur 7,4%. Da der unterbliebene Vollzug einer Abschiebungsanordnung vielfältige Gründe haben kann, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Gründe für nicht in größerem Umfang erfolgte Überstellungen nach Ungarn allein in der Sphäre Ungarns liegen würden. Wenngleich Ungarn die Überstellung von Dublin-Rückkehrern nach dem gemeinsamen Bericht von Pro Asyl und bordermonitoring.eu „Gänzlich unerwünscht, Entrechtung, Kriminalisierung und Inhaftierung von Flüchtlingen in Ungarn“ derzeit mit maximal 12 akzeptierten Überstellungen pro Tag stark limitiert, ist sie letztlich doch tatsächlich durchführbar, wie auch der Liaisonmitarbeiter der Antragsgegnerin beim Ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft in seiner Stellungnahme vom 15. August 2016 an das Verwaltungsgericht Osnabrück bestätigt. Da Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO Ungarn ausdrücklich dazu verpflichtet, die Antragstellerin wiederaufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für ihre Ankunft zu treffen, ist davon auszugehen, dass die Abschiebung entsprechend § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG tatsächlich durchgeführt werden kann.
Nach alledem erweist sich die Abschiebungsanordnung bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig, so dass die Klage in der Hauptsache keine Aussicht auf Erfolg hat.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung war somit abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; § 83b AsylG.
Aufgrund der fehlenden Erfolgsaussichten des vorliegenden Verfahrens war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen.

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