Europarecht

Rechtmäßige Überstellung eines alleinerziehenden Familienvaters mit zwei Kindern nach Italien im Rahmen des Dublin-Verfahrens

Aktenzeichen  M 1 S 17.51507

Datum:
5.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3127
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
AsylG § 34a Abs. 1
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2
EMRK Art. 3
GRCh Art. 4

 

Leitsatz

1 Nach aktueller Erkenntnislage erhalten Asylsuchende (Neuankömmlinge wie Rückkehrer) in Italien – beispielsweise in CAS- bzw. SPRAR-Einrichtungen – zuverlässig eine Unterkunft und sonstige Versorgung. Es ist mithin nichts dafür ersichtlich, dass dort die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung überschritten wäre.  (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Ein Asylantragsteller fällt als alleinerziehender Vater mit zwei minderjährigen Kindern im Alter von neun und zehn Jahren unter den besonders vulnerablen Personenkreis im Sinne der Tarakhel-Rechtsprechung des EGMR (vgl. BVerfG BeckRS 2017, 123542). Es ist indes aktuell davon auszugehen, dass dem Asylantragsteller bei einer Überstellung nach Italien keine menschenunwürdige Behandlung iSv Art. 3 EMRK droht, die zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis führen würde. (Rn. 22) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Eine von den italienischen Behörden konkret abgegebene Zusicherung der Zuweisung einer kindgerechten, reservierten Unterkunft bei der Überstellung von Dublin-Rückkehrerfamilien ist ausreichend und mit europäischem Recht vereinbar. Da es sich bei Italien um einen funktionierenden Rechtsstaat handelt, sind keine überhöhten Anforderungen an die abgegebene Garantieerklärung zu stellen; ferner besteht kein Grund zu der Annahme, dass italienische Behörden bei eventuell auftretenden Schwierigkeiten nicht angemessen Hilfe leisten werden. (Rn. 23) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Die Kombination aus der allgemeinen Zusicherung gemäß dem Schreiben der italienischen Behörden vom 15. April 2015 und der jeweiligen individuell-konkreten Zusicherung in der Phase der Überstellung genügt den Anforderungen, die sich aus Art. 3 EMRK im Hinblick auf die Überstellung eines alleinerziehenden Vaters mit minderjährigen Kindern nach Italien ergeben. (Rn. 24) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens zu je 1/3.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtschutz gegen die bevorstehende Überstellung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der am … geborene Antragsteller zu 1) und seine beiden 2007 und 2008 geborenen minderjährigen Kinder sind nach eigenen Angaben nigerianische Staatsangehörige. Sie beantragten in Deutschland die Gewährung von Asyl. Nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet ergab eine EURODAC-Abfrage, dass sie bereits in Italien registriert wurden (Eurodac-Nr. IT2… und IT1…). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) richtete am 9. Mai 2017 ein Übernahmeersuchen an Italien, das unbeantwortet blieb.
Mit Bescheid vom 7. Juni 2017 – dem Antragsteller zu 1) zugestellt am 17. Juni 2017 – lehnte das Bundesamt die Asylanträge als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte fest, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung der Antragsteller nach Italien an (Nr. 3). In Nr. 4 des Bescheids wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 0 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
Die Antragsteller haben am … Juni 2017 Klage (M 1 K 17.51506) gegen den vorgenannten Bescheid erhoben.
Sie beantragen zugleich im vorliegenden Verfahren,
die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug genommen. Ergänzend wurde ausgeführt, dass den Antragstellern eine Rückreise nach Italien nicht zumutbar sei. Die humanitären Bedingungen dort seien schlecht. Die beiden Kinder hätten dort, bedingt durch die vorherrschenden Gesamtumstände, immer Angst gehabt, hätten dort nicht spielen und sich dadurch nicht von den Erinnerungen an die Fluchterlebnisse ablenken können. Es gehe ihnen in Deutschland besser. Die Antragstellerbevollmächtigte führte ferner aus, dass der Rechtsprechung des EGMR aus dem Jahr 2016, wonach die zugesicherten Garantien für die Unterbringung von Familien durch die italienischen Behörden als ausreichend zu erachten seien, im Jahr 2017 nicht mehr gefolgt werden könne. Die Sach- und Rechtslage habe sich geändert. Im Hinblick auf die Vorlage des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15. März 2017 (11 S 2151/16) beantrage sie die Aussetzung des Verfahrens.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt, jedoch am 14. November 2017 Stellung genommen. Hierbei wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Bundesamt bei der Überstellung von Familien mit minderjährigen Kindern nach Italien an der Tarakhel-Rechtsprechung des EGMR orientiere. Es gebe eine allgemeine Zusicherung der italienischen Behörden vom 15. April 2015 bezüglich einer altersgerechten Unterbringung von Familien mit minderjährigen Kindern. Es seien in einer in der Zusicherung enthaltenen Liste mit Aufnahmeprojekten des SPRAR Aufnahmeplätze für Familien reserviert, welche im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien überstellt würden. Eine weitere Zusicherung gebe Italien in der Phase der Überstellung, und zwar nach Übersendung der Transferdaten durch den überstellenden Mitgliedsstaat. Eine kindgerechte Unterbringung unter Wahrung der Familieneinheit sei daher gewährleistet.
Zum weiteren Vorbringen und zu den übrigen Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten im Klage- und Eilverfahren und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag ist unbegründet.
Die von den Antragstellern eingelegte Klage entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage der Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Vorliegend überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse der Antragsteller, da die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG rechtmäßig ist. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Das Bundesamt hat zu Recht seine Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens abgelehnt (1.) und das Vorliegen von Abschiebungshindernissen verneint (2.).
1. Aufgrund des EURODAC-Treffers der „Kategorie 1“ ist davon auszugehen, dass die Antragsteller bereits in Italien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben. Damit ist Italien nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständig. Italien hat das Ersuchen der Antragsgegnerin, die Antragsteller wieder aufzunehmen, nicht beantwortet. Sonach ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass von italienischer Seite dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffenden Personen wieder aufzunehmen.
a) Besondere Umstände, die die ausnahmsweise Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO begründen oder nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO rechtfertigen bzw. bedingen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere können die Antragsteller ihrer Überstellung nach Italien nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) mit sich bringen, sodass eine Überstellung nach Italien unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO).
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.14.05.1996 – 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v.19.03.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Das Gericht schließt sich der Bewertung des umfangreichen aktuellen Erkenntnismaterials durch verschiedene Obergerichte und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an (vgl. OVG NRW, B.v. 12.10.2016 – 13 A 1624/16.A – juris; OVG NRW, U.v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris Rn. 32 ff.; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte vom 13.01.2015 (Nr. 51428/10) und vom 30.06.2015 (Nr. 39350/13); VG München, U.v.10.5.2016 – M 12 K 15.50474 – juris Rn. 43). Eine Überforderung des italienischen Asylsystems ist nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen nicht anzunehmen (vgl. VG München, B.v. 20.2.2017 – M 9 S 17.50105 – juris; VG München, B.v. 29.12.2016 – M 1 S 16.50997 – juris; VG Hamburg, B.v. 8.2.2017 – 9 AE 5887/16 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 18.1.2017 – 12 L 3754/16.A – juris; NdsOVG, U.v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris; zumeist mit Bezug u.a. auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG NW vom 23. Februar 2016 und auf den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016: „Aufnahmebedingungen in Italien – Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden in Italien“, einsehbar z.B. über MILO oder Asylfact bzw. in der Gerichtsbibliothek – Dublin-Sammlung: Italien – bzw. teils frei zugänglich im Internet abrufbar). Nach dieser Erkenntnislage erhalten Asylsuchende (Neuankömmlinge und Rückkehrer gleichermaßen) zuverlässig eine Unterkunft – u.a. über die CASbzw. über die SPRAR-Einrichtungen – und sonstige Versorgung (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016, a.a.O., S. 4 ff.; Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 18 ff., insb. S. 28 ff.). Es werden stetig zusätzliche Aufnahmezentren geschaffen; das Aufnahmesystem in Italien ist innerhalb von vier Jahren von ca. 5.000 Plätzen auf ca. 120.000 Plätze angewachsen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 15). Es ist mithin nichts dafür ersichtlich, dass die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung überschritten wäre.
b) Die Antragstellerbevollmächtigte hat nicht substantiiert dargelegt, weshalb der Rechtsprechung des EGMR aus dem Jahr 2016 nicht mehr gefolgt werden könne und weshalb sie von einer Änderung der Sach- und Rechtslage ausgehe.
c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (Az. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.). Das Urteil beinhaltet keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien (siehe 2.). Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 – 51428/10 – im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten.
d) Die dem EuGH vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 15. März 2017 unter Ziffer 3. vorgelegte Frage, ob die Überstellung eines Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat zur Durchführung des Asylverfahrens unzulässig ist, wenn im Falle einer Zuerkennung internationalen Schutzes aufgrund der dortigen Lebensumstände das ernsthafte Risiko einer Behandlung entgegen Art. 4 GRCh besteht, erfordert vorliegend keine Aussetzung des Verfahrens.
Zwar kann diese Rechtsfrage für die Antragsteller grundsätzlich relevant werden, weil in Betracht kommt, dass ihnen nach einer Rücküberstellung nach Italien dort internationaler Schutz zuerkannt wird. Entscheidungserheblich für das Verfahren der Antragsteller wäre diese Frage jedoch nur, wenn den Antragstellern für den Fall einer Zuerkennung internationalen Schutzes in Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde (BVerfG, B.v. 14.12.2017 – 2 BvR 1872/17 – juris Rn. 24). Zu den tatsächlichen Umständen einer nach Zuerkennung eines Schutzstatus drohenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung haben die Antragsteller bzw. ihre Verfahrensbevollmächtigte jedoch nicht substantiiert vorgetragen. Sie haben nicht hinreichend dargelegt, dass in Italien anerkannt Schutzberechtigten dort allgemein eine gegen Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh verstoßende Behandlung droht. Entgegen der Auffassung der Antragsteller geht auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 15. März 2017 nicht von dem Risiko einer unmenschlichen, erniedrigenden Behandlung für alle in Italien anerkannt Schutzberechtigten aus (so auch BVerfG, B.v. 14.12.2017 – 2 BvR 1872/17 – juris Rn. 25). Dem Vorlagebeschluss ist keine entsprechende Würdigung der tatsächlichen Umstände in Italien zu entnehmen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat dem EuGH unter Ziffer 3. ausschließlich eine Rechtsfrage vorgelegt, die eine Bewertung der tatsächlichen Lage von in Italien anerkannt Schutzberechtigten offen lässt.
e) Auch individuelle Umstände, die zur Annahme einer den Antragstellern bei Rücküberstellung nach Italien und Zuerkennung internationalen Schutzes konkret drohenden Gefahr berechtigten, haben die Antragsteller nicht dargetan.
2. Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheids bleibt voraussichtlich auch ohne Erfolg, soweit Abschiebungshindernisse zu prüfen sind.
Zwar fällt der Antragsteller zu 1) als alleinerziehender Vater mit seinen beiden minderjährigen Kindern im Alter von neun und zehn Jahren unter den besonders vulnerablen Personenkreis im Sinne der Tarakhel-Rechtsprechung des EGMR (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 29.8.2017 – 2 BvR 863/17 – juris Rn. 17). Es ist jedoch davon auszugehen, dass den Antragstellern bei einer Überstellung nach Italien keine menschenunwürdige Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht, die zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis führen könnte.
Der EGMR hat in seinem Urteil vom 4. November 2014 – 29217/12 – im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (NVwZ 2015, 127 ff.) entschieden, dass die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht ohne vorherige individuelle Garantien der italienischen Behörden, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammenbleiben kann, erfolgen darf. In der Entscheidung des EGMR vom 4. Oktober 2016 – 30474/14 – im Verfahren Ali ./. Schweiz und Italien hat der EGMR ausgeführt, dass das von Italien mittlerweile eingeführte und praktizierte Verfahren bei Dublin-Rückführungen von Familien mit minderjährigen Kindern nicht gegen einschlägige, geltende Bestimmungen des europäischen Rechts verstoße. Die von den italienischen Behörden konkret abgegebene Zusicherung der Zuweisung einer kindgerechten, reservierten Unterkunft bei Überstellung von Dublin-Rückkehrerfamilien sei ausreichend und mit europäischem Recht vereinbar. Italien sei ein funktionierender Rechtsstaat, weshalb keine überhöhten Anforderungen an die abgegebene Garantieerklärung zu stellen seien. Auch bestehe keine Grund zur Annahme, dass die italienischen Behörden bei eventuell auftretenden Schwierigkeiten nicht angemessen helfen würden.
Dieser Auffassung schließt sich das erkennende Gericht – auch unter Berücksichtigung des Alters der beiden Kinder von neun und zehn Jahren – an. Die Kombination aus der allgemeinen Zusicherung gemäß Schreiben der italienischen Behörden vom 15. April 2015 und der jeweiligen individuell-konkreten Zusicherung in der Phase der Überstellung genügt den Anforderungen, die sich aus Art. 3 EMRK im Hinblick auf die Überstellung eines alleinerziehenden Vaters mit minderjährigen Kindern nach Italien ergeben. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass eine dem Alter und der Situation der Kinder angemessene Unterbringung der Familie in Italien in einer der speziell für Familien reservierten SPRAR-Einrichtungen nicht möglich wäre. Es besteht auch kein Grund zur Annahme, dass die italienischen Behörden nicht über genügend entsprechende Ressourcen bzw. nicht über die Fähigkeit verfügen, einen alleinerziehenden Vater mit minderjährigen Kindern zu versorgen bzw. in angemessener Weise auf eventuell auftretende Schwierigkeiten zu reagieren.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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