Europarecht

Keine systemischen Mängel im rumänischen Asylsystem

Aktenzeichen  B 3 S 16.50026

Datum:
18.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a Abs. 2 S. 1
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2
GRCh GRCh Art. 4
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Die drohende Zurückweisung in ein Land, in dem die wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem Deutschland, reicht nicht aus, um die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Art. 3 EMRK verboten wird, zu überschreiten. (redaktioneller Leitsatz)
In Rumänien bestehen keine systemischen Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen (so auch VG Regensburg BeckRS 2015, 49569, VG Ansbach BeckRS 2015, 52950, VG Aachen BeckRS 2015, 50891, VG Karlsruhe BeckRS 2014, 47777). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind afghanische Staatsangehörige. Sie reisten nach ihren Angaben am 23.11.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 08.02.2016 Asylanträge.
Der Akte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ist ein sog. EURODAC-Treffer der Kategorie 1 für Rumänien zu entnehmen. Aufgrund dessen richtete das Bundesamt am 10.03.2016 ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) an Rumänien. Die rumänischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 24.03.2016 ihre Zuständigkeit unter Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1d Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 30.03.2016 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung nach Rumänien an (Ziffer 2). Außerdem befristete sie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 3).
Zur Begründung führt das Bundesamt aus, die Asylanträge seien gemäß § 27a AsylG unzulässig, da Rumänien aufgrund der dort bereits gestellten Asylanträge gemäß Art. 18 Abs. 1d Dublin III-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.
Gegen diesen Bescheid bzw. gegen die darin enthaltene Abschiebungsanordnung richtet sich der beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 06.04.2016 eingegangene Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass das Asylsystem Rumäniens systemische Mängel aufweise. Verwiesen wurde auf Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Schwerin (Az. 3 B 236/15), Karlsruhe (Az. A 9 K 782/12) und Potsdam (VG 12 L 838/15.A). Zu beachten sei, dass es sich bei dem Antragsteller zu 3. noch um ein Kleinkind handele.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schreiben vom 11.04.2016,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorgelegte Behördenakte, die Gerichtsakte des Klageverfahrens (Az. B 3 K 16.50027) und die Gerichtsakte dieses Verfahrens verwiesen.
II.
1.
Der zulässige – insbesondere gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1, § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylG statthafte und unter Beachtung der einwöchigen Antragsfrist des § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylG fristgerecht gestellte Antrag – ist unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Halbsatz VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage anordnen, wenn die Klage – wie hier nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG – keine aufschiebende Wirkung hat. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht insbesondere eine summarische Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache und bei offenen Erfolgsaussichten das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides abzuwägen.
Die angegriffene Abschiebungsanordnung stellt sich unter Zugrundelegung der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen derzeitigen Sach- und Rechtslage bei der im Eilverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig dar, so dass das Aussetzungsinteresse der Antragsteller hinter das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung zurückzutreten hat.
Nach § 34 a Abs. 1 AsylG wird die Abschiebung ohne das Erfordernis einer vorherigen Androhung und Fristsetzung insbesondere dann angeordnet, wenn der Ausländer in einen aufgrund unionsrechtlicher Bestimmungen oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylG) abgeschoben werden soll, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Abschiebungsanordnung stellt sich als Festsetzung eines Zwangsmittels dar, die erst dann ergehen darf, wenn alle Voraussetzungen für die Abschiebung erfüllt sind. Dies ist in erster Linie die Zuständigkeit des anderen Staates, daneben muss aber auch feststehen, dass die Abschiebung in den zuständigen Staat nicht aus anderen Gründen rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist.
Diese Voraussetzungen liegen hier – wie im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt (§ 77 Abs. 2 AsylG) – im Hinblick auf die beabsichtigte Abschiebung nach Rumänien vor.
a)
Der Asylantrag ist gemäß § 27a AsylG unzulässig. Rumänien hat unter Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1d Dublin III-VO dem Rücknahmeersuchen des Bundesamtes zugestimmt. Nach dieser Vorschrift ist der nach der Dublin III-VO zuständige Mitgliedsstaat verpflichtet, einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde, und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, wieder aufzunehmen.
b)
Außergewöhnliche Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO begründen oder möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht bzw. eine Selbsteintrittspflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht.
Die Vorschrift Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO dient der Umsetzung der Rechtsprechung des EuGH zur Dublin II-VO. Nach dieser Rechtsprechung steht hinter der Schaffung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (vgl. Art. 78 AEUV) das “Prinzip des gegenseitigen Vertrauens”. Dieses beruht auf der Annahme, alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Richtlinie 2011/95/EU, der GFK sowie in der EMRK finden, beachten, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Es gilt die – allerdings widerlegbare – Vermutung, die Behandlung als schutzberechtigt anerkannter Ausländer stehe in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den genannten Rechten (vgl. EuGH, U.v. 21. 12. 2011 – C-411/10 und C-493/19, C-411/10, C-493/10 -, juris, Rn. 10 ff., 75, 78, 80).
Eine Widerlegung der Vermutung ist wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft. Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Ist hingegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 Grundrechte-Charta zur Folge haben, ist eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (vgl. EuGH, U. v. 10. 12 2013 – C-394/12 -juris, Rn. 60; und vom 21.12. 2011 – C-411/10 und C-493/19, C-411/10, C-493/10 -, a. a. O., Rn. 81 ff.; BVerwG, B. v. 19. 03. 2014 – 10 B 6/14 -, juris, Rn. 6).
Systemische Schwachstellen sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem – aus welchen Gründen auch immer – faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird. Dabei ist der Begriff der systemischen Schwachstelle nicht in einer engen Weise derart zu verstehen, dass er geeignet sein muss, sich auf eine unüberschaubare Vielzahl von Antragstellern auszuwirken. Vielmehr kann ein systemischer Mangel auch dann vorliegen, wenn er von vornherein lediglich eine geringe Zahl von Asylbewerbern betreffen kann, sofern er sich nur vorhersehbar und regelhaft realisieren wird und nicht gewissermaßen dem Zufall oder einer Verkettung unglücklicher Umstände bzw. Fehlleistungen von in das Verfahren involvierten Akteuren geschuldet ist (BVerwG, B. v. 19. 03. 2014 – 10 B 6.14 – juris, Rn. 9, und vom 6.06.2014 – 10 B 35.14 – juris, Rn. 5 f.; VGH Baden-Württemberg, U.v. 1. 04. 2015 – A 11 S 106/15 -, juris, Rn. 33).
Soweit systemische Schwachstellen im vorstehenden Sinne festgestellt werden, muss auch der konkrete Schutzsuchende individuell betroffen sein. Es genügt nicht, dass lediglich abstrakt bestimmte strukturelle Schwachstellen festgestellt werden, wenn sich diese nicht auf den konkreten Antragsteller auswirken können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass – eine systemische Schwachstelle unterstellt – einer drohenden Verletzung von Art. 4 Grundrechte-Charta im konkreten Einzelfall gegebenenfalls vorrangig dadurch “vorgebeugt” werden kann und auch muss, dass die Bundesrepublik Deutschland die Überstellung im Zusammenwirken mit dem anderen Mitgliedstaat so organisiert, dass eine solche nicht eintreten kann (vgl. EGMR, U. v. 4. 11. 2014 – Nr. 29217/12, Tharakel/Schweiz – juris; BVerfG, B.v. 17.09.2014 – 2 BvR 939/14 und 2 BvR 1795/14 – juris, und vom 17.04.2015 – 2 BvR 602/15 – juris).
Nach diesen Grundsätzen sind systemische Mängel im rumänischen Asylverfahren nicht festzustellen.
Der Bevollmächtigte der Antragsteller beruft sich in seinem Antrag auf einzelne Entscheidungen von Verwaltungsgerichten, ohne selbst Erkenntnismittel anzugeben, aus denen sich ein Ansatz für das Vorliegen systemischer Mängel bzw. Schwachstellen im rumänischen Asylsystem entnehmen lässt. Solche liegen auch nicht vor. Das Verwaltungsgericht Schwerin bezieht sich in seiner Eilentscheidung vom 27.03.2015 (Az. 3 B 236/15 As) auf klägerische Angaben aus einem anderen Verfahren. Es beruft sich bei seiner Entscheidung zudem auf einen Bericht des UNHCR aus dem Jahr 2012. Dieser Bericht kann zur Beurteilung der aktuellen Situation in Rumänien nicht geeignet sein. Ebenso kann sich die Einzelrichterin der Argumentation des VG Schwerin, welches – tragend – wegen der Ausgabe von Lebensmittelgutscheinen – in relativ geringer Höhe – Zweifel am rumänischen Asylsystem hegt, nicht anschließen. Denn die drohende Zurückweisung in ein Land, in dem die wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem ausweisenden Staat reicht nicht aus, um die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Art. 3 EMRK verboten wird, zu überschreiten. Die Antragsteller müssen sich auf den in Rumänien für alle dortigen Staatsangehörigen geltenden Versorgungsstandard verweisen lassen, auch wenn dieser dem Niveau in Deutschland nicht entspricht. Das Gericht verweist auf die Entscheidung des VG Aachen vom 17.08.2015 – 8 L 607/16.A – juris, der er sich anschließt. Auch das VG Aachen ging davon aus, dass keine Erkenntnisse vorliegen, die den Schluss auf systemische Mängel in Rumänien zuließen. Es führt dazu u. a. aus, dass die rumänische Regierung mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen bei der Bereitstellung von Schutz und Hilfe für Flüchtlinge, Asylsuchende, Staatenlose und andere Personen zusammenarbeite. Flüchtlinge mit einem Schutztitel erhielten Zugang zum Arbeitsmarkt, trotz Schwierigkeiten könnten sie Wohnraum erlangen, grundsätzlich stünden anerkannten Schutzberechtigten bei der medizinischen Versorgung dieselben Rechte wie rumänischen Staatsangehörigen zu. Die Aktivitäten des UNHCR ließen keine grundlegenden Verletzungen der GFK oder der EMRK erkennen (vgl. Rn. 33 der Entscheidung).
Auch wenn der UNHCR sorgenvoll auf die finanzielle und materielle Unterstützung von Asylsuchenden blickt und das Integrationsangebot als unzureichend ansieht (vgl. hierzu US-Department of State, Romania 2014 Human Rights Report, 2d) hat er nicht davon abgeraten, die Asylsuchenden im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Rumänien zu überstellen. Das Gericht schließt sich schließlich der aktuellen Rechtsprechung an, die systemische Schwachstellen im rumänischen Asylsystem verneint (vgl. z. B. VG Regensburg, U. v. 17.06.2015 – RO 4 K 15.50311; VG Ansbach, B. v. 30.09.2015 – AN 3 S 15.50375 -; VG Aachen, B. v. 17.08.2015 – 8 L 607/15.A -; VG Karlsruhe B. v. 10.02.2014 – A 1 K 3800/13- alle juris).
c)
Ein der Abschiebung nach Rumänien entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gem. § 34a Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre, ist weder geltend gemacht noch ersichtlich.
d)
Schließlich begegnet auch die Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gem. Art. 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Die Befristung auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung ist ermessensfehlerfrei innerhalb der in § 11 Abs. 3 Satz 2 und 3 AufenthG normierten gesetzlichen Grenzen getroffen worden. Besondere Umstände sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
2.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gem. § 83b AsylG werden Gerichtskosten nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.

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