Aktenzeichen M 9 S 16.50779
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2, Art. 21 Abs. 1, Art. 23
GRCh GRCh Art. 4
EMRK EMRK Art. 3
Leitsatz
1. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ein Asylbewerber im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung iSd Art. 4 GRCh ausgesetzt wäre (VGH München BeckRS 2014, 52068; OVG NRW BeckRS 2016, 49118 u. BeckRS 2015, 45053; VGH BW BeckRS 2014, 51025) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien rechtfertigt nicht die Annahme systemischer Mängel der Aufnahmebedingungen, da die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien erst dann überschritten würde, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden (OVG NRW BeckRS 2015, 45053). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Überstellung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller ist (alles nach eigenen Angaben) nigerianischer Staatsangehöriger mit der Volkszugehörigkeit der Edo und geboren am … … 1993. Auf seine Angaben im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Erstbefragung am 9. Mai 2016 (vgl. die Niederschrift Bl. 25 – 27 Bundesamtsakte) wird Bezug genommen. Er habe sein Heimatland erstmalig am 20. Januar 2015 verlassen und sei über Libyen, Italien und Österreich nach Deutschland gereist, wo er am 14. Dezember 2015 angekommen sei und wo er am 9. Mai 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) – Außenstelle Manching einen Asylantrag gestellt hat. In der Erstbefragung gab der Antragsteller weiter an, der erste Mitgliedstaat, in den er eingereist sei, sei Italien, dort sei er am 10. August 2015 eingereist und habe sich ca. vier Monate aufgehalten. Auf die Frage, ob er bereits in einem Mitgliedstaat internationalen Schutz beantragt oder zuerkannt bekommen habe, verneinte der Antragsteller. Allerdings bejahte er auf die Frage, ob ihm in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland Fingerabdrücke abgenommen worden seien und gab an, das sei in Italien der Fall gewesen.
Die Bundesamtsakte enthält die Kopie einer Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender der AE … für den Antragsteller vom 16. Dezember 2015, nach welcher er am 14. Dezember 2015 in das Bundesgebiet eingereist ist; außerdem enthält die Bundesamtsakte die Kopie einer Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender der Bundespolizeidirektion … BPOLI … für den Antragsteller vom 14. Dezember 2015.
Für den Antragsteller folgt aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang ein EURODAC-Treffer für Italien (…; Bl. 34 der Bundesamtsakte).
Auf ein Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 8. Juli 2016 an Italien erfolgte keine Reaktion.
Am 30. August 2016 fand das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Zweitbefragung statt. Im Rahmen dieses Gesprächs gab der Antragsteller an, er wolle nicht nach Italien überstellt werden. Auf die Frage, aus welchen Gründen er das nicht wolle, gab der Antragsteller an, er habe das Leben in Italien gesehen und wolle nicht dort sein. Er wolle nicht kriminell werden und um eine Familie zu gründen, sei Deutschland „der bessere Platz“. „Sie“ hätten sich nicht um ihn gekümmert und es gebe keine ärztliche Versorgung. Er wolle glücklich leben. Im Übrigen wird auf die Niederschrift über die Zweitbefragung (Bl. 57 – 59 der Bundesamtsakte) Bezug genommen.
Mit Bescheid vom … September 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3). Die Nr. 4 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Mit Begleitschreiben vom 26. September 2016 wurde der Bescheid an den Antragsteller versandt. Laut der bei den Bundesamtsakten befindlichen Kopie der Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid dem Antragsteller am 28. September 2016 zugestellt.
Der Antragsteller ließ hiergegen mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 30. September 2016, bei Gericht eingegangen per Telefax am 3. Oktober 2016, Klage erheben (Az.: M 9 K 16.50778) mit dem Antrag, den Bescheid vom … September 2016 aufzuheben.
Mit demselben Schreiben ließ der Antragsteller außerdem beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage – Anordnung der Abschiebung nach Italien – anzuordnen.
Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass die aufschiebende Wirkung schon deshalb anzuordnen sei, weil der Bescheid bezüglich der Tenorierung in sich widersprüchlich sei. Es könne nicht einerseits der Antrag „auf der Zulässigkeitsebene“ als unzulässig abgelehnt werden und andererseits materiell entschieden werden, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 1 Satz AufenthG nicht vorlägen. Im Übrigen sei der Antragsteller am 14. Dezember 2015 in das Bundesgebiet eingereist. Das am 8. Juli 2016 an Italien gerichtete Übernahmeersuchen sei entgegen der Dublin III-Verordnung verspätet. Der Antragsteller habe einen subjektivöffentlichen Anspruch darauf, dass die formalen Vorschriften der Dublin III-Verordnung eingehalten werden. Hilfsweise werde beantragt, das Verfahren auszusetzen und diese Rechtsfrage dem EuGH vorzulegen. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 30. September 2016 Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren und der Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn die Hauptsacheklage hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom … September 2016, auf den im Sinne von § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist voraussichtlich rechtmäßig.
Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
1. Italien ist als Mitgliedstaat, in dem der Antragsteller ausweislich des Eurodac-Treffers für Italien einen Asylantrag gestellt hat, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig (nachfolgend 1.1). Der Zuständigkeit Italiens steht kein Verfahrensfehler entgegen, insbesondere war das Übernahmeersuchen nicht verspätet (nachfolgend 1.2), so dass offen bleiben kann, ob der Antragsteller einen subjektivöffentlichen Anspruch darauf hat, dass die formalen Voraussetzungen für die Überstellung nach der Dublin III-Verordnung vorliegen (nachfolgend 1.3).
1.1. Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Das ist auch nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers Italien. Zwar hat der Antragsteller angegeben, bis zur Einreise nach Deutschland in keinem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt zu haben. Der Umstand der Asylantragstellung in Italien wiederum wird allerdings belegt durch den für den Antragsteller erzielten Eurodac-Treffer mit der Kennzeichnung „IT1“. Die Ziffer „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26. Juni 2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Neufassung) (EURODAC-VO)). Die Zuständigkeit Italiens ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erloschen. Damit ist vorliegend Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat.
Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin nicht reagiert haben, ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO).
1.2. Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten des Antragstellers war das Übernahmeersuchen an Italien nicht verspätet.
Eine Verspätung käme unter Zugrundelegung des zeitlichen Ablaufs im Fall des Antragstellers nur dann in Betracht, wenn die Vorschrift des Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO anwendbar wäre. Denn wäre die in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO geregelte dreimonatige Frist ab Antragstellung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO einschlägig und unter der weiteren Voraussetzung, dass der Antragteller nicht erst, wovon das Bundesamt ausgeht, am 9. Mai 2016, sondern schon früher seinen Asylantrag gestellt hat, käme ein Zuständigkeitsübergang nach Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO vorbehaltlich Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO in Betracht. Wann genau die Asylantragstellung des Antragstellers erfolgte – sein Bevollmächtigter geht vom 14. Dezember 2015 aus, wofür einiges spricht, da die erste Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender unter diesem Datum ausgestellt wurde und es in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht darauf ankommen kann, wann das Bundesamt von einem „förmlichen“ Asylantrag ausgeht – kann aber letztlich offen bleiben.
Denn im Falle des Antragstellers ist nicht Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO, sondern Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO anwendbar. Denn im Falle des Antragstellers liegt kein Aufnahmeverfahren i. S. v. Kapitel VI Abschnitt II der Dublin III-VO, sondern ein Wiederaufnahmeverfahren i. S. v. Kapitel VI Abschnitt III der Dublin III-VO vor. Das folgt daraus, dass der Antragsteller entgegen seinen Angaben bereits in Italien einen Asylantrag bzw. genauer gesagt einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, was durch den Umstand des für den Antragsteller erzielten Eurodac-Treffers mit der Kennzeichnung „IT1“ belegt wird. Das ist aber die Situation von Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO und nicht die Situation von Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO. Im Falle des Wiederaufnahmeverfahrens beträgt die – im Falle wie hier einer Eurodac-Treffermeldung – maßgebliche Frist gemäß Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO dagegen zwei Monate nach der Eurodac-Treffermeldung; der Zuständigkeitsübergang erfolgt in diesem Fall auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO. Hier ist allerdings das Wiederaufnahmegesuch am 8. Juli 2016 erfolgt und damit (gerade noch) innerhalb der Zweimonatsfrist, die mit der Eurodac-Treffermeldung am 9. Mai 2016 begann.
Ohne dass es für die formelle Rechtmäßigkeit des Überstellungsverfahrens darauf ankommt, ist darauf hinzuweisen, dass die dargestellte Regelung auch in materiellrechtlicher Hinsicht überzeugt. Denn der Fristbeginn mit Antragstellung ist im Falle des Aufnahmeverfahrens, in dem es eben noch kein bereits laufendes Asylverfahren gibt, der naheliegende Zeitpunkt, während es im Falle des Wiederaufnahmeverfahrens, in dem es neben dem neuen Antrag bereits einen früher in einem anderen Mitgliedstaat gestellten gibt, weder ein Bedürfnis noch einen Grund für diese Anknüpfung gibt.
1.3. Da demzufolge kein Verfahrensfehler vorliegt, kann die (umstrittene, vgl. z. B. VG Hannover, B.v.12.09.2016 – 1 B 4090/16 -, juris Rn. 24ff. einerseits, VG München, B.v.30.09.2016 – M 11 S 14.50670 – andererseits) Frage, ob Verfahrensfehler insbesondere bei den sog. sekundären Zuständigkeitskriterien nach Kapitel VI im Rahmen der Anwendung der Vorschriften der Dublin III-Verordnung einem Antragsteller subjektiven Rechtsschutz vermitteln, offen bleiben.
Die vom Bevollmächtigten des Antragstellers hilfsweise beantragte Aussetzung des Verfahrens und die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zu der Frage nach dem subjektivöffentlichen Anspruch bei der Verletzung von formalen Vorschriften der Dublin III-VO musste schon deswegen nicht erfolgen, weil wie eben dargestellt diese Frage nicht entscheidungserheblich ist. Im Übrigen besteht in Verfahren des einstweiligen oder vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (BVerfG, B.v.19.10.2006 – 2 BvR 2023/06 -, juris und v.29.11.1991 – 2 BvR 1642/91 -, juris; vgl. hierzu außerdem VG Düsseldorf, B.v.28.09.2016 – 13 L 1014/16.A -, juris Rn. 39f.).
2. Die Abschiebung nach Italien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Italien als den zuständigen Mitgliedstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v.19.03.2014 – 10 B 6.14 -, juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH, U.v.28.02.2014 – 13a B 13.30295 -, juris; OVG NRW, U.v.22.09.2016 – 13 A 2248/15.A -, juris Rn. 72ff.; U.v.18.07.2016 – 13 A 1859/14.A -, juris Rn. 54ff.; U.v.24.04.2015 – 14 A 2356/12.A -, juris; U.v. 07.03.2014 – 1 A 21/12.A -, juris; VGH BW, U.v.16.04.2014 – A 11 S 1721/13 -, juris; OVG Rh-Pf, U.v.21.02.2014 – 10 A 10656/13.OVG -, juris; OVG LSA, U.v.02.10.2013 – 3 L 645/12 -, juris; OVG Berlin-Bbg, B.v.17.06.2013 – OVG 7 S 33.13 -, juris; NdsOVG, B.v.30.01.2014 – 4 LA 167/13 -, juris; U.v.25.06.2015 – 11 LB 248/14 -, juris; vgl. auch BVerfG, Kammerb.v.17.09.2014 – 2 BvR 732/14 -, juris). Danach verfügt Italien unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen durchaus erhebliche Mängel und Defizite feststellen lassen, werden diese, weder für sich genommen noch insgesamt, als so gravierend bewertet, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NRW, U.v.07.03.2014, a.a.O, Rn. 132; OVG Rh-Pf, U.v. 21.02.2014, a.a.O, Rn. 45 f.).
Das Gericht schließt sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – Hussein u. a../.Niederlande und Italien, Nr. 27725/10 -, ZAR 2013, 336; B.v.18.06.2013 – Halimi./.Österreich und Italien, Nr. 53852/11 -, ZAR 2013, 338). Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätten, zwar einige Mängel aufweisen mögen, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen würden. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars wiesen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigten übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten seien. Diese Rechtsauffassung hat der EGMR, dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweilig entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (BVerfG, U.v.04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 -, juris), durch seine Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10 – HUDOC) ausdrücklich bestätigt.
Auch aus den vom Bevollmächtigten des Antragstellers in der Antragsbegründung zitierten Gerichtsentscheidungen folgt kein anderes Ergebnis.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (Az. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande (Az. 51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten. Die Ausführungen in der Antragsbegründung zu der o.g. Entscheidung treffen daher nicht zu, unabhängig davon sind die Umstände des streitgegenständlichen Falles des Antragstellers mit denjenigen in der Entscheidung des EGMR nicht hinreichend vergleichbar.
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/italy) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgsversprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Bericht zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63f. des Berichts). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher auch für die Personengruppe, der der Antragsteller angehört, nicht angenommen werden.
Der Hinweis des Bevollmächtigten des Antragstellers auf den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von August 2016 (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe https://www.fluechtlingshilfe.ch/…/160815-sfhberichtitalienaufnahmebedingungen) steht dem nicht entgegen. Denn erstens handelt es sich hierbei nicht um das einzig richtige bzw. einzig maßgebliche Erkenntnismittel, vielmehr ergibt eine Berücksichtigung dieses Erkenntnismittels in der Zusammenschau mit den zahlreichen anderen vorhandenen Erkenntnismitteln eben im Ergebnis, dass systemische Mängel im italienischen Asylverfahren nicht vorliegen. Zweitens wäre die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien erst dann überschritten, wenn absehbar wäre, dass auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung des Problems ergriffen würden. Dafür gibt es auch nach dem aktuellen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus dem August 2016 keine Hinweise (vgl. VG Schwerin, U.v.26.09.2016 – 16 A 1757/15 As SN -, juris Rn. 122), auch ansonsten ist das nicht der Fall (vgl. z. B. OVG NRW, U.v.18.07.2016 – 13 A 1859/14.A -, juris Rn. 103ff.).
Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NRW, U.v.24.04.2015 a. a. O.).
Auch der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien u.U. deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – a. a. O.).
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, U.v.30.6.2015 – 39350/13 – A.S. gegen Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U.v.11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 -, juris Rn. 26 m. w. N.). Auch der bereits erwähnte Bericht von AIDA bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B.v.19.09.2015 – Au 7 S 15.50412 -, juris). Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (VG München, B.v.05.11.2014 – M 18 S 14.50356 -, juris). Auch bei Überstellung von kranken Personen, deren Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen ist, besteht damit die Möglichkeit der Behandlung. Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat.
Schließlich begründet auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbares, landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW, U.v.16.04.2014 – A 11 S 1721/13 -, juris).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, sind weder geltend gemacht – der Antragsteller macht neben dem behaupteten, allerdings wie oben dargestellt nicht zutreffenden Verfahrensfehler lediglich geltend, dass das Asylverfahren in Italien an systemischen Mängeln leide, was jedoch nach dem oben gesagten gerade nicht zutrifft – noch sonst ersichtlich, ebenso wenig wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
Für den Antragsteller ist nichts vorgetragen, was mit seiner individuellen Situation zu tun hätte.
Die Umstände, die der Antragsteller selbst im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Zweitbefragung geltend gemacht hat, begründen keine systemischen Mängel des italienischen Asylverfahrens.
Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen in den Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen keine Bedenken. Insbesondere die Entscheidung unter Nr. 2. – die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen -, ist keineswegs „in sich völlig widersprüchlich“ zur Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Nr. 1 des Bescheids.
Abgesehen davon, dass diese Auffassung daran leidet, dass sie die Regelung insbesondere in § 31 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 AsylG nicht berücksichtigt, wird dabei übersehen, dass die Abschiebungsverbote nach dem Inhalt des Bescheids (vgl. dessen S. 2 – 4, insbesondere S. 4 zweiter, siebter und achter Absatz von oben, Bl. 63 der Bundesamtsakten) eindeutig hinsichtlich Italien geprüft werden. Zwar lässt sich darüber streiten, ob diese neuerdings soweit ersichtlich nahezu durchgängig vom Bundesamt angewandte Praxis rechtlich zwingend erforderlich ist; jedenfalls ist aber kein Gesichtspunkt ersichtlich, warum es rechtswidrig sein sollte, zusätzlich zur ohnehin durchgeführten Prüfung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG i. V. m. den Regelungen der Dublin III-VO noch nationale Abschiebungsverbote bezogen auf den „Dublin-Zielstaat“ zu prüfen.
3. Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).