Aktenzeichen M 26 S 19.5847
VwGO § 80 Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1
BayVGH § 80 Abs. 3 S. 1
BasisVO Art. 2
RL 2001/82/EG Art. 1
Leitsatz
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf EUR 25.000,– festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte arzneimittelrechtliche Untersagungsverfügung des Antragsgegners.
Die Antragstellerin vertreibt das Produkt „A…“ als Mineralfuttermittel. Es besteht aus Auszügen aus Zitronengras und Gewürznelke mit den aktiven Substanzen Geraniol, Citronellal und Citronellol und, je nach Darreichungsform, unterschiedlichen Trägerstoffen.
Eine fachliche Stellungnahme des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vom … Februar 2019 an die Regierung von Oberbayern kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Produkt aufgrund der vom Hersteller vorgesehenen therapeutischen Zweckbestimmung um ein Präsentationsarzneimittelmittel handelt. Die Antragstellerin bewerbe das Produkt u.a. als „wirksam gegen die Rote Vogelmilbe“ und „zur schnellen und einfachen Bekämpfung des Haupt-Ektoparasiten in Geflügelställen, die Rote Vogelmilbe“. Der Befall von Hühnern mit der Roten Vogelmilbe sei – abhängig von Ausmaß und Grad des Befalls – in der Regel als Krankheit anzusehen. Die Antragstellerin werbe damit, dass mit der Anwendung des streitgegenständlichen Produkts Tierausfälle und Krankheiten aufgrund von Parasiten reduziert werden könnten. Das Präparat sei somit zur kurativen Anwendung am befallenen Tier sowie zur präventiven Anwendung im gesunden Tierbestand in Bezug auf eine Erkrankung vorgesehen. Um ein Biozid handle es sich nicht, da die Antragstellerin zwar vorrangig eine repellierende Wirkung auslobe, aber die Behandlung explizit am bereits befallenen Tier erfolge und eine medizinische Indikation in Anspruch genommen werde.
Die Regierung von Oberbayern hörte mit Schreiben vom 17. April 2019 die Antragstellerin zum beabsichtigten Erlass einer Untersagungsanordnung nach § 69 Arzneimittelgesetz (AMG) an. Das Produkt sei als Präsentationsarzneimittel einzustufen, verfüge jedoch nicht über die erforderliche Zulassung.
Mit Schriftsatz vom … Mai 2019 traten die Bevollmächtigten der Antragstellerin dem entgegen. Das Produkt sei kein zulassungspflichtiges Tierarzneimittel, sondern ein Futtermittel. Die Annahme des Antragsgegners, das Produkt sei zur kurativen Anwendung am befallenen Tier und zur präventiven Anwendung gegen eine Erkrankung vorgesehen, sei unzutreffend. Der Befall mit der Roten Vogelmilbe als solcher sei keine Krankheit. Da die Rote Vogelmilbe ein temporärer Elektroparasit sei, sei nicht das Tier, sondern der Stall befallen. Das Produkt habe repellierende Wirkung, ähnlich wie ein Mückenspray, und diene nicht der Verhinderung einer Krankheit, sondern einzig der Vertreibung von Ektoparasiten als potentiellen Verursachern von möglichen Sekundärinfektionen aus dem Stallbereich. Das Produkt werde von der Antragstellerin durchgängig als Futtermittel bezeichnet. Die in der Bewerbung verwendeten Beschreibungen ließen die schädlingsstatt wirtsorientierte Funktionsweise und die repellierende statt kurative Wirkung für den durchschnittlich informierten Anwender stets deutlich hervortreten.
Das Produkt sei als Vormischung im Sinne des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Arzneimittelgesetzes ausgenommen. Das Produkt sei auch kein Biozid im Sinne der Biozidverordnung VO (EU) 528/2012. Der Antragsgegner kenne das Produkt seit dem Jahr 2015 und habe bislang keine arzneimittelrechtlichen Bedenken gehegt. Das Produkt sei in anderen EU-Ländern als Futtermittel eingestuft.
Mit Bescheid vom 30. Oktober 2019 untersagte der Antragsgegner der Antragstellerin unter Androhung von Zwangsgeld (Nr. 3 des Bescheids) das Inverkehrbringen des Produkts (Nr. 1 des Bescheids). Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 2).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Untersagung des Inverkehrbringens stütze sich auf § 69 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG. Die Antragstellerin gehe selbst davon aus, dass ihr Produkt gegen Krankheiten helfe und werbe ausdrücklich damit. Zwar seien von der Internetpräsenz der Antragstellerin sämtliche produktbezogene Werbung, Verweise und Dokumente zu den A…-Produkten entfernt worden, die der Beurteilung durch das LGL zugrunde gelegen hätten. Selbst die von der Antragstellerin zitierten aktuellen Produktbeschreibungen rechtfertigten aber die Einstufung als Präsentationsarzneimittel. Arzneitypisch seien Behandlungsempfehlungen, Dosierungsempfehlungen und ein Verabreichungszyklus. Selbst wenn es sich bei dem Produkt – was nicht nachvollziehbar sei – um ein Futtermittel handle, ergebe sich aus § 2 Abs. 3a AMG ein Vorrang des Arzneimittelrechts. Nicht maßgeblich sei, wie das Produkt in anderen Ländern eingestuft werde, weil eine EUweite Vollharmonisierung der Arzneimitteleinstufung nicht erfolgt sei. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes könne die Antragstellerin nicht ins Feld führen, da das Produkt 2015 nicht arzneimittelrechtlich geprüft worden sei.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom … November 2019 ließ die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid vom 30. Oktober 2019 erheben (M 26 K 19.5501). Am … November ließ sie im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde unter Anführung von Rechtsprechung im Wesentlichen das Vorbringen im Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft. Der Bescheid sei darüber hinaus ermessensfehlerhaft und die Begründung des Sofortvollzugs unzureichend.
Mit Schriftsatz vom 20. Januar 2020 beantragte der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Die Angaben in Bezug auf das Produkt auf der Internetseite und in Werbebroschüren enthielten nach wie vor krankheitsbezogene Angaben. Für den Verbraucher ergebe sich aus den Produktinformationen als primäre Zweckbestimmung eine therapeutische Wirksamkeit und nicht vorrangig die Deckung des Energiebedarfs. Eine Einstufung als Biozid scheide aktuell aus, solange das Produkt krankheitsbezogen beworben werde. Das Produkt sei auch nach Entfernung aller krankheitsbezogener Werbeaussagen nicht als Futtermittel einzustufen, da einziger Zweck des Produkts sei, einen Tierbestand präventiv oder bei Befall zu behandeln und Milben zurückzudrängen; ein daneben bestehender Fütterungszweck im Sinne eines Ernährungszwecks sei nicht ersichtlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, auch auf die des Hauptsacheverfahrens M 26 K 19.5501, sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der vorliegende Antrag ist zulässig, aber in der Sache unbegründet.
Die Sofortvollzugsanordnung begegnet in formeller Hinsicht keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Eine Beurteilung des angefochtenen Bescheids im Rahmen der im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nur möglichen summarischen Prüfung ergibt, dass dieser voraussichtlich rechtmäßig ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), so dass die aufschiebende Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nicht wiederherzustellen ist.
1. Die formellen Voraussetzungen für den Erlass einer Sofortvollzugsanordnung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO sind erfüllt. Insbesondere ist dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO Genüge getan. Nach dieser Vorschrift ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen.
An das Begründungserfordernis dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (BayVGH, B.v. 10.07.2008 – 19 CS 08.1231, 19 CS 08.1741 – juris, Rn. 5). Nicht ausreichend ist es jedoch, die sofortige Vollziehbarkeit lediglich formelhaft zu begründen. Vielmehr müssen die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe angegeben werden, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt auszuschließen (BayVGH, B.v. 26.03.2008 – 20 CS 08.421 – juris, Rn. 20).
Die Sofortvollzugsbegründung in dem angefochtenen Bescheid wird diesen Anforderungen gerecht. Die Behörde hat ausreichend einzelfallbezogen dargelegt, dass aus ihrer Sicht im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse des Tier,- Gesundheits- und Verbraucherschutzes „ausnahmsweise“ schwerer wiegt als das Interesse der Antragstellerin an effektivem Rechtsschutz und dem weiteren Vertrieb der Produkte. Ob diese Begründung die Anordnung des Sofortvollzugs materiell trägt, ist dabei nicht im Rahmen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO zu prüfen (BayVGH, B.v. 10.07.2008, a.a.O.).
2. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessensabwägung.
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Anfechtungsklage ist im vorliegenden Fall grundsätzlich der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Bei der angegriffenen Untersagungsverfügung handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt, so dass vorliegend auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist, wenn das materielle Recht – wie hier – nicht die Maßgeblichkeit eines anderen Zeitpunkts bestimmt (BVerwG, U.v. 19. September 2013 – 3 C 15/12, juris Rn. 9).
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall war die aufschiebende Wirkung der Klage nicht wiederherzustellen, weil die Untersagung des Inverkehrbringens des Produktes „A…“ der Antragstellerin nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung rechtmäßig ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt, so dass die hiergegen erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Bei summarischer Prüfung ist die Arzneimitteleigenschaft des streitgegenständlichen Produktes zu bejahen.
2.1. Rechtsgrundlage für die Untersagungsverfügung ist § 69 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nummer 1 Arzneimittelgesetz (AMG). Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG treffen die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG können sie insbesondere das Inverkehrbringen von Arzneimitteln oder Wirkstoffen untersagen, deren Rückruf anordnen und diese sicherstellen, wenn die erforderliche Zulassung oder Registrierung für das Arzneimittel nicht vorliegt oder deren Ruhen angeordnet ist. Eine Zulassungspflicht nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG setzt dabei das Vorliegen eines Arzneimittels im Sinn des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG voraus.
2.2. Nach § 2 Abs. 1 AMG sind Arzneimittel Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,
1. die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind oder
2. die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder
a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder
b) eine medizinische Diagnose zu stellen.
Der Arzneimittelbegriff des § 2 Abs. 1 AMG deckt sich (auch) in Bezug auf Tierarzneimittel mit dem europarechtlichen Arzneimittelbegriff aus Art. 1 der Richtlinie 2001/82/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel (ABl. L 311, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 2004/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/82/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel vom 31.03.2004 (ABl. L 136, 58) und ist damit richtlinienkonform und unter Beachtung der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH auszulegen.
2.3. Bei dem streitgegenständlichen Produkt der Antragstellerin handelt es sich nicht um ein Funktionsarzneimittel im Sinn von § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG. Eine tatsächliche pharmakologische Wirkung des Präparats wurde vom Antragsgegner weder positiv festgestellt noch sicher ausgeschlossen, was jedenfalls für eine Einstufung als Funktionsarzneimittel nicht ausreicht. Es ist auch nicht Aufgabe der Verwaltungsgerichte, zur Frage pharmakologischer Wirkungen des Produkts weitere Ermittlungen anzustellen. Der Nachweis obliegt vielmehr dem Antragsgegner (BVerwG, U.v. 26.5.2009 – 3 C 5/09 – juris Rn. 17 ff.).
2.4. Das Produkt erfüllt aber die Merkmale eines Präsentationsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG.
Ein Erzeugnis ist ein Präsentationsarzneimittel, wenn es entweder ausdrücklich als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten bezeichnet oder empfohlen wird oder wenn sonst bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass dieses Erzeugnis in Anbetracht seiner Aufmachung die betreffenden Eigenschaften haben müsse (EuGH, U.v. 15.11.2007 – C-319/05 -, juris Rn. 43 ff., BVerwG, U.v. 20.11.2014 – 3 C 25/13 – juris Rn. 14, m.w.N.).
Hierbei ist grundsätzlich eine weite Auslegung geboten. Es werden nicht nur Arzneimittel erfasst, die tatsächlich therapeutische oder medizinische Wirkung haben, sondern auch Erzeugnisse, die nicht ausreichend wirksam sind oder die nicht die Wirkung haben, die der Verbraucher nach ihrer Bezeichnung von ihnen erwarten darf. Die gesetzliche Definition zielt somit darauf ab, den Verbraucher nicht nur vor schädlichen oder giftigen Arzneimitteln zu schützen, sondern auch vor verschiedenen Erzeugnissen, die anstelle geeigneter Heilmittel verwendet werden.
Entscheidend für die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel ist seine an objektive Merkmale anknüpfende Zweckbestimmung, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher darstellt. Die Vorstellung des Verbrauchers kann an eine schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihre Anwendung anknüpfen oder durch die Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft beeinflusst sein, ebenso durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen (vgl. BGH, U. v. 10.2.2000 – I ZR 97/98).
Die Bestimmung des Verwendungszwecks ergibt sich aus einer Gesamtschau aller relevanten Umstände, insbesondere der stofflichen Zusammensetzung des Präparats, seiner Aufmachung, der Art und Form der Einnahme und der Vertriebsweise. Dabei kommt es zum einen nicht darauf an, ob das Produkt eine erwartete therapeutische Wirkung tatsächlich hat oder haben kann und zum anderen auch nicht darauf, ob es ausdrücklich als Arzneimittel bezeichnet ist, sondern darauf, ob es schlüssig, aber mit Gewissheit den Eindruck erweckt, hauptsächlich Heilzwecken zu dienen (BayVGH, B.v. 13.5.1997 NJW 1998, 845; Kloesel/Cyran, a.a.O., RdNr. 108 letzter Absatz zu § 2 AMG). Ambivalente Stoffe, denen nach Zusammensetzung und Eigenschaften sowohl eine arznei- als auch eine lebensmitteltypische Zweckbestimmung innewohnt, können Präsentationsarzneimittel sein, wenn den Verbrauchern der arzneiliche Zweck aufgrund der konkreten Präsentation mit prophylaktischen oder therapeutischen Wirkaussagen als einzig denkbarer Zweck des angegriffenen Mittels erscheint (Meyer in Meyer/Streinz, LFGB BasisVO, RN. 52 zu Art. 2 BasisVO).
Gemessen an diesen Kriterien handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt um ein Präsentationsarzneimittel.
Im Ausgangspunkt ist der Antragstellerin zuzugeben, dass das Produkt durchgängig als Mineralfuttermittel speziell für Geflügel bezeichnet wird (vgl. Werbebroschüre der Antragstellerin, vorgelegt vom Antragsgegner als Anlage 1). Eine ausdrückliche Bezeichnung des Produkts als Tierarzneimittel ist den vorgelegten Unterlagen nicht zu entnehmen. Dies ist nach dem oben Gesagten jedoch nicht ausschlaggebend.
In der zitierten Werbebroschüre werden die Wirkungsweise und der Nutzen des Produkts dahingehend beschrieben, dass die in dem Produkt enthaltenen sekundären Pflanzeninhaltsstoffe gegen den Hauptparasit in Geflügelställen, die Rote Vogelmilbe, stark wirksam sind. Erwähnt werden die Schädigungen, die die Rote Vogelmilbe verursacht, so Blutflecken auf den Eiern, Stiche, Stress und vermehrte Pickaktivität und, bei starkem Befall, Anämie. Mit Parasiten befallenes Geflügel sei aufgrund des beeinträchtigten Immunsystems geschwächt und anfällig für andere Krankheiten.
Die Wirkungsweise des Produkts wird so erklärt, dass die Wirksubstanzen vom Tier aufgenommen und auf dreifache Weise in die Umwelt abgegeben werden, mit dem Ausscheiden über den Kot, über die Blutbahn in die Haut und in die Atemwege. Die Tiere dünsteten die ätherischen Öle aus und schützten sich somit vor dem Biss der Wirtstiere (richtig wohl: der Parasiten), ihr Blutsaugen würde unterbunden.
Das Produkt könne die Milbenpopulation deutlich eindämmen und damit die Probleme im Stall bei Aufzucht, Mast und Legehaltung sichtbar bekämpfen. Die Ausfälle und Krankheiten aufgrund von Parasiten könnten daher mit dem Produkt reduziert werden. Das Wohlbefinden der Tiere werde gesteigert und das Leistungsniveau verbessert.
Diese Angaben zu Wirkungsweise und Nutzen des Produkts enthalten zwar deutliche Hinweise auf eine (auch) repellierende und damit biozid-typische Wirkungsweise des Produkts, wobei aus Sicht des Durchschnittverbrauchers das Besondere an dem Produkt die orale Aufnahme durch das Wirtstier sein dürfte, das gewissermaßen als „natürlicher Verteiler“ des Mittels im Stall fungiert.
Die allgemeine Aussage, das Wohlbefinden der Tiere werde gesteigert und das Leistungsniveau verbessert, weist ebenfalls nicht auf eine therapeutische Zweckbestimmung des Produkts hin.
Jedoch wird das Produkt ausdrücklich als Mittel mit Eigenschaften zur Linderung und Verhütung des „Befalls“ der Wirtstiere durch die Rote Vogelmilbe und andere Ektoparasiten bezeichnet und empfohlen. Diesem Befall mit Parasiten kommt aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsverbrauchers schon an sich Krankheitswert zu, ohne dass auf das Auftreten von Sekundärinfektionen, die von den Parasiten hervorgerufen oder begünstigt werden, abgestellt werden müsste. Das gilt wenigstens dann, wenn der „Befall“ ein solches Ausmaß erreicht, dass mit entsprechenden Sekundärkrankheiten gerechnet werden kann. Denn der Zustand, dass ein Parasit in nennenswertem Umfang (nur dann lässt sich wohl von „Befall“ sprechen) einen Wirt zeitweise oder dauerhaft heimsucht, also definitionsgemäß auf dessen Kosten lebt, hat nach der Anschauung eines verständigen Durchschnittsverbrauchers bereits Krankheitswert und ist entgegen der Argumentation der Antragstellerin nicht lediglich ein Umstand, der das Entstehen einer Krankheit gegebenenfalls begünstigen kann. Nicht umsonst trägt dieses Krankheitsbild den Fachausdruck „Parasitose“ und wird seinem Inhalt nach auch einem verständigen Durchschnittsgeflügelhalter ein Begriff sein. Freilich wird der Verbraucher weder die Rote Vogelmilbe an sich, gleichsam als Einzelexemplar, noch ihren Biss für sich genommen als eine Krankheit ansehen. Nimmt dieses Parasitentum jedoch ein Ausmaß an, wie es auch in der Produktbeschreibung der Antragstellerin beschrieben wird, dass nämlich von einem Befall zu sprechen ist, der auch weitere Erkrankungen nach sich ziehen kann, wird der Verbraucher dies als eigenständiges Krankheitsbild werten.
Für diese Beurteilung spricht auch, dass entgegen den Ausführungen der Antragstellerin für den verständigen Durchschnittsverbraucher die Wirkung des Produkts sich nicht darin erschöpft, die Parasiten vom Wirtstier und seinem Lebensbereich fernzuhalten, wie dies beispielsweise bei einem Mückenspray der Fall ist, sondern dass durch die beschriebene orale Aufnahme über die Blutbahn in die Haut auch heilende Wirkung bei einem schon (stärker) befallenen Tier erzeugt werden, indem das „Blutsaugen […] unterbunden“ wird, wobei in der Beschreibung der Wirkungsweise offenbleibt, was genau mit den Milben geschieht, die sich bereits blutsaugend auf dem Wirtstier befinden.
Angesichts dessen kommt den vom Antragsteller als arzneitypisch ins Feld geführten Behandlungs- und Dosierungsempfehlungen und dem angegebenen Verabreichungszyklus keine entscheidende, wohl aber eine dieses Ergebnis bestätigende Indizwirkung zu.
Für die Einstufung als Präsentationsarzneimittel spricht nicht zuletzt auch, dass auf der Internetseite der Antragstellerin, so wie sie der Bewertung durch das LGL zugrunde gelegen hat, ursprünglich das Produkt u.a. als einfache und ökologische Alternative zu Fipronil-Präparaten, die angesichts des Fipronil-Eier-Skandals in Verruf geraten waren und bei denen es sich um Arzneimittel handelt, beworben war (vgl. Beitrag unter der Überschrift „Keine Rückstandsproblematik mit A…te – aus aktuellem Anlass“). Auch dadurch konnte beim Verbraucher schlüssig der Eindruck entstehen, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt als Alternativprodukt, mit dem sich derselbe therapeutische Zweck wie durch Fipronil erreichen lässt, ebenfalls um ein Arzneimittel handelt.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Antragstellerin ihre Produktbewerbung im Rahmen ihres Internetauftritts im Verlauf des Verwaltungsverfahrens geändert und reduziert hat, sodass beispielsweise die soeben angeführte Bewerbung aktuell nicht mehr angeboten wird. Denn beim Verbraucher kann sich durch den bis zum Einschreiten der Behörde vorhandenen Internetauftritt bereits eine Vorstellung bzw. Erwartung an das Produkt etabliert haben, die sich nicht allein mit einer Veränderung des Internetauftritts rückgängig machen lässt (vgl. dazu VG Osnabrück, B.v. 30.1. 2013 – 6 B 65/12 – juris Rn. 87), zumindest solange seit der Veränderung der Angaben erst kurze Zeit verstrichen ist und somit davon auszugehen ist, dass die ursprüngliche Präsentation noch im Gedächtnis der Verbraucher präsent ist.
Nach summarischer Prüfung ist aufgrund der Gesamtschau der zum Produkt durch die Antragstellerin zur Verfügung gestellten Informationen das Präparat A… als zulassungspflichtiges Tierarzneimittel, für das die nach § 21 Abs. 1 AMG wegen seiner Eigenschaft als Fertigarzneimittel erforderliche Zulassung nicht vorliegt, einzustufen.
2.5. Ob es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt der Sache nach (auch) um ein Futtermittel oder um ein Biozidmittel handelt, ist, weil und insofern es aufgrund seiner Bestimmung als Präsentationsarzneimittel eingestuft werden muss, ohne Belang für den vorliegenden Rechtsstreit. Aus § 2 Abs. 3a AMG ergibt sich für den Fall, dass ein Erzeugnis unter die Definition des Arzneimittels fällt und zugleich unter die Begriffsbestimmung eines Erzeugnisses nach § 2 Abs. 3 AMG fallen kann, ein Vorrang des Arzneimittelrechts. Die Anwendung der „Zweifelsfallregelung“ des § 2 Abs. 3a AMG beruht somit auf der Prämisse, dass das betreffende Produkt nachgewiesenermaßen die Voraussetzungen eines Arzneimittels erfüllt (vgl. EuGH, U.v. 15.1. 2009 – C-140/07, Hecht-Pharma – Slg. 2009, I-41 Rn. 24 m.w.N.; BVerwG, U. v. 26.5. 2009 – 3 C 5.09 – Buchholz 418.710 LFGB Nr. 6 Rn. 15). Da dies hier, wie dargelegt, der Fall ist, ist das Arzneimittelrecht auf das streitgegenständliche Produkt anwendbar.
2.6. Der Einstufung als Arzneimittel steht schließlich nicht entgegen, dass A…- Produkte in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht als Arzneimittel, sondern als Futtermittel behandelt werden mögen. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt sich nach der gegenwärtigen – nicht vollständigen – Harmonisierung auf dem Gebiet des Arzneimittelrechts nicht ausschließen, dass die Frage der Arzneimitteleigenschaft eines Erzeugnisses unterschiedlich beurteilt wird. Der Umstand, dass das streitgegenständliche Produkt in Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht als Arzneimittel qualifiziert wird, bindet andere Mitgliedstaaten daher nicht (EuGH, U.v. 3.10.2013 – C-109/12, Laboratoires Lyocentre – Rn. 45 ff.; v. 15.1.2009 – C-140/07, Hecht-Pharma – Slg. 2009, I-41 Rn. 28; BVerwG, U.v. 20.11. 2014 – 3 C 25/13 -, juris Rn. 24 f).
3. Ermessensfehler bei der Anwendung der Kann-Vorschrift des § 69 Abs. 1 Satz 2 AMG sind bei summarischer Prüfung ebenfalls nicht ersichtlich (§ 114 VwGO). Insbesondere steht der mit der Maßnahme verfolgte Zweck nicht außer Verhältnis zur Intensität des mit ihr verbundenen Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit und in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Der Vertrieb eines Arzneimittels ohne die erforderliche Zulassung stellt einen der gravierendsten Verstöße gegen arzneimittelrechtliche Bestimmungen dar. Er muss daher sofort mit seiner Feststellung unterbunden werden. Bei dieser Sachlage ist der Ermessensspielraum, der einer Behörde bei der Auswahl ihrer Maßnahmen zusteht, in der Regel auf Null reduziert (Nds. OVG, B.v. 25.5.2011 – 13 LA 213/10 -, PharmR 2011, 297-299). Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall ausnahmsweise etwas anderes gelten müsste, sind nicht ersichtlich. Dies gilt namentlich im Hinblick auf den von der Antragstellerin ins Feld geführten Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes. Schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass der Antragsgegner arzneimittelrechtlich nicht gegen das Produkt einschreiten würde, konnte bei der Antragstellerin von vornherein nicht entstehen, da eine Prüfung der Arzneimitteleigenschaft des Produkts durch den Antragsgegner 2015 nach Aktenlage nicht stattgefunden hat, sondern diese Prüfung erst mit dem streitgegenständlichen Verwaltungsverfahren seit 2019 läuft.
4. Mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache ist dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheides der Vorrang einzuräumen. Im Interesse des Gesundheits- und Verbraucherschutzes kann es nicht hingenommen werden, dass voraussichtlich als Arzneimittel einzustufende Produkte, die nicht über die erforderliche Zulassung verfügen, in den Verkehr gebracht werden. Denn Zweck der Zulassungspflicht gem. § 21 AMG ist es, unabhängig von konkret von einem Arzneimittel ausgehenden Risiken oder Gefahren das Inverkehrbringen eines Arzneimittels nur dann zu erlauben, wenn es vorher durch die zuständige Bundesoberbehörde geprüft und zugelassen worden ist. Dahinter haben die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin zurückzutreten (vgl. Nds. OVG, B.v. 2.6.2003 – 11 ME 92/03 – juris; BayVGH, B.v. 24.8.2009 – 9 Cs 09/1023 -, juris Rn. 14).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.