Europarecht

Nachweis eines Wohnsitzes in Tschechien bei deutschem Staatsangehörigen

Aktenzeichen  AN 10 K 15.01222

Datum:
3.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 103924
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 7 Abs. 1, § 228 Abs. 1, Abs. 4
RL 2006/126/EG Art. 12
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Sind in einer Auskunft des tschechischen Verkehrsministeriums die Fragen, wo der Kläger gewöhnlicher Weise während wenigstens 185 Tagen im Jahr gewohnt hatte, ob er nahe Familienangehörige habe, ob er eine Unterkunft hatte, ob er grundstücks- oder geschäftliche Interessen verfolgte und ob er Verbindungen zur Verwaltung, zu Sozialbehörden, mit anderen Worten, ob er Steuern gezahlt hatte, Sozialleistungen erhielt oder ein Fahrzeug angemeldet hatte, sämtlich mit “unknown” gekennzeichnet, stellt dies eine unbestreitbare Information eines inländischen Wohnsitzes dar, zumal, wenn der Kläger (auch) im Inland gemeldet war und sich in der mündlichen Verhandlung nicht geäußert hat. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 24. März 2015 ist rechtmäßig, so dass er den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Gericht geht davon aus, dass nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (RL 2006/126/EG) die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anzuerkennen sind. Dies hat zur Folge, dass andere Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht befugt sind, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen zu prüfen (st.Rspr., beispielsweise BVerwG, U. v. 30.3.2013, Az.: 3 C 18.12, juris). Das Gericht geht allerdings weiter davon aus, dass eine Ausnahme dann besteht, wenn der neue Führerschein unter Missachtung der in der Richtlinie aufgestellten Wohnsitzvoraussetzung (Art. 7 Abs. 1 e i.V.m. Art. 12 RL 2006/126/EG) ausgestellt worden ist (so auch BVerwG a.a.O.).
Demgemäß gilt nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV die Berechtigung, von einer gültigen, in einem Mitgliedstaat ausgestellten, Fahrerlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 FeV auch im Inland Gebrauch zu machen, nicht für Inhaber, die ausweislich dieses Führerscheins oder ausweislich von vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung den ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten.
Als ordentlicher Wohnsitz gilt nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV, Art. 12 RL 2006/126/EG der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen oder wegen beruflicher Bindungen gewöhnlich, das heißt während mindestens 185 Tagen im (Kalender-)Jahr, wohnt. Als ordentlicher Wohnsitz eines Führerscheininhabers, dessen berufliche Bindungen an einem anderen Ort als dem seiner persönlichen Bindungen liegen und der sich daher abwechselnd an verschiedenen Orten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten aufhalten muss, gilt jedoch der Ort seiner persönlichen Bindungen, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt (§ 7 Abs. 1 Satz 3 FeV).
Bei der Prüfung der Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses sind die Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaates berechtigt, von sich aus Informationen von einem anderen Mitgliedstaat einzuholen (EuGH, U. v. 1.3.2012 – Akyüz, C-467/10, juris) und die Behörden des Ausstellungsmitgliedstaates sind verpflichtet, einschlägige Informationen zur Verfügung zu stellen (vgl. BayVGH, B. v. 3.5.2012, Az.: 11 CS 11.2795, juris). Unbestreitbar sind die Informationen dann, wenn sie von einer Behörde des Ausstellungsmitgliedstaates stammen, selbst wenn sie nur indirekt in Form einer Mitteilung Dritter übermittelt wurden (EuGH, a.a.O.) und wenn sich aus ihnen die Möglichkeit ergibt, dass ein reiner Scheinwohnsitz begründet wurde, ohne dass dies bereits abschließend erwiesen sein muss (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 74 f, juris; BVerwG, U. v. 3.5.2013 a.a.O.; BayVGH, st.Rspr., zuletzt B. v. 23.1.2017, Az.: 11 ZB 16.2458).
Bemessen an diesen Vorgaben liegen unbestreitbare Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedsstaat vor, die darauf hindeuten, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Erteilung seiner Fahrerlaubnis einen ordentlichen Wohnsitz in der Republik Tschechien nicht hatte. Zwar ist auf dem Führerschein des Klägers als Wohnort „…“ eingetragen, eine Ortschaft die zweifelsfrei in Tschechien liegt. Des Weiteren liegt dem Gericht die Auskunft des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit vom 29. Juli 2016 vor, nach der der Kläger seit 14. Mai 2012 bis 11. November 2012 in … und seit 12. November 2012 bis 9. Februar 2013 in … mit Wohnsitz gemeldet war. Andererseits enthalten die vorgelegten Behördenakten eine Auskunft des tschechischen Verkehrsministeriums vom 11. bzw 12. März 2014, bei der alle Fragen mit „unknown“ angekreuzt sind. Dies betrifft die Frage, wo der Kläger gewöhnlicher Weise während wenigstens 185 Tagen im Jahr gewohnt hatte, die Fragen, ob er nahe Familienangehörige habe, ob er eine Unterkunft hatte, ob er grundstücks- oder geschäftliche Interessen verfolgte und ob er Verbindungen zur Verwaltung, zu Sozialbehörden, mit anderen Worten, ob er Steuern gezahlt hatte, Sozialleistungen erhielt oder ein Fahrzeug angemeldet hatte. Diese Auskunft stellt nach der Rechtsauffassung des Gerichts eine aus dem Ausstellungsmitgliedsstaat herrührende unbestreitbare Information dar, dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt seinen Wohnsitz im Inland hatte, die ausreicht, Zweifel zu erwecken, ob nicht der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaates einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck begründet hat, um der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedsstaats eines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (so zuletzt BayVGH vom 23.1.2017, a.a.O., unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH vom 1.3.2012, a.a.O.).
Wie ausgeführt, sind bei der Prüfung der Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses die Behörden und Gericht des Aufnahmemitgliedsstaates berechtigt, von sich aus Informationen von anderen Mitgliedsstaaten einzuholen und diese verpflichtet, einschlägige Informationen zur Verfügung zu stellen. Wenn die Mitgliedsstaaten der EU somit untereinander in Fahrerlaubnisangelegenheiten zur Auskunft verpflichtet sind, kann der Auskunft des tschechischen Verkehrsministeriums vom 11. bzw. 12. März 2014, die mit der sechsmaligen Antwort „unknown“ versehen war, nicht unterstellt werden, diese sei ohne Prüfung der EU-rechtlich maßgeblichen Voraussetzungen ergangen. Auch hier muss vom Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens ausgegangen werden, wie er auch der grundsätzlichen gegenseitigen Anerkennung der Fahrerlaubnisse zugrunde liegt. Zudem kann bei einem verwaltungstechnisch gut ausgeprägten Staat wie der Tschechischen Republik davon ausgegangen werden, dass er etwa Melde-, Ausländer- und Gewerberegister führt und dass diese Inhalte auch der Beantwortung einer derartigen Anfrage zugrunde gelegt werden. Die Auskunft vom 11./ 12. März 2014 ist somit nach der Ansicht des Gerichts nicht dahingehend zu verstehen, dass die Behörden zu den Bestimmungselementen für einen Wohnsitz des Klägers schlicht nichts wissen, sondern dahingehend auszulegen, dass die innerstaatlichen tschechischen Verwaltungsquellen hierzu nichts enthalten. Da aber, wie ebenfalls bereits ausgeführt, für die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes im Sinne von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV nicht nur der Nachweis einer Meldeadresse ausreichend ist, sondern der gewöhnliche Aufenthalt aufgrund persönlicher oder beruflicher Bindungen und genau diese beim tschechischen Verkehrsministerium abgefragt wurden, die Fragen allerdings mit „unknown“ beantwortet wurden, liegen genügend Hinweise dafür vor, dass die Wohnortvoraussetzungen möglicherweise nicht gegeben sind. Denn wenn anhand einer qualifizierten Nachfrage im Rahmen des internationalen Informationsaustausches der EU-Fahrerlaubnisbehörden mit dem tschechischen Verkehrsministerium keinerlei Informationen über einen tatsächlichen Aufenthalt des Klägers in Tschechien eruiert haben werden können, der Kläger also in offiziellen Unterlagen der Tschechischen Republik keinerlei Spuren hinterlassen hat, zeigt dies deutlich, dass er im fraglichen Zeitraum zwar eine Meldeadresse hatte, tatsächlich aber keinen Wohnsitz in Tschechien. Zumindest aber begründet eine solche Auskunft Zweifel daran, ob die Meldeadresse tatsächlich aus persönlichen oder beruflichen Bindungen heraus gewählt wurde oder nur deshalb, um eine Fahrerlaubnis zu erlangen, selbst wenn das regelmäßige Prozedere in Tschechien bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis an deutsche Staatsangehörige dadurch gekennzeichnet sein mag, dass sich die tschechische Fahrerlaubnisbehörde damit begnügt, irgendeinen vermeintlichen tschechischen Wohnsitz in ihrem Zuständigkeitsbereich benannt zu bekommen.
Es liegen somit nach Ansicht des Gerichts unbestreitbare Informationen des Ausstellermitgliedsstaates vor, welche bei Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger ununterbrochen in Deutschland gemeldet war, die Annahme einer Nichteinhaltung des Wohnsitzerfordernisses rechtfertigen. Jedenfalls aber ergibt sich daraus die Möglichkeit, dass die Wohnsitzvoraussetzungen nicht gegeben waren, sodass zur endgültigen Beurteilung dieser Frage die Umstände des gesamten Falles heranzuziehen sind, also auch die „inländischen Umstände“ (st.Rspr., vgl. VGH vom 23.1.2017 a.a.O.).
Es ist daher weiter zu berücksichtigen, dass der Kläger während des gesamten Zeitraums auch im Inland angemeldet war und zwar unter der Adresse, unter der er auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landratsamtes wie auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts noch tatsächlich wohnte. Der Kläger hat hierzu nichts vorgetragen. Das Gericht hat das persönliche Erscheinen des Klägers zur mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2017 angeordnet, um dem Kläger die Möglichkeit zu geben, zu seinen Verhältnissen, zu persönlichen oder zu beruflichen Bindungen in Deutschland oder in Tschechien Stellung zu beziehen. Er hat diese Möglichkeit, wie es ihm im Übrigen auch zusteht, nicht genutzt. Angesichts der Tatsache, dass, wie in der mündlichen Verhandlung ausführlich besprochen, die Möglichkeit des Vorliegens unbestreitbarer Tatsachen im oben genannten Sinne in Betracht kommt, hätte es dem Kläger aber oblegen, mögliche Zweifel an der Einhaltung des Wohnsitzerfordernis durch entsprechend substantiierte und verifizierbare Darlegungen zu seiner angeblichen Wohnsitzbegründung in Tschechien oder einer dortigen beruflichen Tätigkeit durch Vorlage geeigneter Unterlagen zu entkräften (vgl. BayVGH, B. v. 11.7.2016, Az.: 11 CS 16.1084, juris). Dieser Obliegenheit ist der Kläger allerdings nicht nachgekommen, so dass die Tatsache, dass der Kläger während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums auch im Inland gemeldet war und dort lange Jahre vor den streitgegenständlichen Vorfällen und lange Jahre nach diesen dort seinen Lebensmittelpunkt inne hatte, in den Vordergrund tritt. Das Gericht ist somit davon überzeugt, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitraum seinen Wohnsitz i.S.v. §§ 7 Abs. 1; 28 Abs. 4 FeV im Inland hatte.
Da der Kläger – jedenfalls nach nationalen Maßstäben – seit längerer Zeit ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeuges ist und seine Geeignetheit erst durch ein entsprechendes Verfahren nachzuweisen hätte, ist die Entscheidung des Landratsamtes vom 24. März 2015 rechtmäßig.
Es wird auf diese gem. § 117 Abs. 5 VwGO im Übrigen Bezug genommen.
Die Klage ist daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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