Aktenzeichen U 2267/16 Kart
Leitsatz
1. Das einem legitimem Zweck dienende selektive Vertriebssystem der Antragstellerin ist nicht kartellrechtswidrig; es wird diskriminierungsfrei angewandt. (Rn. 8 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Durch den sichtbaren Eingriff in die Verpackung (Entfernung der zur Überwachung des Vertriebssystems angebrachten Kontrollnummer) wird der Ruf der Marke der Antragstellerin beschädigt, so dass sie sich dem weiteren Vertrieb der solchermaßen veränderten Ware widersetzen kann. (Rn. 4 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die geltend gemachten Auskunftsansprüche sind nicht im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbar, da angesichts der Rechtsprechung des EuGH (GRUR 2012, 844 – Pierre Fabre) nicht von der erforderlichen offensichtlichen Rechtsverletzung ausgegangen werden kann. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
v 2016-03-31 Urt LGMUENCHENI LG München I
Tenor
I. Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird die Einstweilige Verfügung des Landgerichts vom 17.12.2015 in Ziffer 2. und das Urteil des Landgerichts München I vom 31.03.2016 hinsichtlich der Bestätigung der Ziffer 2. der Einstweiligen Verfügung aufgehoben und der Antrag auf Erlass der Einstweiligen Verfügung insoweit zurückgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts vom 31.03.2016 zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen hat die Antragsgegnerin 3/5 und die Antragstellerin 2/5 zu tragen.
Gründe
I.
Von einem Tatbestand wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II.
Die Antragstellerin hat ihren Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung hinsichtlich der Alternative, dass bei den Produkten der auf der Umverpackung aufgebrachte Kontrollcode durch Überdeckung einzelner Striche unleserlich gemacht wurde, in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen. Die Einstweilige Verfügung und das diese bestätigende Urteil des Landgerichts sind insoweit wirkungslos (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog).
III.
Die Berufung der Antragsgegnerin ist zulässig, aber überwiegend nicht begründet. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu und auch die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Dringlichkeit der Sache gemäß § 935 ZPO ist gegeben. Der Auskunftsanspruch ist jedoch nicht im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzbar.
1. Der Unterlassungsanspruch ergibt sich aus Art. 9 Abs. 1 a) UMV. Auf die an sich eingetretene markenrechtliche Erschöpfung gemäß Art. 13 Abs. 1 UMV kann sich die Antragsgegnerin gemäß Art. 13 Abs. 2 UMV nicht berufen.
Markenrechtliche Erschöpfung gemäß Art. 13 Abs. 1 UMV tritt gemäß Art. 13 Abs. 2 UMV nicht ein, wenn berechtigte Gründe es rechtfertigen, dass der Markeninhaber sich dem weiteren Vertrieb der Waren widersetzt, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert ist.
a) Die Entfernung oder Veränderung der – legitimen Zwecken dienenden – Kontrollnummer führt im Allgemeinen dazu, dass eine markenrechtliche Erschöpfung nicht eintritt, so dass dem Hersteller als Inhaber oder gegebenenfalls Lizenznehmer auch markenrechtliche Ansprüche gegen die Weiterverbreitung der veränderten Ware zustehen. Der Hersteller kann sich gegen den Weitervertrieb der veränderten Ware mit Hilfe des Markenrechts immer dann wenden, wenn mit der Entfernung der Kontrollnummern ein sichtbarer, die Garantiefunktion der Marke berührender Eingriff in die Substanz der Ware, des Behältnisses oder der Verpackung verbunden ist (vgl. BGH GRUR 2002, 709, 711 – Entfernung der Herstellungsnummer III m.w.N.).
Bei den erstinstanzlich in Augenschein genommenen bei den Akten befindlichen drei Verpackungen von C.-Kosmetikprodukten waren die Vertriebskontrollnummern herausgeschnitten und ein fiktiver Strichcode aufgeklebt worden. Das Landgericht hat einen deutlich sichtbaren Eingriff in die Verpackung der Produkte der Antragstellerin festgestellt. Bei hochwertigen Kosmetikprodukten wie denen der Antragstellerin, die oft als Geschenk verwendet werden, legt der Verkehr auch auf eine unversehrte Verpackung besonderen Wert. Durch den sichtbaren Eingriff in die Verpackung wird der Ruf der Marke beschädigt, so dass die Antragstellerin sich dem weiteren Vertrieb der Ware widersetzen kann.
b) Die Kontrollnummern dienen der Überwachung des selektiven Vertriebssystems der Antragstellerin und damit legitimen Zwecken. Das selektive Vertriebssystem der Antragstellerin ist nicht kartellrechtswidrig. Es fällt nicht unter das Verbot des Art. 101 AEUV, § 1 GWB.
Nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH beeinflussen Vereinbarungen, die ein selektives Vertriebssystem begründen, zwar den Wettbewerb im gemeinsamen Markt, es gibt jedoch legitime Bedürfnisse, die eine Einschränkung des Preiswettbewerbs zu Gunsten eines andere Faktoren als die Preise betreffenden Wettbewerbs rechtfertigen. Somit stellen selektive Vertriebssysteme, da sie auf die Erreichung eines rechtmäßigen Ergebnisses abzielen, das zur Stärkung des Wettbewerbs beiträgt, soweit dieser nicht nur die Preise zum Gegenstand hat, einen Wettbewerbsfaktor dar, der mit Art. 101 Abs. 1 AEUV vereinbar ist (EuGH GRUR 2012, 844, Tz. 39, 40 – Pierre Fabre m.w.N.). Die Organisation eines solchen Vertriebsnetzes fällt nicht unter das Verbot in Art. 101 Abs. 1 AEUV, sofern die Auswahl der Wiederverkäufer anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgt, die einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden, sofern die Eigenschaften des fraglichen Erzeugnisses zur Wahrung seiner Qualität und zur Gewährleistung seines richtigen Gebrauchs ein solches Vertriebsnetz erfordern und sofern die festgelegten Kriterien schließlich nicht über das erforderliche Maß hinausgehen (EuGH a.a.O. Tz. 41 – Pierre Fabre m.w.N.).
aa) Das selektive Vertriebssystem der Antragstellerin dient der Unterstützung des Luxusimages ihrer Produkte. Nach bisheriger Rechtsprechung des EuGH (GRUR 2009, 593 – Copad/Dior), des EuG (Urteil vom 12.12.1996, T-88/92, juris Tz. 108 ff. Leclerc ./. Givenchy) und des BGH (GRUR 2004, 351 – Depotkosmetik im Internet) kann ein bestimmtes luxuriöses Produktimage die Einrichtung eines qualitativen selektiven Vertriebssystems und die damit verbundenen Beschränkungen hinsichtlich des Vertriebs rechtfertigen. Denn die Qualität von Prestigewaren beruht häufig nicht alleine auf ihren materiellen Eigenschaften, sondern auch auf ihrem Prestigecharakter, der ihnen eine luxuriöse Ausstrahlung verleiht, so dass eine Schädigung der luxuriösen Ausstrahlung geeignet ist, die Qualität der Waren selbst zu beeinträchtigen (EuGH a.a.O. Tz. 24, 25 – Copad/Dior).
Der Senat geht wie auch der Kartellsenat des OLG Frankfurt (Urteil vom 22.12.2015, Az. 11 U 84/14 (Kart), juris – Funktionsrucksäcke) davon aus, dass an dieser Auffassung auch nach der Entscheidung des EuGH vom 13.10.2011 (GRUR 2012, 844 – Pierre Fabre) grundsätzlich festzuhalten ist. Zwar hat der EuGH in der Entscheidung ausgeführt, das Ziel, den Prestigecharakter zu schützen, könne kein legitimes Ziel zur Beschränkung des Wettbewerbs sein und es daher nicht rechtfertigen, dass eine Vertragsklausel, mit der ein solches Ziel verfolgt wird, nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV falle (EuGH a.a.O. Tz. 46). Auch der Senat geht jedoch wie der Kartellsenat des OLG Frankfurt davon aus, dass sich aus dem Kontext ergibt, dass der EuGH damit lediglich zum Ausdruck bringen wollte, dass der Schutz des Prestigecharakters der Marke nicht das im konkreten Fall gegenständliche Totalverbot jeglichen Online-Vertriebs rechtfertigen könne. Hierfür spricht, dass ansonsten zu erwarten gewesen wäre, dass der EuGH sich mit seiner abweichenden früheren Rechtsprechung und der abweichenden Rechtsprechung des EuG oder den entsprechenden Ausführungen in den Schlussanträgen des Generalanwalts auseinandergesetzt hätte. Dies ist zwar in Anbetracht des Wortlautes der Ausführungen des EuGH nicht eindeutig, eine entsprechende Vorlage an den EuGH (vgl. dazu OLG Frankfurt, EuGH-Vorlage vom 19.04.2016, Az. 11 U 96/14 (Kart), juris – Luxusparfüm im Internet) verbietet sich aber aufgrund des Eilcharakters des Verfügungsverfahrens.
bb) Die Antragstellerin hat auch dargelegt und durch die eidesstattliche Versicherung des Director Sales für die Marke C. H. R. (Anlage Ast 2) glaubhaft gemacht, dass sie ihr selektives Vertriebssystem diskriminierungsfrei anwendet, da jeder Abnehmer nur nach Maßgabe des abzuschließenden Muster-Depotvertrags beliefert wird.
cc) Die in den Vertriebsverträgen festgelegten Kriterien gehen auch nicht über das für die Erhaltung und Förderung des Luxusimage der Produkte der Klägerin erforderliche Maß hinaus. Dies gilt auch für die Regelung in Ziffer 2. der Zusatzvereinbarung zum Depotvertrag (Anlage Ast 17), nach der der Depositär nicht berechtigt ist, im Internet Fremdmarken, soweit es sich dabei um Dienstleistungsmarken handelt, für den eigenen Auftritt zu benutzen. Zwar führt diese Klausel faktisch zu einem Verkaufsverbot über Dritthandelsplattformen wie www…de oder ebay. Ein solches Plattformverbot ist jedoch erforderlich, um das Luxusimage der Markenprodukte der Antragstellerin zu wahren und zu fördern. Nur wenn der Depositär selbst die Herrschaft über den Geschäftsauftritt im Internet hat, ist gewährleistet, dass er die Qualitätsstandards, zu deren Einhaltung er sich gegenüber der Antragstellerin verpflichtet hat, auch einhalten kann. Dementsprechend ist auch in Rz. 54 der Leitlinie zur Vertikal-GVO ausgeführt, dass, wenn sich die Plattform des Händlers auf der Website eines Dritten befindet, der Anbieter verlangen kann, dass Kunden die Website des Händlers nicht über eine Website aufrufen, die den Namen oder das Logo dieser Plattform tragen. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin werden kleinere und mittlere Händler durch das faktische Verbot der Nutzung der Plattform www…de auch nicht besonders belastet. Es ist eher davon auszugehen, dass kleinere Händler davon profitieren, wenn die Produkte nur über die eigenen Webseiten der Vertragshändler und nicht über www…de angeboten werden und der Preisdruck dadurch weniger hoch ist. Eine Vorlage an den EuGH zur Frage der Verhältnismäßigkeit der Logo-Klausel (vgl. auch dazu OLG Frankfurt, EuGH-Vorlage vom 19.04.2016, Az. 11 U 96/14 (Kart), juris, – Luxusparfüm im Internet) verbietet sich wiederum aufgrund des Eilcharakters des Verfügungsverfahrens.
2. Auch ein Verfügungsgrund im Sinne des § 935 ZPO ist gegeben. Ohne die einstweilige Verfügung würde es voraussichtlich zu weiteren Rechtsverletzungen kommen und die Marke der Antragstellerin weiter geschädigt werden.
3. Die geltend gemachten Auskunftsansprüche sind allerdings nicht im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbar. Gemäß Art. 101 Abs. 2 UMV, § 19 Abs. 7 MarkenG kann die Verpflichtung zur Auskunft in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung im Wege der einstweiligen Verfügung angeordnet werden. Davon ist auszugehen, wenn die Rechtsverletzung so eindeutig ist, dass eine Fehlentscheidung und damit eine ungerechtfertigte Belastung des Antragsgegners ausgeschlossen erscheint. Zweifel in tatsächlicher, aber auch in rechtlicher Hinsicht stehen der Annahme einer offensichtlichen Rechtsverletzung entgegen (Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 19 Rn. 47 m.w.N.). In Anbetracht der Ausführungen des EuGH in der Pierre Fabre Entscheidung (GRUR 2012, 844, Rn. 46), dass das Ziel, den Prestigecharakter zu schützen, kein legitimes Ziel zur Beschränkung des Wettbewerbs sein kann, kann in rechtlicher Hinsicht nicht von einer offensichtlichen Rechtsverletzung ausgegangen werden, so dass dem Auskunftsverlangen im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht stattzugeben war.
IV.
Zu den Nebenentscheidungen:
1. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die Verletzungsform der Überdeckung, hinsichtlich derer der Antrag zurückgenommen wurde, war eine von drei gleichwertig nebeneinander geltend gemachten Verletzungsformen, was bei der Kostenquotelung entsprechend zu berücksichtigen war.
2. Für die Zulassung der Revision ist im Streitfall, dem ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zugrunde liegt, kein Raum (vgl. § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).