Aktenzeichen W 10 K 18.50490
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1a
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2c S. 2
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 13 Abs. 2, Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1d, Art. 23 Abs. 2, Art. 29 Abs. 2 S. 1
Leitsatz
1 Auch im Dublin-Verfahren muss das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung aufgrund seiner engen Verbindung zur Achtung der Würde des Menschen und seines daraus resultierenden absoluten Charakters vollumfänglich beachtet werden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Bezug auf Österreich liegen offensichtlich keine systemischen Mängel des Asylverfahrens vor, dort herrschen auch keine unzureichenden Aufnahmebedingungen. Asylbewerber haben einen Zugang zu einem rechtsstaatlichen Verfahren mit Beschwerdemöglichkeiten. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die gesetzliche Vermutung, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, kann nur durch Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung über das Vorliegen schwerwiegender oder lebensbedrohlicher Erkrankungen widerlegt werden. Zahnschmerzen begründen keine Reiseunfähigkeit. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Über die Klage konnte durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 VwGO vorliegen. Dem Kläger wurde mit Schreiben des Gerichts vom 19. November 2018 die Gelegenheit gegeben, sich zur Frage einer etwaigen Entscheidung durch Gerichtsbescheid zu äußern. Eine Stellungnahme erfolgte nicht. Die Beklagte hat einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid bereits mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2018 zugestimmt.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 11. Oktober 2018 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) insgesamt rechtmäßig und verletzt den Kläger bereits deshalb nicht in seinen Rechten, § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO.
1. Die in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids getroffene Entscheidung des Bundesamts, den Asylantrag des Klägers als unzulässig abzulehnen, ist rechtmäßig. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Die Zuständigkeit Österreichs ergibt sich vorliegend aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 2 Dublin III-VO, da der Kläger zunächst von einem Drittstaat kommend nach Österreich eingereist ist, einen Asylantrag gestellt hat und sich dort fünf Monate aufgehalten hat. Da das Wiederaufnahmegesuch innerhalb der Frist des Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO an Österreich gerichtet wurde, ist die Zuständigkeit auch nicht auf die Beklagte übergegangen. Dementsprechend haben sich die österreichischen Behörden mit Schreiben vom 10. Oktober 2018 unter Verweis auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO mit der Rücküberstellung des Klägers nach Österreich einverstanden erklärt. Auch auf der Grundlage von Art. 29 Abs. 2 Satz 1 der Dublin III-VO ergibt sich keine Zuständigkeit der Beklagten wegen Ablaufs der Überstellungsfrist.
Ein Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte ergibt sich auch nicht aus der rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nach Österreich. Nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO besteht ein Überstellungshindernis, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem zu überstellenden Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU – Grundrechtecharta mit sich bringen. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO beruht auf der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dass das in Art. 4 der EU – Grundrechtecharta enthaltene Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung von fundamentaler Bedeutung ist und aufgrund der engen Verbindung zur Achtung der Würde des Menschen (Art. 1 der EU – Grundrechtecharta) und seines daraus resultierenden absoluten Charakters auch in Dublin-Verfahren vollumfänglich beachtet werden muss (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417; U.v. 5.4.2016 – C-404/15, C-659/15 – NJW 2016, 1709 Rn. 85, 86; U.v. 16.2.2017 – C-578/16 – NVwZ 2017, 691 Rn. 59).
Das gemeinsame Europäische Asylsystem fußt auf dem „Prinzip gegenseitigen Vertrauens“ bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 79). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80). Hierbei handelt es sich zwar um eine widerlegliche Vermutung. Die Anforderungen an die Feststellung systemischer Mängel und eine daraus resultierende Widerlegung der Sicherheitsvermutung sind allerdings hoch. Im Hinblick auf das Ziel der Dublin III-VO, zügig und effektiv den für das Asylverfahren zuständigen Staat zu bestimmen, können geringfügige Verstöße hierfür nicht ausreichen. Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss vielmehr ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller defizitärer Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 der EU – Grundrechtecharta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41). Erforderlich ist insoweit die real bestehende Gefahr, dass in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, die grundlegende Ausstattung mit den notwendigen, zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse elementaren Mitteln so defizitär ist, dass der materielle Mindeststandard nicht erreicht wird und der betreffende Mitgliedstaat dieser Situation nicht mit geeigneten Maßnahmen, sondern mit Gleichgültigkeit begegnet (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – juris Rn. 34 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann allerdings die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem zu überstellenden Mitgliedstaat nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR,B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – ZAR 2013, 336, 70 f.). Der EGMR führt in seiner Entscheidung aus, dass Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien enthalte, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihnen dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Einer Dublin-Überstellung stünden nur außergewöhnliche zwingende humanitäre Gründe entgegen.
Entsprechend vorstehender Ausführungen geht das Gericht auf der Basis einer Gesamtwürdigung nach dem aktuellen Erkenntnisstand und im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) davon aus, dass in Bezug auf Österreich offensichtlich keine systemischen Mängel des Asylverfahrens vorliegen oder dort unzureichende Aufnahmebedingungen herrschen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 der EU – Grundrechtecharta gewährleisteten Rechte führen. Dafür gibt es weder Anhaltspunkte, noch hat der Kläger derartige Mängel geltend gemacht. Asylbewerber haben in Österreich entsprechend dem Grundrecht auf Asyl Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Darüber hinaus gewährleistet Österreich eine kostenlose medizinische Versorgung, zu der Asylbewerber und Dublin-Rückkehrer in gleicher Weise Zugang haben, wie österreichische Staatsbürger. Die Gesundheitsfürsorge in Österreich ist umfassend und auf hohem Niveau. Asylbewerber haben in Österreich darüber hinaus einen Anspruch auf Grundversorgung, die bis zu einer endgültigen Entscheidung im Verfahren gewährt wird und erhalten eine Unterkunft (vgl. Asylum Information Database, Country Report: Austria, Stand: März 2018, abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/ report-download/ aida_at_2017update.pdf).
Das Gericht schließt sich daher der Einschätzung zahlreicher anderer Verwaltungsgerichte an, dass Österreich über ausreichende Unterbringungskapazitäten sowie ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt (vgl. VG München, B.v. 16.8.2018 – M 9 S 18.52543 – juris; VG Greifswald, B.v. 8.11.2017 – 6 B 2037/17 As HGW – juris; VG Augsburg, B.v. 5.8.2015 – Au 3 S 14.50165 – juris; VG Minden, B.v. 22.5.2015 – 1 L 545/15.A – juris; VG Köln, U.v. 11.5.2015 – 14 K 799/15.A – juris; VG Ansbach, B.v. 5.3.2015 – AN 14 S 15.50026 – juris; VG Bayreuth – B.v. 12.12.2014 – B 1 S 14.50116 – juris).
Weiterhin liegen auch keine außergewöhnlichen Umstände vor, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht bzw. eine Selbsteintrittspflicht der Beklagten nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten.
2. Die in Ziffer 2 des Bescheids enthaltene Feststellung der Beklagten, dass im Fall des Klägers keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Insoweit wird auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
3. Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheids ist § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 29 Absatz 1 Nr. 1 AsylG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Das Gericht vermag alleine in Ansehung der Zahnprobleme des Klägers auch nicht zu erkennen, dass dessen Gesundheitszustand einer Abschiebung entgegenstehen würde. Bloße Zahnschmerzen können keine Reiseunfähigkeit begründen. Nach § 60a Abs. 2c AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Diese gesetzliche Vermutung kann nur durch Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung widerlegt werden (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). An einem derartigen Nachweis fehlt es vorliegend bereits. Bei den vom Kläger vorgetragenen Schmerzen handelt es sich auch nicht um lebensbedrohliche oder schwerwiegende Krankheiten im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Der Kläger kann seine Krankheiten zudem auch in Österreich behandeln lassen.
4. Letztlich sind auch keine Ermessensfehler bei der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung in Ziffer 4 des Bescheids ersichtlich.
Damit erweist sich der streitgegenständliche Bescheid vom 11. Oktober 2018 insgesamt als rechtmäßig. Die Klage war damit vollständig abzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.