Aktenzeichen S 4 SO 34/17 ER
FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 5, § 4
Leitsatz
1. Ausschluss von Leistungen nach § 23 SGB XII
2. Angehörige einer Werkstatt für behinderte Menschen sind keine freizügigkeitsberechtigten Arbeitnehmer, da das Entgelt aus Grundbetrag und Steigerungsbetrag keine Gegenleistung für geleistete Arbeit ist.
Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen. Eine Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt, die keine reguläre Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt darstellt, begründet kein Freizügigkeitsrecht im unionsrechtlichen Sinn. (Rn. 37 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 7. März 2017 wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Rechtsanwältin A. vom 7. März 2017 wird abgelehnt
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt – im Wege der einstweiligen Anordnung – vorläufig die Übernahme der Kosten der Beschäftigung im Arbeitsbereich einer Werkstatt für Behinderte als Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Die 1992 geborene Antragstellerin ist rumänische Staatsangehörige. Sie verfügt über einen spanischen Schwerbehindertenausweis, der einen Grad der Behinderung von 68,5% attestiert.
Sie wohnt zusammen mit ihrem 1950 geborenen Vater und der 1955 geborenen Mutter. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung für die Mutter auf Zahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII wurde mit Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.02.2017 abgelehnt (S 4 SO 25/17 ER).
Am 10.03.2013 reiste die Antragstellerin zusammen mit ihren Eltern in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Die B.-Werkstätten E. beantragten mit Schreiben vom 22.07.2013 beim Antragsgegner die Überprüfung, ob die Antragstellerin dem Personenkreis der Eingliederungshilfeberechtigten zugeordnet werden könne. Es sei beabsichtigt, die Antragstellerin, die aufgrund ihrer Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelbar sei, im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich der Werkstatt einzugliedern.
Die Antragstellerin wurde (erst ein Jahr später) am 03.03.2014 im Eingangsbereich aufgenommen.
Nach dem Bericht des Facharztes für Allgemeinmedizin C. vom 20.11.2014 wurden u. a. die Diagnosen G 40.9G (Epilepsie, nicht näher bezeichnet; gesichert), F79.9 (nicht näher bezeichnete Intelligenzminderung; ohne Angabe einer Verhaltensstörung) und P91.9 (sonstige zerebrale Störungen beim Neugeborenen a.n.k. – anderweitig nicht klassifiziert – Versagen lebenswichtiger Zentren beim Neugeborenen) gestellt.
Nach dem Gutachten der Ärztin Dr. D. vom 27.03.2015 zähle die Antragstellerin bereits bei kleinsten Mengen mit den Fingern. Die mathematischen Kenntnisse beschränkten sich darauf. Das Erfassen von Mengen und der Vergleich zueinander gelingen ihr nicht. Die Multiplikation, Division und Prozentrechnung seien gänzlich unbekannt. Sie schreibe einfachste Worte in einer Art zusammengezogener Druckschrift ohne Satzbindung. Das Schreibniveau entspräche in etwa einem Kind kurz vor der Einschulung, welches die schriftliche Darstellung verschiedener Worte auswendig gelernt habe, in etwa 3 cm großer Schrift. Von tragenden Fähigkeiten in den Kulturtechniken könne nicht ausgegangen werden. Es bestehe eine mittelgradige Intelligenzminderung.
Mit Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 13.05.2015 wurde ein Antrag der Antragstellerin auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt (S 17 AS 298/15 ER). Es wurde festgestellt, dass hinreichende Erfolgsaussichten für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht bestehen und die Antragstellerin keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hat, da einem Anspruch der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegensteht. Das Gericht führte aus: Der Antragstellerin „steht ein Freizügigkeitsrecht aus Gründen der Ausbildung gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU nicht zur Seite. Sie steht weder in einem Rechtsverhältnis als Arbeitnehmerin, noch erfüllt sie die Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU.
Auszubildende werden europarechtlich als Arbeitnehmer qualifiziert, sofern sie eine echte Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis ausüben. Sofern eine Person dem weiteren unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff unterfällt, ist es nicht mehr notwendig, eine Zuordnung zum Begriff des Auszubildenden vorzunehmen (vgl. Tewocht in: Beckscher Online-Kommentar Ausländerrecht, 6. Ed., Stand: 01.01.2015, Rdnr. 28 zu § 2 FreizügG/EU). Als Arbeitnehmer gelten alle Personen, die während einer bestimmten Zeit für einen Anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhalten (EuGH Rs C-66/85 – Lawrie-Blum Slg 1986 I-2121; Rs C-456/02 – Trojani Slg 2004 I-7573; zahlreiche weitere Rspr.-Nachweise bei Calliess/Ruffert AEUV Art. 45 Rn. 13). Personen, die keine Arbeitnehmereigenschaft aufweisen, haben unter den besonderen Voraussetzungen von § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU i.V.m. § 4 FreizügG/EU Aufenthaltsrechte.
Auch aus § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU i.V.m. § 4 FreizügG/EU steht der Antragstellerin eine Freizügigkeitsberechtigung nicht zu. Bei nicht erwerbstätigen Unionsbürgern müssen ein ausreichender Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel vorliegen, über die die Antragstellerin . . . gerade nicht verfügt. Indiz dafür ist bereits der Antrag auf existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II.
Ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU ist hinsichtlich der Antragstellerin zu 4 nicht behauptet worden; im Hinblick auf ihre im Erörterungstermin dargelegte gesundheitliche Situation ist es auch auszuschließen.“
Der Beschluss wurde nach teilweiser Rücknahme der Beschwerde im Erörterungstermin vor dem Bayerischen Landessozialgericht am 26.08.2015 und nach dem Beschluss vom gleichen Tag rechtskräftig (L 18 AS 385/15 B ER). Die Hauptsacheklage (S 17 AS 547/15) wurde zurückgenommen.
Am 30.05.2016 erließ die Stadt E. einen Bescheid über die Feststellung des Nichtbestehens der Freizügigkeitsberechtigung.
Nach dem Schreiben der Stadt E., Ausländerbehörde, vom 15.03.2016 wurde gegen den Bescheid vom 30.05.2016 Klage zum Bayer. Verwaltungsgericht F. eingelegt. Mit Beschluss vom 18.08.2016 habe das Verwaltungsgericht den Antrag auf Prozesskostenhilfe der Betroffenen abgelehnt. Gegen diese Entscheidung sei Beschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingelegt worden. Das Hauptsacheverfahren ruhe bis zu einer Entscheidung über die Beschwerde.
Nach dem Berichtsbogen der Werkstatt für Behinderte Menschen vom 15.12.2016 solle zum 01.03.2017 die Zuweisung in den Arbeitsbereich erfolgen. Die Antragstellerin spreche Spanisch, sie verstehe einzelne Wörter in Deutsch und spreche diese auch nach. Arbeitsanweisungen müssen trotzdem durch „vormachen – nachmachen“ vermittelt werden und teilweise ins Spanische übersetzt werden. Sie könne einfache Routinearbeiten ausführen.
Am 29.12.2016 ist das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016 (AuslPersGrSiuSHRegG) in Kraft getreten. Das Gesetz tritt nach Art. 5 Abs. 1 AuslPersGrSiuSHRegG am Tag nach der Verkündung in Kraft. Die Verkündung erfolgte durch das Bundesgesetzblatt I Nr. 65 am 28.12.2016).
§ 23 Abs. 3 SGB XII wird wie folgt gefasst:
„(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn
1. sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2. sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
3. sie ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Nummer 2 aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (Abl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (Abl. L 107 vom 22.4.2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten oder
4. sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 4 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten.“
Zur Begründung hat die Bundesregierung nach der Fassung vom 07.11.2016 (Bundestagsdrucksache 18/10211, Seite 14) ausgeführt:
„Den betroffenen Personen ist die Rückreise in das jeweilige Heimatland gefahrlos möglich und zumutbar. Die Leistungsausschlüsse erfassen auch Drittstaatsangehörige. Die Neuregelung berücksichtigt, dass die Situation von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern, einerseits sowie Asylbewerberinnen und Asylbewerbern andererseits nicht vergleichbar ist. Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern stehen andere Möglichkeiten der Selbsthilfe offen, als dies für Asylbewerberinnen und Asylbewerber der Fall ist. Während Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oftmals nicht ohne möglicherweise drohende Gefahren (etwa durch Verfolgung) in ihr Heimatland zurückkehren können, ist dies Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern gefahrlos möglich und zumutbar. Die betroffenen Personen können in ihren Heimatstaaten ohne Gefahr für Leib und Leben wohnen und existenzsichernde Unterstützungsleistungen erlangen, da in der EU soziale Mindeststandards bestehen, auf die sich die Mitgliedstaaten geeinigt haben. Nach Artikel 13 der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 haben sich die Vertragsparteien verpflichtet, sicherzustellen, dass jedem, der nicht über ausreichende Mittel verfügt und sich diese auch nicht selbst oder von anderen verschaffen kann, ausreichende Unterstützung im Heimatland gewährt wird. Daneben besteht ein uneingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt.“
Weiter heißt es (a. a. O., Seite 16):
„Durch die neue Formulierung in § 23 Abs. 3 Satz 1 wird außerdem klargestellt, dass den ausgeschlossenen Personen weder ein Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 1 zusteht, noch dass ihnen Leistungen im Ermessenswege gewährt werden.“
Mit Bescheid vom 13.02.2017 wurde der Antrag auf Übernahme der Kosten der Beschäftigung der Antragstellerin im Arbeitsbereich der B.-Werkstätten E. ab 01.03.2017 abgelehnt. Die Gewährung von Eingliederungshilfe an Ausländer richtet sich nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, wonach im übrigen Sozialhilfe geleistet werden könne, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt sei. Bei der zutreffenden Entscheidung handele es sich um eine Ermessensentscheidung.
Mit Schreiben vom 07.03.2017, beim Sozialgericht Bayreuth eingegangen am gleichen Tag, erhebt die Antragstellerin einen Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG. Die Antragstellerin habe bis 28.02.2017 von der Bundesagentur für Arbeit Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten. Mit Post vom 07.03.2017 sei auch Widerspruch gegen den Bescheid vom 13.02.2017 eingelegt worden. Die Antragstellerin habe als Schwerbehinderte einen besonderen Schutz und Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe sowohl am Arbeitsleben als auch am Leben in der Gemeinschaft, dass ihr ohne einstweiligen Rechtsschutzverfahren unmöglich gemacht werde. Im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII seien die besonderen Interessen eines schwerbehinderten Menschen, folglich auch die besonderen Rechte nach der Behindertenrechtskonvention, zu berücksichtigen. Es sei bislang nicht rechtskräftig festgestellt, dass die Antragstellerin nicht freizügigkeitsberechtigt sei. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung sei sie so zu stellen, als wäre sie unstreitig freizügigkeitsberechtigt.
Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache den Antragsgegner zu verpflichten, die Kosten der Beschäftigung der Antragstellerin im Arbeitsbereich der B.-Werkstätten E. im Rahmen der Eingliederungshilfe zu übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt mit Schreiben vom 10.03.2017, eingegangen am 13.03.2017, den Antrag abzuweisen.
Nach Überzeugung des Antragsgegners bestehe kein Anordnungsgrund. Das Bemühen der Antragstellerin um eine konsequente Eingliederung in das Arbeitsleben sei nicht ausgeprägt gewesen. Durch die Beendigung des Berufsausbildungsbereiches und die fehlende Anschluss-Kostentragung würde eine womöglich erfreulicherweise begonnene Integration gestoppt, jedoch seien von der Antragstellerin keine Gründe vorgetragen, warum etwa wesentliche Nachteile für sie im Raum stünden. Die Antragstellerin sei materiell nicht freizügigkeitsberechtigt. Die fehlende Bestandskraft des Bescheides über die Feststellung des Nichtbestehens der Freizügigkeitsberechtigung generiere keinen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe. Durch die Neuregelung des § 23 Abs. 3 SGB XII seit 29.12.2016 würden die Rechte eines materiell nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländers noch weiter beschnitten.
Im Verfahren S 4 SO 25/17 ER legte die Stadt E. eine Meldebescheinigung vom 20.02.2017 vor. Danach ist die Antragstellerin seit 29.12.2014 gemeldet.
Das Gericht hat Einsicht in die abgeschlossenen Verfahren S 17 AS 298/15 ER und S 17 AS 547/15 genommen.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Prozessakte und die beigezogene Sozialamtsakte des Antragsgegners verwiesen.
II.
Gegenstand des Verfahrens ist der Antrag der Antragstellerin im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vom 07.03.2017. Die Antragstellerin begehrt Eingliederungshilfe.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Es bestehen auch keine hinreichenden Erfolgsaussichten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe.
Die Antragstellerin hat eine Regelungsanordnung beantragt.
Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben (vgl. hierzu § 86a Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG), die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG).
Vorliegend kommt, da es Antragstellern ersichtlich um eine Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Zum Prüfungsmaßstab führt das Bayerische Landessozialgericht aus (Beschluss vom 05.05.2015 L 11 AS 268/15 B ER m. z. N.):
„Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre . . . Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes – das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit – und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches – das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt – voraus. Die Angaben hierzu hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung – ZPO -; . . .). Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang . . . das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit Existenz sichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers zu entscheiden . . . In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden.“
Das Gericht weist auch auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.08.2014 (1 BvR 1453/12) hin, in der eine Folgenabwägung nicht angesprochen wird. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Der Anordnungsanspruch besteht nicht. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 03.12.2015 – B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R und B 4 AS 59/13 R; vom 16.12.2015 – B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R sowie vom 20.01.2016 – B 14 AS 35/15 R) kann nicht mehr herangezogen werden.
§ 23 Abs. 3 in der aktuell gültigen Fassung untersagt Leistungen der Sozialhilfe an Ausländer nach § 23 Abs. 1 SGB XII in der Situation der Antragstellerin explizit. Damit sind auch Leistungen der Eingliederungshilfe ausgenommen (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII: „im übrigen [außerhalb der Hilfe zum Lebensunterhalt] kann Sozialhilfe geleistet werden . . .“ Dies ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung.
Die Antragstellerin unterliegt diesem Leistungsausschluss, da sie – mangels glaubhafter Arbeitssuche oder als Angehörige eines glaubhaft Selbstständigen – eingereist ist, um Sozialhilfe zu erlangen (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB XII).
Sie hat nicht glaubhaft werden lassen über ein Aufenthaltsrecht zu verfügen. Anhaltspunkte für eine andere materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht nach dem subsidiär auch für Unionsbürger geltenden Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Im Einzelnen wird auf den Beschluss vom 13.05.2015 (S 17 AS 298/15 ER) verwiesen, den sich die erkennende Kammer zu eigen macht. Auch wenn sich die Antragstellerin damals im Berufsausbildungsbereich der Werkstatt für Behinderte Menschen befunden hat, hat sich die Freizügigkeitsberechtigung mit der angestrebten Tätigkeit im Arbeitsbereich nicht geändert. Der Beschluss vom 13.05.2015 hat die Eigenschaft der Antragstellerin als Auszubildende nicht in dieser Eigenschaft, sondern als Arbeitnehmerin gewürdigt und gleichzeitig abgelehnt. Dieses Ergebnis ergibt sich auch aus § 138 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Das Arbeitsentgelt aus Grundbetrag und Steigerungsbetrag bemisst sich nicht an der Arbeitsleistung, sondern am wirtschaftlichen Erfolg der Werkstatt für behinderte Menschen (vgl. Schramm in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 2. Aufl. 2015, § 138 SGB IX, Rn 21); eine Gegenleistung als Vergütung für ihre Arbeit erhält die Antragstellerin nicht.
Auch das Bayer. Verwaltungsgericht F. dürfte kein Freizügigkeitsrecht erkannt haben, da hinreichende Erfolgsaussichten des Verwaltungsprozesses im Beschluss vom 18.08.2016 nicht gesehen wurden.
Eine rechtskräftige Feststellung des Verlustes der Freizügigkeit ist (erst) erforderlich, wenn bei über 5-jährigem Aufenthalt eine Leistungsberechtigung nach § 23 Abs. 2 Satz 7 SGB XII in Rede steht. Die Antragstellerin kann aber einen solchen Aufenthalt nicht nachweisen, da sie erst ab 29.12.2014 gemeldet ist; maßgeblich ist die Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde (§ 23 Abs. 2 Satz 8 SGB XII).
Die Antragstellerin kann auch aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, Urteile vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 sowie vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10 und 2/11) keine Leistungsanspruch ableiten.
Die Bundesregierung hat zu Recht darauf verwiesen, dass (materiell) nicht freizügigkeitsberechtigte Bürger ohne Gefahr für Leib und Leben auf wohn- und existenzsichernde Unterstützungsleistungen in ihrem Heimatland verwiesen werden können. Die erkennende Kammer macht sich die zitierte Gesetzesbegründung vom 07.11.2016 zu eigen.
Die Kammer kann nicht erkennen, dass der Bundesgesetzgeber bei der Definition des verfestigten Aufenthalts auch bei erheblicher Ausdehnung von 6 Monaten auf 5 Jahre seine Erstentscheidungsprärogative verletzt hat. Gegenüber dem Bundesgesetzgeber steht dem Bundessozialgericht als Fachgericht keine vorrangige Einschätzung der effektuierten Reichweite des Grundrechts zu.
Einen weiten Gestaltungsspielraum der Mitgliedsstaaten bei der Gewährung von Ermessensleistungen an Schwerbehinderte und Begrenzung auf die eigenen Staatsangehörigen erkennt auch der EuGH an (Urteil vom 16.09.2015 – C-433/13 Rn. 68 ff.).
Zur Folgenabwägung ist noch auf Folgendes hinzuweisen: Der Antragsgegner macht zu Recht darauf aufmerksam, dass die Bedeutung des Anordnungsgrundes gering zu achten ist. Bei Erfolg in der Hauptsache kann die Antragstellerin ihre Arbeit in der Werkstatt für Behinderte Menschen ohne Nachteile aufnehmen. Die Arbeit dient nicht ihrer materiellen Existenzsicherung.
Auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet. Hinreichende Erfolgsaussichten bestehen nicht.
Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO).
„Bei der Prüfung der hinreichenden Aussicht auf Erfolg im Rahmen der Prozesskostenhilfe erfolgt nur eine vorläufige Prüfung. Dabei ist der verfassungsrechtlich gezogene Rahmen (Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3, 19 Abs. 4 Grundgesetz) zu beachten, deshalb dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden . . . Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist . . . beziehungsweise wenn die Erfolgsaussicht nur eine entfernte ist“ (Bayer. Landessozialgericht, Beschluss vom 12.04.2013, L 18 AY 3/13 B ER, m. N.).
Eine so verstandene hinreichende Erfolgsaussicht besteht nicht, wie sich aus vorstehender Begründung ergibt. Insbesondere ist der Sachverhalt durch das ausländerrechtlich sachnähere Verwaltungsgericht und das Sozialgericht Bayreuth hinreichend aufgeklärt und bewertet worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.