Europarecht

Unwirksamer Widerruf eines Kfz-Finanzierungsdarlehens bezüglich eines BMW 435i

Aktenzeichen  5 U 6044/19

Datum:
20.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 27572
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 314, § 492 Abs. 2
EGBGB Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3

 

Leitsatz

1. Eine richtlinienkonforme Auslegung des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a. F. scheitert daran, dass es dem Senat verwehrt ist, ein vom deutschen Gesetzgeber verabschiedetes Umsetzungsgesetz entgegen dessen erklärten Willen auszulegen (contra legem). Die in Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB a.F. getroffene Regelung ist offensichtlich keiner Auslegung, die sie im Ergebnis ins Gegenteil verkehren würde und faktisch auf eine Nichtanwendung hinausliefe, zugänglich. Sie beruhte auch nicht auf einer ungewollten Regelungslücke oder Nachlässigkeit des deutschen Gesetzgebers, sondern war ausdrücklich gewollt. (Rn. 16 – 22) (red. LS Andy Schmidt)
2. Dass den deutschen Gerichten eine richtlinienkonforme Auslegung contra legem verwehrt ist, entspricht der ständigen Rechtsprechung des EuGH (ebenso EuGH BeckRS 2019, 288).  (Rn. 24) (red. LS Andy Schmidt)

Verfahrensgang

29 O 6843/19 2019-10-02 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 02.10.2019, Aktenzeichen 29 O 6843/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des insgesamt zu vollstreckenden Betrags abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 49.990,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit des von dem Kläger gegenüber der beklagten Bank erklärten Widerrufs eines Kfz-Finanzierungsdarlehens.
Der Kläger hat in erster Instanz geltend gemacht, sein am 23.01.2019 erklärter Widerruf (vgl. Anl. K 3) des am 31.03.2016 geschlossenen Darlehensvertrags sei wirksam, weil die Beklagte ihn nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht informiert habe.
Er hat beantragt,
1.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 52.667,40 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen nach Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs BMW 435i mit der Fahrzeugidentifikationsnummer …35 nebst Fahrzeugschlüsseln und Fahrzeugpapieren.
2.Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des unter Ziffer 1. genannten Fahrzeugs nebst Fahrzeugschlüsseln in Annahmeverzug befindet.
3.Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 923,38 € freizustellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen Und hilfsweise für den Fall, dass die Klage zugesprochen wird, festzustellen, dass der Kläger verpflichtet ist, an die Beklagte Wertersatz für den Wertverlust des Fahrzeugs BMW 435 i mit der Fahrzeugidentifikationsnummer …35 zu leisten, der auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise nicht notwendig war und über den anhand der gefahrenen Kilometer zu ermittelnden Wertersatz nach der Wertersatztheorie hinausgeht.
Die Klagepartei hat die Abweisung der Hilfswiderklage beantragt.
Das Landgericht München I hat mit Endurteil vom 02.10.2019 die Klage abgewiesen, weil der Widerruf verfristet und damit unwirksam gewesen sei. Dem Kläger seien alle erforderlichen Pflichtangaben erteilt worden. Die wirksam in den Vertrag einbezogenen Widerrufsinformationen seien nicht zu beanstanden. Die Beklagte könne sich jedenfalls auf die Schutzwirkung des Musters nach Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. berufen.
Dagegen richtet sich die nach Zustellung am 10.10.2019 am 22.10.2019 eingelegte Berufung, die der Kläger nach Fristverlängerung bis zu 10.01.2020 am 09.01.2020 begründet hat. Er rügt, die Rechtsfolgen des Widerrufs seine falsch dargestellt. Auf die Schutzwirkung des Musters könne sich die Beklagte nicht berufen. Fehlerhaft sei auch die Darstellung der Zugangsmöglichkeiten zum außergerichtlichen Beschwerdeverfahren. Die Auszahlungsbedingungen des Kredits seien nicht vollständig im Vertrag angegeben. Der Hinweis auf das ordentliche Kündigungsrecht gem. § 500 BGB fehle. Die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung sei nicht korrekt dargestellt worden. Der Kaskadenverweis in § 492 Abs. 2 BGB sei undeutlich. Weiter fehle der Hinweis, dass der Anspruch auf einen kostenfreien Tilgungsplan bestehe.
Der Kläger beantragt,
das Ersturteil aufzuheben und nach seinen erstinstanzlichen Anträgen zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat mit dem Kläger am 05.03.2020 zugestellten Beschluss vom selben Tag darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit Schriftsatz vom 09.04.2020. Der Senat folge ohne Kritik den Entscheidungen des BGH, welche sich nunmehr jedenfalls teilweise als europarechtswidrig herausstellten. Das Urteil vom 26.02.2020, Az. C-66/19 entspreche der gefestigten Rechtsprechung des EuGH zur Verbraucherkreditrichtlinie. Der Kaskadenverweis sei ausweislich Rn. 48 des EuGH – Urteils europarechtswidrig. Die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters entfalle, weil der BGH den Tageszins von 0,00 € für eine individualvertragliche Regelung halte.
Die Auffassung des BGH zur Belehrung über die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung im Urteil vom 5.11.2019-XI ZR 650/18, Rn. 40ff sei nach dem Urteil des EuGH vom 26.02.2020 offensichtlich kein acte clair (so aber BGH, Beschluss vom 11.02.2020-XI ZR 648/18-Rn.17), sondern europarechtswidrig. Da es schon nicht ausreiche, wenn der Unternehmer auf konkrete Gesetzesnormen verweise, die für jedermann zugänglich seien, reiche es erst recht nicht aus, wenn er auf die nach der BGH-Rechtsprechung maßgebenden Parameter verweise. Ebenfalls europarechtswidrig sei die Auffassung des BGH zum Verzugszinssatz im Urteil vom 05.11.2019-XI ZR 650/18, Rn. 52. Erforderlich sei die Angabe des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Zinssatzes, wie aus dem Urteil des EuGH vom 26.02.2020 zu schließen sei. Die Belehrung genüge auch nicht den Anforderungen des Art. 10 Abs. 2 Buchstabe t Verbraucherkreditrichtlinie und des korrespondierenden Art. 247 § 7 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB. Denn auch die Rechtsprechung des BGH zum Zugang zu außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren, der die Regelung für klar und prägnant halte (BGH, Beschluss vom 11.02.2020-XI ZR 648/18, Rn. 37ff), sei nach dem Urteil vom 26.02.2020 europarechtswidrig, weil der Verweis auf die Internetseite eines privaten Vereins nicht genüge, um sich die vom Gesetz vorgeschriebenen Pflichtangaben außerhalb der Vertragsunterlagen selbst zusammenzusuchen. Ausnahmen von der vollständigen Informationspflicht etwa durch Hypertext-Links bestünden nur, wenn ein Vertrag mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen werde, was vorliegend nicht der Fall sei.
Zur Ergänzung wird auf das erstinstanzliche Urteil, die in der Berufungsinstanz eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den genannten Hinweisbeschluss des Senats Bezug genommen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 02.10.2019, Aktenzeichen 29 O 6843/19, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Die weiteren Ausführungen des Klägers mit Schriftsatz vom 09.04.2020 veranlassen nicht zu einer geänderten Beurteilung.
1. Die Ansicht des Klägers, die Beklagte könne sich nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion gemäß Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a. F. i. V. m. Anlage 7 berufen, denn die Musterwiderrufsinformation sei wegen des sog Kaskadenverweises in Satz 2 nicht klar und prägnant (Schriftsatz vom 06.04.2020, S. 3/16, Bl. 573/586 d. A.), teilt der Senat nicht. Entgegen der Berufung lässt sich diese Rechtsfolge auch nicht mit der Entscheidung des EuGH vom 26.03.2020 – C-66/19 begründen.
I) Zwar vertritt der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 26.03.2020 – C-66/19, auf dessen Ausführungen Bezug genommen wird, die Auffassung, dass eine sog. Kaskadenverweisung den Beginn der Widerrufsfrist nicht hinreichend klar und prägnant bezeichne.
I) Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Auffassung ist jedoch nicht geboten, da sich die Beklagte jedenfalls auf die Gesetzlichkeitsfiktion gemäß Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. i. V. m. Anlage 7 berufen kann. Nach der eindeutigen Regelung des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. i. V. m. Anlage 7 genügt der Darlehensgeber seinen Informationspflichten, wenn er in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form eine Vertragsklausel verwendet, die bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen dem Muster in Anlage 7 entspricht.
I) Eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung von Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. i. V. m. Anlage 7 ist nicht möglich.
(I) Der Gesetzgeber des Gesetzes zur Einführung einer Musterwiderrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge, zur Änderung der Vorschriften über das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen und zur Änderung des Darlehensvermittlungsrechts vom 24. Juli 2010 (BGBl. I S. 977) hat – worauf der Bundesgerichtshof zutreffend hinweist (vgl. Beschluss vom 19.03.2019 – XI ZR 44/18) – den Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB mit Gesetzesrang als eine klare und verständliche Gestaltung der Information über die Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist vorgegeben. Aus dem Gesetzeswortlaut, der Systematik und den Materialien der zum 30. Juli 2010 in Kraft getretenen Änderungen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche ergibt sich, dass der Gesetzgeber selbst eine Erläuterung anhand des um Beispiele ergänzten § 492 Abs. 2 BGB nicht nur für sinnvoll (BT-Drucks. 17/1394, S. 25 f.), sondern als mit den sonstigen gesetzlichen Vorgaben in Einklang stehend erachtete. Durch die schließlich Gesetz gewordene Auswahl der für eine Mehrzahl unterschiedlicher Vertragstypen relevanten Beispiele (BT-Drucks. 17/2095, S. 17) brachte der Gesetzgeber überdies zum Ausdruck, dem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher die Ermittlung der für den einschlägigen Vertragstyp jeweils relevanten Pflichtangaben anhand des Gesetzes zuzutrauen. Über dieses gesetzgeberische Gesamtkonzept dürfen sich die Gerichte, die ihrerseits der Gesetzesbindung unterliegen, bei der Auslegung des gleichrangigen übrigen nationalen Rechts zur Umsetzung der Richtlinie 2008/48/EG nicht hinwegsetzen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.02.2019 – 6 U 88/18, juris Rn. 12 ff., 19).
(I) Eine richtlinienkonforme Auslegung des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. scheitert jedenfalls daran, dass es dem Senat verwehrt ist, ein vom deutschen Gesetzgeber verabschiedetes Umsetzungsgesetz entgegen dessen erklärten Willen auszulegen (contra legem).
Die in Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB a.F. getroffene Regelung ist offensichtlich keiner Auslegung, die sie im Ergebnis ins Gegenteil verkehren würde und faktisch auf eine Nichtanwendung hinausliefe, zugänglich. Sie beruhte auch nicht auf einer ungewollten Regelungslücke oder Nachlässigkeit des deutschen Gesetzgebers, sondern war ausdrücklich gewollt.
(I) In der Entscheidung, der Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB sei unzureichend klar und verständlich, läge eine Missachtung der gesetzlichen Anordnung, die dazu führte, dass das Regelungsziel des Gesetzgebers in einem wesentlichen Punkt verfehlt und verfälscht und einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Norm ein entgegengesetzter Sinn gegeben würde. Dazu sind die Gerichte nicht befugt (BGH, Beschluss vom 19.03.2019 – XI ZR 44/18; BGH, Urteil vom 03.07.2018 – XI ZR 702/16 und Beschluss vom 02.04.2019 – XI ZR 488/17).
Dass den deutschen Gerichten eine – grundsätzlich gebotene (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 14. Juli 1994 – C – 91/92, Rz. 26) – richtlinienkonforme Auslegung contra legem verwehrt ist, entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urteil vom 22.01.2019 – C-193/17 -, Rn. 74; EuGH, Urteil vom 17.04.2018 – C-414/16 -, Rn. 71, juris; in diesem Sinne Urteil vom 19. April 2016, DI, C-441/14, ECLI:EU:C:2016:278, Rn. 31 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung; EuGH, Urteil vom 26.09.1996 – C -168/95; vgl. etwa auch BAG, Beschluss vom 18.02.2003 – 1 ABR 2/02, Rz. 66 m. w. N., DB 2003, 1387, 1389).
I) Es ist dem Senat schließlich verwehrt, die Vorschrift des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. nicht anzuwenden.
Etwas anderes ergibt sich weder aus der Rechtsnatur der zugrundeliegenden Richtlinie 2008/48 EG noch aus der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH.
(I) Richtlinien sind gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbar, sondern müssen erst von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgewandelt werden. Unmittelbar anzuwenden sind die zur Umsetzung einer Richtlinie ergangenen mitgliedstaatlichen (Umsetzungs-) Gesetze, hier also Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB. Selbst insgesamt nicht umgesetzten Richtlinien kommt im Verhältnis zwischen Bürgern untereinander grundsätzlich keine unmittelbare Geltung zu. Die Zuerkennung einer unmittelbaren (horizontalen) Wirkung auch im Verhältnis von Privatrechtssubjekten würde die Kompetenzordnung des EG-Vertrags zu Lasten der Mitgliedstaaten verschieben, die insoweit auf ihre souveränen Rechte nicht zugunsten der Gemeinschaftsorgane verzichtet haben (BAG, Beschluss vom 18.02.2003 – 1 ABR 2/02 -, BAGE 105, 32, Rn. 85; EuGH, Urteil vom 14.07.1994 – C-91/92). Eine Ausdehnung der Möglichkeit, sich auf nicht oder nicht richtig umgesetzte Richtlinien zu berufen, auf den Bereich der Beziehungen zwischen Privaten liefe nämlich darauf hinaus, der Union die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung Verpflichtungen zulasten der Einzelnen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 22.01.2019 – C-193/17, Rn. 72, juris; EuGH, Urteil vom 06.11.2018, Bauer und Willmeroth, C-569/16 und C-570/16, ECLI:EU:C:2018:871, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung; EuGH, Urteil vom 10.10.2017, C-413/15; EuGH, Urteil vom 14. Juli 1994 – C-91/92).
Ein mitgliedstaatliches Umsetzungsgesetz nicht anzuwenden – mit der faktischen Konsequenz der unmittelbaren Anwendung der Richtlinie – kommt auch nach der Rechtsprechung des EuGH nur in Ausnahmefällen in Betracht. Dazu zählt der Fall, wenn die Beklagte – unmittelbar oder mittelbar – Teil der staatlichen Gewalt ist, (vgl. EuGH, Urteil vom 22.01.2019 – C – 193/17 (Cresco); EuGH, Urteil vom 06.10.2015, C-508/14 m. w. N.; EuGH, Urteil vom 26.09.1996 – C-168/95; EuGH, Urteil vom 10.06.1982 – 255/81; EuGH, Urteil vom 19. 01.1982 – 8/81; BVerwG, Urteil vom 28.10.2010 – 2 C 52/09).
Vergleichbares gilt, wenn die nationalen Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit einer Richtlinie ausgelegt werden können, das vorlegende Gericht aber gleichwohl gehalten wäre, den Rechtsschutz zu gewährleisten, da andernfalls die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts oder die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt wären (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Januar 2019 – C-193/17 -, Rn. 78); hier kommt im Verhältnis zweier nicht staatlicher Beteiligter aber letztlich nicht die Richtlinie zur unmittelbaren Anwendung, vielmehr entfalten die dahinterstehenden allgemeinen Grundsätze resp. Grundrechte unmittelbare Wirkung.
Beide Ausnahmen greifen hier nicht. Weder ist die Beklagte (unmittelbar oder mittelbar) Teil der Staatsgewalt, noch werden im Falle einer Anwendung des nationalen Rechts allgemeine Grundsätze des Unionsrechts oder Grundrechte verletzt.
2. Der Umstand, dass 0,00 € eingesetzt ist, ergibt sich daraus, dass die Musterbelehrung mit dem jeweils vereinbarten Tageszinssatz auszufüllen ist, so dass zwangsläufig jeweils unterschiedliche Zahlen genannt werden. Dies lässt aber keine individualvertragliche Regelung entstehen, für die der Musterschutz dann nicht mehr gelten würde.
3. Soweit der Kläger erneut die Passagen über die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung und über das außergerichtliche Beschwerdeverfahren entgegen der Rechtsprechung des BGH (Beschlüsse vom 1.02.2020-XI ZR 648/18 und 04.02.2020-XI ZR 175/19) für europarechtswidrig hält, folgt der Senat dem nicht. Hinsichtlich der Angaben betreffend die Berechnungsmethode für eine Vorfälligkeitsentschädigung gemäß Art. 247 § 7 Nr. 3 EGBGB a.F. ist auf das Urteil des BGH, a.a.O. zu verweisen, Rn. 40 bis 50. Ein Anlass, das Verfahren dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen, bestand nicht, wie der BGH im Beschluss vom 11.02.2020-XI ZR 648/18 Rn.14 bis 19 überzeugend ausgeführt hat. Der BGH führt in Rn.17 aus, dass entgegen der vom Einzelrichter des LG Ravensburg vertretenen Auffassung die richtige Auslegung des Unionsrechts, nach der die vom Darlehensgeber hinsichtlich der Vorfälligkeitsentschädigung zu erteilenden Angaben keiner Darstellung einer finanzmathematischen Berechnungsformel bedürften, derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bliebe (“acte clair, vgl. EuGH, Slg.1982, 3415 Rn.16-C.I.L.F.I.T.), ein zulassungsrelevanter Meinungsstreit bestehe entgegen der Ansicht des Einzelrichters des Landgerichts Ravensburg seit dem 05. November 2019-XI ZR 650/18 und XI ZR 11/19 nicht mehr, § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Dem schließt sich der Senat vollumfänglich an.
4. Hinsichtlich des außergerichtlichen Beschwerdeverfahrens ist wie bereits hingewiesen auf BGH, Beschluss vom11.02.2020-XI ZR 648/18, Rn. 40 zu verweisen. Die Verweisung entsprach der damaligen Rechtslage. Die Berechnung des Verzugszinssatzes war Gegenstand des Urteils BGH vom 5.11.2019 und wurde überzeugend für vorschriftsmäßig erachtet. Der Senat schließt sich auch insoweit der Rechtsauffassung des BGH und nicht der des LG Ravensburg an (BGH, Urt. V. 05.11.2019, XI ZR 650/18 Rn. 52). Insoweit sieht der BGH auch keinen Anlass zu einer EuGH-Vorlage (Beschluss v. 11.2.2020, XI ZR 648/18, Rn. 22). Der Senat schließt sich auch hier der Auffassung des BGH an.
5. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO für eine Revisionszulassung liegen nicht vor. Der Bundesgerichtshof hat im Termin vom 05.11.2019 über die in der Berufungsbegründung angebrachten Einwände gegen die Widerrufsbelehrung der Beklagten im Hinblick auf die Belehrung über das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 314 BGB, die Informationen zu den Voraussetzungen und der Berechnungsmethode für den Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung und die Angaben über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung verhandelt und diese verworfen (vgl. BGH, Urteile vom 05.11.2019 – XI ZR 650/18 und XI ZR 11/19), so dass die Widerrufsfrist längst abgelaufen ist. Auch hinsichtlich der weiteren Einwendungen wurde die Lösung aufgrund der vorhandenen Rechtsprechung gefunden. Aus demselben Grund ist eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung möglich, § 522 Abs. 2 Nr. 3, 4 ZPO. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten, weil die Rechtsverfolgung für den Kläger noch die Beklagte existentielle Bedeutung hat und das erstinstanzliche Urteil zutreffend begründet ist (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO; vgl. dazu Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags vom 1. Juli 2011, BT-Drucks. 17/6406, Seite 9). Der Umstand, dass eine einheitliche Entscheidung des Revisionsgerichts in mehreren denselben Sachverhaltskomplex betreffenden Parallelverfahren angestrebt wird, gibt der Sache keine allgemeine, mithin grundsätzliche Bedeutung. Dies gilt auch dann, wenn es sich zwar um eine Vielzahl von Einzelverfahren handelt, es aber nicht ersichtlich ist, dass deren tatsächliches oder wirtschaftliches Gewicht Allgemeininteressen in besonderem Maße berührt (BGH, Beschluss vom 21. November 2018 – VII ZR 1/18 -, Rn. 13, juris, m.w.N.). Es liegt auch kein Fall der Divergenz vor. Die Revision ist zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung wegen Divergenz zuzulassen, wenn in der Entscheidung des Berufungsgerichts ein abstrakter Rechtssatz aufgestellt wird, der von einem in anderen Entscheidungen eines höheren oder eines gleichgeordneten Gerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz abweicht. Eine solche Abweichung ist nicht ersichtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 28.06.2016, II ZR 290/15, Rn. 7, juris m.w.N.). Die Voraussetzungen für ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 Abs. 3 AEUV liegen nicht vor. Es bestehen keine vernünftigen, entscheidungserheblichen Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts, noch Zweifel an der Gesetzeskonformität des innerstaatlichen Umsetzungsrechts (vgl. BGH, Urteil vom 03.07.2018 – XI ZR 520/16; BGH, Urteil vom 22.05.2012 – XI ZR 290/11; EuGH, Urteil vom 06.10.1982 – Rs 283/81, NJW 1983, 1257, Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 148 ZPO, Rn. 3b).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen