Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Belgien

Aktenzeichen  M 1 S 17.51013

Datum:
28.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK EMRK Art. 3
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, UAbs. 3, Art. 17 Abs. 1
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Asylbewerber laufen in Italien nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach seinen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger und am 19.2.2017 nach Deutschland eingereist. Er stellte am *.3.2017 Asylantrag.
Nachdem sich Anhaltspunkte dafür ergaben, dass Belgien nach der Dublin III-VO für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig ist (Erteilung eines Schengen-Visums), richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 17.3.2017 ein Übernahmeersuchen an Belgien, dem am 21.3.2017 entsprochen wurde.
Mit Bescheid vom 22. März 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte fest, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Belgien an (Nr. 3). In Nr. 4 des Bescheids wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
Die Bevollmächtigte des Antragstellers erhob am *.4.2017 gegen den Bescheid Klage (M 1 K 17.51012) und beantragte zugleich im vorliegenden Verfahren,
die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO Zur Begründung trug die Bevollmächtigte des Antragstellers nichts vor.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag ist unbegründet.
Die Klage entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage der Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Vorliegend überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG rechtmäßig ist. Nach § 34a Abs. 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Das Bundesamt hat zu Recht seine Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens abgelehnt (1.) und das Vorliegen von Abschiebungsverboten oder Abschiebungshindernissen verneint (2.).
1. Belgien hat dem fristgerecht gestellten Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin entsprochen. Belgien ist damit der für die Bearbeitung des Asylbegehrens allein zuständige Staat nach der Dublin III-VO und verpflichtet, den Antragsteller (wieder) aufzunehmen.
Besondere Umstände, die die ausnahmsweise Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO begründen oder nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO rechtfertigen bzw. bedingen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann der Antragsteller seine Überstellung nach Belgien nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Belgien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) mit sich bringen, sodass eine Überstellung nach Belgien unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO).
Nach dem Konzept der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 ua – juris) und dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Den nationalen Gerichten obliegt im Einzelfall die Prüfung, ob ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesem Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber implizieren (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O Rn. 86). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVwerG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 5 f. m. w. N.). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegen sprechenden Tatsachen zukommen, d. h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Dem Gericht liegen keine Erkenntnisquellen vor, die die Befürchtung rechtfertigen, dass in Belgien systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen bestehen. Der Antragsteller selbst hat systemische Mängel in Belgien weder geltend gemacht noch konkret dargelegt, worin diese liegen.
Nach den insoweit im Kern übereinstimmenden Erkenntnismitteln ist davon auszugehen, dass Belgien über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches prinzipiell funktionsfähig ist und insbesondere sicherstellt, dass ein im Dublin-Verfahren rücküberstellter Asylbewerber nicht mit Verstößen gegen Gewährleistungsrechte aus Art. 4 EU-Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK rechnen muss. So geht aus dem Bericht „aida, Asylum Information Database, National Country Belgium, Stand 30. April 2013“ hervor, dass einem Asylbewerber während der Prüfung seines Asylantrags ein Platz in der Betreuungseinrichtung zusteht. Der Asylbewerber hat dann Anspruch auf materielle, medizinische, soziale und rechtliche Begleitung. Lediglich solange eine von der Behörde festgestellte Ausreiseverpflichtung vollziehbar ist, bestehen diese Rechte nicht. Der Asylbewerber kann aber die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs beantragen. Der Bericht des Auswärtigen Amtes der Vereinigten Staaten von Amerika (Belgium 2012 Human Rights Report) beschreibt auf Seite 7ff. die Flüchtlingssituation in Belgien, ohne Beanstandungen systemischer Art auch nur im Ansatz zu erwähnen. Amnesty International enthält in seinem „Amnesty Report 2013-Belgien“ lediglich den Hinweis darauf, dass die Kapazität der Aufnahmezentren für Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten nicht ausreichend gewesen sei, ein Zustand, der nach dem vorzitierten aida-Report, S.44, ab Ende 2012 nicht fortbestanden haben soll. Hierauf ist die Annahme systemischer Mängel nicht zu stützen.
2. Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheids bleibt voraussichtlich auch ohne Erfolg, als im Rahmen der Anordnung zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote und inlandsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen sind (zu dieser Prüfungspflicht siehe BayVGH, B.v.12.3.2014, Az. 10 CE 14.427, juris).
Hierzu wurde nichts vorgetragen.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG)

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