Europarecht

Keine Überraschungsentscheidung bei Folgen der Begründungserwägungen des angefochtenen Bescheides

Aktenzeichen  20 ZB 17.30633

Datum:
20.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 128932
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 138

 

Leitsatz

1 Hat die Ausländerbehörde das an die ausländische Behörden gerichtete Übernahmeersuchen aufgrund der dortigen Anerkennung subsidiären Schutzes zurückgezogen, ist damit das Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung nach der Dublin III-VO beendet. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ist das Gericht im Wesentlichen den Begründungserwägungen des angefochtenen Bescheides gefolgt, liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs unter dem Aspekt der Überraschungsentscheidung nicht vor. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 3 K 16.31571 2017-04-05 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 5. April 2017, Az. B 3 K 16.31571 bleibt ohne Erfolg, weil ein Zulassungsgrund nicht in der nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG gebotenen Weise dargelegt wurde bzw. nicht vorliegt.
1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) wurde nicht dargelegt. Die Darlegung einer Divergenz erfordert, dass aufgezeigt wird, welchen abstrakten Rechtssatz das erstinstanzliche Gericht in der angefochtenen Entscheidung aufgestellt hat und von welchem abstrakten Rechtssatz eines Divergenzgerichtes i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG dieser in Anwendung derselben Rechtsvorschrift abweicht. Dazu ist eine Gegenüberstellung der divergierenden Rechtssätze erforderlich, aus der die Abweichung deutlich wird (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 73). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Klägerin nicht gerecht. Sie hat schon nicht dargelegt, welchen Rechtssatz das Verwaltungsgericht aufgestellt haben soll und welchem in den zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz dieser widersprechen soll. Des Weiteren hat die Klägerin nicht dargelegt, weshalb die genannten Entscheidungen (BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 – NVwZ 2014, 1511 und 2 BvR 1795/14 – BeckRS 2014, 56447) in ihrem Fall einschlägig sein sollen. Denn diese Entscheidungen sind zum Verfahren der Rücküberstellung nach der EU-Verordnung Nr. 604/2013 („Dublin III-VO“) ergangen. Die Klägerin verkennt, dass ihr Asylantrag nicht aufgrund eines solchen Verfahrens gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG wegen Unzuständigkeit der Beklagten, sondern auf der Grundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wegen der Gewährung internationalen Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat als unzulässig abgelehnt wurde. Deshalb geht auch der Hinweis auf die Vorschrift zur Familienzusammenführung in Art. 11 Dublin III-VO fehl. Denn das Verwaltungsgericht geht mit dem Bundesamt aufgrund einer Mitteilung der österreichischen Behörden sowie aufgrund einer Auskunft des italienischen Innenministeriums im Asylverfahren des Vaters der Klägerin davon aus, dass (auch) der Klägerin in Italien subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei. Das von der Beklagten an die italienischen Behörden gerichtete Übernahmeersuchen wurde deshalb zurückgezogen (Bl. 79 der Akte des Bundesamtes). Damit war das Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung nach der Dublin III-VO beendet, die Beklagte hat ihre Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrags angenommen und ein nationales Asylverfahren durchgeführt (vgl. EuGH, B.v. 5.4.2017 – C-36/17, Daher Muse Ahmed – juris Rn. 32 ff.; BVerwG, U.v. 1.6.2017 – 1 C 9.17 – juris Rn. 19). Gleichwohl hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Klägerin als Volljährige keinem besonders schutzbedürftigen Personenkreis i.S. der o.g. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sowie der sog. „Tarakhel“-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Nr. 29217/12, Tarakhel – NVwZ 2015, 127) angehöre, und damit entgegen der Kritik der Klägerin familiäre Belange berücksichtigt, wenn auch mit einem für sie ungünstigen Ergebnis. Letztlich macht die Klägerin insoweit sinngemäß ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend, die jedoch nach dem abschließenden Katalog des § 78 Abs. 3 AsylG im Asylprozess keinen Zulassungsgrund darstellen.
2. Der geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) liegt nicht vor. Die Klägerin rügt, das Verwaltungsgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es sich „erkennbar mit dem Vortrag der klagenden Partei nicht ausreichend auseinandergesetzt“ habe. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verlangt zum einen, dass der Beteiligte Gelegenheit hat, das aus seiner Sicht für seine Rechtsverfolgung oder -verteidigung Notwendige sowohl im Tatsächlichen als auch im Rechtlichen vorzutragen. Zum anderen hat das Gericht diesen Vortrag zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (Kraft in Eyermann, VwGO, § 138, Rn. 31 und 32 m.w.N.). Die Klägerin hatte im vorliegenden Fall Gelegenheit, die aus ihrer Sicht maßgeblichen Aspekte vorzutragen. Insbesondere wurde sie auch über ihren Bevollmächtigten zu der mündlichen Verhandlung geladen. Dass trotz ordnungsgemäßer Ladung für die Klagepartei in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist (vgl. die Niederschrift vom 5. April 2016), führt nicht zu einem Verstoß des Gerichts gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör. In der Ladung war darauf hingewiesen worden, dass auch ohne das Erscheinen eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO). Ein Vertagungsgesuch wurde nicht gestellt. Schließlich folgt ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs auch nicht aus dem Aspekt der Überraschungsentscheidung. Danach ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, die Beteiligten mit nicht zu erwartenden tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkten zu überraschen (Kraft in Eyermann, VwGO, § 138 Rn. 33 m.w.N.). Dies ist hier jedoch nicht geschehen. Denn das Gericht ist im Wesentlichen den Begründungserwägungen des angefochtenen Bescheides gefolgt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen