Europarecht

Rechtmäßige Abschiebungsanordnung nach Belgien

Aktenzeichen  M 25 S 16.50965

Datum:
10.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 18 Abs. 1 lit. d, Art. 23 Abs. 2, Art. 25 Abs. 1
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Der Überstellung eines gesunden Mannes nach Belgien, der nicht zu einem besonders vulnerablen und damit besonders schützenswerten Personenkreis gehört, steht nicht das Hindernis systemischer Mängel entgegen. (Rn. 25 – 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt in der Sache vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung der Abschiebung in das Königreich Belgien (im Folgenden: Belgien) im Rahmen eines Dublin-III-Verfahrens.
Der am … … 1978 geborene Antragsteller, ein senegalesischer Staatsbürger, reiste eigenen Angaben zufolge am 24. Juli 2015 in das Bundesgebiet ein (Behördenakte, Bl. 12) und beantragte am 31. August 2016 Asyl (Behördenakte, Bl. 87).
Ermittlungen ergaben daraufhin am selben Tag einen Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Belgien, der Antragsteller hatte mithin bereits in Belgien Asyl beantragt (Behördenakte, Bl. 43).
Ebenfalls am gleichen Tag richtete die Antragsgegnerin ein Übernahmeersuchen an die belgischen Behörden unter Berufung auf das Eurodac-Ergebnis gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) oder d) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl EU Nr. L 180 S. 31; Dublin-III-Verordnung) (Behördenakte, Bl.54).
Am 7. September 2016 antworteten die belgischen Behörden auf das Wiederaufnahmegesuch, erklärten ihre Zuständigkeit gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-Verordnung und stimmten ihm zu (Behördenakte, Bl. 72).
Bei der Befragung am 13. Oktober 2016 trug der Antragsteller vor, dass sein Asylantrag in Belgien abgelehnt worden sei. Wenn er dorthin zurückkehre, habe er anders als in Deutschland kein Recht auf eine Wohnung und eine Versorgung. Hier habe er angefangen, sich zu integrieren, er fühle sich wohl und willkommen. Er habe eine Ausbildung begonnen (Behördenakte, Bl. 78).
Mit angegriffenem Bescheid vom 26. Oktober 2016 ordnete die Antragsgegnerin Folgendes an (Behördenakte, 87 ff.):
„1. Der Antrag wird als unzulässig abgelehnt.
2. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes liegen nicht vor.
3. Die Abschiebung nach Belgien wird angeordnet.
4. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wird auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.“
Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, dass der Asylantrag gemäß § 29 AsylG unzulässig sei, da Belgien gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-Verordnung für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Die weitere Unzulässigkeit des Asylantrags könne auch auf dem erfolglosen Abschluss des früheren Asylverfahrens beruhen, wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorlägen. Der Asylantrag würde in der Bundesrepublik Deutschland daher nicht materiell geprüft. Die Anordnung der Abschiebung nach Belgien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Es lägen keine Abschiebungshindernisse oder Gründe für ein etwaiges Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik Deutschland und auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor (wird ausgeführt: Behördenakte, Bl. 88 bis 93). Das Begleitschreiben des Bescheides datiert vom 18. Oktober 2016 (Behördenakte, Bl. 86).
Mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2016 (Eingang am selben Tag) ließ der Antragsteller durch seine Prozessbevollmächtigte Klage erheben mit dem Antrag:
„1. Der angegriffene Bescheid wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.“
Gleichzeitig ließ er beantragen,
„die aufschiebende Wirkung gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3. des angegriffenen Bescheides gemäss § 80 Abs. V VwGO anzuordnen.“
Die Begründung bleibe einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten (Gerichtsakte, Bl. 2).
Am 8. November 2016 trafen die Akten der Antragsgegnerin ein (Gerichtsakte, Bl. 16).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessensabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Es bestehen keine erheblichen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.
1. Die Antragsgegnerin hat nach den vorliegenden Unterlagen die Abschiebung nach Belgien zutreffend gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG in Verbindung mit § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG angeordnet.
a) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG verweist auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG und verpflichtet das Bundesamt in einem solchen Fall, die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat anzuordnen, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Für die Prüfung des auch in Deutschland gestellten Asylantrags ist Belgien gemäß Art. 25 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung zuständig. Die Antragsgegnerin hat Belgien, gestützt auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) oder d) Dublin-III-Verordnung, innerhalb der Frist von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung, gemäß Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung um Wiederaufnahme ersucht. Belgien hat innerhalb der zweiwöchigen Frist gemäß Art. 25 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung auf das Wiederaufnahmegesuch geantwortet und ihm zugestimmt. Art. 25 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung ist auf Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b), c) oder d) Dublin-III-Verordnung anwendbar.
Die Antragsgegnerin ist damit grundsätzlich nicht verpflichtet, trotz der Zuständigkeit Belgiens den Asylantrag des Antragstellers selbst inhaltlich zu prüfen.
b) Grundsätzlich gilt die auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründende Vermutung, dass die Behandlung der Asylsuchenden in jedem Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK in Einklang steht.
Nur wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU– Grundrechte-Charta mit sich bringen, setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-Verordnung die Prüfung der in Kapitel III der Dublin-III-Verordnung vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bedarf es ernsthafter und durch Tatsachen bestätigter Gründe für die Annahme, dass der betreffende Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechte-Charta ausgesetzt zu werden (vgl. zu der Vorgängerverordnung: EuGH, U.v. 4.11.2013 – C-4/11 – Puid, juris, Rn. 36). Entscheidend ist insofern nicht, ob einzelne Verstöße gegen einzelne Bestimmungen in einem Mitgliedsstaat auftreten (vgl. ebenfalls zu der Vorgängerverordnung: EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – N.S., juris Rn. 85).
In Konkretisierung dieser Vorgaben bedeutet dies, dass sich der Tatrichter zur Widerlegung der Vermutung die Überzeugungsgewissheit zu verschaffen hat, dass der Asylsuchende wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird. Maßgeblich ist, ob diese Behandlungen im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris, Rn. 9).
bb) Verfassungsrechtlich hat die für die Abschiebung zuständige Behörde angemessen zu berücksichtigen, dass aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren Drittstaat bestehen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris, Rn. 15). Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage hat das zuständige Bundesamt angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen nach dem Dublin-III-System vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der uneingeschränkten Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit neugeborenen (vgl. Art. 16 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung) und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris, Rn. 15).
cc) Wendet man diese Maßstäbe auf den vorliegenden Fall an, so steht der Überstellung des Antragstellers nach Belgien nicht das Hindernis systemischer Mängel entgegen. Die erforderliche Überzeugungsgewissheit liegt nicht vor.
Der Antragsteller hat hierzu nichts Substantiiertes vorgebracht. Systemische Mängel sind derzeit auch nicht anderweitig ersichtlich. Belgien ist bislang im Dublin-III-Verfahren nicht auffällig in Erscheinung getreten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Antragsteller um einen gesunden Mann handelt, der nicht zu einem besonders vulnerablen und damit besonders schützenswerten Personenkreis gehört.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
3. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

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