Europarecht

Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsanordnung

Aktenzeichen  M 9 S 17.50298

Datum:
20.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 56844
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 34a Abs. 1 S. 1
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2, Art. 12 Abs. 1, Abs. 4, Art. 13 Abs. 1 S. 1, Art. 18 Abs. 1 Buchst. b, Art. 19 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1. In der EU gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCharta) entspricht. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Italien sind keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen gegeben. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der laut eigener Aussage am … 1993 geborene Antragsteller (Bl. 33 d. Behördenakts – i.F.: BA -) reiste nach eigenen Angaben am 20. Dezember 2015 von Italien kommend in das Bundesgebiet ein (Bl. 58 d. BA). Er beantragte am 13. Juni 2016 förmlich beim Bundesamt Asyl (Bl. 33 d. BA). Die einzige vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (i.F.: Bundesamt) mit einem Eingangsstempel (demnach Eingang am 29. Februar 2016) versehene Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (i.F.: BÜMA) datiert vom 23. Dezember 2015 (Bl. 64 d. BA). Eine weitere vom Antragsteller unterzeichnete BÜMA vom 20. Dezember 2015 trägt keinen Eingangsstempel des Bundesamts (Bl. 65 d. BA). Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger Nigerias (Bl. 33 d. BA), besaß ein italienisches permesso di soggiorno per stranieri (Bl. 78f. d. BA) und hat nach eigener Aussage in Italien keinen Asylantrag gestellt (Bl. 104 d. BA).
Aufgrund eines Eurodac-Treffers der Kategorie 1 vom 5. Februar 2016 (Bl. 4 d. BA und Bl. 16 d. BA) wurde gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (i.F.: Dublin III-VO) am 16. März 2016 ein Aufnahmegesuch an Italien gerichtet (Bl. 18ff. d. BA); eine Zugangsbestätigung liegt vor (Bl. 21ff. d. BA). Die italienischen Behörden haben bis dato nicht geantwortet.
Mit gegen Postzustellungsurkunde am 31. Januar 2017 zugestelltem (Bl. 132 d. BA) Bescheid vom 27. Januar 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziff. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziff. 3) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 4). Wegen des Bescheidinhalts wird auf diesen Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat am 6. Februar 2017 Klage gegen den Bescheid erhoben. Vorliegend beantragt er,
die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
Die Dublin III-VO sei faktisch außer Kraft gesetzt („Beweis: Sachverständigengutachten“). Es lägen systemische Mängel sowohl des Asylverfahrens als auch der Aufnahmebedingungen in Italien vor. Es herrschten chaotische Zustände, es bestünden Kapazitätsengpässe und die Zugangsmöglichkeiten von Asylbewerbern zu sozialer und gesundheitlicher Versorgung seien faktisch abgeschnitten („Beweis: Sachverständigengutachten“). Es werde beantragt, „vom Auswärtigen Amt eine aktuelle (!) Auskunft zum Thema ‚Behandlung von Schutzberechtigten und von Asylbewerbern i.R.d. Dublin III-Verfahrens in Italien‘ einzuholen“. Im Übrigen habe die Beklagte ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben. Es sei zwar unklar, ob der Antragsteller die Frage nach Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen oder einer Behinderung mit „ja“ oder „nein“ beantwortet habe, jedenfalls sei er aber letzte Woche beim Arzt gewesen, wo festgestellt worden sei, dass sein Blutbild nicht regelgerecht sei („Beweis: nachzureichendes ärztliches Attest“). Dazu kämen psychische Probleme, „insbesondere PTBS“. Atteste würden nachgereicht.
Das Bundesamt stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu.
An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Italien ist hier für die Prüfung zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 13 Abs. 1 Satz 1, Art. 18 Abs. 1 lit. b, Art. 23 Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 1, Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO. Die italienischen Behörden haben auf das Wiederaufnahmegesuch, das am 16. März 2016 und damit rechtzeitig innerhalb der 2-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO gestellt wurde (der Eurodac-Treffer datiert vom 5. Februar 2016), nicht binnen zwei Wochen reagiert. Angesichts der jüngeren EuGH-Rechtsprechung (EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – juris) ist festzuhalten, dass damit auch die 3-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO unproblematisch eingehalten ist: Diese läuft mit Eingang der BÜMA beim Bundesamt als frühestmöglichem Datum einer „Antragstellung“ i.S.v. Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO an (VG München, B.v. 23.8.2017 – M 9 S7 17.51363 – juris m.w.N.); die einzige gestempelte BÜMA ging dem Bundesamt am 29. Februar 2016 zu. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass sich nach dem kompletten Akteninhalt als frühestmöglicher Zeitpunkt einer Kenntnis des Bundesamts vom Asylgesuch des Antragstellers der 5. Februar 2016 – Datum unter anderem des Abrufs der Eurodac-Treffer, vgl. Bl. 3ff. d. BA) – ergibt. Auch wenn man darauf abheben wollte, wäre die 3-Monats-Frist ohne weiteres gewahrt.
Es wird weiter darauf hingewiesen, dass sich die Zuständigkeit Italiens (an sich: vorrangig, vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO) auch aus Art. 12 Abs. 1, Abs. 4, Art. 2 lit. m Halbs. 1 Dublin III-VO i.V.m. Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO i.V.m. Art. 23 Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 1, Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO ergibt: Der Antragsteller verfügte bei Einreise in das Bundesgebiet über einen italienischen Aufenthaltstitel („permesso di soggiorno per stranieri“, ausgestellt am 23. August 2015, Bl. 78f. d. BA). Dass – mangels leserlichen Scans hinsichtlich des Ablaufdatums – unklar ist, ob der italienische Aufenthaltstitel bei Stellung des Wiederaufnahmegesuchs noch gültig war, schadet nicht, da Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1 Dublin III-VO bestimmt, dass Art. 12 Abs. 1 Dublin III-VO auch dann anwendbar bleibt, wenn der Antragsteller nur einen Aufenthaltstitel besitzt, der weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen ist. Es ist weiter davon auszugehen, dass der Antragsteller gemäß Art. 21 Abs. 1 SDÜ in das Bundesgebiet einreisen konnte, Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1 Dublin III-VO. Für das Wiederaufnahmegesuch und insbesondere für die anzuwendenden Fristen ergibt sich aus alledem aber kein Unterschied, vgl. Art. 19 Abs. 1 Dublin III-VO.
Art. 14 Abs. 1 Dublin III-VO dagegen kommt nicht zur Anwendung, auch nicht im Zusammenspiel mit Art. 21 Abs. 1 SDÜ. Der erlaubte Reiseverkehr und kurzfristige Aufenthalt – in der Regel: 3 Monate – von Drittausländern ist nicht damit gleichzusetzen, dass kein Visumszwang bestehe (vgl. für Nigeria Art. 1 Abs. 1 VO (EG) Nr. 539/2001 – i.F.: EG-VisaVO – i.V.m. Anhang I und Art. 4 EG-VisaVO).
Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCharta) entspricht. Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich, vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Betroffenen führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EU-GRCharta ausgesetzt zu werden. Eine Widerlegung der Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten anzunehmen, an die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Das Gericht geht nach den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen davon aus, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im oben genannten Sinne gegeben sind. Dazu wird Bezug genommen auf die fast einhellige Rechtsprechung, die keine systemischen Mängel hinsichtlich Italien (an-)erkennt (VG Osnabrück, B.v. 8.8.2017 – 5 B 212/17 – juris; VG München, B.v. 20.2.2017 – M 9 S 17.50105 – juris; B.v. 29.12.2016 – M 1 S 16.50997 – juris; VG Hamburg, B.v. 8.2.2017 – 9 AE 5887/16 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 18.1.2017 – 12 L 3754/16.A – juris; BayVGH, U.v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; OVG NW, U.v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris; NdsOVG, U.v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris; zumeist mit Bezug u.a. auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG NW vom 23. Februar 2016 und auf den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016: „Aufnahmebedingungen in Italien – Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden in Italien“, einsehbar z.B. über MILO oder Asylfact bzw. in der Gerichtsbibliothek – Dublin-Sammlung: Italien – bzw. teils frei zugänglich im Internet abrufbar). Nach dieser Erkenntnislage erhalten Asylsuchende (Neuankömmlinge und Rückkehrer gleichermaßen) zuverlässig eine Unterkunft – u.a. über die CAS- bzw. über die SPRAR-Einrichtungen – und sonstige Versorgung (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016, a.a.O., S. 4ff.; Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 18ff., insb. S. 28ff.). Es werden stetig zusätzliche Aufnahmezentren geschaffen; das Aufnahmesystem in Italien ist innerhalb von vier Jahren von ca. 5.000 Plätzen auf ca. 120.000 Plätze angewachsen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 15). Es ist mithin nichts dafür ersichtlich, dass die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung überschritten wäre; dies wäre erst dann der Fall, wenn absehbar wäre, dass auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung des Problems ergriffen würden (z.B. VG Schwerin, U.v. 26.9.2016 – 16 A 1757/15 As SN – juris; VG Hamburg, B.v. 8.2.2017 – 9 AE 5887/16 – juris; OVG NW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris). Probleme bei der Unterbringung in der zweiten Jahreshälfte 2015 rechtfertigen keine andere Einschätzung, da diesbezügliche Schwierigkeiten nicht nur in Italien, sondern in weiten Teilen Europas bestanden. Auch der insgesamt eher kritische Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., sieht diesbezüglich in erster Linie nur die Aufnahmesituation von „Personen mit Schutzstatus“ in Italien als problematisch an, nicht aber die Bedingungen für Asylsuchende und Dublin-Rückkehrer (vgl. S. 18ff. einerseits und S. 33ff. andererseits). Es ist klarzustellen, dass die Frage „systemischer Mängel“ nur die Durchführung des Asylverfahrens betrifft und dass eine Anwendung dieser Rechtsfigur auf bereits anerkannte Flüchtlinge deshalb ausscheiden muss (vgl. VG Hamburg, U.v. 9.1.2017 – 16 A 5546/14 – juris in Auseinandersetzung mit anderen Ansichten; VG München, B.v. 20.2.2017 – M 9 S 17.50105 – juris; VG München, B.v. 11.1.2017 – M 8 S 16.51193 – juris). Weiter ist festzuhalten, dass die Dublin III-VO gerade nicht zu einem „forum shopping“ dergestalt verhelfen soll, dass der Betroffene ein Recht darauf habe, sich einen Mitgliedstaat für die Prüfung seines Asylantrags auszusuchen, der beispielsweise ein besseres soziales Sicherungssystem oder bessere Unterbringungsmöglichkeiten bietet (vgl. statt aller OVG NW, U.v. 10.3.2016 – 13 A 1657/15.A – juris). Auch der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien eventuell schlechter darstellt als im Bundesgebiet, begründet keinen systemischen Mangel des dortigen Asylverfahrens (vgl. EGMR, E.v. 2.4.2013 – Nr. 27725/10 – juris; VG München, B.v. 9.11.2016 – M 6 S 16.50638 – juris). Alle Asylbewerber haben in Italien kostenfreien Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem (OVG NW, U.v. 22.9.2016 – 13 A 2448/15.A – juris; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016, a.a.O., S. 6). Alle, auch irregulär anwesende Personen und Rückkehrer, haben ein Recht auf medizinische Grund- und Notfallversorgung bei Krankheit oder Unfall, auch ohne Selbstbehalt (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 54f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016, a.a.O., S. 6). Das sog. ticket – der Selbstbehalt – muss darüber hinaus auch langfristig nicht bezahlt werden, solange eine nicht erwerbstätige Person bspw. in einer SPRAR-Einrichtung untergebracht ist oder eine sog. STP-Karte besitzt (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 56f.). Zugang zu einem Hausarzt und zu weiteren medizinischen Leistungen erhält man über eine Gesundheitskarte, die man ohne Weiteres über eine Registrierung bei den lokalen Institutionen erlangt (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 55). Aus diesen Gründen bestand für die Antragsgegnerin auch im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung von Dublin-Rückkehrern keine Veranlassung, das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben.
Dem schriftsätzlichen Antrag auf Einholung einer aktuellen Auskunft des Auswärtigen Amtes war nach alledem nicht weiter nachzugehen. Im auf eine lediglich summarische Prüfung der Sachlage angelegten und grundsätzlich auf die Verwertung präsenter, d.h. von den Beteiligten beigebrachter, ohne förmliche Beweiserhebung gewonnener und lediglich glaubhaft gemachter (§ 294 ZPO) Beweismittel ausgerichteten verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren steht eine förmliche Beweisaufnahme im Ermessen des Gerichts (BeckOK VwGO, Stand: 40. Ed. 1.1.2017, VwGO § 86 Rn. 12). Das Gericht sieht hier angesichts der ihm vorliegenden umfangreichen und aktuellen Erkenntnismittel von der Anforderung einer entsprechenden Auskunft ab. Dies umso mehr, als es nicht das „das eine“ richtige bzw. überzeugende Erkenntnismittel geben kann, sondern stets ein breites Spektrum zu berücksichtigen ist (vgl. unter anderem VG München, B.v. 2.2.2017 – M 9 S 17.50067 – juris). Dem Begehr war auch angesichts seiner inhaltlichen Weite nicht nachzugehen; es handelt sich mangels Bezugs auf eine konkrete und individualisierte Tatsache bestenfalls um eine Beweisanregung. Gleiches gilt für die in den Vortrag lose eingestreuten „Beweisangebote“.
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG, oder ein inlandsbezogenes Vollzugshindernis (BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris) wurden nicht belegt. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass eine vonseiten eines Facharztes diagnostizierte Krankheit keinesfalls zwingend „generell“ eine Reiseunfähigkeit oder die Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen zur Folge hat (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 8.2.2013 – 10 CE 12.2396 – juris). Krankheiten hindern nicht per se die Überstellung im Sinne einer Transportunfähigkeit, v.a. nicht ins innereuropäische Ausland – vorliegend: Italien – (kurze Reisewege, geringe Belastung), und begründen nicht etwa „regelhaft“ ein ernsthaftes Risiko dergestalt, dass sich der Gesundheitszustand des Betroffenen unmittelbar durch die Ausreise oder Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird. Zudem gab der Antragsteller im Verwaltungsverfahren ohnehin an, nicht an Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen oder an einer Behinderung zu leiden (Bl. 14 d. BA). Die vom Bevollmächtigten nachfolgend behaupteten Erkrankungen wurden trotz anderslautender Ankündigung nicht belegt. Hinweise auf eine Reiseunfähigkeit im engeren oder weiteren Sinn bestehen somit nicht. Auch ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis wurde nicht dargelegt und/oder substantiiert.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.

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