Aktenzeichen M 9 K 16.50778
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1, Art. 23, Art. 25 Abs. 2
EMRK EMRK Art. 3
GRCh GRCh Art. 4
Leitsatz
1 Im Rahmen des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens und dem Konzept der normativen Vergewisserung obliegt es den nationalen Gerichten zu prüfen, ob die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte entspricht, widerlegt wird. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Italien läuft ein Asylbewerber keine Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, sodass keine systemischen Mängel im italienischen Asylverfahren oder den dortigen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestehen (ebenso VGH München BeckRS 2014, 52068). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klage ist zwar zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht erhoben, § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagte vom 22. September 2016, auf den im Sinne von § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr.604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
Sowohl die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig als auch die Abschiebungsanordnung nach Italien im streitgegenständlichen Bescheid sind nicht zu beanstanden.
1. Italien ist als Mitgliedstaat, in dem der Kläger ausweislich des Eurodac-Treffers für Italien einen Asylantrag gestellt hat, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig (nachfolgend 1.1). Der Zuständigkeit Italiens steht kein Verfahrensfehler entgegen, insbesondere war das Übernahmeersuchen nicht verspätet (nachfolgend 1.2), so dass offen bleiben kann, ob der Kläger einen subjektiv-öffentlichen Anspruch darauf hat, dass die formalen Voraussetzungen für die Überstellung nach der Dublin III-Verordnung vorliegen (nachfolgend 1.3).
1.1. Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Das ist auch nach dem eigenen Vortrag des Klägers Italien. Zwar hat der Kläger angegeben, bis zur Einreise nach Deutschland in keinem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt zu haben. Der Umstand der Asylantragstellung in Italien wiederum wird allerdings belegt durch den für den Kläger erzielten Eurodac-Treffer mit der Kennzeichnung „IT1“. Die Ziffer „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26. Juni 2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Neufassung) (EURODAC-VO)). Die Zuständigkeit Italiens ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erloschen. Damit ist vorliegend Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat.
Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmeersuchen der Beklagten nicht reagiert haben, ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO).
1.2. Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten des Klägers war das Übernahmeersuchen an Italien nicht verspätet.
Eine Verspätung käme unter Zugrundelegung des zeitlichen Ablaufs im Fall des Klägers nur dann in Betracht, wenn die Vorschrift des Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO anwendbar wäre. Denn wäre die in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO geregelte dreimonatige Frist ab Antragstellung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO einschlägig und unter der weiteren Voraussetzung, dass der Kläger nicht erst, wovon das Bundesamt ausgeht, am 9. Mai 2016, sondern schon früher seinen Asylantrag gestellt hat, käme ein Zuständigkeitsübergang nach Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO vorbehaltlich Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO in Betracht. Wann genau die Asylantragstellung des Klägers erfolgte – sein Bevollmächtigter geht vom 14. Dezember 2015 aus, wofür einiges spricht, da die erste Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender unter diesem Datum ausgestellt wurde und es in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht darauf ankommen kann, wann das Bundesamt von einem „förmlichen“ Asylantrag ausgeht – kann aber letztlich offen bleiben.
Denn im Falle des Klägers ist nicht Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO, sondern Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO anwendbar. Denn im Falle des Klägers liegt kein Aufnahmeverfahren i.S.v. Kapitel VI Abschnitt II der Dublin III-VO, sondern ein Wiederaufnahmeverfahren i.S.v. Kapitel VI Abschnitt III der Dublin III-VO vor. Das folgt daraus, dass der Kläger entgegen seinen Angaben bereits in Italien einen Asylantrag bzw. genauer gesagt einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, was durch den Umstand des für den Kläger erzielten Eurodac-Treffers mit der Kennzeichnung „IT1“ belegt wird. Das ist aber die Konstellation von Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO und nicht die Konstellation von Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO. Im Falle des Wiederaufnahmeverfahrens beträgt die – im Falle wie hier einer Eurodac-Treffermeldung – maßgebliche Frist gemäß Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO dagegen zwei Monate nach der Eurodac-Treffermeldung; der Zuständigkeitsübergang erfolgt in diesem Fall auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO. Hier ist allerdings das Wiederaufnahmegesuch am 8. Juli 2016 erfolgt und damit (gerade noch) innerhalb der Zweimonatsfrist, die mit der Eurodac-Treffermeldung am 9. Mai 2016 begann.
Ohne dass es für die formelle Rechtmäßigkeit des Überstellungsverfahrens darauf ankommt, ist darauf hinzuweisen, dass die dargestellte Regelung auch in materiell-rechtlicher Hinsicht überzeugt. Denn der Fristbeginn mit Antragstellung ist im Falle des Aufnahmeverfahrens, in dem es eben noch kein bereits laufendes Asylverfahren gibt, der naheliegende Zeitpunkt, während es im Falle des Wiederaufnahmeverfahrens, in dem es neben dem neuen Antrag bereits einen früher in einem anderen Mitgliedstaat gestellten gibt, weder ein Bedürfnis noch einen Grund für diese Anknüpfung gibt.
1.3. Da demzufolge kein Verfahrensfehler vorliegt, kann die (umstrittene, vgl. z.B. VG Hannover, B.v.12.09.2016 – 1 B 4090/16 -, juris Rn. 24ff. einerseits, VG München, B.v.30.09.2016 – M 11 S. 14.50670 – juris Rn. 17; B.v. 29.12.2016 – M 3 S. 16.51077 – andererseits) Frage, ob Verfahrensfehler insbesondere bei den sog. sekundären Zuständigkeitskriterien nach Kapitel VI im Rahmen der Anwendung der Vorschriften der Dublin III-Verordnung einem Kläger subjektiven Rechtsschutz vermitteln, offen bleiben.
Die vom Bevollmächtigten des Klägers hilfsweise beantragte Aussetzung des Verfahrens und die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zu der Frage nach dem subjektiv-öffentlichen Anspruch bei der Verletzung von formalen Vorschriften der Dublin III-VO musste schon deswegen nicht erfolgen, weil wie eben dargestellt diese Frage nicht entscheidungserheblich ist. Im Übrigen besteht gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV für das Gericht keine Vorlagepflicht, sondern „nur“ ein Vorlagerecht, von dem das Gericht keinen Gebrauch macht.
2. Die Abschiebung nach Italien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen, weil eine Überstellung an Italien als den zuständigen Mitgliedstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Kläger führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v.19.03.2014 – 10 B 6.14 -, juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Kläger in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH, U.v.28.02.2014 – 13a B 13.30295 -, juris; OVG NRW, U.v.22.09.2016 – 13 A 2248/15.A -, juris Rn. 72ff.; U.v.18.07.2016 – 13 A 1859/14.A -, juris Rn. 54ff.; U.v.24.04.2015 – 14 A 2356/12.A -, juris; U.v. 07.03.2014 – 1 A 21/12.A -, juris; VGH BW, U.v.16.04.2014 – A 11 S 1721/13 -, juris; OVG Rh-Pf, U.v.21.02.2014 – 10 A 10656/13.OVG -, juris; OVG LSA, U.v.02.10.2013 – 3 L 645/12 -, juris; OVG Berlin-Bbg, B.v.17.06.2013 – OVG 7 S. 33.13 -, juris; NdsOVG, B.v.30.01.2014 – 4 LA 167/13 -, juris; U.v.25.06.2015 – 11 LB 248/14 -, juris; vgl. auch BVerfG, Kammerb.v.17.09.2014 – 2 BvR 732/14 -, juris). Danach verfügt Italien unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen durchaus erhebliche Mängel und Defizite feststellen lassen, werden diese im Gegensatz zur gegenteiligen Auffassung des Klägerbevollmächtigten, weder für sich genommen noch insgesamt, als so gravierend bewertet, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NRW, U.v.07.03.2014, a.a.O. Rn 132; OVG Rh-Pf, U.v. 21.02.2014, a.a.O. Rn 45 f.).
Das Gericht schließt sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – Hussein u.a../.Niederlande und Italien, Nr. 27725/10 -, ZAR 2013, 336; B.v.18.06.2013 – Halimi./.Österreich und Italien, Nr. 53852/11 -, ZAR 2013, 338). Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätten, zwar einige Mängel aufweisen mögen, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen würden. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars wiesen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigten übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten seien. Diese Rechtsauffassung hat der EGMR, dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweilig entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (BVerfG, U.v.04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 -, juris), durch seine Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10 – HUDOC) ausdrücklich bestätigt.
Auch aus den vom Bevollmächtigten des Klägers in der Klage- bzw. Antragsbegründung zitierten Gerichtsentscheidungen folgt kein anderes Ergebnis.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (Az. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Kläger in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande (Az. 51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten. Unabhängig davon sind die Umstände des streitgegenständlichen Falles des Klägers mit denjenigen in der Entscheidung des EGMR nicht hinreichend vergleichbar.
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http: …www.asylumineurope.org/reports/country/italy) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgsversprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Bericht zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63f. des Berichts). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher auch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht angenommen werden.
Der in der mündlichen Verhandlung noch einmal wiederholte Hinweis des Bevollmächtigten des Klägers auf den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von August 2016 (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe https: …www.fluechtlingshilfe.ch/…/160815-sfh-bericht-italien-aufnahmebedingungen) steht dem nicht entgegen. Denn erstens handelt es sich hierbei nicht um das einzig richtige bzw. einzig maßgebliche Erkenntnismittel – das gilt auch für den Hinweis auf die Schweizerische Zeitschrift „Asyl“, Ausgabe 3/16, dort S. 15 (vgl. das Sitzungsprotokoll) -, vielmehr ergibt eine Berücksichtigung dieses Erkenntnismittels in der Zusammenschau mit den zahlreichen anderen vorhandenen Erkenntnismitteln eben im Ergebnis, dass systemische Mängel im italienischen Asylverfahren nicht vorliegen. Zweitens wäre die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien erst dann überschritten, wenn absehbar wäre, dass auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung des Problems ergriffen würden. Dafür gibt es auch nach dem aktuellen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus dem August 2016 keine Hinweise (vgl. VG Schwerin, U.v.26.09.2016 – 16 A 1757/15 As SN -, juris Rn. 122), auch ansonsten ist das nicht der Fall (vgl. z.B. OVG NRW, U.v.18.07.2016 – 13 A 1859/14.A -, juris Rn. 103ff.).
Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NRW, U.v.24.04.2015 a.a.O.).
Auch der Umstand, dass sich die Situation des Klägers in Italien u.U. deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – a.a.O.).
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Beklagten, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, U.v.30.6.2015 – 39350/13 – A.S. gegen Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U.v.11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 -, juris Rn. 26 m.w.N.). Auch der bereits erwähnte Bericht von AIDA bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B.v.19.09.2015 – Au 7 S. 15.50412 -, juris). Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (VG München, B.v.05.11.2014 – M 18 S. 14.50356 -, juris). Auch bei Überstellung von kranken Personen, deren Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen ist, besteht damit die Möglichkeit der Behandlung. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat.
Schließlich begründet auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbares, landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW, U.v.16.04.2014 – A 11 S 1721/13 -, juris).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, sind weder geltend gemacht – der Kläger macht neben dem behaupteten, allerdings wie oben dargestellt nicht zutreffenden Verfahrensfehler lediglich geltend, dass das Asylverfahren in Italien an systemischen Mängeln leide, was jedoch nach dem oben Gesagten gerade nicht zutrifft – noch sonst ersichtlich, ebenso wenig wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
Für den Kläger ist nichts vorgetragen, was mit seiner individuellen Situation zu tun hätte.
Die Umstände, die der Kläger selbst im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Zweitbefragung geltend gemacht hat, begründen keine systemischen Mängel des italienischen Asylverfahrens.
Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen in den Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen keine Bedenken. Insbesondere die Entscheidung unter Nr. 2. – die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen -, ist keineswegs „in sich völlig widersprüchlich“ zur Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Nr. 1 des Bescheids.
Abgesehen davon, dass diese Auffassung daran leidet, dass sie die Regelung insbesondere in § 31 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 AsylG nicht berücksichtigt, wird dabei übersehen, dass die Abschiebungsverbote nach dem Inhalt des Bescheids (vgl. dessen S. 2 – 4, insbesondere S. 4 zweiter, siebter und achter Absatz von oben, Bl. 63 der Bundesamtsakten) eindeutig hinsichtlich Italien geprüft werden. Zwar lässt sich darüber streiten, ob diese neuerdings soweit ersichtlich nahezu durchgängig vom Bundesamt angewandte Praxis rechtlich zwingend erforderlich ist; jedenfalls ist aber kein Gesichtspunkt ersichtlich, warum es rechtswidrig sein sollte, zusätzlich zur ohnehin durchgeführten Prüfung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG i.V.m. den Regelungen der Dublin III-VO noch nationale Abschiebungsverbote bezogen auf den „Dublin-Zielstaat“ zu prüfen.
3. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).