Aktenzeichen AN 14 S 17.50448
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 2 S. 1
EMRK EMRK Art. 3
Leitsatz
Asylbewerber laufen in Belgien nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen seine vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) angeordnete Abschiebung nach Belgien.
Der Antragsteller ist äthiopischer Staatsangehöriger, dem Volke der Somali und sunnitischer Religion zugehörig. Nach eigenen Angaben reiste er am 10. Dezember 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte dort am 19. Dezember 2016 einen Asylantrag.
Nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) – Abgleich der Fingerabdrücke ergab einen EURODAC-Treffer der Kategorie 1 – lagen Anhaltspunkte vor für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO). Daraufhin wurde am 20. Dezember 2016 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an Italien gerichtet. Die belgischen Behörden haben mit Schreiben vom 21. Dezember 2016 ihre Zuständigkeit nach Art. 18 Abs. 1 d) Dublin III-VO erklärt.
Mit Bescheid vom 14. Februar 2017, dem Antragsteller ausgehändigt am 2. März 2017, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung in die Belgien an. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei wegen § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Belgien auf Grund des erteilten Visums nach Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei.
Mit Schreiben vom 7. März 2017, bei Gericht per Telefax eingegangen am gleichen Tag, hat der Antragsteller Klage erhoben und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt.
In Belgien sei mit einer negativen Entscheidung über seinen Asylantrag und mit einer Abschiebung zu rechnen. Eine Rückkehr nach Somalia sei für ihn aber ausgeschlossen.
Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beantragt der Antragsteller,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 14. Februar 2017 hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft und fristgerecht.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft, da im Hauptsacheverfahren gegen den streitgegenständlichen Bescheid eine Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart ist, wenn ein Asylbewerber die Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung seines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin III-Verordnung begehrt (vgl. zur Dublin II-VO: BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32/14 – juris Rn. 13). Auch für die Aufhebung der in Nummer 2 des Bescheides getroffene Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart (BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32/14 – juris Rn. 15). Gleiches gilt für die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate. Zugunsten des Antragstellers ist davon auszugehen, dass sich der Antrag nur auf die in Nummer 3 des streitgegenständlichen Bescheides getroffene Abschiebungsandrohung bezieht.
Der Antrag ist am 7. März 2017 und damit innerhalb der einwöchigen Frist ab Aushändigung des streitgegenständlichen Bescheides des Bundesamts (am 2. März 2017) gestellt worden (vgl. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG).
Der zulässige Antrag ist aber unbegründet.
Die vom Antragsteller erhobene Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 14. Februar 2017 entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG). Das Gericht der Hauptsache kann aber nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage dieser Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die im Eilverfahren nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann.
Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage, weil diese aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Die in Nummer 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 14. Februar 2017 getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich nach summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
Nach zutreffender Auffassung der Antragsgegnerin sind im vorliegenden Fall die Belgien für die Behandlung des Asylgesuchs des Antragstellers zuständig. Nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Abl. L 180 v. 19. Juni 2013, S.31 – „Dublin III- VO“) wird der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird.
Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Belgien der zuständige Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers ist, wenngleich unter Bezugnahme auf die falsche Vorschrift nach der Dublin III-VO. Da der Antragsteller nach eigenen Angaben am 21. Mai 2015 bereits einen Asylantrag in Belgien gestellt hat, ist Belgien für die Prüfung seines Asylantrags zuständig (vgl. Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO).
Belgien hat deshalb auch die Zuständigkeit für die Behandlung des Asylgesuchs des Antragstellers anerkannt.
Die Zuständigkeit Belgiens ist auch nicht wegen Ablaufs der sechsmonatigen Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO entfallen und auf die Beklagte übergegangen. Die Überstellungsfrist wird zwar grundsätzlich mit der Erklärung des anderen Mitgliedstaates in Lauf gesetzt, den Schutzsuchenden zur Durchführung des Asylverfahrens aufzunehmen, hier also mit dem Schreiben der belgischen Behörden vom 21. Dezember 2016. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unterbricht jedoch ein vor Ablauf der Überstellungsfrist gestellter, zulässiger Eilantrag gegen die Abschiebungsanordnung den Lauf der Überstellungsfrist, weil dann bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine Überstellung kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Demzufolge hat der vom Antragsteller am 7. März 2017 eingereichte Eilantrag den Lauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist unterbrochen. Die Überstellungsfrist beginnt ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe dieses ablehnenden Eilbeschlusses vollständig neu zu laufen (vgl. BVerwG, B.v. 27.4.2016 – 1 C 22.15 – und U.v. 26.5.2016 – 1 C15.15 – juris; Sächs.OVG, B. 5.10.2015 – 5 B 259/15.A -, juris, Rn. 10, VG Augsburg, U.v. 22.10.2014 – Au 3 K 14.50135 – juris Rn. 31, 33; VG Regensburg, B.v. 21.11.2014 – RN 5 S. 14.50276 – juris Rn. 15).
Es liegen auch keine Umstände vor, die die Zuständigkeit der Belgien in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin-Verordnungen entfallen ließen. Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO begründen würden, sind seitens des Antragstellers weder konkret vorgetragen noch ersichtlich. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 Grundrechtscharta bwz. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 a.a.O.). Der Asylbewerber kann der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat mithin nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, U.v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). So bestimmt Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird. An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Art. 3 EMRK der zuständigen Mitgliedstaaten genügen hierfür nicht. Von systemischen Mängeln ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 -, juris; B.v. 6.6.2014, 10 B 25/14, juris).
Ausgehend davon bestehen nach dem der Kammer vorliegenden Erkenntnismaterial im gegenwärtigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller im Falle seiner Rücküberstellung nach Belgien auf Grund dort vorhandener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber eine menschenunwürdige oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (GRCh) bzw. Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EMRK) drohen würde. Der Kläger hat in keiner Weise substantiiert vorgetragen, dass das belgische Asylverfahren oder die belgischen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber derartige systemische Mängel oder Schwachstellen aufweisen. Solche sind dem Gericht auch nicht bekannt (vgl. dazu u.a. VG München, B.v. 27.8.2015 – 1 S. 15.50700 -, juris; VG Ansbach; B.v. 20.7.2015 – AN 14 S. 15.50239, AN 14 K 15.50240 – juris; VG Stade, B.v. 2.9.2013 – 3 B 3031/13 -, juris; VG Osnabrück, U.v. 29.7.2013 – 5 A 53/13 -, juris; VG Düsseldorf, B.v. 23.7.2013 – 25 L 1342/13 A -, juris; VG Weimar, B.v. 12.7.2013 – 7 E 20175/13 We).
Ergänzend hierzu wird auf die ausführliche Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 14. Februar 2017 Bezug genommen.
Auch außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Antragsgegnerin veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, sind nicht ersichtlich.
Die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung des Antragstellers nach Belgien begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Die belgischen Behörden haben der Rückführung des Antragstellers mit Schreiben vom 21. Dezember 2016 ausdrücklich zugestimmt. Ein der Abschiebung nach Belgien entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre (vgl. BVerfG, B. v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 -, juris Rn. 11 f; BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 -, juris; OVG NRW, B. v. 30.8.2011 – 18 B 1060/11 -, juris Rn. 4), ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).