Europarecht

Prozesskostenhilfe, Feststellung der fehlenden Fahrberechtigung im Inland aufgrund eines ausländischen Führerscheins, Wohnsitzverstoß

Aktenzeichen  M 26 K 18.6312

Datum:
25.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20537
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§ 166 VwGO i.V.m.
§§ 114 ff ZPO
FeV § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Tenor

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung der … Rechtsanwälte, A* …straße …, A* … … wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen einen Bescheid, mit dem die Antragsgegnerin feststellt, dass mit seiner tschechischen Fahrerlaubnis der Klasse B in der Bundesrepublik Deutschland keine Fahrberechtigung besteht.
Dem Antragsteller wurde am … August 1990 die Fahrerlaubnis durch das Amtsgericht B* … rechtskräftig entzogen. Seither ist der Antragsteller nicht mehr Besitz einer deutschen Fahrerlaubnis. Ihm wurde am … Oktober 2004 eine tschechische Fahrerlaubnis der Klasse B durch die Behörde „A* … …“, Führerscheinnummer … …, ausgestellt. Auf dem Führerschein ist (unter Ziffer 8) vermerkt, dass der Antragsteller im Zeitpunkt des Erwerbs der Fahrerlaubnis in A* … wohnhaft war. Hier war er zu diesem Zeitpunkt auch gemeldet.
In den Jahren 2008, 2009 und 2012 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, seinen tschechischen Führerschein zur Kenntlichmachung der fehlenden Fahrberechtigung in der Bundesrepublik Deutschland vorzulegen. Hiergegen erhob der Antragsteller jeweils Einwendungen. Am … März 2009 zeigte er den Verlust seines tschechischen Führerscheins an.
Am 8. November 2017 übersandte der damalige Bevollmächtigte des Antragstellers einen am … April 2010 durch die „B* … … …“ ausgestellten tschechischen Führerschein (Nr. … …*), in welchem ein tschechischer Wohnsitz eingetragen ist, mit der Bitte festzustellen, ob von dieser Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch gemacht werden dürfe. Hierauf teilte die Fahrerlaubnisbehörde mit, dass dies der Fall sei, nachdem die tschechischen Behörden mitgeteilt hätten, dass die Fahrerlaubnis rechtmäßig erteilt und derzeit gültig sei.
Am … Juni 2018 wurde dem Antragsteller jedoch mitgeteilt, dass nach erneuter Prüfung des Sachverhalts er auch mit diesem tschechischen Führerschein im Inland nicht fahrberechtigt sei; er wurde erneut aufgefordert, seinen tschechischen Führerschein zur Kenntlichmachung der fehlenden Fahrberechtigung in der Bundesrepublik Deutschland vorzulegen. Diesem widersprach der Antragsteller sowohl schriftlich als auch im Rahmen einer persönlichen Vorsprache.
Mit Bescheid vom 22. November 2018 stellte die Antragsgegnerin nach entsprechender Anhörung fest, dass für den Antragsteller mit der tschechischen Fahrerlaubnis der Klasse B, ausgestellt am … April 2010 mit der Nummer … …, in der Bundesrepublik Deutschland keine Fahrberechtigung bestehe (Nr. 1). Der Antragsteller wurde unter Androhung von Zwangsgeld über 1.000 EUR (Nr. 3) aufgefordert, den tschechischen Führerschein unverzüglich zur Eintragung der fehlenden Fahrberechtigung vorzulegen (Nr. 2).
Zur Begründung wurde auf § 28 Abs. 4 Satz 2 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) Bezug genommen. Da der streitgegenständliche Führerschein auf der Grundlage einer Fahrerlaubnis ausgestellt worden sei, welche unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis erteilt worden sei und mit der deshalb keine Fahrberechtigung in Deutschland bestanden habe, sei auch die aktuelle Fahrerlaubnis in Deutschland nicht anzuerkennen.
Hiergegen ließ der Antragsteller am 21. Dezember 2018 Anfechtungsklage erheben.
Er beantragt im vorliegenden Verfahren:
Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung der … Rechtsanwälte, A* …straße …, A* … …, gewährt.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die aktuell gültige Fahrerlaubnis des Antragstellers einen Wohnort in der Tschechischen Republik ausweise. Die Antragsgegnerin sei deshalb nicht befugt, die Beachtung der Ausstellungsvoraussetzungen zu prüfen. Es sei falsch, wenn die Antragsgegnerin auf den nicht mehr gültigen Führerschein aus dem Jahre 2004 abstelle; dieser sei nicht streitgegenständlich. Der Antragsteller verfüge allerdings seit dem Jahr 2004 über einen Wohnsitz in der Tschechischen Republik. Der Wohnsitz A* … sei versehentlich eingetragen worden. Dieser Fehler sei in dem neuen Dokument aus dem Jahr 2010 korrigiert worden. Da die Antragsgegnerin sich bereits seit mehr als einem Jahrzehnt erfolglos um die Beseitigung seiner tschechischen Fahrerlaubnis bemühe und staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren mehrmals eingestellt worden seien, genieße die Fahrerlaubnis des Antragstellers Bestandsschutz.
Die Verwaltungsstreitsache wurde durch Beschluss der Kammer zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nicht begründet.
1. Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zu einem Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Bei der Entscheidung, ob hinreichende Erfolgsaussichten für die beabsichtigte Rechtsverfolgung (§ 114 ZPO) vorliegen, dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss v. 10.08.2001 – 2 BvR 569/01). Eine gewisse Erfolgsaussicht genügt (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.1999 – 12 C 99.1542). Hinreichend sind die Erfolgsaussichten insofern schon dann, wenn die Entscheidung von einer schwierigen, ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder wenn der vom Beteiligten vertretene Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 166 VwGO, Rn. 26).
2. Die Klage hat unter Anlegung dieser Maßstäbe keine hinreichenden Erfolgsaussichten.
Der Bescheid stützt sich zu Recht auf § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Nach dieser Vorschrift gilt die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV – zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland im Umfang ihrer Berechtigung – nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die – abgesehen von einer hier nicht einschlägigen Ausnahme für Studierende und Schüler – ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten.
2.1 Bei der Beurteilung der Sach- und Rechtlage, namentlich der Wohnsitzfrage, kommt es maßgeblich nicht auf den neuen am … April 2010 ausgestellten Führerschein mit unbestreitbar tschechischer Wohnsitzeintragung an. Denn dieser neue Führerschein dokumentiert nicht die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis der Klasse B, weil in ihm als Zeitpunkt für die Erteilung der Fahrerlaubnisklasse B in Spalte 10 die erstmalige Erteilung im Jahre 2004 angegeben ist. Aus diesem Grund wirkt sich der bei der erstmaligen Erteilung dieser Fahrerlaubnisklasse am … Oktober 2004 begangene Wohnsitzverstoß (zu diesem sogleich) auch auf den neuen Führerschein vom … April 2010 aus (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2012 -11 ZB 12.836).
Das Bundesverwaltungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung diesbezüglich aktuell ausgeführt (U.v. 5.7.2018 – 3 C 9/17 -, BVerwGE 162, 308-325, juris Rn. 37 f.):
„In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist geklärt, dass ein offensichtlicher Verstoß gegen das Erfordernis eines ordentlichen Wohnsitzes auch die Nichtanerkennung späterer Führerscheine rechtfertigt, die auf der Grundlage dieses Führerscheins ausgestellt worden sind. Das ist auch dann der Fall, wenn sich die Nichtbeachtung der Wohnsitzvoraussetzung aus dem später ausgestellten Führerschein selbst nicht mehr ergibt.
Die hierzu ergangenen Entscheidungen betreffen Fälle, in denen den Klägern zunächst Führerscheine der Klasse B ausgestellt wurden, die unter einem offensichtlichen Verstoß gegen das Erfordernis eines ordentlichen Wohnsitzes litten. Auf Grundlage dieser Führerscheine wurden später – ohne Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis – neue und um die Klassen C bzw. D erweiterte Führerscheine ausgestellt, deren Erteilung eine gültige Fahrerlaubnis für die Klasse B voraussetzt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat eine Fortwirkung des offensichtlichen Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis sowohl für die bei der Neuausstellung hinzugekommenen Fahrerlaubnisklassen angenommen als auch hinsichtlich der im neuen Führerschein dokumentierten Fahrerlaubnis der Klasse B. Er hat entschieden, dass der Aufnahmemitgliedstaat insgesamt zur Nichtanerkennung berechtigt ist, auch wenn sich die Nichtbeachtung des Wohnsitzerfordernisses aus dem neuen Führerschein nicht mehr ergibt (EuGH, Urteil vom 13. Oktober 2011 – C-224/10 [ECLI:ECLI:EU:C:2011:655], Apelt – Rn. 47 und Beschluss vom 22. November 2011 – C-590/10, Köppl – NJW 2012, 2018 Rn. 52).“
2.2 Der Antragsteller hatte ausweislich seines tschechischen Führerscheins vom … Oktober 2004 seinen ordentlichen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis in A* … Die Eintragung eines in der Bundesrepublik Deutschland liegenden Ortes in Feld 8 des Führerscheins vom … Oktober 2004 beweist, dass die dieses Dokument ausstellende Behörde selbst davon ausging, dass der Antragsteller damals in Deutschland wohnte.
Mit seinem hiergegen erhobenen Einwand, dass er bereits 2004 seinen ordentlichen Wohnsitz tatsächlich in der Tschechischen Republik gehabt habe, vermag der Antragsteller nicht durchzudringen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (z.B. U.v. 23.11.2011 SVR 2012, 195) wird durch einen Führerschein, in dessen Feld 8 ein nicht im Ausstellerstaat liegender Ort eingetragen ist, nach deutschem Verwaltungsprozessrecht der volle Beweis i.S. von § 418 Abs. 1 ZPO i.V. mit § 98 VwGO der Nichtbeachtung des Wohnsitzerfordernisses erbracht. Die Beweisregel des § 418 Abs. 1 ZPO greift auch bei ausländischen Urkunden ein. In dem durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägten verwaltungsgerichtlichen Verfahren bedeutet das, dass in solchen Fällen – sofern sich nicht die Unrichtigkeit des Schlusses aus der in Feld 8 enthaltenen Eintragung auf das Land des ordentlichen Wohnsitzes des Inhabers nachgerade aufdrängt – von Amts wegen durchzuführende Ermittlungen darüber, ob der Ausstellerstaat tatsächlich gegen die Regelung über das Wohnsitzerfordernis verstoßen hat, nicht veranlasst sind.
Aus § 418 Abs. 2 ZPO i.V. mit § 98 VwGO folgt allerdings, dass es dem Beteiligten, zu dessen Nachteil sich die Beweisregel des § 418 Abs. 1 ZPO auswirkt, unbenommen bleibt, den Beweis der inhaltlichen Unrichtigkeit der im ausländischen Führerschein bezeugten Tatsache zu führen. An einen auf die Widerlegung der Beweisregel des § 418 Abs. 1 ZPO abzielenden Gegenbeweis sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist zu fordern, dass ein Beweisantritt, mit dem der Gegenbeweis im Sinn von § 418 Abs. 2 ZPO geführt werden soll, substantiiert ist. Nach dem Vorbringen des Beweisführers muss ferner jedenfalls eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Unrichtigkeit der in der öffentlichen Urkunde bezeugten Tatsache sprechen (BVerwG, U.v. 13.11.1984 NJW 1985, 1179/1180). Darüber hinaus muss sich aus dem Vorbringen des beweisbelasteten Beteiligten ergeben, dass die Auswertung des Erkenntnismittels, auf das er sich zum Zwecke der Widerlegung des Inhalts der öffentlichen Urkunde bezieht, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Unrichtigkeit der darin bezeugten Tatsachen ergeben wird (Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010 RdNr. 243 zu § 98). Andernfalls könnte nämlich die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde stets durch die bloße Behauptung des Gegenteils unter Benennung z.B. des ausstellenden Amtsträgers als Zeugen entwertet werden (BVerwG, U.v. 13.11.1984, a.a.O.).
Das Vorbringen des Antragstellers, mit dem er argumentiert, dass es trotz der Eintragung in Feld 8 des ihm am … Oktober 2004 ausgestellten Führerescheins nicht zu einem Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis gekommen ist, genügt diesen Anforderungen nicht. Insoweit macht er geltend, dass er bereits 2004 in der Tschechischen Republik gewohnt habe und bietet zum Beweis hierfür seine Einvernahme in der mündlichen Verhandlung an. Mithin behauptet er nur unsubstantiiert das Gegenteil dessen, was in dem ausgestellten Führererschein dokumentiert ist. Dass A* … als Wohnsitz versehentlich eingetragen wurde, ist nicht hinreichend wahrscheinlich. Auch die vom Antragsteller vorgelegte Kopie einer tschechischen Aufenthaltsbestätigung beweist nicht einen ordentlichen Wohnsitz des Antragstellers in der Tschechischen Republik. Die Bescheinigung wurde erst am … März 2009 und damit nach dem hier streitgegenständlichen Zeitpunkt ausgestellt.
3. Die Antragsgegnerin hat ihre Befugnis aus Art. 28 Abs. 4 Satz 2 FeV nicht verwirkt, wie der Antragsteller argumentiert. Neben einem Zeitmoment müsste hierzu jedenfalls schutzwürdiges Vertrauen des Antragstellers in das Nichteinschreiten der Antragsgegnerin vorliegen. Wie der Antragsteller selbst vortragen lässt, hat sich die Behörde hier gerade jahrelang immer wieder angeschickt, dem Antragsteller die Fahrberechtigung abzusprechen. Dass ihr dies letztendlich erst mit vorliegendem Bescheid gelungen ist, begründete in der Zwischenzeit kein schutzwürdiges Vertrauen des Antragstellers dahin, dass die Behörde gegen ihn nicht fahrerlaubnisrechtlich einschreiten werde.
Nach alledem war die Antragsgegnerin nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV berechtigt, die fehlende Fahrberechtigung des Antragstellers aufgrund der am … April 2010 ausgestellten tschechischen Fahrerlaubnis festzustellen. Die Klage hat deshalb keine hinreichenden Erfolgsaussichten.
Die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ergeht kostenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.

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