Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Bulgarien

Aktenzeichen  M 9 K 16.51297

Datum:
17.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Im Rahmen des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens und dem Konzept der normativen Vergewisserung obliegt es den nationalen Gerichten zu prüfen, ob die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte entspricht, widerlegt wird. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Bulgarien läuft ein Asylbewerber keine Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, sodass keine systemischen Mängel im bulgarischen Asylverfahren oder den dortigen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestehen (ebenso BayVGH BeckRS 2016, 54889).  (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil sich die Beteiligten damit individuell einverstanden erklärt haben (die Klägerseite) bzw. ein entsprechendes generelles Einverständnis vorliegt (auf Beklagtenseite sowie von der Vertretung des öffentlichen Interesses), § 101 Abs. 2 VwGO.
Die Klage ist zwar zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht erhoben, § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 2016, auf den im Sinne von § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG). Insbesondere kommen das AsylG und das AufenthG in den durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 390), das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern sowie zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 394) und das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl I, S. 1939) geänderten Fassungen zur Anwendung.
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Beides ist vorliegend der Fall.
1. Bulgarien ist als Mitgliedstaat, in dem der Kläger ausweislich des Eurodac-Treffers für Bulgarien einen Asylantrag gestellt hat, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO).
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Bulgarien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Zwar hat der Kläger in der Erstbefragung vom 2. September 2016 vorgetragen, dass er in keinem Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. In Widerspruch hierzu steht jedoch seine Angabe in der Zweitbefragung vom 28. November 2016, wonach er in Bulgarien einen Nachweis über die erfolgte Asylantragstellung bekommen habe. Der Umstand der Asylantragstellung in Bulgarien wird jedoch unabhängig davon jedenfalls belegt durch den für den Kläger erzielten Eurodac-Treffer mit der Kennzeichnung „BG1“. Die Ziffer „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26. Juni 2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Neufassung) (EURODAC-VO)). Die Zuständigkeit Bulgariens ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erloschen. Damit ist vorliegend Bulgarien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat, was von der Klage auch nicht bestritten wird.
Die bulgarischen Behörden haben die Zuständigkeit Bulgariens bejaht und der Wiederaufnahme des Klägers zugestimmt.
2. Die Abschiebung nach Bulgarien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen, weil eine Überstellung nach Bulgarien als den zuständigen Mitgliedstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger im Falle einer Abschiebung nach Bulgarien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den jeweiligen Asylantragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v.19.03.2014 – 10 B 6.14 -, juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger in Bulgarien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. statt vieler nur BayVGH, B.v. 15.11.2016 – 13a ZB 16.50064 – juris Rn. 4f.; B.v. 29.1.2015 – 13a B 14.50039 – AuAS 2015, 104; VGH Baden-Württemberg, U.v. 18.3.2015 – A 11 S 2042/14 – Asylmagazin 2015, 202; U.v. 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 – DVBl 2015, 118 = InfAuslR 2015, 77; OVG LSA, B.v. 29.3.2016 – 3 L 47/16 – juris Rn. 30ff. m.w.N.).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen liegen ebenso wenig vor wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
Für den Kläger ist nichts vorgetragen, was mit seiner individuellen Situation zu tun hätte.
Auch die nach dem klägerischen Vortrag, der allerdings wegen Widersprüchlichkeit nicht glaubhaft ist – der Kläger gab im Erstgespräch auf entsprechende Frage an, keinen Antrag auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat gestellt zu haben (Bl. 5 der Bundesamtsakten), während er dann im Zweitgespräch behauptete, dass sein Asylantrag abgelehnt worden wäre (Bl. 49 der Bundesamtsakten) – zumindest denkbare Möglichkeit, dass der Asylantrag des Klägers, von dem auf Grund des Eurodac-Treffers „1“ auszugehen ist (siehe oben S. 7) in Bulgarien bereits abgelehnt wurde, ist von der Beklagten berücksichtigt. Die Formulierungen im streitgegenständlichen Bescheid auf S. 2 Absätze 2 und 3 von oben, wonach die Unzulässigkeit des Asylantrags auch dann nicht in Frage steht, wenn sich später herausstellen sollte, dass dem Kläger entgegen der bisherigen Erkenntnisse bereits in einem anderen Mitgliedstaat Schutz gewährt oder ein Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat erfolglos abgeschlossen wurde und die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nicht vorliegen, sind in diesem Zusammenhang nicht zu beanstanden. Erstens trifft es sachlich zu, dass es auch in diesen Fällen grundsätzlich bei der Unzulässigkeit des Asylantrags bleibt und zweitens hat das Bundesamt, das diese Ausführungen ersichtlich hilfsweise gemacht hat, dazu auch hinreichend Grund bzw. Anlass, da es erstens darauf angewiesen ist, dass die Angaben des Klägers, die er im streitgegenständlichen Verwaltungsverfahren gemacht, zutreffen – vorbehaltlich des Umstands, dass diese hier tatsächlich vom Eurodac-Treffer und der Zustimmungserklärung der bulgarischen Behörden bestätigt werden – und zweitens es die Umstände dieses Falles wie oben dargestellt nicht als fernliegend erscheinen lassen, dass über den Asylantrag des Klägers zwischenzeitlich in Bulgarien entschieden worden sein könnte; für den Fall, dass das entgegen den widersprüchlichen Angaben des Klägers doch zutrifft, darf das Bundesamt ohne weiteres hilfsweise darauf hinweisen, dass auch dann der Asylantrag des Klägers unzulässig wäre.
Die Umstände, die der Kläger selbst im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und die persönliche Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags sowie im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Zweitbefragung geltend gemacht hat, begründen keine systemischen Mängel des bulgarischen Asylverfahrens.
Die ebenfalls vom Kläger selbst im Verwaltungsverfahren geltend gemachte Verletzung an einem Bein (Bl. 48 unten / Bl. 49 oben der Bundesamtsakte) steht der Abschiebung nach Bulgarien nicht entgegen. Der Kläger hat hierzu trotzdem, dass nichts dafür ersichtlich ist, warum es ihm nicht möglich sein sollte, Belege vorzulegen, keinerlei ärztliche Atteste o.ä. vorgelegt. Unabhängig davon bestehen keine Zweifel daran – unterstellt, der Kläger hätte wirklich eine Beinverletzung (gehabt) – dass diese auch in Bulgarien behandelt wird.
Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen in den Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen keine Bedenken.
3. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

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