Europarecht

Verjährungshemmung durch Güteverfahren in Anlageberatungsfällen

Aktenzeichen  21 U 3851/14

Datum:
20.6.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 11829
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 199 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, § 204 Abs. 1 Nr. 4, § 209, § 214 Abs. 1
EGBGB Art. 229 § 6 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

1. In Anlageberatungsfällen erfordert die für die Hemmung der Verjährung durch einen Güteantrag erforderliche Individualisierung des Anspruchs die konkrete Bezeichnung der Kapitalanlage, die Angabe der Zeichnungssumme sowie des (ungefähren) Beratungszeitraums und des Hergangs der Beratung mindestens im Groben. Ferner ist das angestrebte Verfahrensziel zumindest soweit zu umschreiben, dass dem Gegner und der Gütestelle ein Rückschluss auf Art und Umfang der begehrten Forderung möglich ist. Eine genaue Bezifferung der Forderung muss der Güteantrag demgegenüber grundsätzlich nicht enthalten (Anschluss an BGH BeckRS 2015, 11751 Rn. 25). (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus europarechtlichen Normen ergeben sich keine Vorgaben für die Anforderungen an die Individualisierung des in einem Güteantrag geltend gemachten (prozessualen) Anspruchs (Anschluss an BGH BeckRS 2016, 05145 Rn. 18). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

III ZB 79/15 2016-02-25 Bes BGH LG Ingolstadt

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 29.08.2014, Az. 43 O 947/13 Kap, wird zurückgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil des Senats und das in Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen, §§ 540, 313 a ZPO.
II. Die gemäß § 511 ff. ZPO zulässige Berufung der Kläger hat in der Sache keinen Erfolg.
Wie das Landgericht in seinen unter Ziffer II dargestellten Hilfsüberlegungen ausgeführt hat, stehen den Klägern gegen die Beklagte aufgrund der Zeichnung der streitgegenständlichen Anlage keine Schadensersatzansprüche zu, da diese verjährt und daher nicht mehr durchsetzbar sind. Diese Wertung ist durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25.02.2016, Az. III ZB 79/15, in diesem Verfahren umfassend bestätigt worden. Die Einwände der Klageseite hiergegen verfangen aus Sicht des Senats nicht.
Im Einzelnen:
1. Die Klageforderung ist wegen Ablaufs der kenntnisunabhängigen Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB insgesamt verjährt, § 214 Abs. 1 BGB, weil der Güteantrag der Klägervertreter vom 29.12.2011, Anlage K 1 a, nicht den Anforderungen an die nötige Individualisierung des geltend gemachten prozessualen Anspruchs nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB entspricht.
Die zehnjährige Verjährungsfrist begann am 01.01.2002 zu laufen, § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB, Art 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB und endete am 02.01.2012 (Montag), § 193 BGB.
Die Einreichung der Klage erfolgte mit Schriftsatz vom 10.06.2013, bei Gericht eingegangen am 20.06.2013, und damit nach Ablauf der Verjährungsfrist.
2. Dass der Güteantrag hier nicht hinreichend individualisiert ist, ergibt sich im vorliegenden Fall insbesondere -konkret und höchstrichterlich- aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25.02.2016, Az. III ZB 79/15, der die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestätigt und fortführt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, insbesondere konkretisiert in den Entscheidungen vom 18.06.2015, Az. III ZR 189/14, III ZR 191/14, III ZR 198/14, III ZR 227/14, III ZR 356/14 und III ZB 88/15, III ZB 74/15 und zuletzt III ZR 90/15 (Beschluss vom 04.05.2016), genügt ein Güteantrag den Anforderungen an die für die Bewirkung der Verjährungshemmung nötige Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs in Anlageberatungsfällen dann, wenn er die konkrete Kapitalanlage bezeichnet, die Zeichnungssumme sowie den (ungefähren) Beratungszeitraum angibt und den Hergang der Beratung zumindest im Groben umreißt. Ferner ist das angestrebte Verfahrensziel zumindest soweit zu umschreiben, dass dem Gegner und der Gütestelle ein Rückschluss auf Art und Umfang der begehrten Forderung möglich ist. Eine genaue Bezifferung der Forderung muss der Güteantrag seiner Funktion gemäß demgegenüber grundsätzlich nicht enthalten. Auch bedarf es für die Individualisierung nicht der Angabe von Einzelheiten, wie sie für die Substantiierung des anspruchsbegründenden Vorbringens erforderlich sind.
Entgegen der Rechtsansicht der Kläger genügt der vorliegende Güteantrag vom 29.12.2011 diesen Anforderungen nicht. Er nennt zwar den Namen und die Anschrift des Klägers (als „antragsstellende Partei“), die Fondsgesellschaft, die Vertragsnummer und die Summe der Einlagen („10.225,84 € zzgl. 5% Agio“) sowie eine Reihe der geltend gemachten Beratungsmängel. Der Name des Beraters und der Zeitraum der Beratung und Zeichnung werden demgegenüber nicht erwähnt. Vor allem aber bleibt – und diesen Punkt sieht der Senat in Übereinstimmung mit dem Bundesgerichtshof als maßgeblich an- das angestrebte Verfahrensziel (Art und Umfang der Forderung) im Dunkeln. Im Güteantrag ist davon die Rede, dass die antragstellende Partei so zu stellen sei, als ob keine Beteiligung zustande gekommen wäre. Der geforderte Schadensersatz umfasse „sämtliche aufgebrachten Kapitalbeträge sowie entgangenen Gewinn und ggf. vorhandene sonstige Schäden (z. B. aus Darlehensfinanzierung oder Steuerrückzahlungen)“ sowie Rechtsanwaltskosten und „künftig noch aus der Beteiligung entstehende Schäden“ (Anlage K 1 a, S. 7). Dabei bleibt ausdrücklich offen („ggf“), ob und inwieweit das eingebrachte Beteiligungskapital fremdfinanziert wurde, so dass ein etwaiger Schaden auch oder gar zu einem großem Teil in den aufgebrachten Zins- und Tilgungsleistungen bestehen konnte. Auch die weiteren Schäden (entgangener Gewinn und sonstige Schäden) sind nicht abschätzbar. Die Größenordnung des geltend gemachten Anspruchs ist für die Beklagte (als Antragsgegnerin und Schuldnerin) und für die Gütestelle hiernach aus dem Güteantrag nicht zu erkennen und auch nicht wenigstens im Groben einzuschätzen gewesen.
3. Aus europarechtlichen Normen, so auch der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 25.02.2016, ergeben sich keine Vorgaben für die Anforderungen an die Individualisierung des in einem Güteantrag geltend gemachten (prozessualen) Anspruchs. Die Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG L 171/12) betrifft den Verbrauchsgüterkauf (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie) und somit nicht die Kapitalanlageberatung und erhält darüber hinaus auch keine Bestimmungen zum Inhalt eines Güteantrags. Den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (ABl. EU L 165/63) genügt § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB, wobei es offen bleiben kann, ob diese Richtlinie auf Gütestellen im Sinne des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB überhaupt Anwendung findet. Vorgaben für den erforderlichen Inhalt eines Güteantrags ergeben sich aus Art. 12 Abs. 1 der genannten Richtlinie ohnehin nicht. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Artikel 19 Abs. 3 b des Vertrages über die Europäische Union und Artikel 267 Abs. 2, 3 AEUV durch den Senat als hier letztinstanzliches Gericht ist entbehrlich. Die vorgenannten Erwägungen ergeben sich ohne Weiteres aus dem Wortlaut der Richtlinien, so dass die richtige Anwendung des Unionsrechts offenkundig ist und für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt. Die bloße Rechtsbehauptung einer Partei zwingt nicht zur Vorlage nach Art. 267 AEUV (vgl. EuGH, Urteil vom 15.09.2005, -C-495/03).
4. Da sich die Klage als von vornherein unbegründet erweist, war die Berufung der Kläger insgesamt zurückzuweisen. Der insoweit titulierte Ausspruch in Ziffer 1 des Tenors enthält damit inzident auch die Abweisung des im Termin vom 20.06.2016 gestellten Antrags auf Feststellung der Teilerledigung der Hauptsache, nachdem die Beklagte der Teilerledigterklärung im Termin ausdrücklich widersprochen hat, ebenso der weiteren in der Berufung gestellten Leistungsanträge.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorliegen. Sämtliche hier aufgeworfenen Rechtsfragen sind durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geklärt.

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