Aktenzeichen W 8 S 17.50324
Leitsatz
Das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien weisen keine systemischen Mängel auf, die im Falle einer Abschiebung zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Asylsuchenden führen würden. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist armenischer Staatsangehöriger. Er reiste am 3. März 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22. März 2017 einen Asylantrag.
Nach den Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte – Visum – für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 3. April 2017 reagierten die italienischen Behörden bislang nicht.
Mit Bescheid vom 9. Juni 2017 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach Italien wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 16. Juni 2017 ließ der Antragsteller im Verfahren W 8 K 17.50325 Klage erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen,
1.die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom heutigen Tag gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Außenstelle Schweinfurt, vom 9. Juni 2017 gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen,
2.der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung nach Italien vorläufig auszusetzen.
Zur Begründung ließ der Antragsteller im Wesentlichen vorbringen: Ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot ergebe sich aus der Tatsache, dass der Antragsteller beidseitig beinamputiert sei und sich im Rollstuhl befinde. Im Übrigen sei laut Vermerk des Bundesamtes die Überstellungsfrist am 4. Juni 2017 abgelaufen. Dies schaffe einen Vertrauenstatbestand. Es bestünden in Italien systemische Mängel. Aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsorganisationen und des Auswärtigen Amtes bestünden belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von erheblichen Kapazitätsinteressen bei der Unterbringung von Ausländern in Italien. Es sei nicht auszuschließen, dass ein Asylsuchender ohne Unterkunft bleibe oder in überfüllten Einrichtungen ohne jene Privatsphäre oder sogar in einer gesundheitsgefährdenden oder gewalttätigen Umgebung untergebracht werden könnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller gar keine Unterkunft finde, sei höher als bei Familien mit Kindern.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Klageverfahrens W 8 K 17.50325) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bundesamtsbescheids vom 9. Juni 2017 begehrt, zumal ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO betreffend die übrigen Nummern des streitgegenständlichen Bescheids unzulässig wäre. Ebenso wäre ein zusätzlicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen Vorrangs des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig (§ 123 Abs. 5 VwGO).
Soweit der Antrag zulässig ist (betreffend Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids), ist er unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 9. Juni 2017 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen der Antragstellerseite führt zu keiner anderen Beurteilung.
Italien ist gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO auf Grund des erteilten Visums für die Bearbeitung des Asylantrages des Antragstellers zuständig. Italien hat auf das Übernahmeersuchen nicht reagiert. Somit gilt gemäß Art. 22 Abs. 7 der Dublin III-VO das Übernahmeersuchen als angenommen und akzeptiert. Dies zieht die Verpflichtung Italiens nach sich, den Antragsteller aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft in Italien zu treffen.
Soweit die Antragstellerbevollmächtigte mit Verweis auf den Vermerk des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 9. Juni 2017 (Bl. 65 der Bundesamtsakte) einen Zuständigkeitsübergang behauptet, ist dem entgegen zu halten, dass sich bei dem dortigen Vermerk offensichtlich um einen versehentlichen Schreib- bzw. Druckfehler handelt, so dass auch kein Vertrauenstatbestand entstehen konnte, zumal es sich um einen internen Vermerk der Behörde handelt. Vielmehr endet die Überstellungsfrist erst innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Entstehen der Aufnahmeverpflichtung Italiens.
Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Diese Vorschrift entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (z.B. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u. a. – NVwZ 2012, 417). Danach ist eine Überstellung eines Asylsuchenden an einen anderen Mitgliedsstaat nur dann zu unterlassen, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende im zuständigen Mitgliedsstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der (rück-)überstellten Asylsuchenden im Sinne von Art. 4 Grundrechte-Charta (GR-Charta) zur Folge hätte.
Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Grundsätzlich erhalten auch Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft, medizinische Behandlung und sonstige Versorgung. Sofern sie einen Asylantrag stellen, wird ein Asylverfahren durchgeführt. Zusätzliche Aufnahmezentren sind geschaffen worden. Aktuelle Erkenntnisse diesbezüglich liegen den neueren Entscheidungen zugrunde (vgl. VG München, B.v. 2.5.2017 – M 9 S. 17.50821 – juris; B.v. 4.4.2017 – M 9 S. 17.50786 – m.w.N.; OVG NRW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris Rn. 41 ff.; U.v. 7.7.2016 – 13 A 2302/15.A – juris Rn. 41; OVG Lüneburg, U.v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – DÖV 2015, 807). Es mag zwar immer wieder vorkommen, dass Asylsuchende während der Bearbeitung ihres Asylantrages in Italien auf sich alleine gestellt und zum Teil auch obdachlos sind. Dies und auch die zum Teil lange Dauer der Asylverfahren sind darauf zurückzuführen, dass das italienische Asylsystem aufgrund der momentan hohen Asylbewerberzahlen stark ausgelastet und an der Kapazitätsgrenze ist. Die im Bereich der Entwicklung und Versorgung der Asylbewerber weiterhin feststellbaren Mängel und Defizite sind aber weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes systemisches Versagen des Mitgliedsstaates vorläge, welches für einen „Dublin-Rückkehrer“ nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 3 EMRK oder Art. 4 GR-Charta mit dem dafür notwendigen Schwergrad nahe lägen (vgl. OVG NRW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris Rn. 41 ff.). Probleme bei der Unterbringung in der zweiten Jahreshälfte 2015 rechtfertigen keine andere Einschätzung, da diesbezügliche Schwierigkeiten nicht nur in Italien, sondern in weiten Teilen Europas bestanden. Aus diesen Gründen bestand für die Antragsgegnerin auch keine Veranlassung, das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben.
Auch die gegenwärtige hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien wird erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann nicht ausgegangen werden. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. auch VG München, B.v. 2.5.2017 – M 9 S. 17.50821 – juris). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich demnach auch nicht mit Blick auf die besondere Situation des beidseitig beinamputierten Antragstellers annehmen. Vielmehr geht das Gericht von einer hinreichenden Unterbringungsmöglichkeit in Italien aus.
Ferner ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin sonst ermessensfehlerhaft keinen Gebrauch von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO gemacht hat.
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG oder inlandsbezogene Vollzugshindernisse (BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris) wurden nicht substanziiert geltend gemacht, geschweige denn wurden qualifizierte ärztliche Atteste vorgelegt.
Soweit der Antragsteller an beiden Beinen beinamputiert und auf einen Rollstuhl angewiesen ist bzw. gute Prothesen aus Deutschland wünscht, ist anzumerken, dass der Kläger lediglich vorgebracht hat, Schmerzmittel zu nehmen. Es ist nicht ersichtlich, warum die Erkrankung bzw. Behinderung nicht auch in Italien behandelt werden könnte, zumal der Antragsteller nicht einmal Atteste über die Erkrankung vorgelegt hat. Zudem verfügt Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge, wobei Asylsuchende sowie international Schutzberechtigte mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung gleichgestellt sind (vgl. VG München, B.v. 2.5.2017 – M 9 S. 17.50821 – juris m.w.N.). Im Übrigen ist nichts dafür ersichtlich, dass die medizinische und sonstige Versorgung in einem EU-Staat wie Italien für jemanden, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, jedenfalls dem Grunde nach nicht gesichert wäre (vgl. VG München, B.v. 22.4.2014 – M 1 S. 14.50072 – juris).
Somit ist die Abschiebung der Antragsteller nach Italien rechtlich zulässig und möglich.
Nachdem die Klage in der Hauptsache voraussichtlich erfolglos bleiben wird, überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung des Bescheides, so dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.