Europarecht

Nichtannahmebeschluss: Zu den Voraussetzungen einer Verletzung von Art 101 Abs 1 S 2 GG durch Unterlassen einer Vorlage an den EuGH gem Art 267 Abs 3 AEUV – hier: Zur Frage der Staatshaftung wegen Verletzung von Gemeinschaftsrecht im Zusammenhang mit der Einführung des sog. “Dosenpfandes” (Pfandregelung für Getränkeeinwegverpackungen) – keine Verletzung von Art 101 Abs 1 S 2 GG durch Fachgerichte

Aktenzeichen  2 BvR 516/09, 2 BvR 535/09

Datum:
21.11.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2011:rk20111121.2bvr051609
Normen:
Art 101 Abs 1 S 2 GG
Art 267 Abs 3 AEUV
§ 90 Abs 2 S 1 BVerfGG
Art 28 EG
Art 7 Abs 1 EGRL 62/94
§ 6 Abs 3 VerpackV 1998
§ 9 Abs 1 VerpackV 1998
§ 9 Abs 2 VerpackV 1998
Spruchkörper:
2. Senat 2. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 22. Januar 2008, Az: III ZR 233/07, Urteil

Gründe

1
Die Verfassungsbeschwerden betreffen eine unterbliebene Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (Europäischer
Gerichtshof) hinsichtlich der Auslegung des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs.

I.
2
Die Beschwerdeführerinnen nehmen die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz nach den Grundsätzen des unionsrechtlichen
Staatshaftungsanspruchs in Anspruch. Dies steht im Zusammenhang mit der Inkraftsetzung der Pfanderhebungs- und Rücknahmepflicht
nach der Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen vom 21. August 1998 (VerpackV 1998
S. 2379>, geändert durch Art. 8 des Gesetzes zur Umstellung der umweltrechtlichen Vorschriften auf den Euro vom 9. September
2001 ) zum 1. Januar 2003.

3
1. Die Beschwerdeführerinnen sind Hersteller und Abfüller von Erfrischungsgetränken mit Sitz in Österreich, die ihre Produkte
in Einwegverpackungen in Verkehr bringen und einen erheblichen Teil ihrer Umsätze mit dem Export ihrer Produkte nach Deutschland
erzielen. Sie waren hinsichtlich ihrer Verpackungen an das Rücknahme- und Entsorgungssystem “Duales System Deutschland” angeschlossen
und deshalb von der grundsätzlich nach § 8 Abs. 1 VerpackV 1998 bestehenden Pfanderhebungspflicht für Einwegverpackungen befreit
(§ 9 Abs. 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 3 VerpackV 1998).

4
Die Befreiung von der Pfanderhebungspflicht stand jedoch unter dem Vorbehalt, dass der Gesamtanteil der in Mehrwegverpackungen
abgefüllten Getränke bundesweit die Quote von 72 % nicht wiederholt unterschritt (§ 9 Abs. 2 VerpackV 1998). Nach einer Bekanntmachung
der Bundesregierung vom 28. Januar 1999 war der Mehrweganteil des Referenzjahres 1997 in den Getränkebereichen Mineralwasser,
Bier und kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke bundesweit zum ersten Mal unter 72 % gesunken. Da dieser Anteil in zwei aufeinanderfolgenden
Erhebungszeiträumen unter 72 % blieb, gab die Bundesregierung am 2. Juli 2002 die Nacherhebungsergebnisse im Bundesanzeiger
bekannt und ordnete die sofortige Vollziehung der Bekanntmachung an. Mit dieser Bekanntmachung war nach § 9 Abs. 2 VerpackV
1998 die Rechtsfolge verbunden, dass ab 1. Januar 2003 die Berechtigung nach § 6 Abs. 3 VerpackV 1998 als widerrufen galt,
die Einwegverpackungen über das Duale System Deutschland zu sammeln und zu entsorgen, und dass die Pfanderhebungspflicht nach
§ 8 Abs. 1 VerpackV 1998 wiederauflebte.

5
Die Bundesrepublik Deutschland führte ab dem Frühjahr 2002 Gespräche mit den beteiligten Wirtschaftskreisen über die Einrichtung
eines ab 2003 wirksamen einheitlichen Pfand- und Rücknahmesystems für Einwegverpackungen, die allerdings zu keinem Erfolg
führten. Sie forderte daraufhin am 20. Dezember 2002 die für den Vollzug zuständigen Länder auf, vom 1. Januar bis 1. Oktober
2003 eine nur eingeschränkte Erfüllung der Pfanderhebungs- und Rücknahmepflichten zu dulden, indem das Pfand zunächst nur
vom Endabnehmer erhoben und nur am Ort des Einkaufs wiedererstattet werden sollte. Obwohl die beteiligten Wirtschaftskreise
im Gegenzug den Aufbau eines einheitlichen Pfandsystems zum 1. Oktober 2003 zugesagt hatten, gelang die Einführung eines solchen
Systems bis zu diesem Zeitpunkt nicht. An dessen Stelle etablierten sich ab 2003 verschiedene offene Pfand- und Rücknahmesysteme,
die nicht miteinander kompatibel und zum Teil auch nur regional tätig waren. Einige große Handelsketten richteten sogenannte
Insellösungen ein, die auf der Grundlage von § 6 Abs. 1 Satz 4 VerpackV 1998 eine Pfand- und Rücknahmepflicht nur für die
von ihnen vertriebenen Produkte enthielten. Darüber hinaus entschlossen sich andere Teile des Handels, bestimmte Getränke
in Einwegverpackungen aus ihrem Sortiment zu entnehmen.

6
Durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung vom 24. Mai 2005 (VerpackV 2005 ) wurden
unter anderem die §§ 8, 9 neu gefasst. Danach ergibt sich die Verpflichtung zur Pfanderhebung für die Vertreiber von Einweggetränkeverpackungen
unmittelbar aus der Verordnung, ohne dass es dabei auf bestimmte Anteile ankommt, die in Mehrwegverpackungen vertrieben werden.
Zugleich werden Insellösungen mit Wirkung zum 1. Mai 2006 nicht mehr zugelassen (§ 8 Abs. 1 Satz 7 VerpackV 2005). Seit diesem
Zeitpunkt betreibt die von den beteiligten Wirtschaftskreisen gegründete Deutsche Pfandsystem GmbH bundesweit ein einheitliches
Pfandclearingsystem für Einweggetränkeverpackungen.

7
2. Die Beschwerdeführerinnen erhoben im Mai 2002 erfolglos Klage gegen das Land Baden-Württemberg vor dem Verwaltungsgericht
Stuttgart, mit der sie im Wesentlichen festgestellt wissen wollten, dass sie bei Beteiligung am Dualen System Deutschland
nicht verpflichtet seien, auf ihre in Einwegverpackungen in den Verkehr gebrachten Getränke ein Pfand zu erheben und die gebrauchten
Verpackungen gegen Erstattung des Pfandes unentgeltlich zurückzunehmen.

8
Auf Vorlage des Verwaltungsgerichts Stuttgart entschied der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 14. Dezember 2004, dass
Art. 7 der Richtlinie 94/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle
(Verpackungsrichtlinie ; geändert durch die Richtlinie 2004/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 11. Februar 2004 zur Änderung der Richtlinie 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle ) und
Art. 28 EGV (jetzt Art. 34 AEUV) einer nationalen Regelung wie der nach den § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 2 VerpackV 1998 entgegenstünden,
wenn diese die Ersetzung eines flächendeckenden Systems der Sammlung von Verpackungsabfällen durch ein Pfand- und Rücknahmesystem
vorsehe, ohne dass die betroffenen Hersteller und Vertreiber über eine angemessene Übergangsfrist verfügten, um sich darauf
einzustellen, und ohne dass sichergestellt sei, dass sie sich im Zeitpunkt der Umstellung des Systems der Bewirtschaftung
von Verpackungsabfall tatsächlich an einem arbeitsfähigen System beteiligen könnten (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2004, Rs.
C-309/02, Radlberger und Spitz, Slg. 2004, S. I-11763, Rn. 83).

9
3. Die Vereinbarkeit der VerpackV 1998 mit Art. 28 EGV war auch Gegen-stand eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die
Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof. Der Europäische Gerichtshof stellte – ebenfalls durch Urteil
vom 14. Dezember 2004 – fest, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen Art. 5 der Verpackungsrichtlinie in Verbindung
mit Art. 28 EGV und Art. 3 in Verbindung mit Anhang II Nr. 2 Buchstabe d der Richtlinie 80/777/EWG des Rates vom 15. Juli
1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern
(ABl Nr. L 229/1) verstoßen habe, dass sie mit den § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 2 VerpackV 1998 ein System zur Wiederverwendung
von Verpackungen für Produkte eingeführt habe, die nach der Richtlinie 80/777/EWG an der Quelle abzuführen seien (Rs. C-463/01,
Kommission/Deutschland, Slg. 2004, S. I-11705 Rn. 84). Die in § 9 Abs. 2 VerpackV 1998 vorgesehene Frist von sechs Monaten
zwischen der Bekanntmachung, dass ein Pfand- und Rücknahmesystem einzuführen sei, und dem Inkrafttreten dieses Systems reiche
nicht aus, um es den Herstellern natürlicher Mineralwässer zu ermöglichen, ihre Produktion und ihre Bewirtschaftung der Einwegverpackungsabfälle
an das neue System anzupassen, da dieses System sofort einzuführen sei (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2004, Rs. C-463/01,
a.a.O., Rn. 78 ff.).

10
4. Im Ausgangsverfahren machten die Beschwerdeführerinnen geltend, die Inkraftsetzung der Pflichtpfandregelung zum 1. Januar
2003 habe “offenkundig und erheblich” gegen Gemeinschaftsrecht, insbesondere gegen Art. 7 Abs. 1 der Verpackungsrichtlinie,
verstoßen. Ihnen sei ein erheblicher Schaden entstanden, da sie einerseits wegen der Verwendung von Einwegverpackungen in
beträchtlichem Ausmaß von der Auslistung ihrer Produkte durch den deutschen Handel betroffen gewesen seien und es ihnen andererseits
mangels eines flächendeckenden Systems zur Erfüllung der Pfanderhebungs- und Rücknahmepflicht nicht möglich gewesen sei, sich
an einem solchen System zu beteiligen. Die zuletzt auf Zahlung von 1.857.107,50 € für die Beschwerdeführerin zu I. und von
7.677.999 € für die Beschwerdeführerin zu II. jeweils mit Zinsen gerichteten Klagen hatten in den Vorinstanzen keinen Erfolg.
Die gegen das Urteil des Oberlandesgericht Köln vom 9. August 2007 (7 U 147/06, NVwZ 2008, S. 468 ff.) gerichteten Revisionen
der Beschwerdeführerinnen wies der Bundesgerichtshof mit dem durch die Verfassungsbeschwerden angegriffenen Urteil vom 22.
Januar 2009 (NJW 2009, S. 2534 ff.) als unbegründet zurück.

11
a) Das Oberlandesgericht gehe zutreffend davon aus, dass vorliegend eine einfache Verletzung des Gemeinschaftsrechts zur Annahme
eines hinreichend qualifizierten Verstoßes nicht ausreiche. Der Bundesrepublik Deutschland sei bei der Wahl der Mittel, um
ihr richtlinienkonformes Ziel der Förderung von wiederverwendbaren Verpackungen im Sinne des Art. 5 der Verpackungsrichtlinie
zu erreichen, ein weiter Gestaltungsspielraum verblieben. Die Verpackungsrichtlinie treffe keine näheren Regelungen über die
Organisation oder Ausgestaltung von Systemen zur Förderung von wiederverwendbaren Verpackungen (vgl. EuGH, Urteil vom 14.
Dezember 2004, Rs. C-309/02, a.a.O., Rn. 55).

12
b) Es sei weiter nicht rechtsfehlerhaft, dass das Oberlandesgericht einen erheblichen Verstoß der Bundesrepublik Deutschland
gegen das Gemeinschaftsrecht verneint habe. Soweit der Europäische Gerichtshof seine Entscheidungen auf die Notwendigkeit
einer angemessenen Übergangsfrist und der Sicherstellung eines arbeitsfähigen Systems im Zeitpunkt der Umstellung des bisherigen
Systems der Bewirtschaftung von Verpackungsabfall stütze, sei nicht ersichtlich, dass diese Gesichtspunkte in den vorausgegangenen
rechtlichen Auseinandersetzungen eine Rolle gespielt hätten. Der Senat trete der Wertung des Oberlandesgerichts bei, dass
der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Übergangsfrist, die bis zu den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs
nicht thematisiert worden sei, nur ein geringer Vorwurf zu machen sei. Dass die Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung
von Bürokratie und zusätzlichen Kosten auf die Selbstregulierung der betroffenen Wirtschaftskreise vertraut habe, könne nicht
als erheblicher Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht gewertet werden. Auch wenn sich die Bundesrepublik Deutschland damit
ihrer Erfüllungsverantwortlichkeit nicht habe entledigen können, sei es doch gemeinschaftsrechtlich unbedenklich gewesen,
Herstellern und Vertreibern die Einführung eines funktionierenden Systems zu überlassen, so dass diese die Rücknahme der Verpackungen,
die Erstattung des Pfandes und den eventuellen Ausgleich der Beträge unter den Vertreibern organisieren sollten (vgl. EuGH,
Urteil vom 14. Dezember 2004, Rs. C-309/02, a.a.O., Rn. 80).

13
c) Der Senat trete dem Oberlandesgericht auch darin bei, dass es an einem offenkundigen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht
fehle. Es sei nicht ersichtlich, dass die Bundesrepublik Deutschland die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs offenkundig
verkannt habe. Es sei ein Sachgebiet betroffen, auf dem klare gemeinschaftsrechtliche Vorgaben in Form einer eindeutigen Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs bis zu seinen Entscheidungen vom 14. Dezember 2004 gefehlt hätten. Unter diesen Gesichtspunkten
sei ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht regelmäßig zu verneinen. Gegen einen offenkundigen Verstoß spreche
auch der Umstand, dass nationale Gerichte vor und nach Einführung des Pfand- und Rücknahmesystems wiederholt die Gemeinschaftskonformität
der beanstandeten Regelungen bekräftigt hätten.

14
d) Die Klage habe auch hinsichtlich der im Jahre 2005 entstandenen Schäden keinen Erfolg. Zwar sei ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht
dann als offenkundig zu qualifizieren, wenn er trotz eines Urteils, aus dem sich die Pflichtwidrigkeit des fraglichen Verhaltens
ergebe, fortbestanden habe. Ein solcher Fall liege indes nicht vor. Feststellungen über die Gemeinschaftsrechtskonformität
der im Zeitpunkt der Urteile etablierten Rücknahmesysteme seien den Urteilen ebenso wenig zu entnehmen wie eine eindeutige
Festlegung, ob das System der Insellösungen allein oder gemeinsam mit den parallel operierenden offenen Rücknahmesystemen
gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen genügt habe.

II.
15
Die Beschwerdeführerinnen sehen sich durch das angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs in ihrem Recht auf den gesetzlichen
Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Die Beschwerdeführerin zu I. behauptet, dass der Bundesgerichtshof nicht
ansatzweise in Erwägung gezogen habe, die entscheidungserhebliche Frage, ob der Verstoß gegen Art. 28 EGV und Art. 7 der Verpackungsrichtlinie
“hinreichend qualifiziert” sei, dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen, obwohl er bei der Auslegung und Anwendung gemeinschaftsrechtlicher
Tatbestandsmerkmale grundsätzlich zur Vorlage verpflichtet sei.

16
Beide Beschwerdeführerinnen machen außerdem geltend, dass der Bundesgerichtshof bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs zur entscheidungserheblichen Frage abgewichen sei. Es sei ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
dass ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht hinreichend qualifiziert sei, wenn der Mitgliedstaat innerhalb der Umsetzungsfrist
keine Maßnahmen zur Umsetzung der einschlägigen Richtlinienbestimmung treffe und wenn der Ermessenspielraum des Staates erheblich
oder gar auf Null reduziert sei. Der Bundesgerichtshof weiche auch von der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
ab, dass ein Verstoß immer hinreichend qualifiziert sei, wenn der Gerichtshof die einschlägigen Fragen – wie vorliegend –
bereits entschieden habe. Schließlich bringen die Beschwerdeführerinnen vor, der Bundesgerichtshof habe seinen Beurteilungsrahmen
in unvertretbarer Weise überschritten. Die Auffassung, die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens der Kommission gegen
Deutschland genüge nicht, um die unstreitige Verletzung von Art. 28 EGV und Art. 7 der Verpackungsrichtlinie als hinreichend
qualifiziert zu beurteilen, sei offenkundig unrichtig.

III.
17
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfGG
sind nicht erfüllt. Den Verfassungsbeschwerden kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, da die Frage der Verletzung von Art.
101 Abs. 1 Satz 2 GG durch unterbliebene Vorlagen an den Europäischen Gerichtshof in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
hinreichend geklärt ist (vgl. BVerfGE 82, 159 ; 126, 286 ). Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist –
mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg – auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG bezeichneten Rechte angezeigt
(vgl. BVerfGE 90, 22 ).

18
1. Obwohl die Beschwerdeführerinnen die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens im Revisionsverfahren nicht ausdrücklich
angeregt haben, steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende
Grundsatz der Subsidiarität nicht entgegen.

19
a) Nach diesem Grundsatz müssen die Beschwerdeführerinnen zwar über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinn
hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um eine Korrektur der geltend
gemachten Verletzungen von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten zu erwirken oder eine Verletzung von Grundrechten
und grundrechtsgleichen Rechten zu verhindern (vgl. BVerfGE 73, 322 ; 81, 22 ; 95, 163 ). Eine Abhilfemöglichkeit
im Sinne des Subsidiaritätsgrundsatzes besteht nicht nur dann, wenn der Erfolg vorher feststeht; vielmehr ist jede Möglichkeit,
der Grundrechtsverletzung im fachgerichtlichen Verfahren abzuhelfen, zu nutzen, wenn ihr Erfolg zumindest möglich erscheint
(vgl. BVerfGE 68, 376 ; 70, 180 ).

20
b) Die Beschwerdeführerinnen waren vorliegend jedoch nicht gehalten, im Revisionsverfahren eine Vorlage an den Europäischen
Gerichtshof anzuregen.

21
Einem Beschwerdeführer obliegt es nicht grundsätzlich, sondern nur in bestimmten Verfahrenskonstellationen, die Einleitung
eines Vorabentscheidungsverfahrens anzuregen. So muss ein Beschwerdeführer in der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde
darauf hinweisen, dass sich aus seiner Sicht die Notwendigkeit einer Rechtsmittelzulassung aus der Pflicht des letztinstanzlichen
Rechtsmittelgerichts ergibt, dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorzulegen (BVerfGK 13, 418
; offenlassend noch BVerfGK 8, 280 ). Denn eine Rechtssache hat immer dann grundsätzliche Bedeutung, wenn die Notwendigkeit
einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof in Rede steht (vgl. BVerfGK 13, 418 m.w.N.). Vorliegend befanden sich
die Beschwerdeführerinnen jedoch bereits vor dem letztinstanzlichen Gericht, das bei entscheidungserheblichen Gültigkeits-
oder Auslegungszweifeln nach Art. 267 Abs. 3 AEUV von Amts wegen zur Vorlage verpflichtet ist.

22
2. Die Verfassungsbeschwerden sind unbegründet. Das angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs hat die Beschwerdeführerinnen
nicht entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ihrem gesetzlichem Richter entzogen.

23
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Europäische Gerichtshof gesetzlicher Richter im Sinne
von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Unterlässt es ein deutsches Gericht, ein Vorabentscheidungsverfahren an den Europäischen Gerichtshof
zu stellen, obwohl es unionsrechtlich dazu verpflichtet ist, werden die Rechtsschutzsuchenden des Ausgangsverfahrens ihrem
gesetzlichen Richter entzogen (BVerfGE 73, 339 ; 75, 223 ; 82, 159 ; 126, 286 ). Allerdings
stellt nicht jede Verletzung der sich aus Art. 267 Abs. 3 AEUV ergebenden Vorlagepflicht einen Verstoß gegen Art. 101 Abs.
1 Satz 2 GG dar. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen nur, wenn sie
bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen oder offensichtlich
unhaltbar sind. Dieser Willkürmaßstab wird auch angelegt, wenn eine Verletzung von Art. 267 Abs. 3 AEUV in Rede steht (BVerfGE
82, 159 ; 126, 286 ; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 25. Januar 2011 – 1 BvR 1741/09 -, NJW 2011, S.
1427 ).

24
Im Rahmen dieser Willkürkontrolle haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, in denen die Vorlagepflichtverletzung
zu einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter führt. Die Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV wird danach insbesondere
in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der
– seiner Auffassung nach bestehenden – Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung
zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt (Fallgruppe der grundsätzlichen Verkennung
der Vorlagepflicht). Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung
bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht
oder nicht neuerlich vorlegt (Fallgruppe des bewussten Abweichens ohne Vorlagebereitschaft).

25
Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch
nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend
beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit,
wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig
zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (Fallgruppe der Unvollständigkeit der Rechtsprechung)
(vgl. BVerfGE 82, 159 ; 126, 286 ; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 25. Januar 2011 – 1 BvR 1741/09
-, NJW 2011, S. 1427 ). Letzteres kann nach der ständigen Rechtsprechung des Zweiten Senats (vgl. BVerfGE 82, 159 ;
126, 286 ) insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des
Unionsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind. Zu verneinen ist in Fällen der Unvollständigkeit
der Rechtsprechung ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG deshalb bereits dann, wenn das Gericht die entscheidungserhebliche
Frage in zumindest vertretbarer Weise beantwortet hat.

26
b) Gemessen an diesem Maßstab liegt keine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch das angegriffene Urteil vor.

27
aa) Der Bundesgerichtshof hat die Vorlagepflicht nicht grundsätzlich verkannt.

28
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin zu I. sind die letztinstanzlichen Hauptsachegerichte der Mitgliedstaaten bei
der Auslegung und Anwendung unionsrechtlicher Tatbestandsmerkmale des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs nicht grundsätzlich
zur Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV verpflichtet. Sie sind vielmehr zunächst verpflichtet, in den bei ihnen anhängigen Verfahren
das vorrangige Unionsrecht in eigener Verantwortung auszulegen und anzuwenden (vgl. für den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch
nur EuGH, Urteil vom 1. Juni 1999, Rs. C-302/97, Konle, Slg. 1999, S. I-3099 Rn. 59). Eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs.
3 AEUV besteht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nur dann, wenn die im Ausgangsverfahren aufgeworfenen
Auslegungsfragen nicht bereits in einem gleichgelagerten Fall Gegenstand einer Vorabentscheidung gewesen sind, wenn nicht
bereits eine gesicherte Rechtsprechung vorliegt, durch die die Rechtsfragen gelöst sind, oder wenn die richtige Anwendung
des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der
gestellten Fragen bleibt (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, Rs. 283/81, CILFIT, Slg. 1982, S. 3415 Rn. 13 ff.).

29
Die Beschwerdeführerin zu I. legt nicht dar, dass der Bundesgerichtshof Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der
Auslegung und Anwendung des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs hatte, so dass die Fallgruppe der grundsätzlichen Verkennung
der Vorlagepflicht aus diesem Grund nicht erfüllt ist.

30
bb) Darüber hinaus ist der Bundesgerichtshof auch nicht bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs abgewichen,
ohne vorzulegen.

31
Indem die Beschwerdeführerinnen behaupten, dass der Bundesgerichtshof die Leitlinien, die der Europäische Gerichtshof zur
Bestimmung eines “hinreichend qualifizierten” Verstoßes festgelegt habe, nicht hinreichend berücksichtigt habe, verkennen
sie, dass der Bundesgerichtshof die von den Beschwerdeführerinnen angeführten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs
angewendet hat. Der Umstand allein, dass der Bundesgerichtshof bei der Subsumtion des Sachverhalts unter die in diesen Entscheidungen
enthaltenen Leitlinien zu einem anderen Ergebnis als die Beschwerdeführerinnen gekommen ist, begründet noch kein Abweichen
von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hinzukommen müsste vielmehr, dass die Erwägungen, die der Bundesgerichtshof
dabei angestellt hat, nicht mehr vertretbar sind. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

32
(1) Soweit die Beschwerdeführerin zu I. geltend macht, die Bundesrepublik Deutschland habe innerhalb der Umsetzungsfrist keine
Maßnahmen getroffen, um das durch die Verpackungsrichtlinie verfolgte Ziel zu erreichen, vermag sie bereits nicht darzulegen,
dass die Bundesrepublik Deutschland untätig geblieben ist. Der Bundesgerichtshof stellt darauf ab, dass die Bundesrepublik
Deutschland zunächst auf die Selbstregulierung der betroffenen Wirtschaftskreise habe vertrauen dürfen. Der Umstand, dass
ein Mitgliedstaat nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs den Herstellern und Vertreibern die Einführung eines
Pfand- und Rücknahmesystems nur überlassen kann, wenn er gleichzeitig sicherstellt, dass sich zum Zeitpunkt der Umstellung
des Systems alle betroffenen Hersteller und Vertreiber tatsächlich an einem arbeitsfähigen System beteiligen können (vgl.
EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2004, Rs. C-309/02, a.a.O., Rn. 80), lässt allenfalls den Schluss zu, dass die Bundesrepublik
Deutschland eine fehlerhafte Maßnahme getroffen hat, nicht aber, dass sie untätig geblieben ist.

33
(2) Soweit beide Beschwerdeführerinnen darauf abstellen, dass Art. 7 der Verpackungsrichtlinie hinsichtlich der zeitlichen
Komponente klar und eindeutig gewesen sei und für die Frage der zeitgleichen Einrichtung eines arbeitsfähigen Rücknahmesystems
mit der Pfandpflicht und der Gewährung einer ausreichenden Übergangsfrist eine Ermessensreduzierung auf Null bestanden habe,
verkennen sie, dass die Vereinbarkeit der in der VerpackV 1998 normierten Pfandpflicht auf Einwegverpackungen mit dem Unionsrecht
vor Erlass der Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Dezember 2004 (Rs. C-309/02, a.a.O.; Rs. C-463/01, a.a.O.) in
Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert wurde (vgl. Fischer/ Arndt, Kommentar zur Verpackungsverordnung, 2. Aufl.
2007, § 8 Rn. 121 m.w.N.). Erst mit Erlass des Urteils vom 14. Dezember 2004 in der Rechtssache C-463/01 stand fest, dass
sechs Monate nicht genügen, damit sich die betroffenen Hersteller und Vertreiber auf ein neues Pfand- und Rücknahmesystem
einstellen und dieses errichten können (a.a.O., Rn. 78 ff.). Es ist vertretbar, die Offenkundigkeit eines Verstoßes gegen
Unionsrecht zu verneinen, wenn die Anforderungen einer Richtlinie erst durch den Europäischen Gerichtshof festgestellt werden
müssen (vgl. Frenz/Götzkes, EuR 2009, S. 622 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 30. September 2003, Rs. C-224/01, Köbler,
Slg. 2003, S. I-10239 Rn. 121; anders Koenig, EWS 2009, S. 249 ).

34
(3) Soweit beide Beschwerdeführerinnen vorbringen, dass der Bundesgerichtshof insoweit von der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs abgewichen sei, indem er den Verstoß gegen Unionsrecht selbst ab dem Zeitpunkt der Urteile des Europäischen Gerichtshofs
vom 14. Dezember 2004 (Rs. C-309/02, a.a.O.; Rs. C-463/01, a.a.O.) nicht als hinreichend qualifiziert angesehen habe, setzen
sie sich nicht hinreichend mit der Argumentation des Bundesgerichtshofs auseinander. Der Bundesgerichtshof hat ausgeführt,
dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach ein Verstoß gegen Unionsrecht als offenkundig zu qualifizieren
sei, wenn er trotz eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs, aus dem sich die Pflichtwidrigkeit des fraglichen Verhaltens
ergebe, fortbestanden habe, auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Der nicht von vornherein willkürlichen Argumentation
des Bundesgerichtshofs, die Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Dezember 2004 (Rs. C-309/02, a.a.O.; Rs. C-463/01,
a.a.O.) hätten keine Feststellungen über die Unionsrechtskonformität der im Zeitpunkt ihres Erlasses etablierten, parallel
operierenden offenen Rücknahmesysteme getroffen, setzen die Beschwerdeführerinnen nichts entgegen.

35
cc) Schließlich hätte der Bundesgerichtshof auch nicht wegen Unvollständigkeit der Rechtsprechung eine Vorabentscheidung des
Europäischen Gerichtshofs herbeiführen müssen. Wie bereits dargelegt, hat er sich mit der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs zu den Voraussetzungen des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs auseinandergesetzt und diese auf den vorliegenden
Fall übertragen. Unter der Annahme, dass der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Übergangsfrist nur ein geringer Vorwurf
zu machen sei, hat er die entscheidungserhebliche Frage, ob der mögliche Verstoß gegen Art. 7 der Ver-packungsrichtlinie und
Art. 28 EGV hinreichend qualifiziert war, in vertretbarer Weise verneint.

36
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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