Europarecht

Rechtmäßige Abschiebungsanordnung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat Norwegen

Aktenzeichen  M 1 S 16.51253

Datum:
19.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3
AsylG AsylG § 34a Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Asylbewerber laufen in Norwegen nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (ebenso VG Greifswald BeckRS 2017, 100277; VG München BeckRS 2016, 54737). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach seinen Angaben pakistanischer Staatsangehöriger und am …12.2015 nach Deutschland eingereist. Er stellte am 23.6.2016 Asylantrag.
Nachdem eine EURODAC- Abfrage ergab, dass der Antragsteller bereits in Norwegen ein Asylverfahren angestrengt hatte (EURODAC-Treffer Kategorie 1), richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 23.8.2016 ein Übernahmeersuchen an Norwegen. Norwegen erklärte am 25.8.2016 seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
Mit Bescheid vom 6. Dezember 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte fest, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheides) und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Norwegen an (Nr. 3 des Bescheides). In Nr. 4 des Bescheids wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers erhob mit Fax vom … Dezember 2016 Klage gegen den vorgenannten Bescheid (Az. M 1 K 16.51252). Er beantragte zugleich im vorliegenden Verfahren,
die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO.
Zur Begründung trug der Bevollmächtigte des Antragstellers vor, dass im Asylsystem Norwegens systemische Mängel bestünden. Am … Dezember 2016 legte er ein ärztliches Attest vom … Dezember 2016 vor.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug verwiesen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag ist unbegründet.
Die vom Antragsteller eingelegte Klage entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage der Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Vorliegend überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG rechtmäßig ist. Nach § 34a Abs. 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Das Bundesamt hat zu Recht seine Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens abgelehnt (1.) und das Vorliegen von Abschiebungsverboten oder Abschiebungshindernissen verneint (2.).
1. Norwegen hat das auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO gestützte und die zweimonatige Ersuchensfrist nach Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO wahrende Ersuchen der Antragsgegnerin vom 23.8.2016, den Antragsteller wieder aufzunehmen, am 25.8.2016 positiv beschieden. Damit ist Norwegen für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers zuständig.
Besondere Umstände, die die ausnahmsweise Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO begründen oder nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO rechtfertigen bzw. bedingen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann der Antragsteller seiner Überstellung nach Norwegen nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Norwegen systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) mit sich bringen, so dass eine Überstellung nach Norwegen unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO).
Nach dem Konzept der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 ua – juris) und dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Den nationalen Gerichten obliegt im Einzelfall die Prüfung, ob ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesem Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber implizieren (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 a.a.O Rn. 86). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVwerG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 5 f. m. w. N.). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegen sprechenden Tatsachen zukommen, d. h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U. v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Dies zugrunde gelegt, ist in Bezug auf Norwegen nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller bei einer Überstellung dorthin eine menschenunwürdige Behandlung im vorgenannten Sinne droht. Es ist nicht ersichtlich, dass in Norwegen systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorliegen. Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat hierzu nichts vorgetragen. Dem Gericht sind auch keine Erkenntnisse über systemische Mängel bekannt. Das Gericht folgt der einhelligen Meinung in der Rechtsprechung, dass in Norwegen keine systemischen Mängel des Asylsystems vorliegen (siehe aktuell VG Greifswald, B. v. 10.1.2017, 3 B 2155/16, juris und VG München, B. v. 21.10.2016, M 6 S 16.50867, juris mit weiteren Nachweisen). Lediglich eine Kammer des Verwaltungsgerichts München hat für eine Sonderkonstellation, nämlich der Einreise über die russisch-norwegische Grenze im Zuge des massenhaften Zustroms über diesen Migrationsweg, die Frage nach dem Vorliegen von systemischen Mängeln insoweit offen gelassen (siehe hierzu die oben zitierten Gerichtsentscheidungen); diese spezielle Konstellation ist hier nicht gegeben.
2. Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheids bleibt voraussichtlich auch insoweit ohne Erfolg, als im Rahmen der Anordnung zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote und inlandsbezogene Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe zu prüfen sind (zu dieser Prüfungspflicht siehe BayVGH, B. v. 12.3.2014, Az. 10 CE 14.427 – juris).
Das vorgelegte ärztliche Attest vom …12.2016 kann einer Abschiebung nach Norwegen nicht entgegengehalten werden. Das Attest verhält sich nur zu der Frage gesundheitlicher Gefahren des Antragstellers wegen einer möglichen Retraumatisierung bei einer Abschiebung nach Pakistan, wo der Antragsteller nach seiner Darstellung eine Traumatisierung wegen der behaupteten Ermordung seiner Ehefrau durch deren Familie erlitten habe. Hier geht es aber um eine Abschiebung nach Norwegen.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG)

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