Aktenzeichen M 6 S 16.50632
Leitsatz
Schutzsuchende laufen in Kroatien nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller, angeblich syrischer Staatsangehöriger, begehrt Rechtsschutz gegen seine drohende Überstellung nach Kroatien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Nach Erkenntnissen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) vor.
Am … Juli 2016 stellte das Bundesamt ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an Kroatien. Mit Schreiben vom … Juli 2016 erklärten die dortigen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gem. Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 8. August 2016 ordnete das Bundesamt die Abschiebung des Antragstellers nach Kroatien an (Nr. 1). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf a… Monate ab dem Tag des Abschiebung befristet (Nr. 2).
Die Anordnung der Abschiebung nach Kroatien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG, da dieser Staat gem. Art. 3 Dublin III-VO für die Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die gegen eine Überstellung nach Kroatien sprächen, seien nicht ersichtlich. Zwar habe der Antragsteller angegeben, dass bereits … Familienmitglieder in Deutschland lebten, unter anderem Onkel und Tante. Es sei daher menschlich nachvollziehbar, dass er deshalb in Deutschland bleiben wolle. Dies stelle jedoch keinen rechtlichen und faktischen Grund dar, der gegen eine Überstellung nach Kroatien spreche.
Dieser Bescheid wurde am … August 2016 zugestellt.
Am … August 2016 ließ der Antragsteller durch seine Bevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage gegen diesen Bescheid erheben. Am selben Tag stellten sie für ihn noch den Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 8. August 2016 anzuordnen.
Eine in den Schriftsätzen angekündigte Begründung der Klage ging bei Gericht bislang nicht ein.
Mit Schreiben vom 16. August 2016 legte die Antragsgegnerin die Behördenakte vor und beantragte mit weiterem Schriftsatz vom … September 2016, die Klage abzuweisen und den Antrag abzulehnen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakten im vorliegenden Antragsverfahren und im Klageverfahren M 6 K 16.50631 sowie auf die Akte der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 8. August 2016 ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zwischen dem sich aus der Regelung des § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse der jeweiligen Antragspartei an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse der Antragspartei regelmäßig zurück. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall war der Antrag abzulehnen, weil sich der angefochtene Bescheid nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtmäßig darstellt und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt, so dass die hiergegen erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung an, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderem aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt hat, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Im Fall des Antragstellers ist Kroatien nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist vorliegend die am 19. Juli 2013 in Kraft getretene Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Diese findet gemäß Art. 49 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO auf alle ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz Anwendung, also auch auf das hier gegenständliche Schutzgesuch des Antragstellers in Kroatien.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist vorliegend Kroatien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, den ein Antragsteller in diesem Land stellt.
Nach Aktenlage hat der Antragsteller zuerst in Kroatien einen Asylantrag gestellt, auch wenn er bestreitet, jemals dort gewesen zu sein. Dementsprechend haben die kroatischen Behörden mit Schreiben vom … Juli 2016 ihr Einverständnis mit der Rückübernahme des Antragstellers erklärt.
Die Zuständigkeit Kroatiens ist auch nicht aus verfahrensbezogenen Gründen auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Insbesondere ergibt sich auf Grundlage von Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO keine Zuständigkeit der Antragsgegnerin. Denn die dort geregelte grundsätzlich sechsmonatige Überstellungsfrist beginnt gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO mit der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedsstaat oder aber der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat, was vorliegend wegen § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG der Fall ist (BVerwG, U. v. 26.5.2016 – 1 C 15.15).
Hiervon ausgehend ist die Überstellungsfrist im vorliegenden Fall noch nicht abgelaufen und die Zuständigkeit Kroatiens nicht entfallen.
Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO begründen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann der Antragsteller einer Überstellung nach Kroatien auch nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Kroatien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so dass eine Überstellung nach Kroatien unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO).
Das gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK – finden (EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris). Daraus ist die Vermutung abzuleiten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (EuGH, U. v. 21.12.2011, a. a. O., juris Rn. 80).
Die diesem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011, a. a. O.) bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) zugrundeliegende Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011, a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVwerG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 5 f. m. w.N.). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegensprechenden Tatsachen zukommen, d. h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U. v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Hinsichtlich Kroatiens hat der Antragsteller solche systemischen Mängel nicht einmal behauptet und es sind der erkennenden Kammer auch keine Erkenntnismittel ersichtlich, aus denen sich solche ableiten ließen.
Die in Nummer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheids auf Grundlage von § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG angeordnete Abschiebung nach Kroatien ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.
Gegen die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung des Antragstellers nach Kroatien bestehen keine Bedenken. Die kroatischen Behörden haben der Rückführung des Antragstellers mit Schreiben vom … Juli 2016 ausdrücklich zugestimmt.
Ein der Abschiebung nach Kroatien entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34 Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre (vgl. BVerfG, B. v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, S. 244 ff. – juris Rn. 11 f.; OVG NRW, B. v. 30.8.2011 – 18 B 1060/11 – juris Rn. 4), ist nicht ersichtlich.
Der angebliche Aufenthalt von Familienmitgliedern entfernteren Grades in Deutschland – der Antragsteller sprach von … Onkeln und deren Familien -stellt jedenfalls kein Abschiebungshindernis dar.
Die im streitgegenständlichen Bescheid unter Nummer 2 gemäß § 11 AufenthG ausgesprochene Befristung des Einreis- und Aufenthaltsverbots auf a… Monate ist nach Maßgabe des § 114 VwGO ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden, wobei die Befristung im Regelfall fünf Jahre nicht überschreiten darf. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermessensausübung sind hier nicht zu erkennen. Die von der Antragsgegnerin festgesetzte Frist hält sich im unteren Bereich der zulässigen Befristungsdauer. Gründe für einen noch kürzeren Befristungszeitraum sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG)