Europarecht

Verlust des Rechts auf Freizügigkeit – Erfolgloses Begehren der Berufungszulassung

Aktenzeichen  10 ZB 18.603

Datum:
14.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 35633
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 4 S. 4
FreizügG § 2 Abs. 1, Abs. 2, § 4a Abs. 1, § 5 Abs. 4
RL 2004/38 (EG) Art. 7 Abs. 1

 

Leitsatz

Sowohl nach den europarechtlichen Vorgaben als auch nach nationalem Recht ist für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts ein rechtmäßiger Aufenthalt von fünf Jahren gemäß dem Freizügigkeitsrecht Voraussetzung. „Rechtmäßig“ im Sinne des § 4a Abs. 1 FreizügG ist der fünfjährige ständige Aufenthalt nur dann, wenn er nach den Regeln des Freizügigkeitsrechts rechtmäßig war (Anschluss an BVerwG BeckRS 2015, 50492). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 K 17.338 2018-01-17 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 17. Januar 2018 wird der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen auf jeweils 10.000 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen die mit Bescheid des Beklagten vom 26. Januar 2017 ausgesprochene Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt sowie auf Ausstellung einer Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht weiter.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das die diesbezügliche Klagen abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 17. Januar 2018 ist zulässig, aber unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) wurden schon nicht in einer den Anforderungen des § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt bzw. liegen nicht vor. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren bleibt ebenfalls erfolglos.
1. a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht gelangte zu dem Ergebnis, dass die streitbefangene Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU rechtmäßig ist, weil sich der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids am 26. Januar 2017 noch nicht fünf Jahre ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe und auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kein freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger (mehr) sei. Folglich habe er auch keinen Anspruch auf Ausstellung einer Bescheinigung über ein Daueraufenthaltsrecht.
Demgegenüber bringt der Kläger im Zulassungsverfahren vor, dass er sich seit seiner Einreise am 12. Oktober 2011 bis zum Erlass des Bescheids im Januar 2017 über fünf Jahre lang ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Er habe mangels gegenteiliger Information oder dahingehender Aufklärung darauf vertrauen dürfen, dass sein Aufenthalt nicht nur legal sondern auch rechtmäßig gewesen sei. Da weder im Freizügigkeitsgesetz noch in der Freizügigkeitsrichtlinie der rechtmäßige Aufenthalt definiert werde, könne damit nur der erlaubte Aufenthalt gemeint sein. Dies komme auch in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU vom 27. Juli 2009 (BR-Drs. 670/09) unter Ziffer 4a.1 zum Ausdruck, wonach jeder Aufenthalt rechtmäßig sei, der entweder nach dem Freizügigkeits- oder nach dem Aufenthaltsgesetz erlaubt sei. Auch Ausweisungsmaßnahmen im Sinne des 17. Erwägungsgrundes, Satz 2, der Freizügigkeitsrichtlinie seien zu keinem Zeitpunkt gegenüber dem Kläger angeordnet worden. Schließlich sei er krankheitsbedingt nur vorübergehend arbeitsunfähig. Trotz seiner Erkrankungen (Depression, paranoide Schizophrenie, Alkoholismus, Bandscheibenvorfall, u.a.) bemühe er sich um Arbeit; es bestehe die Aussicht auf Beschäftigung.
Mit diesem Vorbringen zieht der Kläger jedoch die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nicht ernsthaft in Zweifel. Denn zum einen ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass rechtmäßig im Sinne des Unionsrechts nur ein Aufenthalt ist, der im Einklang mit den in der Richtlinie 2004/38 EG und insbesondere mit den in Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG aufgeführten Voraussetzungen steht (EuGH, U.v. 21.12.2011 – Ziolkowski und Szeja, C-424/10 u.a. – juris Rn. 46; U.v. 11.11.2014 – Dano, C-333/13 – juris Rn. 71; BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22.14 – juris Rn. 16 m.w.N.; U.v. 31.5.2012 – 10 C 8.12 – juris -Ls-, Rn. 15 f.; BayVGH, U.v. 18.7.2017 – 10 B 17.339 – juris Rn. 29). Dass das Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU einen fünfjährigen, auf Unionsrecht beruhenden rechtmäßigen Aufenthalt voraussetzt, folgt unter anderem aus dem 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38/EG, wonach der Daueraufenthalt den Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen zugutekommen soll, die sich gemäß den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen fünf Jahre lang ununterbrochen in dem Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben (EuGH, U.v. 21.12.2011 – Ziolkowski und Szeja, C-424/10 u.a. – juris Rn. 42). Demzufolge ist in der (aktuellen) Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU vom 3. Februar 2016, GMBl 2016 Nr. 5, S. 86 (AVV zum FreizügG/EU) unter Ziffer 5.4.1.3 klargestellt, dass sowohl nach den europarechtlichen Vorgaben (Art. 16 Abs. 1 Freizügigkeitsrichtlinie) als auch nach nationalem Recht (§ 4a Abs. 1 FreizügG/EU) für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts ein rechtmäßiger Aufenthalt von fünf Jahren gemäß dem Freizügigkeitsrecht Voraussetzung ist (s. auch BT-Drs. 18/2581, S. 16). „Rechtmäßig“ im Sinne des § 4a Abs. 1 FreizügG ist der fünfjährige ständige Aufenthalt nur dann, wenn er nach den Regeln des Freizügigkeitsrechts rechtmäßig war (vgl. Ziffer 4.a.1.1 AVV zum FreizügG/EU).
Zum anderen kann der Kläger mit der pauschalen Behauptung, nur vorübergehend arbeitsunfähig zu sein und Aussicht auf Beschäftigung zu haben, die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts zur Begründung der fehlenden Freizügigkeitsberechtigung im Sinne von § 2 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 FreizügG/EU nicht ernsthaft in Zweifel ziehen. Insbesondere ist das Gericht wegen der beim Kläger bestehenden Vermittlungshemmnisse wie Erkrankungen und gesundheitliche Beeinträchtigungen sowie aufgrund fehlender Sprachkenntnisse zu Recht davon ausgegangen, dass objektiv keine Aussicht auf Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besteht (s. UA Rn. 41-43). Dem ist der Kläger allein durch die nicht weiter belegte Behauptung, „die Aussicht in Arbeit zu kommen ist da“, nicht substantiiert entgegengetreten.
b) Soweit der Kläger seinen Zulassungsantrag auch auf besondere tatsächlich oder rechtliche Schwierigkeiten gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO stützt, lässt sich dem Vorbringen im Zulassungsantrag nicht entnehmen, worin die besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtssache liegen sollen. Damit ist dieser Zulassungsgrund bereits nicht im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 2.5.2011 – 8 ZB 10.2312 – juris Rn. 21 m.w.N.).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG, wobei sich die Ergänzung des ursprünglichen Klagebegehrens auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids vom 26. Januar 2017 durch die (weitere) Klage auf Ausstellung einer Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht streitwerterhöhend auswirkt (so i.E. auch BayVGH, U.v. 18.7.2017 – 10 B 17.339 – juris Rn. 70).
4. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren ist abzulehnen, weil der Antrag auf Zulassung der Berufung aus oben genannten Gründen keine hinreichenden Erfolgsaussichten hat (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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