Aktenzeichen 2 K 309/16
Richtlinie 2006/112/EG Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der, 77/388/EWG Art. 19 Abs. 1 der
Leitsatz
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet, da das Finanzamt die streitige Vorsteuer zu Recht nicht berücksichtigt hat, weil die Beratungsleistungen für einen steuerfreien Ausgangsumsatz erbracht wurden (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG).
Unberücksichtigt kann deswegen insbesondere bleiben, ob die vorgelegten Rechnungen den Rechnungserfordernissen des § 14 Abs. 4 UStG entsprechen. Von daher erübrigen sich auch Überlegungen zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge von seiner eigenen Umsatzsteuerlast abziehen. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug für Lieferungen, die zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet werden (§ 15 Abs. 2 UStG), sofern nicht gemäß § 15 Abs. 3 UStG der Vorsteuerabzug explizit aufrechterhalten wird.
Im Hinblick auf Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSysRL; ABl. L 347, S. 1) besteht eine Abzugsberechtigung nur aufgrund solcher Eingangsleistungen, die für die wirtschaftlichen Tätigkeiten des Unternehmers zur Erbringung entgeltlicher Leistungen bestimmt sind (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union – EuGH – vom 13.03.2008 Securenta C-437/06, Slg. 2008, I-1597; BFH-Urteil vom 6.05.2010 V R 29/09, BFHE 230, 263, BStBl II 2010, 885).
Der Vorsteuerabzug setzt einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang des Eingangsumsatzes zu einzelnen Ausgangsumsätzen voraus, die steuerpflichtig oder Umsätze i.S. von § 15 Abs. 3 UStG sind. Die für den Leistungsbezug getätigten Aufwendungen gehören dann zu den Kostenelementen seiner zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgangsumsätze (EuGH-Urteil vom 29.10.2009 SKF, Slg. 2009, I-10413 Rdnr. 57; BFH-Urteil vom 06.05.2010 V R 29/09, BFHE 230, 263, BStBl II 2010, 885, unter II.2.a aa (1), jeweils m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung).
Bei einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zu einem Umsatz, der mangels wirtschaftlicher Tätigkeit nicht dem Anwendungsbereich der Steuer unterliegt oder der steuerfrei ist, ohne dass § 15 Abs. 3 UStG (Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG) gilt, besteht keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug (EuGH-Urteile vom 13.03.2008 Securenta, Slg. 2008, I-1597 Rdnr. 30, und vom 29.10.2009 SKF, Slg. 2009, I-10413 Rdnr. 59, und BFH-Urteil vom 06.05.2010 V R 29/09, BFHE 230, 263, BStBl II 2010, 885, unter II.2.a aa (2), jeweils m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung).
Ausgaben für Dienstleistungen zur Durchführung einer Geschäftsveräußerung im Ganzen (GiG; § 1 Abs. 1a UStG) gehören aber zu den allgemeinen Kosten des Unternehmers und weisen damit einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang zu seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit auf. Der Unternehmer kann daher den Teil der darin enthaltenen Mehrwertsteuer abziehen, der auf seine steuerpflichtigen Umsätze entfällt (EuGH-Urteil vom 22.02.2001 C-408/98 Abbey National, HFR 2001, 514, Rz 35; BFH-Urteil vom 13.12.2017 XI R 3/16, BFHE 261, 84, Rz 30).
2. Die Veräußerung der Anteile an der B fiel als wirtschaftliche Tätigkeit grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer, ist also im Rahmen des Unternehmens der Klägerin erfolgt, § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG. Zum einen war das Halten der Anteile an der B mit steuerpflichtigen Leistungen an diese verbunden (Vermietung Betriebsgrundstücke) und zum anderen handelte es sich bei der B um eine Organgesellschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) der Klägerin. Auch daher bezog sich die Veräußerung auf einen Unternehmensgegenstand und war somit nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar (vgl. BFH-Urteil vom 27.01.2011 V R 38/09, BFHE 232, 278, BStBl II 2012, 68, Rn. 16; aA Stadie in: Stadie, Umsatzsteuergesetz, § 1 UStG, Rn. 132).
3. Nach den vorgenannten Grundsätzen kann der Kläger aus den Beratungsleistungen zur Durchführung der Anteilsveräußerung keine Vorsteuer abziehen, weil diese Beratungsleistungen in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit steuerfreien Umsätzen stehen. Die Umsätze und die Vermittlung der Umsätze von Anteilen an Gesellschaften und anderen Vereinigungen sind nach § 4 Nr. 8 Buchst. f. UStG steuerfrei. Anteil an einer Gesellschaft in diesem Sinne ist auch ein GmbH-Anteil. Ein Fall des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b UStG liegt nicht vor, weil kein unmittelbarer Bezug zu einer Ausfuhr in das Drittlandsgebiet erkennbar ist.
4. Die Veräußerung der Anteile steht auch nicht deswegen im direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit steuerpflichtigen Umsätzen, weil es sich um eine GiG gehandelt hätte.
a. Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen unterliegen nach § 1 Abs. 1a UStG nicht der Umsatzsteuer. Die Vorschrift setzt voraus, dass ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird. § 1 Abs. 1a UStG dient der Umsetzung von Art. 19 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) in nationales Recht und ist entsprechend dieser Bestimmung richtlinienkonform auszulegen. Nach Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten die Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens, die entgeltlich erfolgt, so behandeln, als ob keine Lieferung vorliegt.
Die Bestimmung erfasst somit die Übertragung von Geschäftsbetrieben und von selbständigen Unternehmensteilen, die als Zusammenfassung materieller und immaterieller Bestandteile ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann (vgl. z.B. EuGH-Urteile vom 27.11.2003 Zita Modes C-497/01, Slg 2003, I-14393, Rz 40; vom 10.11.2011 Schriever C-444/10, BStBl II 2012, 848, Rz 25; vom 29.10.2009 SKF, BFH/NV 2009, 2099, Rz 37; BFH-Urteile vom 18.01.2012 XI R 27/08, BFHE 235, 571, und vom 27.11.2011 V R 38/09, BFHE 232, 278, BStBl II 2012, 68)
Der Erwerber muss außerdem beabsichtigen, den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil zu betreiben (EuGH-Urteil vom 27.11.2003 Zita Modes, Slg 2003, I-14393, Rz 44; BFH-Urteile vom 30. April 2009 V R 4/07, BFHE 226, 138, BStBl II 2009, 863, unter II.2.a, Rz 25; in BFHE 235, 571, BStBl II 2012, 842, Rz 19; in BFHE 240, 366, BStBl II 2013, 1053, Rz 34). Der Erwerber darf den von ihm erworbenen Geschäftsbetrieb z.B. aus betriebswirtschaftlichen oder kaufmännischen Gründen in seinem Zuschnitt ändern oder modernisieren (vgl. BFH-Urteile vom 23. August 2007 V R 14/05, BFHE 219, 229, BStBl II 2008, 165, unter II.1.b, Rz 31; vom 29. August 2012 XI R 10/12, BFHE 239, 359, BStBl II 2013, 221, Rz 22).
b. Offenbleiben kann hier, ob das BFH-Urteil vom 27.01.2011 V R 38/09, BFHE 232, 278, BStBl II 2012, 68 tatsächlich so zu verstehen ist, dass die Veräußerung sämtlicher Anteile an einer Kapitalgesellschaft in jedem Fall zu einer GiG führe. Der Klägerin ist zuzugestehen, dass der amtliche Leitsatz 2 dies nahelegt. Allerdings tragen die Urteilsgründe diesen Leitsatz nicht, da der BFH über einen Fall zu entscheiden hatte, in dem nicht alle Anteile veräußert wurden und er dementsprechend nur darüber entschieden hat.
c. Jedenfalls ist dieses Urteil durch die nachfolgende Entscheidung des EuGH in der Rechtssache X vom 30.05.2013 C 651/11 (MwStR 2013, 337) überholt. In diesem Urteil hat der EuGH wesentliche Einschränkungen gegenüber seinem Urteil vom 29.10.2009 SKF C 29/08 (BFH/NV 2009, 2099) formuliert, auf welches sich der BFH in der Sache V R 38/09 maßgeblich gestützt hatte.
Der EuGH hat im Urteil vom 30.05.2013 ausgeführt (Rn. 32), dass eine GiG „die Übertragung eines Geschäftsbetriebs oder eines selbständigen Unternehmensteils erfasst, die jeweils materielle und gegebenenfalls immaterielle Bestandteile umfassen, die zusammengenommen ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann, dass er aber nicht die bloße Übertragung von Gegenständen wie den Verkauf eines Warenbestands einschließt“. Dementsprechend bestimmt § 1 Abs. 1a Satz 2 UStG, dass eine Geschäftsveräußerung vorliegt, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird.
Schon dies trifft auf die Veräußerung der Anteile an der B nicht zu, da nicht insgesamt ein – der Mehrwertsteuer unterliegendes – Unternehmen (d.h. ein eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der MwStSysRL vermittelndes Gesamt- oder Teilvermögen, Art. 19 Abs. 1 MwStSysRL) übertragen wurde, welches sich auf das Innehaben der Anteile gründet, sondern durch die (isolierte) Übertragung nur die Inhaberschaft am Unternehmen B (also letztlich der Unternehmer und nicht sein Unternehmen) übertragen wurde. Das stellt aber einen Vorgang auf einer anderen, übergeordneten Ebene dar (ähnlich Stadie in: Stadie, Umsatzsteuergesetz, § 1 UStG, Rn. 132; Nieskens in: Rau/Dürrwächter, UStG, 175. Lieferung 01.2018, § 1 UStG, Rn. 1230 und 1232). Die Klägerin hat auch nicht geltend gemacht, dass sie das Unternehmen „Halten der Beteiligung an der B“ samt der die unternehmerische Betätigung (wirtschaftliche Tätigkeit) vermittelnden Rechtsverhältnisse (Vermietung, Organschaft) übertragen hätte, sondern letztlich argumentiert, mit der Beteiligung könne auch beim erwerbenden Unternehmer ein „Unternehmen“ bzw. ein „Betrieb“ im Sinne des § 1 Abs. 1a UStG geführt werden.
Auch der EuGH hat ausdrücklich festgestellt, dass eine GiG im Sinne des Art. 19 MwStSysRL nur bei Übertragung von eigenständigen Einheiten möglich ist, die eine selbständige wirtschaftliche Betätigung ermöglichen, und diese Tätigkeit vom Erwerber fortgeführt wird (EuGH-Urteil vom 30.05.2013, Rn. 38).
Der EuGH hat weiter ausdrücklich festgestellt, dass „eine bloße Veräußerung von Anteilen ohne gleichzeitige Übertragung von Vermögenswerten […] den Erwerber nicht in die Lage [versetzt], eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit als Rechtsnachfolger des Veräußerers fortzuführen“ (EuGH-Urteil vom 30.05.2013, Rn. 38). Die Klägerin übertrug über die GmbH-Anteile hinaus gerade keine Vermögenswerte.
d. Auch unter dem Gesichtspunkt der Fortführung des übertragenen Unternehmens scheidet die Annahme einer GiG aus.
Mangels gleichzeitiger Übertragung der an die B vermieteten Grundstücke endete mit Übertragung der Anteile die Organschaft und wurde die Vermietung personell von der Inhaberschaft der Anteile getrennt. Mithin endete auch jedes das Halten der Anteile zu einer mehrwertsteuerlich relevanten wirtschaftlichen Tätigkeit aufwertende Element in Zeitpunkt der Übertragung. Die bloße Absicht, beim Erwerber eine ähnliche Konstellation wieder aufzubauen (Organschaft), reicht für eine Übertragung nicht aus, da es nach der klaren Rechtsprechung des EuGH zwingend erforderlich ist, dass auch das die wirtschaftliche Tätigkeit vermittelnde Element mit übertragen wird (EuGH-Urteil vom 30.05.2013 X C-651/11, MwStR 2013, 337 Rn. 38; unklar hingegen hierzu BFH-Urteil vom 27.01.2011 V R 38/09, BFHE 232, 278, BStBl II 2012, 68, Rn. 24).
4. Die Klägerin kann zudem keine Rechte aus einer älteren Fassung des UStAE herleiten.
Der UStAE entfaltet keine Bindung für die Gerichte (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 28.11.2016 GrS 1/15, BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393, Rn. 40ff). Auch Gleichbehandlungsgesichtspunkte können nicht für die Klägerin streiten, weil selbst nach der Fassung bis zum 10.12.2013 die Verwaltung im Fall der Klägerin keine GiG angenommen hätte.
Nach der damaligen Fassung des Abschnitts 1.5 Abs. 9 konnte die Verwaltung zwar eine GiG annehmen, auch wenn „aus anderen Gründen kein Organschaftsverhältnis begründet“ wurde (Satz 9). Allerdings war auch damals Voraussetzung, dass der Erwerber „in die die wirtschaftliche Eingliederung vermittelnden Beziehungen zwischen bisherigem Organträger und der Organgesellschaft eintritt“ (Satz 8), was die Erwerberin im hiesigen Fall gerade nicht getan hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.