Europarecht

Keine systemischen Mängel im Asylverfahren in Italien

Aktenzeichen  M 12 K 15.50471

Datum:
19.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 13, Art. 17, Art. 18, Art. 25
GRCh GRCh Art. 4
AsylG AsylG § 27a, § 34a

 

Leitsatz

In Italien läuft ein Asylbewerber keine Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, sodass keine systemischen Mängel im italienischen Asylverfahren oder den dortigen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestehen (ebenso VGH München BeckRS 2014, 52068).  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, konnte das Gericht nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, § 84 Abs. 1 VwGO.
Die Klage ist teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet.
1. Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger über die Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 24. April 2015 hinaus die Feststellung begehrt, dass der Asylantrag des Klägers zulässig ist und in der Bundesrepublik Deutschland materiell zu behandeln ist, bzw. die Verpflichtung der Beklagten begehrt, festzustellen, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland asylberechtigt ist, hilfsweise dass beim Kläger Abschiebungshindernisse nach § 60 AufenthG vorliegen.
Gegen Nr. 1 des Bescheids der Beklagten vom 24. April 2015 ist allein die Anfechtungsklage die statthafte Klageart (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – juris). Das Bundesamt hat in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids eine rechtsgestaltende Regelung über die Zulässigkeit des Asylantrags des Klägers nach § 27a AsylG getroffen, deren Aufhebung mit der Anfechtungsklage begehrt werden kann. Ungeachtet der gewählten Formulierung des Bundesamts („Die Asylanträge sind unzulässig“) liegt nicht lediglich eine Feststellung vor, sondern eine rechtsgestaltende Entscheidung über die Ablehnung der Asylanträge als unzulässig, wie das § 31 Abs. 6 AsylG verlangt (vgl. BVerwG, U.v. 17.9.2015 – 1 C 26.14 – juris Rn. 12).
Die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO) unterscheidet klar zwischen dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staats und der inhaltlichen Prüfung des Asylantrags. Der Erhebung einer Verpflichtungsklage auf Anerkennung als Asylberechtigter bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft steht entgegen, dass die Dublin III-VO ein von der materiellen Prüfung eines Asylantrags gesondertes behördliches Verfahren für die Bestimmung des hierfür zuständigen Staats vorsieht (Art. 2 Buchst. d). Die Trennung der Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung und zur materiellen Prüfung des Asylbegehrens darf nicht dadurch umgangen werden, dass das Verwaltungsgericht im Fall der Aufhebung der Zuständigkeitsentscheidung sogleich über die Begründetheit des Asylantrags entscheidet. Vielmehr fordert das Dublin-Regelungswerk, dass im Fall einer vom Gericht für fehlerhaft erachteten Bestimmung eines anderen Staats die für das Dublin-Verfahren zuständige Behörde – hier das Bundesamt – die Möglichkeit erhält, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, um die Aufnahme oder Wiederaufnahme des Asylantragstellers zu ersuchen (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10; v. 14.9.2013 – C-4/11 – juris). Die Stellung eines solchen Ersuchens, das den Lauf von zuständigkeitsbegründenden Fristen auslöst, ist eine dem Bundesamt zugewiesene Aufgabe, die das Gericht im Fall des Durchentscheidens nicht erfüllen könnte.
Soweit der Kläger beantragt, festzustellen, dass sein Asylantrag zulässig ist und in der Bundesrepublik Deutschland materiell zu behandeln ist, ist die Klage ebenfalls unzulässig. Die Frage, ob Italien für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig ist, wird – wie ausgeführt – im Rahmen der Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten geklärt. Ist die Anfechtungsklage erfolgreich, steht zwar nur fest, dass Italien nicht zuständig ist. Damit ist jedoch noch keine Zuständigkeit Deutschlands begründet. Die Beklagte hat dann vielmehr noch die Möglichkeit zur Prüfung, ob ein anderer Staat zuständig ist. Ist die Anfechtungsklage aber deshalb erfolgreich, weil eine Pflicht der Beklagten zum Selbsteintritt besteht, wird auch das im Rahmen der Anfechtungsklage geklärt. Dieser tragende Grund wird von der Rechtskraft der Entscheidung mit umfasst (vgl. § 121 VwGO). Besteht nach der Entscheidung des Gerichts eine Pflicht zum Selbsteintritt und wird die Entscheidung rechtskräftig, gibt es keinen Grund, anzunehmen, die Beklagte werde ein Asylverfahren für den Kläger dennoch nicht durchführen. Für eine Feststellungsklage besteht daher kein Rechtsschutzbedürfnis. Würde die Beklagte trotz Zuständigkeit kein Asylverfahren für den Kläger durchführen, hätte dieser die Möglichkeit der Untätigkeitsklage gem. § 75 VwGO (vgl. zum Ganzen BayVGH, U.v. 19.1.2016 – 11 B 15.50130 – juris).
2. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 24. April 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht nach § 27a AsylG als unzulässig abgelehnt.
Nach § 27a AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Dublin III-VO. Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Im Fall des Klägers ergibt sich aus der Dublin III-VO die Zuständigkeit Italiens für die Prüfung seines Asylantrags (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO). Vorliegend ist davon auszugehen, dass der Kläger vor der Stellung seines Asylantrags in Deutschland bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hat. Dies ergibt sich sowohl aus den eigenen Angaben des Klägers (Bl. 20 der Behördenakte) als auch aus dem bei einer EURODAC-Abfrage für den Kläger erzielten Treffer mit der Kennzeichnung „IT1“. Die Ziffer „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26. Juni 2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Neufassung) (EURODAC-VO)). Die gem. den Art. 8 bis 15 Dublin III-VO vorrangig (Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO) zu prüfenden Kriterien führen im vorliegenden Fall nicht zu einer abweichenden Beurteilung der Zuständigkeit. Vielmehr ergibt sich auch aus Art. 13 Abs. 2 Dublin III-VO die Zuständigkeit Italiens, weil der Kläger sich nach eigenem Vortrag vor seiner Einreise ins Bundesgebiet zehn Monate in Italien aufgehalten hat.
Das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland wurde am 27. Februar 2015 und damit gem. Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung gestellt. Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmeersuchen der Beklagten nicht reagiert haben, ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO).
Die Zuständigkeit ist nicht gem. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen. Ein fristgerechter Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine Abschiebungsanordnung gemäß § 34a AsylG unterbricht die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO und setzt sie neu in Lauf, wenn er abgelehnt wird (SächsOVG, B.v. 5.10.2015 – 5 B 259/15.A – juris). Nachdem der Beschluss vom 15. Juni 2015 im Verfahren M 12 S 15.50472 der Beklagten am 18. Juni 2015 zugestellt wurde, ist die Überstellung des Klägers nach Italien am 7. Dezember 2015 innerhalb der sechsmonatigen Überstellungsfrist erfolgt.
Die Zuständigkeit ist des Weiteren auch nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger infolge systemischer Schwachstellen des italienischen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Kläger in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH, U.v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris; OVG Rh-Pf, U.v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13.OVG – juris; OVG LSA, U.v. 2.10.2013 – 3 L 645/12 – juris; OVG Berlin-Bbg, B.v. 17.6.2013 – OVG 7 S 33.13 – juris; OVG NRW, U.v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A – juris; U.v. 24.4.2015 – 14 A 2356/12.A – juris; NdsOVG, B.v. 30.1.2014 – 4 LA 167/13 – juris; U.v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris).
Das Gericht schließt sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – Hussein u. a../.Niederlande und Italien, Nr. 27725/10 – ZAR 2013, 336; B.v. 18.6.2013 – Halimi./.Österreich und Italien, Nr. 53852/11 – ZAR 2013, 338). Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätten, zwar einige Mängel aufweisen mögen, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen würden. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars wiesen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigten übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten seien. Diese Rechtsauffassung hat der EGMR, dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweilig entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (BVerfG, U.v. 4.5.2011 – 2 BvR 2333/08 – juris), durch seine Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10 – HUDOC) ausdrücklich bestätigt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Nr. 29217/12 Tarakhel – NVwZ 2015, 127). Darin setzte sich die Große Kammer des EGMR erneut mit den Verhältnissen in Italien auseinander. Sie nahm die eklatante Diskrepanz zwischen den im Jahr 2013 gestellten Asylanträgen und den in den Einrichtungen verfügbaren Plätzen zur Kenntnis sowie die Tatsache, dass der UNHCR in seinen Empfehlungen von 2013 tatsächlich eine Reihe von Problemen beschrieben hat, die sich auf die unterschiedliche Qualität der zur Verfügung stehenden Dienstleistungen – abhängig von der Größe der Einrichtungen – und auf einen Mangel an Koordinierung auf nationaler Ebene bezogen (Rn. 110, 112). Sie stellte aber auch fest, dass die Struktur und die Gesamtsituation der Ausgestaltung der Aufnahmebedingungen in Italien allein nicht jegliches Überstellen von Asylbewerbern in dieses Land verhindert (Rn. 115). Dies bestätigt auch die neuere Entscheidung des EGMR vom 5. Februar 2015 (A.M.E./Niederlande, Nr. 51428/10 – abrufbar auf der Internetseite des EGMR), in der er die Beschwerde des Antragstellers gegen eine Überstellung nach Italien zurückgewiesen hat.
Soweit der EGMR in seiner Entscheidung vom 4. November 2014 (a. a. O.) die individuelle Lage der Beschwerdeführer im Lichte der Gesamtsituation untersucht und hierbei aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit der Personen individuelle Garantien von den italienischen Behörden bei der Wiederaufnahme verlangt hat, liegt hier keine vergleichbare Situation vor. Der EGMR hat die besondere Schutzbedürftigkeit insbesondere asylsuchender Kinder betont, da sie spezifische Bedürfnisse haben und extrem verletzlich sind. Dies gelte auch dann, wenn die Kinder von ihren Eltern begleitet würden (Rn. 119). Beim Kläger handelt es sich jedoch – wie im Verfahren A.M.E../.Niederlande, Nr. 51428/10 (a. a. O.) – um einen gesunden, erwachsenen Mann. In Bezug auf seine Person ist keine über die Schutzbedürftigkeit von Asylbewerbern im Allgemeinen hinausgehende besondere Schutzbedürftigkeit gegeben. Zudem gibt es für das Gericht keinen grundsätzlichen Anlass davon auszugehen, dass dem Kläger bei einer Überstellung nach Italien die dort für Asylbewerber vorhandenen Ressourcen nicht zuteilwerden oder dass die italienischen Behörden bei Schwierigkeiten nicht angebracht reagieren würden (vgl. A.M.E../.Niederlande, Nr. 51428/10 – a. a. O. Rn. 36).
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/italy) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgsversprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Bericht zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63 f. des Berichts). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht angesichts dessen nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht angenommen werden.
Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NRW, U.v. 24.4.2015 a. a. O.).
Schließlich begründet die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbares, landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO notwendig machen, sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Die Befugnis zur Anordnung der Abschiebung ergibt sich aus § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

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