Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Italien

Aktenzeichen  M 9 S 17.50067

Datum:
2.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1, Art. 25 Abs. 2
GRCh GRCh Art. 4
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34 a Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1 An die Feststellung von systemischen Mängeln sind hohe Anforderungen zu stellen. Sie liegen nur dann vor, wenn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu netscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oider erniedrigende behamndlung droht (vgl. BVerwG BeckRS 2014, 49494). (Rn. 25) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Im gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht davon auszugehen, dass ein Asylbewerber in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. OVG Münster BeckRS 2016, 49118). (Rn. 26) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der zum Überschreiten der Schwelle einer unmenschlichen oder erbiedrigende Behandlung führt, da es Italien nicht unterlassen hat, Maßnahmen zur Bewältigung der mit der Einwanderung verbundenen Probleme zu ergreifen. (Rn. 31) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Der Umstand, dass sich die Situation eines Asylbewerbers in Italien deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR BeckRS 2013, 81948). (Rn. 32) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Die Lage von Personen, die in Italien einen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, führt nicht zur Annahme eines systemischen Mangels. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbares landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur in den Regionen und Kommunen ein sehr unterscheidliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (vgl. VGH Mannheim BeckRS 2014, 51025). (Rn. 34) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Überstellung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller ist (alles nach eigenen Angaben) nigerianischer Staatsangehöriger mit der Volkszugehörigkeit der Yoruba und geboren am … 1983. Auf seine Angaben im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und die persönliche Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 10. Oktober 2016 (vgl. die Niederschrift Bl. 8 – 11 der Bundesamtsakte) wird Bezug genommen. Er habe sein Heimatland erstmalig am 24. Oktober 2014 verlassen und sei über den Niger, Libyen, Italien, wo er am 20. Oktober 2015 eingereist sei und wo er sich ca. neun Monate aufgehalten habe und Österreich nach Deutschland gereist, wo er am 30. September 2016 angekommen sei und wo er am 10. Oktober 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) – Außenstelle München einen Asylantrag gestellt hat. In der Erstbefragung gab der Antragsteller weiter an, er habe in Italien am 20. Oktober 2015 einen Asylantrag gestellt; in Italien und Österreich seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden.
Am 12. Oktober 2016 fand eine Anhörung gemäß § 25 AsylG sowie das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Zweitbefragung statt. In der Zweitbefragung gab der Antragsteller auf die Frage, ob es Staaten gebe, in die er nicht überstellt werden wolle, Italien an. Zur Begründung gab er an, dass die Lebensverhältnisse in Italien schlecht gewesen seien. Im Übrigen wird auf beide Niederschriften (Bl. 31 – 36 sowie Bl. 46 – 48 bzw. Bl. 52 – 57 sowie Bl. 58 – 60 der Bundesamtsakte, die letztgenannten sind die maßgeblichen, weil unterschriebenen Fassungen) Bezug genommen.
Am 20. Oktober 2016 fand seitens der Regierung von Oberbayern – Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern / Zentrale Passbeschaffung Bayern eine Befragung statt. Der Antragsteller gab an, er sei am 13. September 2016 im Bundesgebiet angekommen. Vorher habe er in Italien einen Asylantrag gestellt, vielleicht auch in Österreich, in Bezug auf Österreich sei er sich aber nicht sicher. Im Übrigen wird auf das Befragungsprotokoll (Bl. 62 – 67 der Bundesamtsakten) Bezug genommen.
Für den Antragsteller folgt aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang ein EURODAC-Treffer für Italien (IT* …*).
Auf ein Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 30. November 2016 an Italien erfolgte keine Reaktion.
Mit Bescheid vom … Januar 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3). Die Nr. 4 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Mit Begleitschreiben vom 9. Januar 2017 wurde der Bescheid an den Antragsteller versandt. Laut der bei den Bundesamtsakten befindlichen Kopie der Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid dem Antragsteller am 11. Januar 2017 zugestellt.
Der Antragsteller ließ hiergegen mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 12. Januar 2017, Bei Gericht eingegangen, Klage (Az.: M 9 K 17.50066) erheben mit dem Antrag, den Bescheid der Antragsgegnerin aufzuheben.
Außerdem ließ der Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des angegriffenen Bescheids gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Eine Klage- bzw. Antragsbegründung bleibe einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten, der aber bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht eingetroffen ist.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren und der Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn die Hauptsacheklage hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom … Januar 2017, auf den im Sinne von § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist voraussichtlich rechtmäßig.
Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
1. Italien ist als Mitgliedstaat, in dem der Antragsteller ausweislich des Eurodac-Treffers für Italien einen Asylantrag gestellt hat, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Das ist auch nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers Italien. Ausgehend vom Vortrag des Antragstellers hat er in Italien zudem einen Asylantrag gestellt. Der Umstand der Asylantragstellung in Italien wird außerdem belegt durch den für den Antragsteller erzielten Eurodac-Treffer mit der Kennzeichnung „IT1“. Die Ziffer „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26. Juni 2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Neufassung) (EURODAC-VO)). Die Zuständigkeit Italiens ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erloschen. Damit ist vorliegend Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat.
Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin nicht reagiert haben, ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO).
2. Die Abschiebung nach Italien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Italien als den zuständigen Mitgliedstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v.19.03.2014 – 10 B 6.14 -, juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH, U.v.28.02.2014 – 13a B 13.30295 -, juris; OVG NRW, U.v.22.09.2016 – 13 A 2248/15.A -, juris Rn. 72ff.; U.v.18.07.2016 – 13 A 1859/14.A -, juris Rn. 54ff.; U.v.24.04.2015 – 14 A 2356/12.A -, juris; U.v. 07.03.2014 – 1 A 21/12.A -, juris; VGH BW, U.v.16.04.2014 – A 11 S 1721/13 -, juris; OVG Rh-Pf, U.v.21.02.2014 – 10 A 10656/13.OVG -, juris; OVG LSA, U.v.02.10.2013 – 3 L 645/12 -, juris; OVG Berlin-Bbg, B.v.17.06.2013 – OVG 7 S. 33.13 -, juris; NdsOVG, B.v.30.01.2014 – 4 LA 167/13 -, juris; U.v.25.06.2015 – 11 LB 248/14 -, juris; vgl. auch BVerfG, Kammerb.v.17.09.2014 – 2 BvR 732/14 -, juris). Danach verfügt Italien unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen durchaus erhebliche Mängel und Defizite feststellen lassen, werden diese, weder für sich genommen noch insgesamt, als so gravierend bewertet, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NRW, U.v.07.03.2014, a.a.O, Rn 132; OVG Rh-Pf, U.v. 21.02.2014, a.a.O, Rn 45 f.).
Das Gericht schließt sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – Hussein u.a../.Niederlande und Italien, Nr. 27725/10 -, ZAR 2013, 336; B.v.18.06.2013 – Halimi./.Österreich und Italien, Nr. 53852/11 -, ZAR 2013, 338). Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätten, zwar einige Mängel aufweisen mögen, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen würden. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars wiesen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigten übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten seien. Diese Rechtsauffassung hat der EGMR, dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweilig entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (BVerfG, U.v.04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 -, juris), durch seine Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10 – HUDOC) ausdrücklich bestätigt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (Az. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande (Az. 51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten. Unabhängig davon sind die Umstände des streitgegenständlichen Falles des Antragstellers mit denjenigen in der Entscheidung des EGMR nicht vergleichbar.
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http: …www.asylumineurope.org/reports/country/italy) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgsversprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Bericht zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63f. des Berichts). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher auch für die Personengruppe, der der Antragsteller angehört, nicht angenommen werden.
Auch aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von August 2016 (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe (https: …www.fluechtlingshilfe.ch/…/160815-sfh-bericht-italien-aufnahmebedingungen) ergibt sich nichts anderes. Denn erstens handelt es sich hierbei nicht um das einzig richtige bzw. einzig maßgebliche Erkenntnismittel, vielmehr ergibt eine Berücksichtigung dieses Erkenntnismittels in der Zusammenschau mit den zahlreichen anderen vorhandenen Erkenntnismitteln eben im Ergebnis, dass systemische Mängel im italienischen Asylverfahren nicht vorliegen. Zweitens wäre die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien erst dann überschritten, wenn absehbar wäre, dass auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung des Problems ergriffen würden. Dafür gibt es auch nach dem aktuellen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus dem August 2016 keine Hinweise (vgl. VG Schwerin, U.v.26.09.2016 – 16 A 1757/15 As SN -, juris Rn. 122), auch ansonsten ist das nicht der Fall (vgl. z.B. OVG NRW, U.v.18.07.2016 – 13 A 1859/14.A -, juris Rn. 103ff.).
Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NRW, U.v.24.04.2015 a.a.O.).
Auch der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien u.U. deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – a.a.O.).
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, U.v.30.6.2015 – 39350/13 – A.S. gegen Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U.v.11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 -, juris Rn. 26 m.w.N.). Auch der bereits erwähnte Bericht von AIDA bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B.v.19.09.2015 – Au 7 S. 15.50412 -, juris). Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (VG München, B.v.05.11.2014 – M 18 S. 14.50356 -, juris). Auch bei Überstellung von kranken Personen, deren Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen ist, besteht damit die Möglichkeit der Behandlung. Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller, der nach eigenen Angaben ohnehin gesund ist, in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat.
Schließlich begründet auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbares, landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW, U.v.16.04.2014 – A 11 S 1721/13 -, juris).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. liegen nicht vor, ebenso wenig wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse. Vielmehr ist für den Antragsteller überhaupt keine individuelles Vorbringen erfolgt.
Der Umstand, dass der Antragsteller im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Zweitbefragung geltend gemacht hat, dass er nicht nach Italien wolle, begründet keine systemischen Mängel des italienischen Asylverfahrens.
Die Angaben des Antragstellers während der Anhörung nach § 25 AsylG führen ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Hierbei handelt es sich um die Geltendmachung von Umständen, die für die Überstellung des Antragstellers im Rahmen der Anwendung der Dublin III-Verordnung nicht relevant sind, vielmehr handelt es sich um sog. zielstaatsbezogenes Vorbringen, das zum Asylantrag des Antragstellers gehört, für den die Antragsgegnerin aber gerade nicht zuständig ist.
Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen in den Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen keine Bedenken.
3. Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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