Europarecht

Umsatzsteuer 2011

Aktenzeichen  2 K 54/16

Datum:
27.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2020, 623
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
UStG § 14c Abs. 2, § 17 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg. Der Kläger ist durch den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid nicht in seinen Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO). Das Finanzamt hat zutreffend die Berichtigung des Steuerbetrages gem. §§ 14c Abs. 2 i.V.m. 17 Abs. 1 UStG im Streitjahr versagt.
Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist (unberechtigter Steuerausweis), schuldet gemäß § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG den ausgewiesenen Betrag. Das Gleiche gilt, wenn jemand wie ein leistender Unternehmer abrechnet und einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt (§ 14c Abs. 2 Satz 2 UStG). Die Regelung beruht auf Art. 203 MwStSystRL, wonach die Mehrwertsteuer von jeder Person geschuldet wird, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist. Zweck der Regelung ist es, Missbräuche durch Ausstellung von Rechnungen mit offenem Steuerausweis zu verhindern (BFH-Urteil vom 16.05.2018 XI R 28/16, BFH/NV 2018, 1048 Rdnr. 37, EuGH-Urteile vom 18.06.2009 C-566/07 Stadeco, Slg. 2009, I-5295 Rdnr. 28 und vom 19.09.2000 C-454/98, Schmeink & Cofreth und Strobel, Slg. 2000, I-6973 Rdnrn. 57 und 61).
Der nach § 14c Abs. 2 Sätze 1 und 2 UStG geschuldete Steuerbetrag kann gem. Satz 3 berichtigt werden, soweit die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist. Gem. § 14c Abs. 2 Satz 4 UStG ist die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt, wenn ein Vorsteuerabzug beim Empfänger der Rechnung nicht durchgeführt oder die geltend gemachte Vorsteuer der Finanzbehörde zurückgezahlt worden ist. Dies ist in dem Sinne zu verstehen, dass endgültig feststehen muss, dass jedwede Gefährdung des Steueraufkommens ausgeschlossen ist (BFH-Urteil vom 08.11.2016 VII R 34/15, BStBl II 2017, 496, Rdnr. 16 – 17; EuGH-Urteil vom 11.04.2013 C-138/12, Rusedespred, HFR 2013, 546). Die Gefährdung des Steueraufkommens kann auch dann beseitigt sein, wenn der Rechnungsempfänger wegen einer Umsatzsteuersonderprüfung an der Durchführung des begehrten Vorsteuerabzugs tatsächlich gehindert war (BFH-Beschluss vom 03.11.2016 V B 81/16, BFH/NV 2017, 330).
Die Steuerpflichtige hat unstreitig Scheinlieferungen gegenüber der Firma C abgerechnet, so dass sie gem. § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG die in den Rechnungen über Scheinlieferungen gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer schuldete. Die Ausgabe eines Abrechnungspapiers mit gesondertem Steuerausweis, obwohl die darin beschriebene Leistung nicht ausgeführt worden ist und nicht erbracht worden wird, begründet die Schuld des Ausstellers in Höhe des ausgewiesenen Betrages (BFH-Urteil vom 09.12.1987 X R 35/82, BFH/NV 1988, 269).
Nachdem der Firma C im Rahmen einer Betriebsprüfung der Vorsteuerabzug aus den streitgegenständlichen Rechnungen der Steuerpflichtigen versagt und diese daraufhin die Vorsteuern in 2010 zurückgezahlt hat, ist die Gefährdung des Steueraufkommens in 2010 beseitigt worden. § 14 c Abs. 2 Satz 4 UStG stellt dem Wortlaut nach lediglich darauf ab, ob ein Vorsteuerabzug im Ergebnis nicht durchgeführt wurde. Die Vorschrift ist somit unabhängig davon anwendbar, warum der Vorsteuerabzug letztlich nicht geltend gemacht werden konnte (vgl. BFH-Beschluss vom 03.11.2016 V B 81/16, BFH/NV 2017, 330, Rn. 5). Es genügt, dass die Firma C wegen der Betriebsprüfung an der endgültigen Durchführung des begehrten Vorsteuerabzugs tatsächlich gehindert war. Ein Einvernehmen zwischen den Beteiligten war nicht erforderlich.
Die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags ist gem. § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG beim Finanzamt gesondert schriftlich zu beantragen und nach dessen Zustimmung in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 UStG für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Voraussetzungen des Satzes 4 eingetreten sind. Durch die Verweisung des § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG auf § 17 Abs. 1 UStG wird der Zeitpunkt der Berichtigung für den Besteuerungszeitraum festgelegt, in dem die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist. Die (zu berichtigende) Umsatzsteuer entsteht mit der Vornahme des unberechtigten Steuerausweises und besteht materiell-rechtlich nach § 14c Abs. 2 UStG bis zu einer Berichtigung des Steuerbetrags fort (BFH-Urteil vom 26.01.2012 V R 18/08, BStBl II 2015, 962). Die Berichtigung von Rechnungen des Leistenden führt nicht dazu, dass eine nach § 14c UStG geschuldete Steuer rückwirkend auf den Zeitpunkt der Rechnungserteilung entfällt (BFH-Beschluss vom 19.05.2015 V B 133/14, BFH/NV 2015, 1116 Rdnr. 5 und 6 und BFH-Urteil vom 08.11.2016 VII R 34/15, BStBl II 2017, 496).
Der Kläger hat nach Insolvenzeröffnung mit Schreiben vom 26.06.2013 bzw. 06.06.2013 die Berichtigung des geschuldeten Betrages für September/Oktober 2011 beantragt und Stornorechnungen vom 14.09.2011 bzw. 30.10.2011 ausgestellt. Entgegen seiner Auffassung ist der Zeitpunkt der Erteilung der Stornorechnungen nicht entscheidend, denn eine Rechnungsberichtigung ist in § 14c Abs. 2 Satz 4 UStG nicht verlangt. Die Berichtigungshandlung ist bei § 14c Abs. 1 UStG bzw. § 14c Abs. 2 UStG unterschiedlich geregelt. Während § 14c Abs. 1 UStG eine berichtigte Rechnung gegenüber dem Leistungsempfänger und ggf. eine Rückzahlung des zu Unrecht vereinnahmten Betrags voraussetzt, lässt § 14c Abs. 2 UStG – unabhängig von einer etwaigen Rechnungskorrektur – nur dann eine Berichtigung zu, wenn die Gefährdungslage beseitigt wurde und die Verwaltung der Berichtigung zustimmt. Ob die Rechnungsberichtigung zu den materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen gehört, die erfüllt sein müssen, damit ein Erstattungsanspruch auch nach § 14c Abs. 2 UStG entsteht, hat der BFH in seinem Urteil vom 08.11.2016 VII R 34/15, BStBl II 2017, 496 offengelassen. Nach der Rechtsprechung des EuGHs kann eine Rechnungsberichtigung aber dann nicht gefordert werden, wenn eine Gefährdungslage entweder nicht eingetreten oder anderweitig beseitigt wurde (Meurer in: Birkenfeld/Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, 81. Lieferung 08.2018, § 168 unrichtiger und unberechtigter Steuerausweis § 14c UStG; Art. 203 MwStSystRL; Abschn. 14c.2. UStAE, Rn. 523 und 524 unter Hinweis auf EuGH-Urteil vom 11.04.2013 C-138/12 Rusedespred, a.a.O.). Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer wird durch die von den Mitgliedstaaten vorzusehende Möglichkeit gewahrt, jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer zu berichtigen, wenn der Rechnungsaussteller seinen guten Glauben nachweist oder wenn er die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt hat (EuGH-Urteile LVK – 56 vom 31.01.2013 C-643/11, UR 2013, 346, Rz 48; FIRIN vom 13.03.2014 C-107/13, UR 2014, 705 Rz 55 und Stadeco vom 18.06.2009 C-566/07, UR 2009, 647, Rz 35 und 36). Da das Unionsrecht die Erteilung einer berichtigten Rechnung bzw. Stornorechnung, auch bei Vorliegen von Scheingeschäften, im Fall der vollständigen Beseitigung der Steuergefährdung durch Rückzahlung der Vorsteuer nicht vorsieht, liegt entgegen der Auffassung des Klägers ein Verstoß gegen Art. 203, 66 Buchst. a MwStsystRL nicht vor. Vielmehr ist der Mitgliedstaat gehindert, die Berichtigung der Mehrwertsteuer von dem Vorliegen einer berichtigten Rechnung abhängig zu machen, wenn die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt ist (EuGH-Urteil Stadeco vom 18.06.2009 C-566/07, a.a.O., Leitsatz 2).
Soweit der Kläger sich auf das Urteil des BFH vom 08.11.2016 VII R 34/15 beruft, ergibt sich hieraus nichts Anderes. Der BFH stellt fest, dass eine Rechnungsberichtigung erst für den Besteuerungszeitraum der Berichtigung wirkt ohne Rückwirkung auf den Besteuerungszeitraum der Rechnungserteilung. Die Berichtigung führt also nicht dazu, dass die nach § 14c UStG geschuldete Steuer rückwirkend auf den Zeitpunkt der Rechnungserteilung entfällt (Rz 14). Anders als vorliegend war im dort entschiedenen Fall die Gefährdung des Steueraufkommens bei Insolvenzeröffnung allerdings noch nicht beseitigt, da bis zur Rechtskraft des Urteils es nicht ausgeschlossen war, dass der Rechnungsempfänger die Vorsteuer aus den Rechnungen hätte ziehen können.
Ob einem Anspruch des Klägers in 2011 zudem entgegensteht, dass keine Rückzahlung des von der Steuerpflichtigen vereinnahmten Mehrbetrags an die Firma C erfolgt ist, kann dahinstehen. Ob für die Berichtigung und Zustimmungserteilung des Finanzamts die Rückzahlung erforderlich ist, ist umstritten. Unionsrechtlich ist dies den Mitgliedsstaaten freigestellt (EuGH-Urteil vom 18.06.2009 C-566/07 Stadeco, Slg. 2009, I-5295). Der BFH hat bisher nur für § 14c Abs. 1 UStG entschieden, dass eine wirksame Berichtigung eines Steuerbetrages es grundsätzlich erfordert, dass der Unternehmer die vereinnahmte Umsatzsteuer an den Leistungsempfänger zurückgezahlt hat (BFH-Urteil vom 16.05.2018 XI R 28/16, HFR 2018, 829). Zu der Frage, ob die Rückzahlung zu Unrecht vereinnahmter Beträge an den Rechnungsempfänger Voraussetzung für die Zustimmung des Finanzamts zur Berichtigung des Steuerbetrags nach § 14c Abs. 2 UStG ist, ist derzeit ein Verfahren beim BFH anhängig (BFH XI R 5/18).
Der Einwand der Unzulässigkeit der Aufrechnung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 3 InsO greift nicht durch. Danach ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist (Nr. 1) bzw. wenn er die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat (Nr. 3). Diese Vorschriften betreffen nicht die hier streitige Festsetzung der Umsatzsteuer, sondern die Abrechnung der Umsatzsteuer, die Gegenstand eines eigenen Verfahrens beim Finanzgericht (2 K 938/17) ist.
Soweit der Kläger Zinsen zur Umsatzsteuer 2010 geltend macht und vorträgt, dass diese erst nach Insolvenzeröffnung entstanden und es somit Masseforderungen seien, sind diese bereits deswegen nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, weil sie ein anderes Jahr betreffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, weil der Kläger unterlegen ist.

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