Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Frankreich

Aktenzeichen  W 10 S 18.50560

Datum:
7.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 38269
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 2 S. 1
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2 S. 1
EMRK Art. 3
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2

 

Leitsatz

1. Frankreich verfügt über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, das im Normalfall gewährleisten kann, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss (vgl. u.a. VG Augsburg BeckRS 2018, 16993). (Rn. 19 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch wenn spezifische Bedürfnisse vulnerabler Personen nicht in jedem Fall beachtet werden (können) und es in Einzelfällen zu vorübergehender Obdachlosigkeit von Asylbewerbern kommen kann, sind diese defizitären Umstände gleichwohl noch nicht als generelle systemische Mängel in Frankreich zu qualifizieren. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hinsichtlich eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernises iSd § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG sind die Wertungen des Mutterschutzgesetzes zu berücksichtigen (vgl. u.a. VG Würzburg BeckRS 2018, 28103). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die französische Polizei nicht ausreichend Unterstützung und Schutz bei Todesdrohungen bieten würde. (Rn. 28 – 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit einer von der Antragsgegnerin verfügten Abschiebungsanordnung nach Frankreich.
1. Die am … … 1996 geborene Antragstellerin ist nigerianische Staatsangehörige, dem Volk der Bini zugehörig und christlichen Glaubens. Sie reiste eigenen Angaben zufolge am 22. Oktober 2018 in das Bundesgebiet ein und stellte am 30. Oktober 2018 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Nach den Erkenntnissen des Bundesamts lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) vor. Am 8. November 2018 richtete das Bundesamt ein Übernahmeersuchen an Frankreich. Die französischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 22. November 2018 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO.
Im Rahmen des persönlichen Gesprächs vor dem Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und der Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrages vom 30. Oktober 2018 gab die Antragstellerin unter anderem an, sie habe ihr Herkunftsland erstmalig Ende 2012 verlassen und habe in Frankreich am 6. Februar 2016 internationalen Schutz beantragt, der jedoch abgelehnt worden sei. Sie habe in Frankreich für eine „Madame“ als Prostituierte gearbeitet. Diese habe ihre Ausreise aus Nigeria organisiert, wofür sie ihr noch Geld schulde. Sie habe der Madame einen „Juju – Schwur“ geleistet, dass sie nie den Namen der Madame an die Polizei weitergeben werde, nicht weglaufen werde und das geschuldete Geld zurückzahlen müsse, andernfalls werde sie sterben. Die Madame habe sie geschlagen und ihr gedroht, sie umzubringen, wenn sie ihr kein Geld gebe. Sie habe entkommen können und sei nach Deutschland geflüchtet. Die Antragstellerin gab weiterhin an, schwanger zu sein.
Mit Bescheid vom 27. November 2018, der Antragstellerin zugestellt am 29. November 2018, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 2) und ordnete die Abschiebung der Antragstellerin nach Frankreich an (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wurde auf 9 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 des Asylgesetzes (AsylG) unzulässig, da Frankreich aufgrund des dort gestellten und angelehnten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO zuständig sei. Sollte die Antragstellerin entgegen der bisherigen Erkenntnislage in einem anderen europäischen Staat internationalen Schutz erhalten haben, bleibe es gleichwohl bei der Unzulässigkeit der Asylanträge nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG lägen nach Erkenntnissen des Bundesamts nicht vor. Die Gefährdungssituation der Antragstellerin sei im Vergleich zu Deutschland nicht höher einzustufen, da eine weitere Kontaktaufnahme durch die Madame nicht zu erwarten sei. Es lägen dem Bundesamt auch keine Anhaltspunkte einer mangelnden Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit des französischen Staates vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Frankreich führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung der Antragstellerin eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorläge, da die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab nicht erfüllt seien. Ebenso fehlten Gründe für eine Annahme, dass bei Abschiebung der Antragstellerin eine Verletzung des Art. 4 EU-Grundrechtecharta vorläge. Weiterhin bestünden in Frankreich keine systemischen Mängel, welche die Sicherheitsvermutung widerlegen würden. Die dortigen Aufnahmeeinrichtungen entsprächen internationalen Standards, ein Zugang zum Asylverfahren, zu medizinischer Versorgung sowie juristischer Unterstützung sei gewährleistet. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen im Bescheid vom 27. November 2018 Bezug genommen.
2. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin am 5. Dezember 2018 zur Niederschrift des Urkundsbeamten Klage (W 10 K 18.50559) und beantragte zugleich im vorliegenden Verfahren,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung verweist die Antragstellerin insbesondere auf ihre beim Bundesamt vorgetragenen Gründe.
Wegen der Ausführungen der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt, die Akten im Verfahren W 10 K 18.50559, die beigezogenen Behördenakten sowie auf die Sachverhaltsdarstellung im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
II.
Soweit der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die Abschiebungsanordnung unter Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids betrifft, ist er zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützte Abschiebungsanordnung nach Frankreich ist zulässig. Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs anordnen. Eine Klage gegen die Abschiebungsanordnung entfaltet von Gesetzes wegen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Der Antrag ist daher statthaft und wurde innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt.
2. Der Antrag ist allerdings unbegründet. Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Anordnung bzw. die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung auf Grund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegeneinander abzuwägen (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 80 Rn. 152; Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 89). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird; ergibt eine vorläufige Überprüfung der Hauptsacheklage dagegen, dass diese offensichtlich erfolgreich sein wird, so überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Sind die Erfolgsaussichten offen, so ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 90 ff.).
Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin aus. Nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung bestehen an der Rechtmäßigkeit der Ziffer 3 des angegriffenen Bescheids keine Zweifel. Das Gericht geht davon aus, dass in Frankreich zum aktuellen Zeitpunkt keine systemischen Mängel bestehen, die zu einer Unmöglichkeit der Überstellung führen würden (unter b)). Im Falle der Antragstellerin besteht voraussichtlich auch kein Abschiebungshindernis (unter c)). Daher überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung.
Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen der Antragstellerin in der Antragsbegründung führt zu keiner anderen Bewertung.
a) Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 29 Absatz 1 Nr. 1 AsylG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Die Antragstellerin hat ausweislich des in der Behördenakte befindlichen Eurodac-Treffers bereits in Frankreich einen Asylantrag gestellt, so dass die französischen Behörden für die Prüfung des Antrags zuständig sind. Daher haben sich die französischen Behörden unter Verweis auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO mit der Rücküberstellung der Antragstellerin nach Frankreich einverstanden erklärt.
Da das Wiederaufnahmegesuch innerhalb der Frist des Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO an Frankreich gerichtet wurde, ist die Zuständigkeit auch nicht auf die Antragsgegnerin übergegangen. Auch auf Grundlage von Art. 29 Abs. 2 Satz 1 der Dublin III-VO ergibt sich keine Zuständigkeit der Antragsgegnerin.
b) Ein Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin ergibt sich auch nicht aus der rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nach Frankreich. Nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO besteht ein Überstellungshindernis, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem zu überstellenden Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU – Grundrechtecharta mit sich bringen. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO beruht auf der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass das in Art. 4 der EU – Grundrechtecharta enthaltene Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung von fundamentaler Bedeutung ist und aufgrund der engen Verbindung zur Achtung der Würde des Menschen (Art. 1 der EU – Grundrechtecharta) und seines daraus resultierenden absoluten Charakters auch in Dublin – Verfahren vollumfänglich beachtet werden muss (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417; U.v. 5.4.2016 – C-404/15, C-659/15 – NJW 2016, 1709 Rn. 85, 86; U.v. 16.2.2017 – C-578/16 – NVwZ 2017, 691 Rn. 59).
Das gemeinsame Europäische Asylsystem fußt auf dem „Prinzip gegenseitigen Vertrauens“ bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 79). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80). Hierbei handelt es sich zwar um eine widerlegliche Vermutung. Die Anforderungen an die Feststellung systemischer Mängel und eine daraus resultierende Widerlegung der Sicherheitsvermutung sind allerdings hoch. Im Hinblick auf das Ziel der Dublin III-VO, zügig und effektiv den für das Asylverfahren zuständigen Staat zu bestimmen, können geringfügige Verstöße hierfür nicht ausreichen. Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss vielmehr ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller defizitärer Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 der EU – Grundrechtecharta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41). Erforderlich ist insoweit die real bestehende Gefahr, dass in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, die grundlegende Ausstattung mit den notwendigen, zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse elementaren Mitteln so defizitär ist, dass der materielle Mindeststandard nicht erreicht wird und der betreffende Mitgliedstaat dieser Situation nicht mit geeigneten Maßnahmen, sondern mit Gleichgültigkeit begegnet (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – juris Rn. 34 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann allerdings die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem zu überstellenden Mitgliedstaat nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR,B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – ZAR 2013, 336, 70 f.). Der EGMR führt in seiner Entscheidung aus, dass Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien enthalte, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihnen dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Einer Dublin – Überstellung stünden nur außergewöhnliche zwingende humanitäre Gründe entgegen.
Entsprechend vorstehender Ausführungen geht das Gericht auf Basis einer Gesamtwürdigung nach dem aktuellen Erkenntnisstand und im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) – auch unter Berücksichtigung der Schwangerschaft der Antragstellerin – nicht davon aus, dass das Asylverfahren in Frankreich unionsrechtlichen Maßstäben widerspricht bzw. dort unzureichende Aufnahmebedingungen herrschen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 der EU – Grundrechtecharta gewährleisteten Rechte führen.
Frankreich ist als Mitgliedstaat der Europäischen Union ein sicherer Drittstaat im Sinne der Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a AsylG. Es ist davon auszugehen, dass das Asylrecht in Frankreich im Wesentlichen internationalen und europäischen Standards entspricht. Asylbewerber haben in Frankreich entsprechend dem Grundrecht auf Asyl Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten.
Darüber hinaus besteht ein Anspruch auf eine monatliche Beihilfe sowie kostenlose medizinische Versorgung, sobald die Asylbewerber die Bestätigung über ihr laufendes Asylverfahren erhalten. Die Versorgungsleistungen stehen in gleicher Weise auch Dublin – Rückkehrern zur Verfügung. Solange sich die Asylbewerber in Frankreich aufhalten, besteht dieser Anspruch auch noch nach Ablehnung des Asylantrags weiter. Die Gesundheitsfürsorge in Frankreich ist umfassend und auf hohem Niveau. Dem Gericht sind keine Erkrankungen bekannt, die in Frankreich nicht behandelt werden können, so dass nicht zweifelhaft ist, dass während der Schwangerschaft der Antragstellerin, auch im Falle von Komplikationen, medizinische Hilfe gewährleistet ist.
Grundsätzlich werden ausreichende Unterbringungsmöglichkeiten für Asylsuchende und Dublin – Rückkehrer in verschiedenen staatlichen Unterkünften sichergestellt. Frankreich verfügt über eine Gesamtkapazität von etwa 56.000 Unterbringungsplätzen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Frankreich, Stand: 29.1.2018 m.w.N.). Vulnerable Personen, wie beispielsweise Familien mit Kleinkindern, Schwangere oder Alte, werden in der Regel in Einrichtungen der Centre d´Accueil pour Demandeurs d´Asile (CADA) untergebracht, die es ermöglichen, besondere Bedürfnisse von schutzbedürftigen Personen zu berücksichtigen. Auch wenn spezifische Bedürfnisse vulnerabler Personen nicht in jedem Fall beachtet werden (können) und es in Einzelfällen zu vorübergehender Obdachlosigkeit von Asylbewerbern kommen kann, sind diese defizitären Umstände gleichwohl noch nicht als generelle systemische Mängel in Frankreich zu qualifizieren, zumal die Annahme von Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO entsprechend den oben genannten Maßgaben an hohe Anforderungen geknüpft ist. Der maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der französische Staat geeignete Maßnahmen ergriffen hat, um die Aufnahmekapazitäten auch weiterhin zu erhöhen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Frankreich, Stand: 29.1.2018 m.w.N.).
Das Gericht teilt daher die Einschätzung zahlreicher anderer Verwaltungsgerichte, dass Frankreich über ausreichende Unterbringungskapazitäten sowie ein funktionsfähiges, richtlinienkonformes Asyl – und Aufnahmeverfahren verfügt, das im Normalfall gewährleisten kann, dass Asylbewerber nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen müssen (vgl. VG Augsburg, B.v. 25.6.2018 – Au 6 S 18.50604 – juris Rn. 30; B.v. 15.5.2018 – Au 5 K 17.50557 – juris Rn. 31; VG München, U.v. 24.11.2015 – M 12 K 15.50786 – juris Rn. 36 ff.; B.v. 30.12.2015 – M 12 S 15.50773 – juris Rn. 25 ff.; B.v. 29.7.2016 – M 1 S 16.50357 – juris Rn. 15; VG Saarlouis, B.v. 4.1.2018 – 5 L 2332/17 – juris Rn. 26 ff.; VG Gelsenkirchen, B.v. 16.12.2014 – 6a L 1815/14.A – juris Rn. 10; VG Bayreuth, U.v. 18. 12. 2014 – B 3 K 14.50103 – juris Rn. 23; SächsOVG, B.v. 10.5.2016 – 5 A 380/15.A – juris Rn. 13). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Annahme systemischer Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO entsprechend der obigen Ausführungen an hohe Anforderungen geknüpft ist. Weder der UNHCR noch namhafte sachverständige Institutionen oder Nicht-Regierungsorganisationen haben eine Empfehlung dahingehend ausgesprochen, Asylbewerber aufgrund der dort herrschenden Bedingungen nicht nach Frankreich zu überstellen.
Weiterhin liegen auch keine außergewöhnlichen Umstände vor, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht bzw. eine Selbsteintrittspflicht der Beklagten nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten.
c) Die Feststellung der Antragsgegnerin, dass im Fall der Antragstellerin zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf Frankreich oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse nicht bestehen, ist nach summarischer Prüfung ebenfalls nicht zu beanstanden.
Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Gestalt einer Reiseunfähigkeit liegt vor, wenn entweder keine Transportfähigkeit besteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne) oder wenn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass sich der Gesundheitszustand als unmittelbare Folge der Abschiebung erheblich verschlechtern wird (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Eine Reiseunfähigkeit kann beispielsweise im Falle einer Risikoschwangerschaft angenommen werden, für die sich jedoch keine Anhaltspunkte aus den vorliegenden Unterlagen ergeben.
Die Schwangerschaft der Antragstellerin begründet vorliegend auch (noch) keine temporäre rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung, da sich die Antragstellerin nicht innerhalb der Mutterschutzfrist befindet. Nach § 3 Abs. 2 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) dürfen werdende Mütter in den letzten 6 Wochen vor der Entbindung grundsätzlich nicht mehr beschäftigt werden; das Beschäftigungsverbot dauert in der Regel bis 8 Wochen nach der Entbindung, § 6 Abs. 1 MuSchG. Die Wertungen des Mutterschutzgesetzes sind auch im Rahmen der Durchführbarkeit von Abschiebungen zu berücksichtigen (so auch VG Würzburg, B.v. 17.9.2018 – W 2 S 18.50430 – BeckRS 2018, 28103; VG München, B.v. 23.8.2018 – M 26 S 18.52227 – BeckRS 2018, 22654). Mit dem Beschäftigungsverbot innerhalb der Mutterschutzfrist korreliert ein Abschiebungsverbot, da die psychische und physische Belastung einer Schwangeren in dieser Zeit derart enorm ist, dass es durch eine zwangsweise Aufenthaltsbeendigung zu einer ernsthaften Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit der Mutter wie auch des ungeborenen Kindes kommen kann. Als voraussichtlicher Entbindungstermin der Antragstellerin wurde der 24. Februar 2019 errechnet, so dass die Mutterschutzfrist vorliegend noch nicht begonnen hat und auch nicht kurz bevorsteht.
Letztlich liegen voraussichtlich auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse vor. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Soweit die Antragstellerin im Rahmen der Antragsbegründung vorträgt, sie fürchte aufgrund der Drohungen durch eine „Madame“ in Frankreich um ihr Leben und das Leben ihres ungeborenen Kindes, begründet dies kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Dem betroffenen Ausländer muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den bezeichneten Rechtsgütern drohen (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 Rn. 20). Vorliegend fehlt es an einer konkreten Gefahr. Die Antragstellerin kann sich in Bedrohungssituationen an die französischen Sicherheitsbehörden wenden. Es ist mangels abweichender Anhaltspunkte nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin durch die Polizei, deren Hilfe die Antragstellerin eigenen Angaben zufolge bisher nicht in Anspruch genommen hat, nicht ausreichend Unterstützung und Schutz erhalten würde.
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin auch den ihrer Madame geleisteten „Juju – Schwur“ nicht fürchten muss. Ausweislich zahlreicher Presseberichte (vgl. beispielsweise https://www.nationalhelm.co/ 2018/03/ososomaye-traditional-palace-juju-used-by-oba-of-benin-to-revoke curses.html, abgerufen am 7. Dezember 2018) hat das spirituelle Oberhaupt von Benin – City, Oba Ewuare II, am 9. März 2018 in einer bedeutenden Zeremonie alle Voodoo – Schwüre gegen alle Menschenhandelsopfer aus Edo State/Nigeria, durch welche diese an den Täter gebunden werden, aufgehoben. Er verfluchte zugleich alle Juju – Priester, die in Zukunft dieses Ritual an Opfern der Menschenhändler abhalten.
Die Abschiebung der Antragsteller nach Frankreich ist somit sowohl tatsächlich möglich als auch rechtlich zulässig.
3. Da die Klage in der Hauptsache voraussichtlich erfolglos bleiben wird, überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung. Der Antrag war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.

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