Aktenzeichen Au 7 S 16.258
StVG StVG § 3 Abs. 2, § 28 Abs. 4 Nr. 2
VwGO VwGO § 80 Abs. 3, Abs. 5, § 88
Leitsatz
Der Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis ist nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt, wenn er ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellermitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hatte, § 28 Abs. 4 FeV. Hierbei bilden die vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen gleichsam den “Rahmen”, innerhalb dessen die Gerichte des Aufnahmemitgliedstaates alle Umstände eines vor ihnen anhängigen Verfahrens berücksichtigen dürfen (Anschluss BayVGH ZfS 2012, 416). (red. LS Jan Luckey)
Ein Wohnsitz im Inland kann bereits dann anzunehmen sein, wenn die vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen darauf “hinweisen”, dass sich der Inhaber dieses Führerscheins im Gebiet des Ausstellermitgliedstaates nur für ganz kurze Zeit aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck errichtet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen. Es genügt, dass sich aus ihnen die bloße Möglichkeit einer solchen Sachverhaltsgestaltung ergibt, ohne dass durch sie die Begründung eines reinen Scheinwohnsitzes bereits abschließend erwiesen worden sein muss; die vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen haben also lediglich “Indizcharakter” für die Nichterfüllung des Wohnsitzerfordernisses (hier: Wohnsitz in Tschechien verneint bei einer Auskunft, der Wohnsitz sei “unbekannt”, Erwerbstätigkeit im Inland, widersprüchlichen Meldedaten und Aufenthalt in einem Hotel in Tschechien). (red. LS Jan Luckey)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Dem Antragsteller wurde am 6. April 2005 die deutsche Fahrerlaubnis entzogen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist im Fahreignungsregister eingetragen. Der Antragsteller hat sich am 23. August 2006 bei der Fahrerlaubnisbehörde hinsichtlich der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis informiert, um sich auf die dafür erforderliche medizinisch-psychologische Begutachtung vorbereiten zu können.
Am 4. September 2008 zeigte der Antragsteller im Rahmen einer Polizeikontrolle einen tschechischen Führerschein der Klasse B, ausgestellt und erteilt am 14. November 2007, vor. Als Wohnort ist im Führerschein … angegeben. Der Antragsteller gab gegenüber der Polizei an, im Jahr 2007 in Tschechien einen Nebenwohnsitz gehabt und sich jeweils am Wochenende dort aufgehalten zu haben.
Ausweislich der Informationen aus dem Melderegister der Stadt … war der Antragsteller vom 10. Juni 2005 bis 1. März 2008 mit alleiniger Wohnung in …, …-Straße … sowie ab dem 1. März 2008 in …, …-Straße … gemeldet.
Im Rahmen der Prüfung der Gültigkeit des tschechischen Führerscheins wurden von der Fahrerlaubnisbehörde bei der ausstellenden tschechischen Behörde wiederholt Informationen angefordert. Zusammenfassend ergeben sich für den Antragsteller unterschiedliche Meldedaten in Tschechien:
Laut Aufenthaltsbescheinigungen:
7. Mai 2007 – …
22. Oktober 2007 – …
Laut Auskunft der ausstellenden Behörde, Mag. m. … vom 2. September 2013:
… (keine Stellungnahme der Behörde zu der Aufenthaltsgenehmigung …)
Laut Auskunft der tschechischen Polizei vom 23. Januar 2006:
…, 1. März 2007 bis 21. Februar 2008, … (357 Tage)
Angaben des Antragstellers im Jahr 2007:
Nebenwohnsitz in Tschechien, er habe sich dort jeweils am Wochenende aufgehalten.
Auskunft der tschechischen Behörde vom 4. Mai 2015:
Place where person usually lives for at least 185 days each calender year: unknown
(Ort, an dem die Person mindestens 185 Tage im Jahr lebt: unbekannt)
Mit Schreiben vom 18. Januar 2016 wurde der Antragsteller aufgefordert, seinen tschechischen Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen. Mit Schreiben vom 2. Februar 2016 erwiderte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers, dass der Führerschein nicht freiwillig vorgelegt werde und um einen rechtsmittelfähigen Bescheid gebeten werde.
Mit Bescheid vom 8. Februar 2016 stellte die Fahrerlaubnisbehörde fest, dass die tschechische Fahrerlaubnis der Klasse B, erteilt und ausgestellt am 14. November 2007, den Antragsteller nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV bereits kraft Gesetz nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt (Ziffer 1). Weiter wurde angeordnet, dass auf dem entsprechenden tschechischen Führerschein die Ungültigkeit der Fahrerlaubnisklasse B im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingetragen wird und der tschechische Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb von vier Tagen nach Zustellung des Bescheides, bei der zuständigen Führerscheinstelle zur Eintragung der Aberkennung vorzulegen ist (Ziffer 2). Für den Fall der Nichtbefolgung der Ziffer 2 des Bescheides wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht (Ziffer 3). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 des Bescheides wurde im öffentlichen Interesse besonders angeordnet (Ziffer 4).
Der Antragsteller hat den tschechischen Führerschein zur Eintragung des Sperrvermerks am 18. Februar 2016 vorgelegt. Der mit einem Sperrvermerk versehene tschechische Führerschein wurde dem Antragsteller am 23. Februar 2016 ausgehändigt.
Gegen den Bescheid vom 8. Februar 2016 ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 18. Februar 2016, bei Gericht eingegangen am 19. Februar 2016, unter anderem Klage erheben. Weiter wurde beantragt:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 18. Februar 2016 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 8. Februar 2016, Az.: … wird wiederhergestellt.
Mit der ständigen Rechtsprechung des EuGH sei der – nach Ansicht der Fahrerlaubnisbehörde vorliegende Wohnsitzverstoß – nicht fundiert zu begründen. Unbestreitbar im Sinne dieser Rechtsprechung seien lediglich solche Angaben, welche einen Wohnsitzverstoß positiv belegen würden. Äußerungen aus dem Ausstellerstaat, nach denen ein solcher im höchsten Fall indiziell vorliegen könne, ohne dass hierzu konkrete Angaben gemacht würden, würden im Hinblick auf die Hoheit des Ausstellerstaats über die Erteilung der Fahrerlaubnis nicht ausreichen, um eine Nutzungsberechtigung des ausländischen Führerscheins im Bundesgebiet zu negieren. Die Anforderungen, welche an die Informationen aus dem Ausstellerstaat zu richten seien, seien in eindeutiger Art und Weise in der Entscheidung des EuGH in Rechtssachen Wieser (B. v. 9.7.2009 – Az. C-445/08) definiert und präzisiert worden. Danach sei der Vermerk „unknown“ in der Stellungnahme der tschechischen Behörde nicht ausreichend für einen Nachweis eines Wohnsitzverstoßes.
Der Antragsgegner erwiderte mit Schriftsatz vom 10. März 2016 und beantragte:
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.
Gemäß § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV berechtige eine in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum erteilte Fahrerlaubnis unabhängig vom Erteilungsdatum nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland, wenn der Inhaber ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellermitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung seinen ordentlichen Wohnsitz in Deutschland gehabt habe. Es lägen unbestreitbare Informationen des Ausstellermitgliedstaates Tschechien vor.
Auch wenn der Antragsteller ausführe, er habe seinen Wohnsitz mehr als die erforderlichen 185 Tage in Tschechien gehabt, so stehe dies im Widerspruch zu den verschiedenen Varianten der melderechtlichen Erfassung in Tschechien und letztendlich auch zur letzten Information des Ausstellerstaates: „unknown“. Es sei nicht Aufgabe der deutschen Fahrerlaubnisbehörde, den angeblichen ordentlichen Wohnsitz des Antragstellers zu widerlegen, sondern es sei dessen Aufgabe den ordentlichen Wohnsitz in Tschechien zu belegen. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (U. v. 25.9.2012 – 11 B 10.2427). Der Antragsteller habe bislang nichts vorgetragen, was auf einen ordentlichen Wohnsitz in Tschechien schließen lassen könne. Es würden jegliche Einlassungen zu seinen persönlichen bzw. beruflichen Bindungen im fraglichen Zeitraum an die Orte … bzw. … fehlen. Für den Antragsgegner sei es deshalb nicht nachvollziehbar, aus welchen anderen Gründen als dem Führerscheinerwerb sich der Antragsteller in der Tschechischen Republik aufgehalten haben soll. Dass der Antragsteller seinen Lebensmittelpunkt 2007/2008 in Tschechien gehabt haben soll, stehe der Aussage entgegen, die er 2007 gegenüber der Polizei angab, sich lediglich an Wochenenden in Tschechien aufgehalten zu haben sowie die Tatsache, dass es sich bei der Adresse in … um ein Hotel handele. Das „Wohnen“ in einem Hotel spreche eher für einen kurzfristigen Interimsaufenthalt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist nach § 122 Abs. 1, § 88 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahingehend auszulegen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 8. Februar 2016 nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 2. Alternative VwGO wiederherzustellen ist, da die Fahrerlaubnisbehörde die sofortige Vollziehung der in den Ziffern 1 und 2 getroffenen Verfügungen in Ziffer 4 des Bescheids angeordnet hat. Hinsichtlich der bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Ziffer 3 des Bescheids (Zwangsgeldandrohung, vgl. Art. 21a des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes/BayVwZVG) ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 1. Alternative VwGO nicht gewollt war. Dies ergibt sich daraus, dass der Antragsteller den tschechischen Führerschein bereits am 18. Februar 2016 zur Eintragung des Sperrvermerks vorgelegt hat. Mit der erfolgten Eintragung des Sperrvermerks hat sich Ziffer 3 des Bescheids vom 8. Februar 2016 erledigt. Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung würde damit ins Leere gehen.
Der insoweit zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nicht begründet.
1) Der Antragsgegner hat bei der Anordnung des Sofortvollzugs den in § 80 Abs. 3 VwGO normierten Begründungsanforderungen noch in ausreichender Weise Rechnung getragen. Er hat insbesondere auf die drohende Gefahr hingewiesen, dass der Antragsteller weiterhin am öffentlichen Straßenverkehr teilnimmt und bei Kontrollen einen Führerschein vorzeigt, aus welchem die fehlende Fahrberechtigung für die Bundesrepublik Deutschland nicht hervorgeht. Insbesondere wurde auf die wiederholten Alkoholauffälligkeiten des Antragstellers in der Zeit von 2005 bis 2015 und dessen bislang nicht positiv wiederhergestellte Fahreignung hingewiesen. Im Bereich des Sicherheitsrechts, zu dem auch das Fahrerlaubnisrecht gehört, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der sofortigen Vollziehung darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese Interessenlage auch im konkreten Fall vorliegt. Der Umstand, dass die im streitgegenständlichen Bescheid angesprochenen Gesichtspunkte auch in einer Vielzahl anderer Verfahren zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung verwendet werden können, führt deshalb nicht dazu, dass ein Verstoß gegen § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO vorliegt (BayVGH vom 10.3.2008, Az. 11 CS 07.3453 m. w. N.).
2) Bei der Entscheidung über den vorliegenden Antrag hat das Gericht eine eigenständige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Abzuwägen ist das Interesse des Antragstellers, zumindest vorläufig weiter von seiner Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können, gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, dass dies unverzüglich unterbunden wird. Hierbei sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des eingelegten Hauptsacherechtsbehelfs ausschlaggebend. Der Bürger kann kein schutzwürdiges privates Interesse daran haben, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben. Andererseits kann am sofortigen Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse bestehen. Insoweit ist eine summarische Prüfung der Rechtslage geboten, aber auch ausreichend.
Die erhobene Anfechtungsklage erweist sich nach der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als unbegründet, da die Aberkennung des Rechts des Antragstellers, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis der Klasse B in Deutschland Gebrauch zu machen, sowie die Verpflichtung, seinen tschechischen Führerschein zur Eintragung eines entsprechenden Sperrvermerks vorzulegen, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtmäßig sind und den Antragsteller nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Die in Ziffer 1 des Bescheids vom 8. Februar 2016 getroffene Feststellung ist rechtmäßig. Die dem Antragsteller am 14. November 2007 in Tschechien erteilte tschechische Fahrerlaubnis der Klasse B verleiht ihm nicht das Recht, entsprechende Kraftfahrzeuge in Deutschland zu führen. Das ergibt sich aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV).
Diese Vorschrift ist nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 26. April 2012 (Hofmann, C-419/10 – zfs 2012, 351) mit EU-Recht vereinbar.
Danach gilt die Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland zu führen nicht, wenn der Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellermitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hatte, es sei denn, dass er als Studierender oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben hat. Für letzteres liegen keine Anhaltspunkte vor.
aa) Ein ordentlicher Wohnsitz im Inland wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV dann angenommen, wenn der Inhaber der Fahrerlaubnis wegen persönlicher oder beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden beruflichen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d. h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Diese Vorschrift entspricht der hier einschlägigen Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (nachfolgend: RL 91/439/EWG). Im streitgegenständlichen Führerschein vom 24. Oktober 2007 ist zwar ein tschechischer Wohnsitz eingetragen. Die Ausstellung des Führerscheins ist auch grundsätzlich als Nachweis für die Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses anzusehen (EuGH, U. v. 29.4.2004 – Kapper, C-476/01 – Slg. 2004, I-5205).
bb) Etwas anderes gilt hier aber deshalb, weil unbestreitbare Informationen, die vom Ausstellermitgliedstaat herrühren, belegen, dass der Antragsteller bei Fahrerlaubniserteilung seinen ordentlichen Wohnsitz nicht in der Tschechischen Republik hatte (EuGH, U. v. 26.6.2008 – Wiedemann/Funk, C-329/06 und C-343/06 – NJW 2008, 2403; Zerche u. a., C-334/06 bis C-336/06 – Slg. 2008, I-4691). Zur Beantwortung der Frage, welche Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal „unbestreitbare Informationen“ zu stellen sind, schließt sich das Gericht der umfassenden Begründung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) in seinem Beschluss vom 3. Mai 2012 (Az. 11 CS 11.2795) an, das wie folgt ausführt:
„Bei der Beurteilung, ob der Inhaber einer im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis im Zeitpunkt der Erteilung dieser Berechtigung seinen ordentlichen Wohnsitz im Ausstellermitgliedstaat hatte, sind die Gerichte des Aufnahmemitgliedstaates allerdings nicht schlechthin auf die Informationen beschränkt, die sich dem verfahrensgegenständlichen Führerschein entnehmen lassen oder die sie – ggf. auf Nachfrage hin – sonst vom Ausstellermitgliedstaat erhalten. Vielmehr hat diese Prüfung “unter Berücksichtigung aller Umstände des Rechtsstreits, mit dem es [d. h. das vorlegende Gericht] befasst ist”, zu erfolgen (EuGH vom 26.4.2012, a. a. O., RdNr. 90). Näheren Aufschluss über das Verhältnis zwischen den Informationen, die sich unmittelbar aus dem Führerschein ergeben oder sonst vom Ausstellermitgliedstaat stammen, und den Umständen, die dem nationalen Gericht in dem vor ihm anhängigen Verfahren zusätzlich bekannt geworden sind, erlaubt Satz 1 der Randnummer 75 des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 1. März 2012 (a. a. O.), auf die in der Randnummer 90 der Entscheidung vom 26. April 2012 (a. a. O.) ausdrücklich Bezug genommen wurde. Danach bilden die vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen gleichsam den “Rahmen”, innerhalb dessen die Gerichte des Aufnahmemitgliedstaates alle Umstände eines vor ihnen anhängigen Verfahrens berücksichtigen dürfen. In Wahrnehmung ihrer Befugnis und ihrer Verpflichtung, die vom Ausstellermitgliedstaat stammenden Informationen erforderlichenfalls daraufhin zu bewerten und zu beurteilen, ob sie “unbestreitbar” sind und ob sie belegen, dass der Inhaber des streitgegenständlichen Führerscheins im Zeitpunkt der Erteilung der diesem Dokument zugrunde liegenden Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaates hatte (vgl. zu dieser doppelten Prüfungspflicht der nationalen Gerichte EuGH vom 1.3.2012, a. a. O., RdNr. 74), kann insbesondere der etwaige Umstand berücksichtigt werden, dass die vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen darauf “hinweisen”, dass sich der Inhaber dieses Führerscheins im Gebiet des Ausstellermitgliedstaates nur für ganz kurze Zeit aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck errichtet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (EuGH vom 1.3.2012, a. a. O., RdNr. 75, Satz 2). Hervorzuheben ist an dieser Aussage namentlich, dass sich der Europäische Gerichtshofs hinsichtlich der Frage, welcher Beweiswert den vom Ausstellermitgliedstaat stammenden Informationen für das Nichtbestehen eines ordentlichen Wohnsitzes im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung zukommen muss, damit begnügt, dass sich aus ihnen die bloße Möglichkeit einer solchen Sachverhaltsgestaltung ergibt, ohne dass durch sie die Begründung eines reinen Scheinwohnsitzes bereits abschließend erwiesen worden sein muss. Dass es der Europäische Gerichtshof ausreichen lässt, wenn den vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen lediglich “Indizcharakter” für die Nichterfüllung des Wohnsitzerfordernisses (Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/126/EG; Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG) zukommt, bestätigen z. B. die Fassungen des Satzes 2 der Randnummer 75 des Urteils vom 1. März 2012 (a. a. O.) in allen romanischen Sprachen: Dem deutschen Prädikat “hinweisen” entsprechen dort die Verben “indiquent” (fr.), “indichino” (it.), “indiquem” (port.), “indic” (rum.) bzw. “indiquen” (span.). Auch in der englischen Fassung des Satzes 2 der Randnummer 75 des Urteils vom 1. März 2012 (a. a. O.) kommt zum Ausdruck, dass sich der Europäische Gerichtshof damit begnügt, dass die vom Ausstellerstaat stammenden Informationen eine Missachtung des unionsrechtlichen Wohnsitzerfordernisses als möglich erscheinen lassen (“In particular, it [sc.: the referring court] can take into account the possibility that information from the issuing Member State may show that the holder of the driving licence was present in the territory of that State only for a very brief period …”).“
(Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 03. Mai 2012 – 11 CS 11.2795 -, Rn. 29, juris)
Das erkennende Gericht ist vorliegend davon überzeugt, dass der zugrundeliegende Sachverhalt zu der Annahme zwingt, dass die „bloße Möglichkeit“ eines Nichtbestehens eines ordentlichen Wohnsitzes in Tschechien im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung besteht. Der vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) geforderte „Indizcharakter“ für die Nichterfüllung des Wohnsitzerfordernisses lässt sich anhand mehrerer Umstände begründen.
Am 14. November 2007, zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis und der Ausstellung des tschechischen Führerscheins hatte der Antragsteller seinen ordentlichen Wohnsitz in Deutschland. Ausweislich der Informationen aus dem Melderegister der Stadt … war der Antragsteller vom 10. Juni 2005 bis 1. März 2008 mit alleiniger Wohnung in …, …-Straße … sowie ab dem 1. März 2008 in …, …-Straße … gemeldet.
Der Antragsteller geriet am 4. September 2008 in eine Verkehrskontrolle, wobei er seinen tschechischen Führerschein vorzeigte. Auf Nachfrage der Polizei gab er an, im Jahr 2007 in Tschechien einen Nebenwohnsitz gehabt und sich jeweils am Wochenende dort aufgehalten zu haben. Dies widerspricht der Tatsache, dass er in diesem Zeitraum eine Hausmeistertätigkeit beim Veranstaltungszentrum „…“ in … ausführte, die eine Anwesenheit am Wochenende von ihm forderte. Darüber hinaus ist es rein rechnerisch nicht möglich durch bloße Wochenendaufenthalte mindestens 185 Tage im Jahr in Tschechien zu residieren.
Auch die unterschiedlichen Meldedaten in Tschechien sprechen für einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis. So soll der Antragsteller laut Auskunft der tschechischen Polizei vom 23. Januar 2016 ab 1. März 2007 in … gemeldet gewesen sein. Allerdings steht dem die Aufenthaltsbescheinigung für …, ausgestellt am 7. Mai 2007 entgegen. Hinzu kommt, dass es sich bei der Adresse in … um die eines Hotels handelt. Das „Wohnen“ in einem Hotel spricht typischerweise eher für einen kurzfristigen Interimsaufenthalt und nicht für das Vorhandensein beruflicher oder persönlicher Bindungen bzw. eines entsprechenden Lebensmittelpunkts.
Schließlich antwortete die Behörde Mag. m. … am 4. Mai 2015 auf die Anfrage der deutschen Fahrerlaubnisbehörde, „place where person usually lives for at least 185 days of the calender year“ (Ort, an dem die Person mindestens 185 Tage im Jahr lebt) mit „unknown“ (unbekannt).
Nach Auffassung des Gerichts weist das Gesamtbild der vorhandenen Informationen und Daten darauf hin, dass sich der Antragsteller und Inhaber des tschechischen Führerscheins im Gebiet des Ausstellermitgliedstaats allenfalls für eine kurze Zeit aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck errichtet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung des Führerscheins im Mitgliedsstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen. Dem durch das Gericht gewonnenen Eindruck konnte der Antragsteller nicht entscheidungserheblich entgegentreten. Nach alledem steht für das Gericht fest, dass der Antragsteller unter den jeweiligen tschechischen Adressen nur einen Scheinwohnsitz begründet hat.
b) Rechtsgrundlage für die in Ziffer 2 des Bescheids angeordnete Vorlage des tschechischen Führerscheins zur Eintragung eines Sperrvermerks ist § 3 Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 FeV in entsprechender Anwendung. Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften auf den Fall einer nicht im Sinne des § 28 FeV anzuerkennenden Fahrerlaubnis ist zulässig und geboten, da der Regelungszweck dieser Vorschriften – Vermeidung eines falschen Anscheins der Berechtigung zum Führen eines Kraftfahrzeuges im Inland – nicht nur nach einer Entziehung bzw. Aberkennung des Rechts, von einer ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch machen zu dürfen, besteht, sondern gleichermaßen auch in den Fällen, in denen mangels Anerkennungsfähigkeit die ausländische Fahrerlaubnis von vorneherein nicht das Recht vermittelt, in Deutschland ein Kraftfahrzeug zu führen. Es ist auch kein schützenswertes Interesse des Antragstellers oder ein sonstiger Grund dafür ersichtlich, zwischen den administrativen Folgen einer schon von Gesetzes wegen bestehenden Nichtanerkennungsfähigkeit und den Folgen einer durch Einzelakt gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG erfolgten Aberkennung einen Unterschied zu machen. In beiden Fällen ist ein entsprechender Vermerk unerlässlich für den effektiven Vollzug des Fahrerlaubnisrechts (vgl. VG Augsburg, B. v. 23.6.2009 – Au 7 S 09.669; VG München, Bv. 27.7.2009 – M 1 S 09.2701).
Da der Antragsteller – entsprechend den obigen Ausführungen – nicht berechtigt ist, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, hat ihn der Antragsgegner aufgrund von § 47 Abs. 1 und 2 FeV in analoger Anwendung zu Recht dazu verpflichtet, seinen tschechischen Führerschein mit der Nr. … zur Eintragung eines entsprechenden Sperrvermerks vorzulegen.
Nachdem sich der angefochtene Bescheid in seinen Ziffern 1 und 2 als rechtmäßig erweist und die gegen ihn gerichtete Klage im Hauptsacheverfahren keine Erfolgsaussichten erwarten lässt, war der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in Verbindung mit den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, Nummern 1.5 und 46.3; im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes wurde die Hälfte des im Hauptsacheverfahren in Betracht kommenden Streitwertes angesetzt.